Lungenembolie

Lungenembolie
Klassifikation nach ICD-10
I26 Lungenembolie
O88 Embolie während der Gestationsperiode
O08.2 Embolie nach Abort, Extrauteringravidität und Molenschwangerschaft
ICD-10 online (WHO-Version 2011)

Eine Lungenembolie, auch Lungenthrombembolie, Lungenarterienembolie oder Pulmonalarterienthrombembolie genannt, entsteht durch die Verstopfung eines Blutgefäßes in der Lunge meistens mit einem Blutpfropfen (Blutgerinnsel), dem sogenannten Thrombus, oder durch Gasbläschen, beispielsweise bei einem Tauchunfall.

Inhaltsverzeichnis

Entstehung

Der die Lungenembolie auslösende Thrombus entsteht bis zu 80 % in den tiefen Bein- oder Beckenvenen und gelangt über die untere Hohlvene, den rechten Vorhof und Ventrikel des Herzens in die Pulmonalarterie. Dort bleibt der Thrombus stecken und verschließt das Gefäß. Je größer der Thrombus, desto größer ist das nicht mehr durchblutete Areal oder die Lungenembolie. Oft handelt es sich um mehrere Thromben, die gleichzeitig oder auch in zeitlichem Abstand Lungengefäße ganz oder teilweise verstopfen. Auch können bei einem Patienten beide Lungenflügel betroffen sein. Es kann auch zu Fruchtwasserembolien unter der Geburt oder zu Fettembolien bei Brüchen der langen Röhrenknochen (z. B. Femur) kommen. Selbst Knochenmarksembolien sind in der Lunge möglich. Auch kann bei ärztlichen Maßnahmen oder Verletzungen direkt Luft ins venöse Gefäßsystem gelangen.

Die Lungenembolie gehört zu den am häufigsten übersehenen und falsch diagnostizierten Todesursachen[1].

In Deutschland sterben jährlich etwa 40.000 Menschen an einer Lungenembolie. Die Lungenembolie ist damit nach Herzinfarkt und Schlaganfall die dritthäufigste zum Tode führende Herz-Kreislauf-Erkrankung.[2]

Pathophysiologie

Der Embolus verstopft die Gefäße und verhindert die Durchströmung des dahinterliegenden Gewebes mit Blut (Ischämie). Dadurch kommt es insbesondere zum Ausfall von Lungengewebe hinter dem Thrombus, wodurch die sauerstoffaustauschende Fläche der Lunge verkleinert wird; es kann zu einer Hypoxämie kommen. Bevorzugt sind die rechte Lunge sowie die Unterfelder von einem Thrombus betroffen. Besonders problematisch und symptomatisch ist der sofortige Blutstau vor dem Thrombus, der zu einer mehr oder weniger starken Druckerhöhung im sogenannten kleinen Kreislauf (Lungenkreislauf) führt. Zusätzlich werden Mediatoren freigesetzt, die die Gefäßkonstriktion weiter erhöhen können. Dadurch kommt es zur Überlastung des rechten Herzens, das nun gegen einen erhöhten Widerstand arbeiten muss. Akutes Herzversagen und Sauerstoffmangel (Hypoxämie) aller Organe stehen im Vordergrund. Manchmal führt eine nachfolgende Infektion des nicht mehr ausreichend versorgten Lungengewebes in Folge regelmäßig zu einer akuten, schwer beherrschbaren Infarktpneumonie (Lungenentzündung) mit schlechter Prognose. Eine besonders schwere Lungenembolie wird als fulminante Lungenembolie bezeichnet, dabei kann im Extremfall der Ausfluss aus dem rechten Herzen blockiert werden, was zu akutem, gefährlichem Rechtsherzversagen führt.

