Europäisches Sozialforum

Europäisches Sozialforum

Das Europäische Sozialforum (ESF) ist ein etwa jährliches Zusammentreffen von Globalisierungskritikern aus ganz Europa, die gegen Krieg, Rassismus und Machtmissbrauch durch Regierungen und transnationale Konzerne und für globale Gerechtigkeit, die Rechte der Lohnabhängigen und nachhaltiges Wirtschaften eintreten.

Angeregt durch das Weltsozialforum im Jahr 2001 in Porto Alegre, Brasilien, fand das ESF zum ersten Mal 2002 in Florenz als kontinentales Treffen der Weltsozialforumbewegung statt. Die inhaltliche Basis bildet auch beim Europäischen Sozialforum die Charta der Prinzipien des Weltsozialforums.[1]

Inhaltsverzeichnis

Themen

Die Fragestellungen, die in den Sozialforen diskutiert werden, sind dabei sehr verschieden. Üblicherweise gibt es zwischen 150 und 250 Konferenzen, Seminare und Workshops. Diskutiert wird über Alternativen zur bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung und den Weg dahin. Politik, Wirtschaft, Krieg, Ökologie, Medien, Technologien, Nachhaltigkeit, Kultur und weitere Themen spielen dabei eine Rolle. Der Zugang zu diesen Themen erfolgt auf breiter Ebene: Von marxistischen, feministischen und anarchistischen über eher gewerkschaftliche Orientierungen und sozialdemokratische Ansätze sowie Attac reicht das Spektrum bis zu Dritte-Welt-Gruppen und progressiven religiösen Gruppen.

Kritik

Verschiedentlich wurde dem Europäischen Sozialforum eine starke Nähe zum Islamismus und zum Antisemitismus vorgeworfen, da es die bedingungslose Unterstützung Palästinas und islamistischer Organisationen und Personen propagiert habe[2]. So hatte etwa der Genfer Chefideologe des "Euroislam", Tariq Ramadan im Jahre 2003 auf der Website des Sozialforums "'jüdischen Intellektuellen" wie Bernard-Henri Lévy, Alain Finkielkraut und André Glucksmann vorgeworfen, reflexartig 'die zionistische Politik' der USA und Israels zur Unterdrückung der Palästinenser zu verteidigen". Die französische Parti socialiste forderte daraufhin den Ausschluss des "moslemischen Le Pen" aus der ATTAC-Bewegung als ihrer zentralen Organisation. Das lehnten die Veranstalter des Sozialforums jedoch ab[3]. Anlässlich des zweiten ESF in Paris 2003 wurde die Bewegung von Finkielkraut mit den Worten kritisiert: "Die Globalisierungsgegner predigen keinen primitiven Judenhaß. Aber die rituelle Diabolisierung der Vereinigten Staaten und Israels zeigt, daß in ihren Köpfen die Vorstellung einer internationalen Verschwörung vorherrscht - als ob der Prozeß der Globalisierung von einem Komplott in die Welt gesetzt worden wäre. Das ist ideologisches Denken"[4].

Treffen

Erstes ESF: 2002, Florenz

Das erste Europäische Sozialforum fand vom 6. bis zum 10. November 2002 in Florenz statt. Es war geprägt vom bevorstehenden Irakkrieg. Etwa 40.000 Menschen aus ganz Europa diskutierten im Geiste des Weltsozialforums von Porto Alegre Perspektiven für „eine andere Welt jenseits von Kapitalismus und Krieg“. Durch die örtliche Konzentration der Veranstaltungen entstand ein starkes Gemeinschaftsgefühl. Beschlüsse wurden mit voller Absicht nicht verabschiedet, da das Kennenlernen und Vernetzen im Vordergrund stand. An der abschließenden Kundgebung nahmen knapp eine Million Menschen teil.

