- Forcing
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Forcing (deutsch auch Erzwingung oder Erzwingungsmethode) ist in der Mengenlehre eine Technik zur Konstruktion von Modellen, die hauptsächlich verwendet wird um relative Konsistenzbeweise zu führen. Sie wurde zuerst 1963 von Paul Cohen verwendet, um die Unabhängigkeit der Kontinuumshypothese zu beweisen. Seitdem ist sie von verschiedenen Mathematikern vielfach weiterentwickelt worden.
Inhaltsverzeichnis
Grundidee
Die Grundidee der Forcing-Methode besteht darin, einem gegebenen Modell der Mengenlehre (dem Grundmodell M) eine bestimmte Menge G derart hinzuzufügen, dass wieder ein Modell von ZFC entsteht (die generische Erweiterung M[G]). Die Konstruktion verläuft so, dass G in dem Grundmodell approximiert werden kann; dies ermöglicht, Eigenschaften von M[G] (wie z.B. die Ungültigkeit der Kontinuumshypothese) durch eine in dem Grundmodell M definierbare Sprache auszudrücken, und so nachzuweisen.
Das Modell M[G]
Im Folgenden sei M ein abzählbares, transitives Modell von ZFC. Für die Rechtfertigung dieser Annahme siehe unten unter „Forcing und relative Konsistenzbeweise“.
Bedingungsmengen und generische Filter
Unter einer Bedingungsmenge versteht man ein in M definiertes Tripel , wobei eine Quasiordnung auf P ist, die 1P als größtes Element besitzt. Die Elemente von P heißen Bedingungen. Eine Bedingung p ist stärker als eine Bedingung q, falls . In der Anwendung sind die meisten Bedingungsmengen antisymmetrisch, also Halbordnungen. Für die Theorie muss dies allerdings nicht gefordert werden.
Eine Menge heißt dicht, falls
falls also für jede Bedingung eine stärkere Bedingung in D existiert. Ein Filter heißt generisch, falls er jede dichte Teilmenge aus M trifft, falls also für alle dichten .
Aus dem Lemma von Rasiowa-Sikorski folgt, dass für jedes ein generischer Filter G existiert, der p enthält. Für alle interessanten Bedingungsmengen liegt G nicht in M.
Namen
Rekursiv wird nun die Klasse MP aller P-Namen in M definiert:
Diese bilden für M eine echte Klasse.
Auf MP definiere die zweistellige Relation durch:
Da diese Definition den Filter G verwendet, ist sie im Allgemeinen nicht in M durchführbar. Sei nun rekursiv definiert durch:
- .
Die generische Erweiterung M[G] wird definiert als das Bild von MP unter iG. Das Modell ist also der Mostowski-Kollaps von .
Die Forcing Relation
Für eine Formel und definiere nun
- („p erzwingt φ für “),
falls für alle M-generischen G mit gilt:
- .
Die Definition von verwendet den Filter G, der im Allgemeinen nicht in M liegt. Es zeigt sich jedoch (Definierbarkeitslemma), dass sich eine äquivalente Definition von in M durchführen lässt:
- ist eine definierbare Klasse in M.
Weitere Eigenschaften von sind:
- Gilt und ist , so auch (Erweiterungslemma)
- (Wahrheitslemma)
Mittels dieser Relation lassen sich also alle Eigenschaften von M[G] als Eigenschaften von M auffassen. Nun kann man zeigen, dass M[G] für jede Bedingungsmenge P und jeden M-generischen Filter G ein Modell von ZFC ist. Während grundlegende Axiome wie das Paarmengenaxiom, das Vereinigungsmengenaxiom oder die Existenz der leeren Menge direkt nachzuprüfen sind, benötigt man für die stärkeren Axiome wie das Ersetzungsschema, das Aussonderungsschema oder das Potenzmengenaxiom die Forcing-Relation.
Will man beispielsweise eine Menge nach φ(x) aussondern, so ist
ein Name für die gesuchte Menge. Darüber hinaus gilt für das Modell M[G]:
- M[G] ist transitiv
- M[G] enthält keine neuen Ordinalzahlen:
- M[G] ist das kleinste transitive Modell mit und
Antikettenbedingung
Eine Schwierigkeit besteht bei der Betrachtung von Kardinalzahlen in M[G]: Jede Kardinalzahl in M[G], die in M liegt, ist auch dort eine Kardinalzahl. Die Umkehrung gilt allerdings im Allgemeinen nicht. Dies hat zur Folge, dass in M überabzählbare Mengen in M[G] abzählbar werden können. Wählt man allerdings die Bedingungsmenge P so, dass jede Antikette von P in M abzählbar ist („abzählbare Antiketten-Bedingung“) so ist für jeden M-generischen Filter G jede Kardinalzahl auch Kardinalzahl im Sinne von M[G].
