- Erik Kandel
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Eric Richard Kandel (* 7. November 1929 in Wien) ist ein US-amerikanischer Neurowissenschaftler österreichischer Herkunft, Laureat des Nobelpreises für Physiologie oder Medizin und Träger des deutschen Ordens Pour le mérite für Wissenschaft und Künste.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Jugend und Studium
Eric Kandel wurde 1929 als Sohn von Charlotte Zimels und Hermann Kandel als zweites Kind nach seinem fünf Jahre älteren Bruder Lewis geboren. Schon während seiner ersten elf Lebensjahre in Wien zeigte sich ein großes Interesse für die Biologie. 1939 musste Kandel mit seiner Familie aufgrund seiner jüdischen Abstammung in die Vereinigten Staaten emigrieren, da der Antisemitismus nach dem Einmarsch und der Besetzung Österreichs durch deutsche Truppen stark zugenommen hatte und ein normales Leben für Juden nahezu unmöglich machte.
Den Rest seiner Grundschulzeit verbrachte er auf der Jeschiwa (ישיבה) in Flatbush, einem Stadtteil von New York, bis er 1944 auf die Erasmus Hall High School in Brooklyn übertrat, wo er begann, sich für Geschichte und Literatur zu interessieren. Dort wurde ihm auch als einem von zwei Schülern, die unter mehr als 1.400 Bewerbern ausgewählt wurden, ein Stipendium für ein Studium an der Harvard University in Cambridge, Massachusetts, bewilligt.
Zu den Neurowissenschaften kam Kandel über eine befreundete Kommilitonin, deren Eltern überzeugte Anhänger der Freudschen Theorie zur Psychoanalyse waren. So war Sigmund Freud, der Pionier in der Erforschung der unbewussten neuralen Vorgänge im menschlichen Gehirn, die Ursache für Kandels Interesse an der Biologie der Motivation und bewusstem und unbewusstem Gedächtnis.
Erste Forschungen
Im Herbst 1952 wechselte Kandel auf die New York University, um dort Psychiatrie zu studieren und schließlich Psychoanalytiker zu werden. Gegen Ende seiner Studienzeit entschied er sich jedoch, anders als die meisten anderen Psychiatriestudenten seiner Zeit, nicht die psychologischen, sondern die biologischen Vorgänge des Gehirns genauer zu untersuchen und zu erforschen. In dieser Zeit lernte er seine zukünftige Frau Denise Bystryn kennen.
Wenige Zeit später begann er, an der Columbia University im Labor von Harry Grundfest, einem bekannten New Yorker Neurobiologen, zu forschen. Die anderen Forscher, mit denen Kandel dort zusammenarbeitete, waren mit Überlegungen über die zur damaligen Zeit technisch sehr komplizierte Aufzeichnung elektrischer Aktivität der relativ kleinen Neuronen der Gehirne von Wirbeltieren beschäftigt.
Nachdem er angefangen hatte, sich durch das schwierige Gebiet der Elektrophysiologie des zerebralen Cortex zu arbeiten, war er von dem Fortschritt, den Stephen Kuffler mit einem durch Experimente zugänglicheren System machte, sehr beeindruckt. Dieser isolierte Neuronen von marinen Wirbellosen, um sie dann weiterzuverwenden.
1957 wechselte Kandel zum Laboratory of Neurophysiology des National Institutes of Health und fuhr dort mit seinen Arbeiten zu elektrophysiologischen Aufzeichnungen bei Neuronen aus der Region des Hippocampus fort, speziell, um herauszufinden, ob der Hippocampus am Prozess des Speicherns von Erinnerungen im Gehirn und des Sich-Erinnerns direkt beteiligt ist. Allerdings konnte er keine Anhaltspunkte dafür finden, dass der Hippocampus für die Erinnerungsfähigkeit des Menschen verantwortlich ist. Er erkannte, dass das Gedächtnis mit den synaptischen Verbindungen zwischen den Neuronen zusammenhängen musste und dass der Hippocampus mit seinen komplexen Verflechtungen nicht gut dazu geeignet war, die genaue Funktion der Synapsen zu erforschen. Er wusste außerdem, dass vergleichbare Verhaltensstudien beispielsweise von Konrad Lorenz, Nikolaas Tinbergen und Karl von Frisch zumindest eine geringe Lernfähigkeit bei allen Tieren nachgewiesen hatten. So entschied er sich, seine Versuche an einer weniger komplexen Tierart durchzuführen, um so seine elektrophysiologischen Analysen an Synapsen zu vereinfachen. Er glaubte, die Ergebnisse seiner Studien dann auf den Menschen und sein Gehirn übertragen zu können. Diese Entscheidung war nicht risikolos, da viele, vor allem ältere Biologen meinten, dass durch das Studium der Physiologie der Wirbellosen nicht viel über die menschliche Erinnerungsfähigkeit herausgefunden werden könne.
