Et in arcadia ego

Et in arcadia ego
Giovanni Francesco Barbieri, Et in Arcadia ego (1616-1620)
Nicolas Poussin, Die Hirten von Arkadien II. (1638-1640)
Relief der Shugborough Hall in der Nähe von Stafford
Et in Arcadia Ego, 1. Fassung, Devonshire Collection, Chatsworth

Et in Arcadia ego ist eine lateinische Phrase. Ihre Bedeutung ist umstritten. Die sprachlich näherliegende Übersetzung „Auch in Arkadien (bin) ich“ wurde im Verlauf der Rezeptionsgeschichte mehr und mehr verdrängt durch die Fassung „Auch ich (war) in Arkadien“. Die Phrase findet sich zum ersten Mal in dem gleichnamigen Gemälde des italienischen Barockmalers Giovanni Francesco Barbieri, gen. Guercino. Dort steht sie auf einem Mauerstück geschrieben, auf der ein Totenkopf liegt. Die Komposition ist gleichsam ein Stillleben mit den Hirten als Betrachtern im Bild. Durch die zugrunde liegende ikonographische Tradition ist der Totenkopf als symbolische Repräsentation des Todes definiert. Die Worte sind somit ein Ausspruch des Todes und von der Art des Memento Mori („Bedenke, dass du sterben musst“): sie mahnen die beiden Hirtenjungen inmitten dieses Idylls an den Tod, der eben auch Arkadien nicht verschont.

In zwei Gemälden mit dem Namen Die Hirten von Arkadien hat der französische Barockmaler Nicolas Poussin das Thema aufgegriffen, aber durch Eingriffe in die Komposition wesentlich weiter entwickelt. Die auffälligste Veränderung Poussins ist, dass das Mauerstück durch einen Sarkophag ersetzt ist. Die Deutung beider Gemälde, besonders des zweiten ist umstritten. Manche Interpreten nehmen an, dass bei Poussin nunmehr nicht der Tod, sondern der Tote als Sprecher der Phrase zu denken sei und damit ein Bezugswechsel des et (auf ego statt auf Arcadia) einhergehe.

Inhaltsverzeichnis

Ursprung des Arkadienmotivs und des Grabmals in Arkadien

Die erste Erwähnung eines Grabmals mit einer Inschrift (hier für Daphnis) vor einem idyllischen Hintergrund findet sich in Vergils Eclogae (V, 42 ff.)[1]:

et tumulum facite, et tumulo superaddite carmen:
Daphnis ego in silvis, hinc usque ad sidera notus,
formosi pecoris custos, formosior ipse.

Vergil versetzte das von Theokritos in den sogenannten Eidyllia idealisierte sizilianische Bauerntum in die griechische Landschaft Arkadien. Arkadien ist für ihn das Land, in dem die Dichtung ihren Ursprung und ihre Heimat hat und die damit auch die imaginäre Heimat eines jeden Dichters ist. In der Renaissance wurde die Thematik wieder von Lorenzo de’ Medici aufgenommen. Der italienische Dichter Jacopo Sannazaro festigte 1504 in seiner bukolischen Dichtung Arcadia das Bild der Neuzeit von Arkadien als einem Idyll, auf das er mit Sehnsucht zurückblickt, ebenso der englische Schriftsteller Philip Sidney in der Romanze The Countess of Pembroke's Arcadia.

Die griechische Landschaft Arkadien war so in der Renaissance und im Barock zum Symbol für das Goldene Zeitalter geworden, in dem die Menschen als glückliche Hirten lebten und sich im Einklang mit der Natur ganz der Muße, der Liebe, der Dichtung und Musik hingaben.

Die Hirten von Arkadien

Der französische Maler Nicolas Poussin malte von 1630 bis 1640 zwei dem Barbieris ähnliche Bilder mit dem Titel Die Hirten von Arkadien. Das erste, das um 1630 entstand, zeigt drei Hirten und eine Schäferin, die unerwartet auf die Inschrift an einem Sarkophag gestoßen sind, auf dem ein Totenschädel liegt. Sie wirken aufgewühlt und bestürzt. Im Vordergrund liegt ein Flußgott, wohl der Alphaios, der durch Arkadien fließt. Anders ist die Stimmung im geometrisch aufgebauten und klassizistisch beruhigten zweiten Bild, in welchem sie elegisch und von barockem Lebensgefühl beseelt die Inschrift auf dem Sarkophag betrachten. Der schreckenerregende Totenkopf fehlt hier. Die Hirten kommunizieren mit einer prachtvoll gewandeten Frauenfigur[2]

Mimesis

In der antiken Diskussion um Platons Ablehnung der Mimesis waren schriftliche Sätze in der ersten Person Singular besonders problematisch, weil sie nicht wahr sein können, denn der Leser ist nicht der Autor. Das gelesene "Ich" ist eine Lüge, wenn es nicht für alle zutrifft, die lesen können. Und diese Gemeinsamkeit ist dem klassischen Beispiel für den Syllogismus gemäß der Tod. Er wird dem gebildeten Leser beim Lesen als das einzige Verbindende bewusst.