Auch kleinere Lungenembolien können zu Rechtsherzproblemen führen. Hier ist die Drucksteigerung im kleinen Kreislauf nicht so schwerwiegend, die akute Überlebensrate der Patienten meist auch viel höher. Die Thromben werden in den meisten Fällen abgebaut und das Gefäßsystem dadurch wieder frei. Trotzdem kann sich im weiteren Verlauf bei einigen Patienten (vor allem mit immer wiederkehrenden kleineren Lungenembolien) ein chronischer Lungenhochdruck entwickeln.

Das hinter dem Embolus gelegene Lungenareal kann insbesondere nach größerer Embolie mit Zerstörung eines Teils des bindegewebigen Lungengrundgerüstes zudem infarzieren. Trotz der an sich hohen Regenerationskraft des Lungengewebes sterben dahinter ganze Bereiche dauerhaft ab. Übersteht dies der Organismus, entstehen funktionslose Narben. Der Befall größerer Bereiche mit entsprechender Funktionseinbuße resultiert in Kurzatmigkeit, reduzierter Belastbarkeit und oft dauerhaftem Husten. Die erleichterte Invasion von Keimen in das anfangs nekrotische, danach fibrotisch veränderte – Antibiotika völlig oder zumindest weitgehend unzugängliche – Gewebe führt auch später zu gehäuften Infektionen bis zu Pneumonien. Die fibrotischen narbigen Umbauprozesse erhöhen geringfügig auch das Risiko für späteren Lungenkrebs. Es gibt eine hohe Rate der Spätkomplikationen, insbesondere bei erneuten Embolien.

Ursachen und Auslöser [3]

Es gibt bestimmte Risikopatienten, die zu Thrombosen und damit zu Lungenembolien neigen.

Disponierende Faktoren sind in der Vorgeschichte des Patienten: Fraktur (Hüfte oder Bein), Hüft- oder Knie-Totalendoprothese, große Operation, Kaiserschnitt, allgemein schwere Verletzungen, Rückenmarksverletzung, arthroskopischer Knieeingriff, zentraler Venenkatheter, Chemotherapie, schwere Herz- oder Lungenerkrankung, Hormonersatztherapie, bösartiger Tumor, orale Kontrazeption, Schlaganfall, Schwangerschaft, Phase kurz nach der Geburt, vorangegangene venöse Embolie, Störung der Blutgerinnung, hohes Alter, hohe Homocysteinspiegel.

Bei entsprechender Prädisposition kann dann jede Immobilisierung, besonders der unteren Gliedmaßen, zum Auslöser werden, die durch Stase des Blutes das Anwachsen eines Thrombus (ähnlich „Kondensation“) begünstigen: Blutstauung bei lange angewinkeltem Knie, etwa bei langen Busfahrten oder beim Langstreckenfliegen, Reisethrombose, nach Brüchen und Verstauchungen sowie Bettlägerigkeit jeder Art.

Den Zeitpunkt des akuten Eintritts bestimmt dagegen erst das spätere Ablösen eines Thrombus und dessen Einschwemmen in die Lunge. Das geschieht typisch durch Mobilisierung nach dem Ruhen, also teilweise deutlich nach dem Aufstehen, beim Pressen (Stuhlgang) und anderen ersten körperlichen Anstrengungen danach. Ihnen allen ist die plötzliche Blutdruckänderung im venösen System mit einer Dilatation der Gefäße nach Inaktivität gemeinsam.

Symptomatik

Blut im Auswurf, Husten, Herzschlag über 100/min in Ruhe, hohe Atemfrequenz (Tachypnoe), Herzrhythmusstörungen, Beinschwellung (meist bläulich und einseitig), Schmerz in einem Bein. Weitere häufige Symptome sind thorakaler (evtl. atemabhängiger) Schmerz und Hypotonie bis hin zum Schock. Eine ganz typische Symptomatik einer Lungenembolie ist eine akute Luftnot und /oder Schmerzen beim Einatmen bei bestehender tiefer Beinvenenthrombose.

