Esraj

Esraj

Die Esraj (Bengalisch: এস্রাজ, esrāj) ist ein nordindisches Streichinstrument, das traditionell zur Liedbegleitung in Bengalen verwendet wird.

Inhaltsverzeichnis

Herkunft und Verbreitung

Die Esraj, ein bengalischer Name ist Ashuranjani, gehört zu den jüngeren der zahlreichen indischen Streichinstrumente (Hindi: dhanustata, von dhanu „Bogen“), wurde im 19. Jahrhundert im Nordosten Indiens eingeführt und entwickelte sich zu einem Begleitinstrument für den Khyal-Gesang der klassischen nordindischen Musik, für die Gesangsuntermalung beim halbklassischen Thumri-Stil und in der Volksmusik im heutigen indischen Bundesstaat Westbengalen und ebenso in Bangladesh. Wegen ihres lieblichen Klanges wird die Esraj gelegentlich auch solo[1] und oft von Damen gespielt. Die Esraj klingt zarter und näselnder als die in ganz Nordindien verbreitete Sarangi, die im 20. Jahrhundert zum führenden Streichinstrument in der nordindischen Klassik wurde,[2] nachdem sie ihren schlechten Ruf als Begleitinstrument für Tanzmädchen verloren hatte. Dieser moralische Makel aus der Vergangenheit haftet der Esraj nicht an.

Vermutlich wurde die Esraj um die Mitte des 19. Jahrhunderts in der Gaya Gharana (Gharana ist eine Meisterschule, die in einer bestimmten musikalischen Tradition steht) in Bengalen durch Hari Singh und seinem Sohn Hanuman Das als Begleitung für den Khyal-Gesang eingeführt. Deren Schüler Kanailal Dhenri brachte das Instrument zu Abanindranath Thakur (1871–1951, ein Neffe von Rabindranath Thakur) und anderen Mitgliedern dieser kulturell einflussreichen Familie von Kolkata. Rabindranaths Vater Debendranath Thakur (1817–1905) hatte schon die Esraj erwähnt. Dieses Umfeld war der Ausgangspunkt für die weitere Verbreitung der Esraj als Begleitinstrument zusammen mit dem Harmonium für den Thumri-Gesang.[3]

Rabindranath Thakur entwickelte aus der literarischen Tradition Bengalens eine neue, romantische Liedgattung, die Rabindra Sangit. Seine Kompositionen waren beeinflusst von traditionellen bengalischen Volksliedformen wie Kirtan und Panchali, daneben von der damals in Europa geschätzten Musette. Die eingängigen Melodien waren als Teil der nationalen Unabhängigkeitsbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts sehr populär. Tagore-Lieder trugen in vielen Filmen zu einer melancholischen Atmosphäre bei. Begleitet werden sie auf dem Harmonium und der Esraj, die den Melodievorgaben des Sängers nachfolgen. Der Rhythmus wurde durch Handzimbeln und die volkstümliche Trommel Kohl erzeugt, die der bengalische Sänger Pankaj Kumar Mallick (1905–1978) ab den 1930er Jahren durch die Tabla ersetzte.[4] In der Mitte des 20. Jahrhunderts geriet die Esraj in den Hintergrund. Ab den 1980er Jahren erlebte sie eine gewisse Renaissance, und in den westlichen Ländern gewann sie aufgrund ihrer musikalischen Heimat im bengalischen Shantiniketan, der Wirkungsstätte Rabindranath Thakurs, den Ruf eines besonders authentischen indischen Musikinstruments.

