Akutes Koronarsyndrom

Akutes Koronarsyndrom
Klassifikation nach ICD-10
I20.0 Instabile Angina pectoris
I21 Akuter Myokardinfarkt
ICD-10 online (WHO-Version 2011)

Der Begriff akutes Koronarsyndrom (ACS; Acute coronary syndrome) beschreibt ein Spektrum von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, das von der instabilen Angina pectoris (UA) bis zu den beiden Hauptformen des Herzinfarkts, dem Nicht-ST-Hebungsinfarkt (NSTEMI) und dem ST-Hebungsinfarkt (STEMI), reicht (vgl. EKG-Nomenklatur).[1][2] Ursache des akuten Ereignisses ist eine kritische Reduktion des Blutflusses durch die Ausbildung eines lokalen Thrombus auf dem Boden einer Plaqueruptur oder Plaqueerosion. Während das Blutgerinnsel beim STEMI das Gefäß in der Regel vollständig verschließt, bleibt bei der instabilen Angina pectoris und beim NSTEMI der Blutfluss erhalten.[3]

In der Notfallmedizin dient der Begriff akutes Koronarsyndrom in erster Linie als primäre Arbeitsdiagnose bei einer noch unklaren, akuten und länger anhaltenden (< 20 min) Herz-Symptomatik. Diese Arbeitsdiagnose geht dabei grundsätzlich von einer lebensbedrohlichen Situation des betroffenen Patienten aus. Bei fast einem Drittel der rund 2 Millionen jährlichen Notfälle in Deutschland mit der Arbeitsdiagnose akutes Koronarsyndrom bestätigt sich der Anfangsverdacht: Bei 15 Prozent wird eine instabile Angina pectoris diagnostiziert, bei weiteren 15 Prozent ein NSTEMI oder STEMI.[4] Mögliche Differentialdiagnosen zum akuten Koronarsyndrom können vielfältiger Natur sein: Sie reichen von weiteren kardiovaskulären Erkrankungen (z. B. Herzrhythmusstörungen, Myokarditis) über pulmonale Erkrankungen (z. B. Lungenembolie), Skeletterkrankungen (z. B. Rippenfrakturen), Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts (z. B. akute Pankreatitis, perforiertes Magengeschwür) bis zu Tumorerkrankungen des Skeletts und der Thoraxwand.[2]

Inhaltsverzeichnis

Einteilung

Zur Risikostratifizierung und zielgerechten therapeutischen Behandlung der betroffenen Patienten wird das akute Koronarsyndrom in drei klar definierte Kategorien unterteilt:

  • ST-Hebungsinfarkt (STEMI)
  • Nicht-ST-Hebungsinfarkt (NSTEMI)
  • instabile Angina pectoris (UA)

Eine genaue Diagnose erfolgt über die Messung biochemischer Marker (insbesondere kardiales Troponin T und I) und die Elektrokardiographie (EKG).[1] Die für Deutschland geltenden Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie bewerten STEMI und NSTEMI als endgültige Diagnosen.[2][5] Die gemeinsamen Leitlinien des American College of Cardiology (ACC) und der American Heart Association (AHA) bevorzugen dagegen die finalen Diagnosen Q-wave myocardial infarction (Qw MI) oder Non-Q-wave myocardial infarction (NQMI).[6] Diese Unterscheidung zwischen transmuralen (die gesamte Dicke der Wandschicht des Herzens betreffend) und nicht-transmuralen Myokardinfarkten ist auch in den deutschsprachigen Ländern gebräuchlich. Sie wird anhand von Veränderungen des QRS-Komplexes im EKG getroffen, die in der Regel frühestens nach 12 Stunden nachweisbar sind.

ST-Hebungsinfarkt

Von einem ST-Hebungsinfarkt ist auszugehen, wenn einer der folgenden EKG-Befunde vorliegt:

  • ST-Streckenhebung von ≥ 0,1 mV in mindestens zwei zusammenhängenden Extremitätenableitungen[5]
  • ST-Streckenhebung von ≥ 0,2 mV in mindestens zwei zusammenhängenden Brustwandableitungen[5]
  • Linksschenkelblock mit infarkttypischer Symptomatik[5]

In der Regel kommt es beim STEMI darüber hinaus zum Anstieg kardialer Marker. Bei Patienten mit einem STEMI steigt der Troponinwert erstmals nach etwa 3 Stunden und bleibt bis zu 2 Wochen erhöht. Lässt sich ein solcher Anstieg nicht nachweisen, muss die Diagnose STEMI in Frage gestellt werden.[3][5]