Schweregradeinteilung nach Grosser

Schweregrad I Schweregrad II Schweregrad III Schweregrad IV
Klinik diskret, in 80 % klinisch stumm Akute Dyspnoe, Tachypnoe, thorakaler Schmerz, Angst, Hämoptysen, Fieber, Pleuraerguss Zusätzlich Schocksymptomatik
Blutdruck normal evtl. leicht erniedrigt erniedrigt stark erniedrigt
Gefäßverschluss periphere Äste Segmentarterien PA-Ast oder mehrere Lappenarterien Ein PA-Ast und mehrere Lappenarterien

Schweregradeinteilung nach ESC (Europ. Ges. f. Kardiologie) 2008

Frühsterblichkeit
niedrig (<1%) mittel (3-15%) hoch (>15%)
Schock oder Hypotonie nein nein ja (triggert Therapie)
RV-Dysfunktion nein nein / ja* möglich
Troponin erhöht nein nein / ja* möglich
*mind. 1 der beiden Kriterien
Therapie frühe Entlassung Krankenhausbehandlung Thrombolyse oder Embolektomie

Diagnostik

Lungenembolie mit Nachweis eines großen Thrombus innerhalb der rechten Pulmonalarterie

Bei klinischem Verdacht auf eine Lungenembolie, der sich nach sorgfältiger Anamnese und Hilfestellung durch den Wells-Score oder Geneva-Score ergibt, kann die Diagnose am schnellsten mit einer kontrastmittelverstärkten Computertomographie gesichert werden.

Eine Lungenembolie lässt sich laborchemisch bei unauffälligen Dimeren mit hoher Sicherheit ausschließen. Erhöhte D-Dimere lassen keine Aussage zu, da sie leicht falsch positiv werden. So sind die D-Dimere nach Operationen, Sport oder Unfällen oft erhöht.

Rechtsherzbelastungszeichen als indirekte Zeichen einer Lungenembolie lassen sich im EKG (sog. SIQIII-Typ) und in der Echokardiographie nachweisen. In der Blutgasanalyse zeigt sich ein vermindertes pO2 bei einem gleichzeitig vermindertem pCO2 als Folge der Hyperventilation bei Hypoxämie.

Kleinere Embolien, die der CT entgehen könnten, lassen sich mittels Lungenszintigraphie nachweisen. Dieses Verfahren kommt jedoch wegen der geringen Verfügbarkeit und der im Verhältnis zu modernen CT langen Untersuchungsdauer seltener zum Einsatz. In vielen Fällen kann die Nuklearmedizin mit der Lungenperfusions- und -inhalationsszintigraphie allerdings einen wertvollen Beitrag zur Diagnose einer Lungenembolie leisten: Bei Patienten mit Kontrastmittelallergie, mit Überfunktion der Schilddrüse, oder mit schlechten Nierenwerten (erhöhtes Kreatinin) kann eine Computertomographie mit Kontrastmittel nicht durchgeführt werden; in diesen Fällen kann die exakte Diagnose nur nuklearmedizinisch gestellt werden. Außerdem werden im CT meist nur die zentralen Lungenembolien gesehen, während die Szintigraphie oft noch kleinere, periphere Lungenembolien sieht, die im CT nicht erkannt werden. Die Lungenperfusionszintigrafie zeigt auf, ob der in eine Vene applizierte radioaktive Tracer regelmäßig in beiden Lungen dargestellt wird oder ob es keilförmige Abschwächungen bis Defekte in der Lunge gibt, was Hinweis für eine Lungenembolie sein kann. Bei der Inhalationsszintigraphie wird der Tracer eingeatmet und anschließend verglichen, ob die Darstellungen beider Untersuchungen gleich sind (gleich: kein Hinweis auf Lungenembolie) oder ob ein Unterschied besteht (Unterschied zwischen Perfusions- und Inhalationsszintigraphie: Beweis für eine Lungenembolie).