In der Bishnupur Gharana (Bishnupur in Westbengalen, Distrikt Bankura, 130 km nordwestlich Kolkata) wurde die Esraj im 20. Jahrhundert zusammen mit der Sitar für den ernsten klassischen Stil des Dhrupad eingesetzt.[5] Das Verdienst, die Esraj als Solo-Instrument in die Hindustanische Musik (nordindische Klassik) eingeführt zu haben, gebührt Musikern aus dieser Stadt. Ashesh Chandra Bandyopadhyay (1920–1992)[6] aus Bishnupur hatte in Shantiniketan das Esraj-Spielen unterrichtet. Einer seiner Schüler war Ranadhir Roy (1943–1988), der als der bedeutendste Esraj-Spieler gilt.[7] Er nahm einige Verbesserungen an der Esraj vor mit dem Ziel, es als Solo-Instrument einsetzen zu können. Die Tradition der Tagore-Lieder wird in Shantiniketan weiterhin gepflegt und mit der Esraj als Begleitung werden sie aufgeführt.[8]

Als Meister auf der Esraj sind anerkannt: Brajendra Kishore Raychowdhuri (1874–1957) aus Dhaka,[9] die nächste Generation mit dem Sänger und Komponisten Dilip Kumar Roy (1897–1980),[10] Halkeram Bhat (Maihar Gharana) und Chandrikaprasad Dube (Gaya Gharana).

Bauform

Der Resonanzkörper ist oval und kaum breiter als das mittellange Griffbrett. Der Bogen wird auf der Höhe der seitlichen Einbuchtungen gestrichen. Der Boden des Korpus ist gerundet, im Unterschied zum flachen, aber dafür größeren Resonanzkörper der ansonsten sehr ähnlichen Dilruba, die sich von Nordwestindien bis nach Afghanistan ausgebreitet hat. Dort wurde die Dilruba ab Mitte des 20. Jahrhunderts eine Konkurrenz für die ältere afghanische Sarinda. Alle diese Streichlauten werden aus einem Holzblock gefertigt und an der Oberseite mit Ziegenleder bespannt. Von der Sitar wurden das Griffbrett mit verschiebbaren Metallbügeln als Bünden übernommen, der Korpus ist von der Sarangi abgeleitet. Die Saiten sind wie bei der Dilruba alle aus Metall (Stahl, einige Bronze). 12 bis 15 Resonanzsaiten (tarbs, tarif oder taraf) werden mit Wirbeln justiert, die auf einer an der rechten Seite des Halses entlanglaufenden Leiste befestigt sind. Diese Leiste fehlt bei der Dilruba, findet sich aber ebenso bei der um 1820 von Ghulam Muhammad in Lakhnau entwickelten Halslaute Surbahar. Die Resonanzsaiten führen bei der Esraj durch Bohrungen im aus Horn gefertigten Steg und frei unter den Bünden hindurch. Von den vier bis sechs Hauptsaiten, die an dicken Wirbeln des leicht nach hinten gebogenen Wirbelkastens enden, wird nur eine Saite als Melodiesaite gestrichen, die anderen sind Bordunsaiten (chikari). Die Bünde sind teilweise verschiebbar, um die Stimmung des zu spielenden Ragas zu erreichen. Manche Instrumente haben unter dem Wirbelkasten einen zweiten Resonator (tumba), der aus einer Kalebasse besteht und für einen günstigeren Schwerpunkt sorgt.

Einzelnachweise

  1. Musical Instruments. Banglapedia
  2. Alain Danielou: Einführung in die indische Musik. Heinrichshofen’s Verlag, Wilhelmshaven 1982, S. 101
  3. Gharana. Banglapedia
  4. Mallick, Pankaj Kumar. Banglapedia
  5. Bishnupur Gharana. Bankura.online
  6. Asheschandra Bandyopadhyay (1920–92). Vishva-Bharati (Vishva-Bharati: von Rabindranath Thakur in Shantiniketan gegründete Universität)
  7. Gupta Om: Encyclopaedia of India, Pakistan and Bangladesh. Gyan Books, Neu Delhi 2006, S. 701
  8. Tagore for the Times. The Telegraph, Calcutta, 28. Januar 2009
  9. Raychowdhuri, (Acharya) Brajendra Kishore. Banglapedia
  10. Roy, Dilip Kumar. Banglapedia

Weblinks


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