Zweites ESF: 2003, Paris

Das zweite ESF in Paris fand vom 12. bis zum 16. November statt. Es wirkte zwar weniger euphorisierend als das in Florenz, da die Veranstaltungen in den vier Stadtteilen La Villette, Bobigny, Saint-Denis, Ivry und Saint Ouen etwas verteilter waren - so gab es inhaltlich doch einiges an Weiterentwicklung. In über 240 Seminaren und Workshops wurde die „andere Welt“ geplant. Die Infrastruktur der Babels, einem Netzwerk tausender ehrenamtlich arbeitenden Übersetzern war ausgeprägt. 50.000 Menschen nahmen teil. An der Abschlussdemonstration des ESF, die jedoch nicht durch die Innenstadt durfte, nahmen mindestens 200.000 Menschen teil. Während des ESF fand zudem ein libertäres Sozialforum in Paris (Saint Ouen) statt, welches als Zusatz verstanden wurde und ein Disobedience Space (Intergalactique GLAD) wurde organisiert. Zudem gab es mehrere direkte Aktionen in Paris, wie zum Beispiel adbusting, Hausbesetzungen oder eine Demonstration gegen Gefängnisse, die mit der Festnahme von 300 Menschen endete.[5]

Drittes ESF: 2004, London

Kundgebung beim 3. ESF in London

Vom 15. bis 17. Oktober 2004 fand in London das 3. Sozialforum statt. Neben dem offiziellen Forumprogramm gab es eine Fülle von Aktivitäten. Bewegungs- und Informationsfreiheit, gleiche Rechte für alle Menschen, unabhängig von Herkunft und die Kritik bzw. die Überwindung des neoliberalen Kapitalismus kristallisierten sich als zentrale Themen heraus.

Nachdem hierarchische Organisationen wie die trotzkistische SWP und Labour-nahe Organisationen das ESF dominierten und Basisgruppen aus dem ESF drängten, bekamen die schon in Florenz und Paris veranstalteten „autonomen Räume“, in denen Veranstaltungen unabhängig von den offiziellen Organisatoren stattfanden, enormen Zulauf. Die Spaltung zwischen Parteien und Basisgruppen wurde erst auf dem ESF in London deutlich vollzogen.[6] Kritisiert wurde, das bei der Planung des ESF "keine Transparenz" vorhanden war (u.a. von Greenpeace und Oxfam).

Viertes ESF: 2006, Athen

Das 4. ESF fand vom 4. bis 7. Mai 2006 in Athen statt. [7] Das Organisationskomitee gab bekannt, dass 35.000 Menschen, und damit deutlich mehr als beim ESF in London, an den Großveranstaltungen, Seminaren, Arbeitsgruppen und kulturellen Aktionen und mehr als 100.000 an der Demonstration, die am 6. Mai organisiert wurde teilnahmen.

Fünftes ESF: 2008, Malmö

Vom 30. März bis 1. April 2007 fand in Lissabon die Vorbereitungsversammlung für das fünfte Europäische Sozialforum statt. Die Verabschiedung der "Lissabonner Erklärung für ein demokratisches Europa"[8] war eine Stellungnahme zur sogenannten "Berliner Erklärung" der Europäischen Union vom 25. März 2007.

Das fünfte Europäische Sozialforum fand vom 17. bis 21. September 2008 in Malmö statt. An der Abschlusskundgebung nahmen nach Angaben der Veranstalter mehr als 15.000 Menschen teil.[9]

Sechstes ESF: 2010, Istanbul

Das sechste Europäische Sozialforum fand vom 1. bis zum 4. Juni 2010 in Istanbul statt.[10] In mehr als 300 Veranstaltungen konnten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit den Ursachen und Auswirkungen der weltweiten Krisen befassen und über Formen des gemeinsamen Widerstands sowie Alternativen diskutieren.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Die weltweite Sozialforum-Bewegung: Eine andere Welt ist möglich!. weltsozialforum.org. Abgerufen am 9. Oktober 2008.
  2. So etwa Steffen Schülein in einem Beitrag für die Zeitschrift "Sozialistische Positionen" unter dem Titel "Free Palestine, boycott Israel" [1]
  3. Vgl. "Krieg im Lager der Friedliebenden", Süddeutsche Zeitung, 7. Nov. 2003[2]
  4. "Feind aus besten Absichten. Antisemitismus im Wandel / Ein Gespräch mit Alain Finkielkraut, FAZ, 13. Nov. 2003 [3]
  5. de.indymedia.org: Soziale Bewegungen Europas treffen sich in Paris, 18. November 2003
  6. Harald Neuber (16. Oktober 2004): TP: Kampf um Freiräume im freien Raum. Telepolis. Heise Zeitschriften Verlag. Abgerufen am 9. Oktober 2008.
  7. Abschlußerklärung des 4. Europäischen Sozialforum
  8. Text der Lissabonner Erklärung für ein demokratisches Europa
  9. Mobilisation — European Social Forum 2008 (englisch). www.esf2008.org. Abgerufen am 9. Oktober 2008.
  10. http://www.esfistanbul.org/

Weblinks


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