Auch die Magnetresonanztomografie (MRT) bietet die Möglichkeit zur Diagnostik der Lungenembolie. Diese kommt jedoch bei der gegenwärtigen Verbreitung geeigneter Geräte nur selten mit dieser Fragestellung zum Einsatz.

Die früher häufig durchgeführte konventionelle Angiografie der Lungenstrombahn liefert gute Ergebnisse. Sie wird jedoch wegen des damit verbundenen technischen Aufwandes, der erheblichen Belastung des Patienten und des Risikos, das mit der Einführung eines Katheters in den Lungenkreislauf des Patienten verbunden ist, seltener durchgeführt.

Erschwert wird die Symptombeurteilung und Diagnostik oft, weil mehrere, auch kleine Thromben in zeitlichen Abständen beteiligt sein können.

Differentialdiagnose

Bei den Leitsymptomen einer schwerwiegenden Lungenembolie (Luftnot, Brustschmerz, Kreislaufinstabilität) kommt als Differentialdiagnose in erster Linie der Herzinfarkt in Frage, evtl. auch eine Lungenentzündung, ein Pneumothorax oder eine Aortendissektion.

Therapie

Eine Lungenembolie ist potenziell immer lebensbedrohlich und muss sofort behandelt werden.

Neben der Sauerstoffzufuhr wird in jedem Fall eine Hemmung der Blutgerinnung (Antikoagulation) mit Heparin und nach Abklingen akuter Symptome zur Vermeidung erneuter Thrombosen danach längerzeitig eine Therapie mit Phenprocoumon oder Warfarin durchgeführt. Bei schweren Lungenembolien mit Schocksymptomen und beschriebener schwerer Rechtsherzbelastung sind Kreislaufstabilisierung und rasch „rekanalisierende“ Maßnahmen nötig. Neben einer Lysetherapie werden als akut lebensrettende Maßnahme dann kathetertechnische mechanische „Zertrümmerung“ von lokalisierten Thromben wie auch eine operative Entfernung (Embolektomie) zu erwägen sein. Bei der operativen Ausräumung des Embolie-Materials existieren Verfahren ohne Einsatz der Herz-Lungen-Maschine und solche mit deren Einsatz. Gegebenenfalls erfolgt die Operation unter andauernder Wiederbelebung des Patienten als sogenannte Ultima ratio (eine hochriskante, aber vielleicht lebensrettende Maßnahme).

Die gerinnungshemmenden Stoffe müssen nach einer Lungenembolie für einige Monate, in manchen Fällen (bei bestimmten angeborenen Störungen des Gerinnungssystems sowie bei rezidivierenden Lungenembolien) lebenslang eingenommen werden, um erneute Thrombosen und Lungenembolien zu vermeiden.

Die beste Schutzmaßnahme ist die Thromboseprophylaxe, die vor allem bei bettlägerigen Patienten und postoperativ angewendet wird. Hierbei erhält der Patient ein gerinnungshemmendes Medikament (meist ein sogenanntes niedermolekulares Heparin) unter die Haut gespritzt. Auch das Tragen von Anti-Thrombose-Strümpfen hat sich bewährt. Wichtig für die Prophylaxe ist auch eine frühe Mobilisation der Patienten.

Literatur und Quellen

Weblinks

 Commons: Lungenembolie – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. nach: W. Huckenbeck (Institut für Rechtsmedizin, Universität Düsseldorf): Rechtsmedizinische Aspekte der Kausalkette Thrombose – Lungenembolie – Tod. In: Phlebologie. Heft 6 1998, ISSN 0939-978X, S. 181-209. (Zusammenfassung auf: Schattauer.de)
  2. Deutsche Gesellschaft für Angiologie - Gesellschaft für Gefäßmedizin e. V.,"Thrombose - Vorbeugen und behandeln", S. 2 f., Berlin 2009, [1]
  3. A. Rahimtoola, J. D. Bergin: Acute pulmonary embolism: an update on diagnosis and management. In: Current problems in cardiology. 2005 Feb;30(2), S. 61-114.
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