Aplysia Californica
1962 ging Kandel nach Paris, um sich dort mit dem Kalifornischen Seehasen (Aplysia californica), einer Meeresschnecke, zu beschäftigen. Er hatte festgestellt, dass einfache Formen des Lernens wie beispielsweise die Sensitivierung sowie klassische und operante Konditionierung auch an einzelnen Ganglia der Aplysia untersucht werden können.
- Während das Verhalten einer einzelnen Ganglienzelle beobachtet wird, könnte ein Axon, das zum Ganglion führt, leicht stimuliert werden und so als taktiler Stimulus agieren, während ein anderes Axon als Schmerz-Stimulus verwendet werden könnte. Dabei müsste der sonst bei natürlichen Stimulationen bei Wirbeltieren befolgte Ablauf eingehalten werden.
Elektrophysiologische Veränderungen, die von den zusammenwirkenden Stimuli ausgelöst werden, könnten dann auf spezifische Synapsen zurückgeführt werden. 1965 veröffentlichte Kandel die Ergebnisse seiner Studien.
New York Medical School
Später übernahm Kandel einen Posten im Department of Physiology and Psychiatry der New York Medical School, wo er mithalf, die Abteilung für Neurobiologie und Verhaltenswissenschaften aufzubauen. Hier begann er mit einigen Kollegen Forschungen zu Kurz- und Langzeitgedächtnis.
Im Jahre 1981 gelang es den Mitgliedern der Forschergruppe, das Aplysia-System auf eine Studie über klassische Konditionierung auszuweiten, was letztendlich half, die Lücke, welche sich zwischen den einfachen Formen des Lernens, die mit weniger entwickelten Tieren wie den Wirbellosen in Verbindung gebracht wurde, und den komplexeren Lernvorgängen der Wirbeltiere aufgetan hatte, zu schließen.
Neben der fundamentalen Verhaltensforschung beobachteten die Forscher auch die Vernetzung der verschiedenen Nervenzellenarten, die in den Lernprozess verwickelt sind. Dies erlaubte eine genaue Analyse der Synapsen, die durch das Lernen bei Tieren verändert werden. Die Laborergebnisse unterstützten die These, dass Lernen eine funktionale Veränderung der Effektivität bereits zuvor vorhandener Verknüpfungen sei.
Molekulare Veränderungen beim Lernprozess
Seit 1966 arbeitete James Schwartz mit Kandel an einer biochemischen Analyse von Veränderungen in Nervenzellen, die mit dem Lernen und der Erinnerung zu tun haben. Zu dieser Zeit war bekannt, dass eine Speicherung von Dingen im Langzeitgedächtnis, anders als im Kurzzeitgedächtnis, die Herstellung von speziellen Eiweißen voraussetzt. 1972 kamen sie zu der Erkenntnis, dass in den Ganglien der Aplysia unter Bedingungen, die die Speicherung im Kurzzeitgedächtnis hervorrufen, der Second Messenger cAMP hergestellt wird. 1974 wurde herausgefunden, dass der Neurotransmitter Serotonin, der an der Herstellung von cAMP beteiligt ist, molekular direkt zu einer Sensibilisierung gegen einen bestimmten Reflex führen kann.
1983 half Kandel, das Howard Hughes Medical Institute für molekulare Neurowissenschaften der Columbia University aufzubauen. Mit seinen Laborkollegen fuhr er fort, die Proteine zu identifizieren, die herzustellen sind, um Kurzzeitgedächtnis in Langzeitgedächtnis umzuwandeln. In Zusammenarbeit mit anderen Forschern wurde der Transkriptionsfaktor CREB (engl. cAMP response element binding protein) entdeckt und seine Rolle als ein zum Langzeitgedächtnis beitragendes Protein erwiesen. Eine Folge der Aktivierung von CREB ist eine Steigerung der Zahl synaptischer Verbindungen. Daraus wurde gefolgert, dass Kurzzeitgedächtnis eine Folge von funktionalen Veränderungen in bereits existierenden Synapsen ist und Langzeitgedächtnis aus einer Änderung in der Gesamtzahl der Synapsen hervorgeht.
