Exerzitienbuch

Exerzitienbuch
Verschiedene Ausgaben des Exerzitienbuches (dt. lat., span.)

Unter Exerzitien oder ausführlicher geistlichen Exerzitien bzw. geistlichen Übungen versteht man Zeiten, in denen sich Einzelne oder Gruppen intensiv und mehr als für sie selbst üblich dem Gebet und der Besinnung widmen.

Inhaltsverzeichnis

Ignatianische Exerzitien

Prägend für den Wortgebrauch wie für die Praxis waren die „Ejercicios espirituales“ (spanisch: geistliche Übungen) des Ignatius von Loyola, dem Gründer der Gesellschaft Jesu, in denen dieser versuchte, seine eigenen geistlichen Erfahrungen anderen zugänglich zu machen. Dazu lud er Freunde und andere an einer radikaleren Nachfolge Jesu Interessierte ein, sich für eine Zeit zurückzuziehen und unter seiner Anleitung dem Gebet zu widmen. Zu den ersten, die unter der Leitung des Ignatius Exerzitien machten, gehörten die späteren Jesuiten Peter Faber und Franz Xaver, für die diese Erfahrung ein Wendepunkt in ihrem Leben bedeutete.

Als Hilfe für sich selbst wie für andere, die später nach seinem Vorbild Exerzitien begleiteten, verfasste Ignatius unter dem Titel „Geistliche Übungen“ eine Schrift, die in einer sehr konzentrierten Sprache Hinweise zum gesamten Ablauf der Exerzitien wie zu den einzelnen Übungen, d.h. Zeiten des Gebets und der Besinnung enthält. In ihrer Grundform lagen die „Geistliche Übungen“ schon 1533 in Paris auf Spanisch vor, ihre endgültige Fassung fanden sie mit der lateinischen Ausgabe von 1541.

Die Exerzitien des Ignatius dauern in ihrer Vollform vier Wochen, die nacheinander den Themen der Sünde, des Lebens und der Nachfolge des irdischen Jesu, des Leidens und Sterbens Jesu und als letztes seiner Auferstehung gewidmet sind. Neben der Teilnahme an der Eucharistie und zwei kürzeren Zeiten der Gewissenserforschung erwartet Ignatius von den Teilnehmern an seinen Exerzitien täglich vier oder fünf Stunden Betrachtung der Evangelien. Die Exerzitien finden im Schweigen statt. Neben dieser Grundform kennt Ignatius noch kürzere Exerzitien von z.B. einer Woche und längere Exerzitien von mehreren Monaten, in denen die Teilnehmer ihren normalen Geschäften nachgehen und nur eine kürzere Zeit täglich dem Gebet widmen. Letztere werden heute üblicherweise als Exerzitien im Alltag bezeichnet; sie werden in vielen christlichen Gemeinden während der Fastenzeit und der Adventszeit angeboten und führen in viele verschiedene Formen des gemeinsamen und individuellen Betens ein.

Die Begleitung ignatianischer Exerzitien geschieht heute durch verschiedene Ordensgemeinschaften und erfahrene Laien. Dabei werden sowohl die vollständigen vierwöchigen Großen Exerzitien, wie auch – häufiger – einwöchige Exerzitien und mehrwöchige Exerzitien im Alltag angeboten. Eine neue Entwicklung ist es, dass auch im Rahmen evangelischer und orthodoxer Kirchen Exerzitien angeboten werden; bisweilen führen sie in der evangelischen Kirche die Bezeichnung „Rüstzeit“. Traditionellerweise wurden in evangelischen Kirchen Exerzitien eher abgelehnt, da der Übungscharakter mit der Gefahr der Werkgerechtigkeit verbunden und im Gegensatz zum reinen Gnadencharakter der Erlösung (sola gratia) gesehen wurde. Diese kritische Position wird vor allem in evangelikalen Gemeinden auch heute gelegentlich vertreten. Auf orthodoxer Seite ist es die Skepsis gegenüber einer zu großen Unabhängigkeit des Individuums von kirchlicher Autorität, die gegenüber ignatianischen Exerzitien zurückhaltend bis ablehnend sein lässt.

Benediktinische und weitere klassische Exerzitienformen

Es gibt heute viele Formen von geistlichen Übungen, „Exerzitien“. Ein Beispiel sind benediktinische Exerzitien, in denen die lectio divina, die geistliche Schriftlesung, das „wiederkäuende Betrachten“ biblischer oder anderer geistlicher Texte geübt wird, das gemeinsame Stundengebet und die Pflege des Schweigens eingeübt werden. Andere Formen sind Exerzitien nach Teresa von Avila und Johannes vom Kreuz, bei denen das Gebet der liebenden Aufmerksamkeit im Mittelpunkt steht, franziskanische Exerzitien, die Inspirationen des Heiligen Franz von Assisi aufnehmen, oder verschiedene Formen von kontemplativen Exerzitien, die Elemente der christlichen Mystik und fernöstlicher Spiritualität (Zen, Yoga) verbinden.