Nicht-ST-Hebungsinfarkt und instabile Angina pectoris

Weist das EKG keine ST-Hebungen auf, so ist von einem Nicht-ST-Hebungsinfarkt oder einer instabilen Angina pectoris auszugehen. Eine genaue Diagnose lässt sich frühestens nach 3 Stunden über den Troponinwert stellen. Während beim NSTEMI geringfügig erhöhte Werte für bis zu 72 Stunden nachweisbar sind, weisen die kardialen Marker bei der instabilen Angina pectoris keine erhöhten Werte auf.[2][3]

Risikofaktoren

Der Erstmanifestation des akuten Koronarsyndroms geht in der Regel eine langjährige Entwicklung voraus. Die Atherosklerose ist dabei die Erkrankung, die fast allen kardiovaskulären Ereignissen zugrunde liegt. Verschiedene Risikofaktoren fördern Entstehung und Fortschreiten der Atherosklerose:

Nicht-beeinflussbare Risikofaktoren:[3][7]

  • Alter
  • männliches Geschlecht
  • positive Familienanamnese für Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Beeinflussbare Risikofaktoren:[3][7]

Prognose und Folgerisiko

Während die Krankenhausmortalität beim akuten Koronarsyndrom in den vergangenen Jahren reduziert werden konnte[8], bleibt die prähospitale Mortalitätsrate weiterhin überaus hoch: 37 Prozent der Patienten mit einem Myokardinfarkt versterben noch vor dem Erreichen des Krankenhauses.[9]

Innerhalb der initialen Hospitalisierung versterben rund 3 Prozent der Patienten an den Folgen eines akuten Koronarsyndroms. Mit 6 Prozent ist die Mortalität beim ST-Hebungsinfarkt dabei erheblich höher als beim Nicht-ST-Hebungsinfarkt (3 Prozent) und der instabilen Angina pectoris (1 Prozent).[10]

Über das akute Ereignis hinaus besteht nach einem akuten Koronarsyndrom ein erhebliches Risiko, ein weiteres kardiovaskuläres Ereignis zu erleiden (residuales Risiko). Analysen der 5-Jahres-Mortalität von Patienten mit einem akuten Koronarsyndrom belegen, dass sich ein großer Anteil der ACS-Todesfälle erst im ambulanten Umfeld, das heißt nach der initialen Hospitalisierung ereignet (STEMI: 68 Prozent; NSTEMI: 86 Prozent; UA: 97 Prozent). Insgesamt liegt die 5-Jahres-Mortalität beim akuten Koronarsyndrom bei ca. 20 Prozent. Das langfristige Mortalitätsrisiko ist dabei weitgehend unabhängig von der Art der Erstmanifestation des akuten Koronarsyndroms: Die 5-Jahres-Mortalität beim STEMI (19 Prozent), NSTEMI (22 Prozent) und der instabilen Angina pectoris (17 Prozent) unterscheiden sich nur geringfügig.[10]

Sekundärprävention

Primäres Ziel der Sekundärprävention nach einem akuten Koronarsyndrom ist, das Fortschreiten der Atherosklerose zu hemmen und das hohe residuale Risiko zu reduzieren, das heißt ein erneutes kardiovaskuläres Ereignis zu verhindern. Mit Hilfe von Änderungen des Lebensstils, z. B. dem Verzicht auf das Rauchen, regelmäßiger körperlicher Aktivität und einer Ernährungsumstellung, lässt sich das Risiko eines Folgeereignisses reduzieren. Insgesamt ist der Effekt von Änderungen des Lebensstils jedoch begrenzt, so dass in der Regel zusätzlich medikamentöse Therapien zum Einsatz kommen.

Neben sogenannten Plättchenhemmern (z. B. Acetylsalicsäure oder Clopidogrel), die der erneuten Ausbildung von Thromben vorbeugen sollen, ist die Behandlung mit Lipidsenkern, in erster Linie Statinen (z. B. Simvastatin), Standard in der Sekundärprävention nach einem akuten Koronarsyndrom. Die Statin-Therapie zielt dabei in erster Linie auf eine Senkung des LDL-Cholesterins auf die empfohlenen Zielwerte von unter 80 mg/dl (European Society of Cardiology)[11] bzw. 70 mg/dl (Deutsche Gesellschaft für Kardiologie)[3]. Der Einfluss hoher LDL-Cholesterin-Spiegel auf das kardiovaskuläre Risiko ist eindeutig belegt. Verschiedene Studien belegen zudem, dass der Einsatz von Statinen die Häufigkeit kardiovaskulärer Ereignisse um bis zu 38 Prozent reduziert.[12] Das weiterhin überaus hohe residuale Risiko von über 60 Prozent lässt sich unter anderem dadurch erklären, dass ein Großteil der Patienten die empfohlenen Zielwerte für verschiedene Parameter wie Blutdruck oder Blutfette nicht erreicht: Trotz Statin-Therapie sind lediglich ein Viertel der Patienten beim LDL-Cholesterin und HDL-Cholesterin im angestrebten Bereich.[13]

