Alain-René Lesage

Alain-René Lesage
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Alain-René Lesage (* 8. Mai 1668 in Sarzeau, Bretagne; † 17. November 1747 in Boulogne-sur-Mer) war ein französischer Schriftsteller mit gesellschaftskritischem Blick und Sinn für Komik. Er gilt als der erste Autor der französischen Literatur, der ganz vom Verkauf seiner Produkte am Literaturmarkt lebte, der sich um 1700 herauszubilden begann.[1] Er bediente sich dabei unverhohlen bei etlichen Vorbildern, etwa spanischer pikaresker Literatur. Pädagogische oder gar revolutionäre Absichten verfolgte er nicht.[2]

Inhaltsverzeichnis

Leben und Werk

Lesage stammte aus einer gutbürgerlichen Juristenfamilie, verlor aber beide Elternteile schon in seiner Kindheit und büßte später auch sein Erbe ein, das sein Vormund veruntreute. Nach Abschluss seiner Schulzeit bei den Jesuiten in Vannes (Morbihan/Bretagne) studierte er Recht in Paris, wurde als Anwalt zugelassen und erhielt einen Posten bei der Steuerpacht in der Bretagne, d.h. dem damals privat organisierten System der Steuereintreibung. Nachdem er diesen Posten aus unbekannten Gründen bald verloren hatte und sich als Anwalt nicht hatte etablieren können, ging er 1698 nach Paris, um dort als Autor tätig zu sein.

Er begann seine Laufbahn mühsam mit wenig erfolgreichen Übertragungen und Bearbeitungen spanischer Theaterstücke. Der Durchbruch gelang ihm 1707 mit der selbstverfassten Komödie Crispin, rival de son maître (Crispin als Nebenbuhler seines Herrn). Auch der auf einer spanischen Vorlage beruhende Roman Le Diable boiteux (Der hinkende Teufel), der im selben Jahr erschien, schlug sehr gut ein. 1709 erzielte Lesage einen Skandalerfolg mit der Komödie Turcaret, die in der Figur des Titelhelden das von verlogenen Emporkömmlingen durchsetzte Milieu der Pariser Bankiers und Steuerpächter, der „financiers“, an den Pranger stellte. Das „mit meisterhafter realistischer Darstellungsgabe und Schärfe“ aufwartende Stück, das schon während der Einstudierung an der Comédie Française von sich betroffen Fühlenden bekämpft wurde, kam nur dank eines Machtwortes des Dauphins zur Aufführung. Vor Lesage hatte niemand gewagt, „dem Protest der Ausgebeuteten so wirkungsvoll Ausdruck zu verleihen“.[3]

Nach seinen schlechten Erfahrungen mit dem Turcaret und der Comédie Française wandte sich Lesage dem volkstümlichen Pariser Théâtre de la Foire zu. Für dieses verfasste er in den nächsten Jahrzehnten, zum Teil mit Co-Autoren, wohl mehr als 100 witzige, wenn auch weniger aggressive Stücke, die der Kurzweil – und Lesages Haushaltskasse dienten. Daneben schrieb er einige heute vergessene Romane.

Geschichte des Gil Blas

Gegen 1715 begann er das Buch, das als sein Hauptwerk und als bester französischer Picaro-Roman gilt. Es ist die handlungsreiche, immer noch gut lesbare Histoire de Gil Blas de Santillane (Geschichte des Gil Blas von Santillana), erschienen in vier Bänden zwischen 1715 und 1735.[4] Die 100 Jahre zurück und nach Spanien verlegte Handlung spiegelt in Wahrheit zeitgenössische französische Verhältnisse, wobei aus der Perspektive des Ich-Erzählers und Protagonisten, Sohn eines Stallmeisters und einer Kammerzofe, die verschiedensten Milieus von ganz unten bis ganz oben satirisch-kritisch vorgeführt werden. Zugleich, und das ist neu für das Genre, ist Lesages Picaro eine relativ gebildete Person, die im Verlauf der episodenhaft gestrickten Erzählung auch eine charakterliche Reifung erfährt, womit Züge der späteren Gattung Bildungsroman vorweggenommen sind. Die erste vollständige deutschsprachige Ausgabe (über 1.000 Seiten) erschien 1959 in Darmstadt. Eine Besprechung des Werkes nebst ausführlichen Literaturangaben findet sich im Kindlers.[3]

Gil Blas de Santillane

Die Figur des Gil Blas war als Prototyp des scharfsichtigen und zugleich dickfelligen Spötters bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein allen gebildeten Franzosen geläufig, nicht zuletzt auch als Namenspatron der von 1879 bis 1914 existierenden satirischen Zeitschrift Gil Blas (in der zum Beispiel Maupassant und Jules Renard publizierten).