Interpretation

Im Satz fehlt die Kopula esse (=sein), was im Lateinischen möglich ist, aber zu unterschiedlichen Interpretationen führt. Die Wandlung des Motivs hatte auch eine Interpretationswandlung der Inschrift zur Folge. Et in Arcadia ego wurde nicht mehr auf den Tod, sondern auf den Verfasser der Inschrift bezogen; so trat an die Stelle von „Selbst in Arkadien gibt es mich“ oder „Auch in Arkadien bin ich“ die Deutung "Auch ich war in Arkadien."[3] Diese Übersetzung wird durch das zweite Bild Poussins nahegelegt, ist aber nur schwer mit der Grammatik des Lateinischen vereinbar, stellt jedoch (auch aufgrund des Bezuges zur V. Ekloge) das gängige Verständnis des Zitats dar. In dieser Interpretation erinnert das Epitaph daran, dass jeder Mensch in Arkadien geboren wird, so auch der in dem Grabmal auf Poussins Gemälde Bestattete.

Neue Interpretationen haben Brandt und Becht-Jördens/Wehmeier vorgelegt. Nach Brandt handelt es sich bei der Mädchenfigur rechts vorne um die Allegorie der Pittura bzw., so nunmehr 2006, um Daphne-Laura, d.h. den Ruhm der Malkunst. Die Hirten hätten mit der Entdeckung des eigenen Bildes im Schattenriss zugleich das Grundprinzip der Malkunst, die Mimesis entdeckt. Das entspricht antiker Überlieferung bei Plinius, Naturalis historia, Buch 35, 16, 5. Der Sinn sei, dass auch die Malkunst, die bislang als Handwerk angesehen wurde und nicht unter den neun Musen vertreten ist, ihre Präsenz in Arkadien geltend mache und einen gleichrangigen Platz unter den Künsten beanpruche. Die Umdeutung der lateinischen Inschrift („Auch ich war/bin in Arkadien“) ergebe sich aus der neuen Zuordnung der Aussage zu Pittura. Sie sei entgegen Panofskys Einschätzung grammatisch durchaus möglich und daher bereits von Poussin intendiert [4].

Becht-Jördens und Wehmeier übernehmen die Deutung der Mädchenfigur als Pittura, suchen jedoch nach einer Verbindung zwischen den beiden Themen "Entdeckung der Sterblichkeit" und "Entdeckung der Malkunst", die, wie Brandts Beobachtungen gezeigt haben, als Bestandteile der Komposition zu identifizieren sind und kaum ohne höhere Absicht zusammengepannt sind. die Autoren finden diese zunächst auf der Ebene der Semantik der einzelnen Bildgegenstände in der Doppelbedeutung des Schattens. Als Umriss des lesenden Hirten ist er im Sinne der Mimesis (Ab-)Bild des Lebenden, also Pittura, als Schatten verweist er dagegen zugleich auf den Tod als dessen bevorstehendes individuelles, aber auch allen Menschen, den Betrachter eingeschlossen, gemeinsames Schicksal. Die Doppelbedeutung eines zentralen Bildgegenstandes verlangt nach einer Entsprechung auf der Ebene der Gesamtaussage der Bildkomposition. Deshalb weisen die Autoren die rezeptionsgeschichtlich zwar so wirkmächtige Umdeutung des lateinischen Ausspruchs zu einer Selbstaussage des Toten zurück, da hierdurch die Verbindung der beiden genannten Themen gesprengt würde und dies, zumal angesichts der grammatikalischen Härte, nicht mit den Intentionen des Künstlers übereinstimmen könne. Vielmehr beziehe sich Pittura auf die ursprüngliche Aussage des Todes (nicht, wie Brandt plausibel zu machen sucht, des Toten!) und begründe mit dieser ihr eigenes Amt: Weil der Tod selbst in Arkadien herrscht, seine Herrschaft also keine Grenzen kennt, herrscht auch sie dort und überall da, wo er am Werk ist, denn er bzw. das Bewusstsein seiner unausweichlichen Realität ist es, weswegen der Mensch der Kunst und des Trostes bedarf, den sie aufgrund ihrer Befähigung zur Repräsentanz des Abwesenden gewährt. Sie gestattet so die imaginäre Begegnung mit anderen Menschen über räumliche und zeitliche Grenzen hinweg, und sie erlaubt auch die kommunikative Auseinandersetzung mit dem leidvollen Thema der Sterblichkeit und auch des eigenen Todes bei gleichzeitiger Wahrung der notwendigen Pathosregulierung. Sie macht die Sterblichkeit als gemeinsames Schicksal aller Menschen erfahrbar, dem diese aber nicht hilflos ausgeliefert sind. So setzt sie erst den Menschen in den Stand, im Angesicht des Todes leben zu können, ohne in Panik oder Depression zu verfallen. Und dies ist der Grund, warum die Entdeckung der Sterblichkeit und der Malkunst in Poussins Komposition zusammenfallen und nach Arkadien verlegt sind. Die Malkunst ist die Antwort des Menschen auf die Entdeckung der Sterblichkeit, die es ihm ermöglicht, auch unter der Herrschaft des Todes Leben und Autonomie zu behaupten, eine Aussage, die Poussin auch mit seinem Selbstporträt im Louvre formuliert.[5]