Allgemeiner gilt: Ist μ in M reguläre Kardinalzahl, und hat jede Antikette in M kleinere Mächtigkeit als μ („P erfüllt die κ-Antiketten-Bedingung“), so ist jede Kardinalzahl in M auch Kardinalzahl in M[G].
Forcing und relative Konsistenzbeweise
Um die Widerspruchsfreiheit einer mathematischen Theorie T zu zeigen, genügt es nach dem Gödelschen Vollständigkeitssatz ein Modell anzugeben, das alle Aussagen aus T erfüllt (dies entspricht dem Modell M[G]). Da nach dem zweiten Gödelschen Unvollständigkeitssatz die Existenz eines solchen Modells für „starke“ Theorien T (d.h. insbesondere für ) nicht bewiesen werden kann, muss man sich auf relative Konsistenzbeweise beschränken, sprich, die Existenz eines Modells für ZFC zusätzlich voraussetzen (dies entspricht dem Modell M). Aufgrund der Sätze von Löwenheim-Skolem und Mostowski ist es keine Einschränkung dieses Modell als abzählbar und transitiv anzunehmen.
Dieses Verfahren liefert allerdings nur einen relativen Konsistenzbeweis innerhalb von ZFC selbst (das heißt die Formel ist in ZFC beweisbar). Für einen streng finitistischen Beweis, der in der Angabe eines Verfahrens besteht, das den Beweis eines Widerspruchs von T konkret in einen solchen von ZFC umwandelt, muss man weiter ausholen: Sei ein Widerspruchsbeweis von T gegeben. Nach dem Kompaktheitssatz gibt es bereits eine endliche, widersprüchliche Teiltheorie . Da für den Beweis, dass pro Axiom nur endlich viele Axiome verwendet werden, lässt sich nun eine Theorie finden, sodass gilt:
- Ist M abzählbares, transitives Modell von S so gilt für ein M-generisches G:
- , S ist aber immer noch endlich.
Nach dem Reflexionsprinzip gibt es allerdings ein (wieder ohne Einschränkung abzählbares, transitives) Modell M mit . Es gilt also in der generischen Erweiterung . Da Tfin widersprüchlich ist, aber ZFC beweist, dass Tfin ein Modell besitzt, ist ZFC selber widersprüchlich.
Da es auf die konkret verwendeten Teilsysteme S bzw. Tfin nicht ankommt, hat es sich in der Praxis durchgesetzt, von M als einem Modell von ganz ZFC zu sprechen, wie wir es hier auch getan haben.
Beispiel: Unbeweisbarkeit der Kontinuumshypothese
Die Kontinuumshypothese ist die Aussage 2ω = ω1: Die Mächtigkeit der Potenzmenge der natürlichen Zahlen ist gleich der ersten überabzählbaren Kardinalzahl. Diese Aussage ist weder beweis- noch widerlegbar. Mithilfe der Forcing-Methode kann man Ersteres zeigen:
Sei M ein abzählbares, transitives Modell von ZFC. Definiere in M als Bedingungsmenge
geordnet durch . Es gilt also genau dann wenn p q fortsetzt. Für einen M-generischen Filter G betrachte nun . Wegen ist und es gilt:
- fG ist totale Funktion:
- Die Komponentenfunktionen sind paarweise verschieden.
Für beide Eigenschaften ist die Generizität von G verantwortlich. Jetzt gilt in M[G] die Abschätzung:
Mit Hilfe des Delta-Lemmas zeigt man, dass P die abzählbare Antikettenbedingung erfüllt. Daher bleibt ω2 in M[G] als zweite überabzählbare Kardinalzahl erhalten.
Also gilt , und damit ist die Kontinuumshypothese verletzt.
Weitergehende Methoden
- Produktforcing
- Iteriertes Forcing
Literatur
- Jech, Thomas: Set Theory, Springer-Verlag Berlin Heidelberg (2006), ISBN 3-540-44085-2.
- Kunen, Keneth: Set Theory: An Introduction to Independence Proofs, North-Holland (1980), ISBN 0-444-85401-0.
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