Einige der synaptischen Veränderungen, die in Kandels Labor entdeckt wurden, sind Beispiele für Lernvorgänge nach der Hebbschen Regel. So beschreibt eine der Publikationen (Activity-dependent presynaptic facilitation and hebbian LTP are both required and interact during classical conditioning in Aplysia; Neuron. 2003 Jan 9;37(1):135-47; [1] ) die Rolle Hebbschen Lernens beim Aplysia siphon-withdrawal reflex.
Außerdem wurden in dem Labor bedeutende Versuche mit künstlich genmutierten Mäusen zur Suche nach der molekularen Basis für Erinnerungsfähigkeit im Hippocampus von Wirbeltieren durchgeführt. Kandels ursprüngliche Vermutung, dass bestimmte Lernmechanismen sich bei allen Lebewesen zeigen, hat sich als richtig erwiesen. Es wurde festgestellt, dass Neurotransmitter, Second Messenger, Proteinkinasen, Ionenkanäle und Transkriptionsfaktoren wie CREB sowohl bei Wirbeltieren als auch bei Wirbellosen an Lern- und Speicherungsvorgängen beteiligt sind.
Seit 1974 ist Eric Kandel Mitglied der National Academy of Sciences der USA.
Auszeichnungen
2000 wurde Eric R. Kandel zusammen mit dem Schweden Arvid Carlsson und dem Amerikaner Paul Greengard der Nobelpreis für Medizin für ihre Entdeckungen betreffend der Signalübertragung im Nervensystem verliehen. Kandel ist auch Träger des Österreichischen Ehrenzeichens für Wissenschaft und Kunst. 2008 wurde er mit dem Ehrenpreis des Viktor Frankel Instituts der Stadt Wien ausgezeichnet; seit 2008 ist er auch Ehrenbürger von Wien.
Werke
- Cellular Basis of Behavior, 1976
- Mind and Behavior, 1980
- Principles of Neural Science and Behavior, 1995
- Neurowissenschaften: eine Einführung. Hrsg. mit James H. Schwartz, Thomas M. Jessel. Heidelberg 1996: Spektrum, Akademischer Verlag ISBN 3-86025-391-3
- Memory. From Mind to Molecules, 1999
- Gedächtnis. Die Natur des Erinnerns. Mit Larry R. Squire. Heidelberg 1999: Spektrum, Akademischer Verlag ISBN 3-8274-0522-X
- Auf der Suche nach dem Gedächtnis. Die Entstehung einer neuen Wissenschaft des Geistes - Siedler Verlag, März 2006. Deutsche Ausgabe des Titels "In Search of Memory". ISBN 978-3-88680-842-7
- Psychiatrie, Psychoanalyse und die neue Biologie des Geistes - Suhrkamp Verlag, April 2006. ISBN 3-518-58451-0
Filmographie
- Petra Seeger (Regie): Auf der Suche nach dem Gedächtnis – Der Hirnforscher Eric Kandel, FilmForm Köln mit Arte, ORF, WDR, 2008. [1]
Einzelnachweise
- ↑ Filmfonds-Wien Petra Seeger: Auf der Suche nach dem Gedächtnis – Der Hirnforscher Eric Kandel, TV-Dokumentation 2008.
Weblinks
- Literatur von und über Eric Richard Kandel im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Interview mit Eric Kandel über seine Autobiographie (Deutschlandradio Kultur, Juni 2006)
- Mehrteiliges Video-Interview mit Eric Kandel zu verschiedenen Forschungsthemen (3sat delta, November 2006)
- Artikel Eric Richard Kandel im Österreich-Lexikon von aeiou
- Informationen der Nobelstiftung zur Preisverleihung 2000 an Eric Richard Kandel (englisch)
- Arbeitsstätte an der Columbia University
- Center for Neurobiology and Behavior: Activity-dependent presynaptic facilitation and hebbian LTP are both required and interact during classical conditioning in Aplysia.
Personendaten NAME Kandel, Eric Richard KURZBESCHREIBUNG US-amerikanischer Neurowissenschaftler, Nobelpreisträger GEBURTSDATUM 7. November 1929 GEBURTSORT Wien, Österreich
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