Die deutsche Übersetzung des Satzes wurde von Goethe in seiner „Italienischen Reise“ als Motto voran gestellt, erhielt aber ihre heutige Popularität zumeist durch Friedrich Schillers Gedicht „Resignation“, das mit den Worten beginnt: „Auch ich war in Arkadien geboren“.

Einzelnachweise

  1. P. Vergili maronis ecloga qvinta
  2. "Die elegische Wandlung des arkadischen Motivs und das Ende der Schäferei"
  3. Erwin Panofsky: Et in Arcadia ego. Friedenauer Presse, Berlin 2002, ISBN 3-932109-28-7
  4. Reinhard Brandt: Philosophie in Bildern, Köln 2. Aufl. 2001, S. 265-282 ISBN 3-7701-5293-x
  5. Gereon Becht-Jördens, Peter M. Wehmeier, Picasso und die christliche Ikonographie. Mutterbeziehung und künstlerische Position, Berlin 2003, S. 181-209 ISBN 3-496-01272-2; Gereon Becht-Jördens, Peter M. Wehmeier: Leben im Angesicht des Todes. Die Erfindung der Kunst als Medium der Angstbewältigung bei Nicolas Poussin (1594-1665). In: Boehlke/Förstl/Heuser (Hrsg.): Zeit und Vergänglichkeit (siehe unten: Literatur), S. 74-90.

Literatur

  • Gereon Becht-Jördens, Peter M. Wehmeier: Picasso und die christliche Ikonographie. Reimer, Berlin 2003, ISBN 3-496-01272-2, S. 181–209
  • Gereon Becht-Jördens, Peter M. Wehmeier: Leben im Angesicht des Todes. Die Erfindung der Kunst als Medium der Angstbewältigung bei Nicolas Poussin (1594-1665). In: Erik Boehlke, Hans Förstl, Manfred P. Heuser (Hrsg.): Zeit und Vergänglichkeit (= Schriftenreihe der deutschsprachigen Gesellschaft für Kunst und Psychopathologie des Ausdrucks e. V. [DGPA], Bd. 27), Edition GIB, Berlin 2008, ISBN 978-3-00-024659-3, S. 74-90.
  • Reinhard Brandt: Arkadien in Kunst, Philosophie und Dichtung. (= Quellen zur Kunst; Bd. 25). 3. Auflage. Rombach, Freiburg im Breisgau und Berlin 2006, ISBN 3-7930-9440-5
  • Reinhard Brandt: Nicolas Poussin. Et in Arcadia Ego. In: R. Brandt: Philosophie in Bildern. Von Giorgione bis Magritte. 2. Auflage. DuMont, Köln 2001, ISBN 3-7701-5293-X, S. 265–282
  • Erwin Panofsky: Et in Arcadia ego. Poussin und die Tradition des Elegischen. Hrsg. v. Volker Breidecker. Friedenauer Presse, Berlin 2002, ISBN 3-932109-28-7
  • Louis Marin: Zu einer Theorie des Lesens in den bildenden Künsten: Poussins Arkadische Hirten. In: Wolfgang Kemp (Hrsg.): Der Betrachter ist im Bild. Kunstwissenschaft und Rezeptionsästhetik. DuMont, Köln 1985, ISBN 3-7701-1720-4, S. 110–146
  • Genevieve Warwick: Commemorating Poussin. Reception and Interpretation of the Artist. Cambridge University Press, Cambridge 1999, ISBN 0-52164004-0

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