Die medikamentöse Erhöhung des HDL-Cholesterins ("gutes Cholesterin") gilt als ein möglicher therapeutischer Ansatz zur zusätzlichen Reduktion des residualen Risikos kardiovaskulärer Ereignisse. Epidemiologische Daten belegen, dass hohe HDL-C-Spiegel mit einem niedrigen Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse korrelieren.[14] Einfluss auf das HDL-Cholesterin nehmen beispielsweise Nikotinsäurederivate und Fibrate. Beide Präparate haben jedoch multiple Effekte auf den Lipidstoffwechsel. Spezifischer lässt sich das HDL-Cholesterin über eine Inhibition des Cholesterinester-Transferproteins (CETP) erhöhen. Mit den CETP-Inhibitoren Anacetrapib und Dalcetrapib befinden sich aktuell zwei Substanzen in klinischen Studien, die eine Erhöhung des HDL-Cholesterins über eine komplette bzw., selektive CETP-Hemmung bewirken.[15][16]

Einzelnachweise

  1. a b Fox KAA et al.: Heart 2004; 90: 603-609: British Cardiac Society Working Group on the defenition of myocardial infarction [doi: 10.1136/hrt.2004.038679]
  2. a b c d Hamm CW: Z Kardiol 2004; 93: 72-90: Leitlinien: Akutes Koronarsyndrom (ACS) - Teil 1: ACS ohne persistierende ST-Hebung [doi: 10.1107/s00392-004-1064-2]
  3. a b c d e f Deutsche Gesellschaft für Kardiologie - Herz- und Kreislaufforschung e.V. (Hrsg.): Pocket-Leitlinien: Akutes Koronarsyndrom ohne ST-Hebung (NSTE-ACS)- Update 2009
  4. Post F, Münzel T: Der Internist 2010; 8: 953-962: Das akute Koronarsyndrom. Eine in der Praxis unscharf gehandhabte Diagnose
  5. a b c d e Hamm CW: Z Kardiol 2004; 93: 324-341: Leitlinien: Akutes Koronarsyndrom (ACS) - Teil 2: Akutes Koronarsyndrom mit ST-Hebung [doi: 10.1007/s00392-004-0109-x]
  6. Antmann EM et al.: J Am Coll Cardiol 2004; 44: §1-E211: ACC/AHA Guidelines for the Management With ST-Elevation Myocardial Infarction
  7. a b Peter Libby: Current Concepts of the Pathogenesis of the Acute Coronary Syndromes. In: Circulation. 104, Nr. 3, 2001-07-17, S. 365-372. Abgerufen am 17. Mai 2011.
  8. Robert Koch-Institut (Hrsg.): Gesundheitsberichterstattungen des Bundes 2006; Nr. 33
  9. Schiff JH, Arntz HR, Boettinger BW; Der Anaesthesist 2005; 54 (10): 957-974: Das akute Koronarsyndrom in der Prähospitalphase
  10. a b Fox KAA et al: Eur Heart J 2010, 2010 (online): Underestimated and under-recognized: the late consequences of acute coronary syndrome (GRACE UK-Belgian Study) [doi: 10.1093/eurherartj/ehq326]
  11. Graham et al.: Eur Heart J 2007; 28: 2375-2414: European guidelines on cardiovascular disease prevention in clinical practice: executive summary [doi: 10.1093/euroheartj/ehm316]
  12. Libby P et al.: J Am Cardiol. 2005; 46: 1225-1228: The Forgotten Majority. Unfinished Business in Cardiovascular Risk Reduction [doi: 10.1016/j.jacc.2005.07.006]
  13. Gitt AK et al.: Clin Res Cardiol. 2010; 99: 723-733: Prevalence and overlap of different lipid abnormalities in statin-treated patients at high cardiovascular risk in clinical practice in Germany [doi: 10.1107/s00392-010-0177-z]
  14. Barter P et al.: N Engl J Med. 2007; 357: 1301-1310: HDL cholesterol, very low levels of LDL cholesterol, and cardiovascular events
  15. Cannon CP et al.: N Engl J Med. 2010; 363: 2406-2415: Safety of Anacetrapib in Patients with or at High Risk for Coronary Heart Disease
  16. Niesor J et al.: Circulation 2009; 120: 445: Abstract 1092: Dalcetrapib Binds to and Changes the Conformation of CETP in a Unique Manner

Siehe auch

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