Neuere Exerzitienformen

Bei Berg- oder Wanderexerzitien wird in besonderer Weise das tägliche Unterwegssein und die umgebende Landschaft in den Exerzitienprozess eingebunden.

Integrative Exerzitien sind eine moderne Form der Ignatianischen Exerzitien. Dabei werden die für das Ignatianische Exerzitienbuch typischen "Strukturbetrachtungen" (Zwei-Banner-Betrachtung usf.) und das Phasenschema der "Vier Übungswochen" grundsätzlich beibehalten, die Vorgehensweise zugleich aber durch Gebetsmethoden der christlichen Mystik und Methoden der Humanistischen Psychologie, der ganzheitlichen Leiberfahrung bzw. östlichen Meditationsweisen vertieft und ergänzt. Den theoretischen Rahmen bzw. die Unterscheidungskriterien dazu bietet die "Integrative Spiritualität".

Straßenexerzitien gehen einen ganz anderen Weg: Statt die Ruhe eines Tagungshauses oder einer Wanderung gehen die Teilnehmer bewusst in das Leben einer größeren Stadt und Suchen dort Begegnungen mit Gott.

Tanzexerzitien verbinden Elemente aus den klassischen Einzelexerzitien mit dem meditativen Tanzen.

Ein weiteres Angebot sind Exerzitien online als eine moderne Form der Exerzitien im Alltag. Hierbei wird dem Teilnehmer zunächst von seinem geistlichen Begleiter für einen festgelegten Zeitraum von beispielsweise vier Wochen täglich ein Impuls per E-Mail geschickt. Der Austausch hierüber und die Rückmeldungen des Begleiters erfolgen in festgelegten Abständen ebenfalls ausschließlich per E-Mail.

Die Anwendung der "geistigen Sinne" ist eine Praxis der Verinnerlichung bzw. Meditation, die sowohl im Christentum als auch in vielen anderen geistigen Kulturen eine ganz zentrale Rolle spielt.

Literatur

Ignatianische Exerzitien

  • Rita Haub/Bernd Paal: Die Exerzitien des Hl. Ignatius. Bilder und Betrachtungen. Echter, Würzburg 2006
  • Ignatius von Loyola: Geistliche Übungen, Echter, Würzburg 19984
  • Ignatius von Loyola: Die Exerzitien, übertragen von Hans Urs von Balthasar, Johannes Verlag, Einsiedeln 199311, ISBN 978-3-89411-028-4
  • Ignatius von Loyola: Geistliche Übungen; Urtext mit Erklärungen der zwanzig Anweisungen von Adolf Haas; Kleine Bibliothek spiritueller Weisheit. Herder, Freiburg, Basel, Wien 19994
  • Gruppe für Ignatianische Spiritualität: Ignatianische Exerzitien – weltweit. Erfahrungen – Reflexionen – Orientierungen. Ein Expertenbericht. München 2003; Review of Ignatian Spirituality, 2000
  • Hugo Rahner: Die Anwendung der Sinne in der Betrachtungsmethode des hl. Ignatius von Loyola, in: "Meditation in Religion und Psychotherapie", Hrsg. Wilhelm Bitter, ISBN 3-12-900950-7, S. 45-71.
  • Jos E. Vercruysse, Manfred Seitz: Artikel Exerzitien I. Historisch II. Praktisch-theologisch; in: Theologische Realenzyklopädie 10 (1982), Sp. 698-707
  • Enzyklika "Mens nostra" von Papst Pius XI., über die Förderung geistlicher Exerzitien
  • Karl Rahner: Betrachtungen zum Exerzitienbuch. Kösel, München 1965
  • Peter Köster: Zur Freiheit befähigen. Kleiner Kommentar zu den Großen Exerzitien des hl. Ignatius. St. Benno, Leipzig 1999
  • Andrea Cagan: Peace Is Possible: The Life and Message of Prem Rawat. Mighty River Press, 2007, ISBN 978-0-9788694-9-6

Wanderexerzitien

  • Knut Waldau/Helmut Betz: Berge sind stille Meister. Spirituelle Begleitung beim Weg durchs Gebirge. München 2003

Siehe auch

Weblinks


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