Kontinuumshypothese

Kontinuumshypothese

Die Kontinuumshypothese wurde 1878 vom Mathematiker Georg Cantor aufgestellt. Der Name rührt daher, dass die Menge der reellen Zahlen auch als „das Kontinuum“ bezeichnet wird.

Inhaltsverzeichnis

Aussage

Die Hypothese besagt:

Es gibt keine überabzählbare Teilmenge der reellen Zahlen, die in ihrer Mächtigkeit kleiner ist als die der reellen Zahlen.

Anders ausgedrückt:

Es gibt keine Menge, deren Mächtigkeit zwischen der Mächtigkeit der natürlichen Zahlen und der Mächtigkeit der reellen Zahlen liegt.

Bezeichnet man, wie üblich, die Kardinalzahl (Mächtigkeit) der natürlichen Zahlen mit \aleph_0, die darauf folgende Kardinalzahl mit \aleph_1 und die Kardinalzahl der reellen Zahlen mit \mathfrak c, so heißt die Kontinuumshypothese formal: \mathfrak c = \aleph_1

Bedeutung

In der berühmten Liste von 23 mathematischen Problemen, die David Hilbert am Internationalen Mathematikerkongress 1900 in Paris vortrug, steht die Kontinuumshypothese an erster Stelle.

Lösung

Das Problem ist heute gelöst, wenn auch nicht in dem Sinne, wie Hilbert dies erwartet hatte:

Kurt Gödel bewies 1938,[1] dass die Kontinuumshypothese (CH) zur Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre mit Auswahlaxiom (ZFC) relativ widerspruchsfrei ist, d. h.: Wenn ZFC widerspruchsfrei ist (was allgemein angenommen wird, aber nach dem Gödelschen Unvollständigkeitssatz nicht mit Hilfe von ZFC bewiesen werden kann), dann ist auch "ZFC + CH" widerspruchsfrei, für weitere Einzelheiten siehe "Konstruierbarkeitsaxiom". Das bedeutet:

Aus der Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre lässt sich die Kontinuumshypothese nicht widerlegen!

In den 1960er Jahren zeigte Paul Cohen mit Hilfe der Forcing-Methode:

Aus der Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre lässt sich die Kontinuumshypothese auch nicht beweisen!

Anders ausgedrückt: Auch die Negation der Kontinuumshypothese ist zu ZFC relativ widerspruchsfrei; die Kontinuumshypothese ist also insgesamt unabhängig von ZFC.

Für diesen Beweis erhielt Cohen die Fields-Medaille.

Daher kann der Kontinuumshypothese im Rahmen der Standardaxiome der Mengenlehre kein Wahrheitswert zugewiesen werden. Sie kann, ebenso gut wie ihre Negation, als neues Axiom verwendet werden. Damit ist sie das erste relevante Beispiel für Gödels 1. Unvollständigkeitssatz.

Nach dem Beweis der Unabhängigkeit wurden die Versuche fortgesetzt, durch Zunahme möglichst natürlicher Axiome zur ZFC die Kontinuumshypothese doch noch zu entscheiden, zum Beispiel durch Axiome, die die Existenz großer Kardinalzahlen postulieren. Auch Gödel war davon überzeugt, dass sich die Hypothese so widerlegen ließe. In den 2000er Jahren meinte der Mengentheoretiker William Hugh Woodin, Argumente gegen die Gültigkeit der Kontinuumshypothese gefunden zu haben.[2] Später wandte er sich von dieser Auffassung ab und konstruierte ein Modell für Kardinalzahlen, das er Ultimate L nannte, in Anlehnung an Gödels konstruierbares Universum L. In diesem Universum ist die Kontinuumshypothese wahr.[3]

Aussagen in „ZFC + CH“

Gelegentlich werden Aussagen unter der Annahme gemacht, dass die Kontinuumshypothese wahr sei. Es ist jedoch üblich, diese Voraussetzung dann explizit zu erwähnen, während die Tatsache, dass die meisten mathematischen Beweise vor dem Hintergrund eines ZFC-ähnlichen Axiomensystem gemacht werden, im Allgemeinen nicht erwähnt wird.

