Gegenaufklärung

Gegenaufklärung

Der Begriff Gegenaufklärung (auch Gegen-Aufklärung) bezeichnet die ideologische Gegenbewegung gegen das geschichtlich-philosophische Phänomen der Aufklärung. Alternativ dazu werden die Begriffe Restauration bzw. Konservative Revolution verwandt. In wissenschaftlichen Sinn wird der Begriff manchmal für das Denken der frühen Romantik wie Adam Müller, Meinrad Widmann oder Lorenz Westenrieder oder auch auf die Politische Theologie von Saint-Martin oder Joseph de Maistre angewandt.

Darüber hinaus wird der Ausdruck auch polemisch eingesetzt, wobei auf diese Weise ein unklar formulierter Vorwurf von Irrationalismus oder reaktionärem Denken erhoben wird. Er wird immer wieder auf das literarische Werk von Ernst Jünger und Botho Strauss angewandt, auch Friedrich Nietzsche und Michel Foucault standen schon im Rufe, Gegenaufklärer zu sein.

Da nun die Richtungen, die sich als Erben der Aufklärung sehen, durchaus miteinander in Konflikt stehen, führt dies gelegentlich zu ideologischen Vexierspielen. Hermann Lübbe etwa führte den Begriff Gegenaufklärung polemisch gegen die 68er-Bewegung an den Hochschulen ein und konstatierte 1972: „Das wichtigste Element unserer ideologiepolitischen Situation ist die Entfaltung einer Kultur der Gegenaufklärung. Universitäten und Redaktionsstuben wurden zu Zentren politischer Heilsgewissheit, wirklichkeitsüberlegener Besserwisserei, penetrantem Moralismus und eifernder Intoleranz.“ Diese Kritik an den Vertretern der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule versteht sich selbst unter dem Motto 'Philosophie als Aufklärung' und will vor der neomarxistischen Gegenaufklärung warnen: „Prozesse der Gegenaufklärung sind Prozesse anwachsenden Bekenntniszwangs und sich ausdehnender Kritikverbote.“ In der darauffolgenden polemischen Auseinandersetzung wurde der Begriff nun gegen Lübbe und sein Konzept der bürgerlichen Zivilreligion gerichtet: Sein Engagement gegen die Frankfurter Schule sei selbst bürgerliche Gegenaufklärung.

Siehe auch

Literatur

  • Hermann Lübbe: Hochschulreform und Gegenaufklärung. Analysen, Postulate, Polemik zur aktuellen Hochschul- und Wissenschaftspolitik. 1972.
  • Friedrich Koch: Gegenaufklärung. Zur Kritik restaurativer Tendenzen in der Gegenwartspädagogik. 1979.
  • Friedrich Koch: Zur Technik der Gegenaufklärung. In: Sexualpädagogik. Heft 4/1979, Seite 11 ff.
  • Jürgen Förster: Literaturunterricht zwischen Aufklärung und Gegen-Aufklärung. Zur Kritik restaurativer Tendenzen in der gegenwärtigen Literaturdidaktik und Möglichkeiten ihrer Überwindung. 1980.
  • Hermann Lübbe: Ideologische Gegenaufklärung. In: Zur Kritik der wissenschaftlichen Rationalität. 1986, S. 441–463.
  • Juliana Ströbele-Gregor: Dialektik der Gegenaufklärung zur Problematik fundamentalistischer und evangelikaler Missionierung bei den urbanen aymara in LaPaz (Bolivien). 1988.
  • Jochen Schmidt: Aufklärung und Gegenaufklärung in der europäischen Literatur, Philosophie und Politik von der Antike bis zur Gegenwart. 1989.
  • Wolfgang Schenk: Lima-Ökumene als Gegenaufklärung und Gegenreformation exegetische Einsprüche gegen die kategoriale Unterordnung von Taufe und Herrenmahl unter einen Amtsbegriff. 1990.
  • Marco Nese: Soziologie und Positivismus im präfaschistischen Italien. 1870-1922; Denkverfassung und Ideologie einer gegenaufklärerischen Humanwissenschaft. 1993.
  • Daniel Drašček: Streit um das Licht der „wahren Aufklärung“. Pater Meinrad Widmann und die süddeutsche Gegenaufklärung. In: Transactions of the Ninth International Congress on the Enlightenment. 1996.
  • Rolf Haaser: Spätaufklärung und Gegenaufklärung. Bedingungen und Auswirkungen der religiösen, politischen und ästhetischen Streitkultur in Gießen zwischen 1770 und 1830. 1997.
  • Wolfgang Albrecht: Zwischen patriotischer Spätaufklärung und religiöser Gegenaufklärung. Lorenz Westenrieder, der „Praeceptor Bavariae“. In: Das Angenehme und das Nützliche. 1997.
  • Horst Seferens: „Leute von übermorgen und von vorgestern“. Ernst Jüngers Ikonographie der Gegenaufklärung und die deutsche Rechte nach 1945. 1998.
  • Daniel Drašček: Der Papstbesuch in Wien und Augsburg 1782. Zum Wandel spätbarocker Alltags- und Frömmigkeitskultur unter dem Einfluß süddeutscher Gegenaufklärer. In: Volkskundliche Fallstudien. 1998.
  • Christoph Weiss: Von „Obscuranten“ und „Eudämonisten“ gegenaufklärerische, konservative und antirevolutionäre Publizisten im späten 18. Jahrhundert. 1997; 1999.
  • Michael Wiesberg: Botho Strauss. Dichter der Gegen-Aufklärung. 2002.
  • Wilhelm Schmidt-Biggemann: Politische Theologie der Gegenaufklärung. Saint-Martin, De Maistre, Kleuker, Baader. 2004.
  • Renate Reschke: Nietzsche. Radikalaufklärer oder radikaler Gegenaufklärer? Internationale Tagung der Nietzsche-Gesellschaft in Zusammenarbeit mit der Kant-Forschungsstelle Mainz und der Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen vom 15. bis 17. Mai 2003 in Weimar. 2004.
  • Zeev Sternhell: The anti-enlightenment Tradition. New Haven, Yale University Press, 2010. ISBN 9780300135541

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