Rache ist süß

Über das Privatleben ihres Schöpfers ist wenig bekannt. 1694 hatte sich Lesage mit Marie Elizabeth Huyard verheiratet, Tochter eines Schreiners. Der Ehe entsprangen drei Söhne und eine Tochter. Offenbar war der Ankläger von Selbstgerechtigkeit und Doppelmoral (der einstmals vom Vormund ums Erbe betrogen worden war) nicht frei von diesen Lastern, enterbte er doch seinen Ältesten, nachdem er nicht davon abzubringen war, Schauspieler zu werden. Als dem ungehorsamen „Schelmen“ jedoch der Aufstieg in die High Society gelungen war, versöhnte sich Lesage wieder mit ihm und wich ihm kaum noch von der Seite. Lesage schrieb unermüdlich und ging erst mit 70 in Rente. Ein Werkverzeichnis findet sich in der englischsprachigen Wikipedia.[5] Noch mit 80 war er mitsamt seines Hörrohrs ein gerngesehener Gast und beliebter Gesprächspartner in den Pariser Cafes.

In Vannes erinnert heute das Lycée Alain René Lesage an den gebildeten Spötter. In Grenoble ist eine Straße nach ihm benannt.

Literatur

  • Vincent Barberet: Lesage et le théâtre de la foire, Nancy 1887
  • Leo Claretie: Lesage romancier, Paris 1890
  • Eugene Lintilhac: Lesage, Paris 1893
  • Marcello Spaziani: Il teatro minore di Lesage, Rom 1957
  • Felix Brun: Strukturwandlungen des Schelmenromans. Lesage und seine spanischen Vorgänger, Zürich 1962
  • Uwe Holtz: Der hinkende Teufel von Vélez de Guevara und Lesage. Eine literatur- und sozialkritische Studie, Wuppertal 1970
  • Roger Laufer: Lesage ou le métier de romancier, Paris 1971
  • Winfried Wehle: Zufall und epische Integration. Wandel des Erzählmodells und Sozialisation des Schelms in der „Histoire de Gil Blas de Santillane“, in: Romanistisches Jahrbuch 23, Erscheinungsjahr 1972, Seite 103-129, hier als PDF, abgerufen am August 2011
  • R. Daigneault: Lesage, Montreal 1981
  • Francis Assaf: Lesage et le picaresque, Paris 1983
  • Cécile Cavillac: L'Espagne dans la trilogie „picaresque“ de Lesage, Bordeaux 1984
  • Jacques Wagner: Lesage, écrivain, Amsterdam 1997
  • Robert Fajen: Die Illusion der Klarheit. Stilreflexion und anthropologischer Diskurs in Alain-René Le Sages „Gil Blas“, in: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 289, Erscheinungsjahr 2002, Seite 332-354
  • Christelle Bahier-Porte: La Poétique d’Alain-René Lesage, Verlag Champion 2006

Einzelnachweise

  1. Gert Pinkernell, Teil 1: 842 bis ca. 1800, abgerufen am 5. August 2011
  2. Winfried Engler: Lexikon der Französischen Literatur, Ausgabe Stuttgart 1984
  3. a b Kindlers Neues Literaturlexikon, Ausgabe München 1988
  4. Die von Jean-François Gigoux mit 600 Holzschnittvignetten versehene Erstausgabe gilt laut Brockhaus Enzyklopädie (19. Auflage, Band 8 von 1989, Seite 522) auch als ein Hauptwerk der romantischen Buchillustration
  5. WP en, Stand 5. August 2011

Weblinks


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