Verallgemeinerung

Die verallgemeinerte Kontinuumshypothese (GCH) besagt, dass für jede unendliche Menge X zwischen den Kardinalzahlen |X| und 2|X| (der Mächtigkeit der Potenzmenge von X) keine weiteren Kardinalzahlen liegen. Die einfache Kontinuumshypothese (CH) macht diese Behauptung für den Fall X = N. Die verallgemeinerte Kontinuumshypothese ist ebenfalls unabhängig von der Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre mit Auswahlaxiom (ZFC).

Anwendungsbeispiel

Im Folgenden sei die Kontinuumshypothese (und das Auswahlaxiom) als wahr angenommen und es wird mit ihrer Hilfe eine nicht messbare Teilmenge der reellen Zahlen konstruiert. Man beachte, dass dies auch ohne Kontinuumshypothese (aber mit Auswahlaxiom) möglich ist.

Sei ω1 die kleinste überabzählbare Ordinalzahl. Nach der Kontinuumshypothese gibt es dann eine Bijektion T:[0,1]\rightarrow \omega_1. Die ordinale Ordnung < auf ω1 werde mit Hilfe dieser Bijektion auf [0,1] übertragen: Für x,y\in[0,1] gelte: x\prec y :\Leftrightarrow T (x) < T (y).

Es sei A:=\{(x,y)\in[0,1]\times[0,1]: x\prec y\}. Mit 1A bezeichnen wir die Indikatorfunktion der Menge A, also 1_A:[0,1]\times[0,1]\rightarrow\{0,1\}, mit 1A(x,y) = 1 genau dann, wenn x \prec y.

Für jedes y\in [0,1] sei A_y :=\{x\in[0,1]: x\prec y\}. Diese Menge ist für jedes y abzählbar, da T(y) als abzählbare Ordinalzahl nur abzählbar viele Vorgänger hat. Insbesondere ist daher Ay immer eine Lebesgue-Nullmenge: λ(Ay) = 0.

Weiter definieren wir für jedes  x\in [0,1] die Menge A^x :=\{y\in[0,1]: x\prec y\}; das Komplement jeder dieser Mengen ist abzählbar, somit gilt λ(Ax) = 1.

Nimmt man an, dass 1A messbar ist, so gilt unter Verwendung des Lebesgue-Integrals und des Lebesgue-Maßes λ

\int_0^1\int_0^1 1_A(x,y)\,\mathrm dx\,\mathrm dy = \int_0^1\lambda({A_y})\,\mathrm dy =  0,

aber

\int_0^1\int_0^1 1_A(x,y)\,\mathrm dy\,\mathrm dx = \int_0^1\lambda({A^x})\,\mathrm dx = 1.

Die Funktion 1A ist also eine Funktion, die nach dem Satz von Tonelli nicht Lebesgue-messbar sein kann.

Literatur

  • Kurt Gödel: The Consistency of the Axiom of Choice and of the Generalized Continuum Hypothesis with the Axioms of Set Theory. in: Annals of Mathematics Studies. Princeton University Press, Princeton NJ 3.1940. ISSN 0066-2313
  • Kurt Gödel: What is Cantor's Continuum Problem? in: American Mathematical Monthly. Washington 54.1947, S. 515–525, Errata 55.1947, S. 151. ISSN 0002-9890
  • Paul J. Cohen: Set Theory and the Continuum Hypothesis. Benjamin, New York 1966, Dover 2008. ISBN 0-486-46921-2
  • Kenneth Kunen: Set Theory. North-Holland, Amsterdam 1980 (Kap. VI, Kap. VII §5f). ISBN 0-444-85401-0
  • Max Urchs: Klassische Logik - eine Einführung. Berlin 1993, S. 112–121. ISBN 3-05-002228-0 (im Zusammenhang mit Kardinalzahlen)
  • Jean-Paul Delahaye: Wie real ist das Unendliche? Spektrum der Wissenschaft, März 2009, S. 54–63

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Vgl. J. Floyd, A. Kanamori: How Gödel Transformed Set Theory. in: Notices of the American Mathematical Society. Providence 53.2006, S.424. ISSN 0002-9920 (pdf, 103 KB)
  2. W. Hugh Woodin, The Continuum Hypothesis I, Notices AMS, Bd.48, 2001, Nr.6, pdf Datei, und Teil 2, Notices AMS, 2001, Nr.7, pdf Datei. Gleichzeitig Übersichtsartikel.
  3. Richard Elwes: Ultimate logic. New Scientist, 30. Juli 2011, S. 30–33

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