Politische Theologie

Politische Theologie

Politische Theologie ist ein in der Geschichte in verschiedener Weise benutzter Begriff. Er steht einerseits für bestimmte religiös motivierte Staatsverständnisse (Antike: theologia civilis; Neuzeit: Carl Schmitt), zum anderen für herrschafts- und gesellschaftskritische „linke“ Theologie (v. a. Metz), sowie vermittelnde oder darüber hinausgehende Positionen.

Inhaltsverzeichnis

„Theologia civilis“

Der Begriff der Politischen Theologie geht auf den römischen Gelehrten Varro zurück. Dieser grenzte mit dem Begriff „theologia civilis“ die den Kaiserkult legitimierende „Bürgerliche Theologie“ von der „mythische Theologie“ („theologia mythica“) und der „natürliche Theologie“ („theologia naturalis“) ab. In der Übersetzung wurde der Begriff „theologia civilis“ im deutschen Sprachraum in der Regel als „Politische Theologie“ wiedergegeben. Es handelt sich aus heutiger Sicht dabei eher um für Politik benutzte „Mythologie“ bzw. – praktisch ausgeübt – um „politischen Mythos“ (Ernst Cassirer), um „politische Religion“ (Eric Voegelin).

Im Mittelalter und in der Neuzeit wurde versucht, diese „theologia civilis“ wiederzubeleben. In diesem Zusammenhang wird heute von der „Politischen Theologie“ bestimmter mittelalterlicher und neuzeitlicher Autoren gesprochen, meist in Abgrenzung zum Begriff „Politische Philosophie“. Insgesamt handelt es sich aber bei den genannten Erscheinungsformen nicht um Theologie im eigentlichen Sinne, sondern um eine Benutzung theologischer Gehalte zur Legitimierung politischen Verhaltens.

Politische Theologie nach Carl Schmitt

Der neuzeitliche Gebrauch des Begriffs Politische Theologie wurde von dem Staatsrechtler Carl Schmitt in seinen Büchern „Römischer Katholizismus und politische Form“ (1923) sowie „Politische Theologie“ (1922/1970) geprägt. Er verarbeitete darin (beschreibend, aber auch polemisch) die theologiegeschichtliche Entwicklung der Neuzeit im Blick auf politische, staatliche und staatskirchenrechtliche Fragestellungen. Geleitet von der Philosophie der Scholastik und von Hegel orientierte er sich an den Autoren der katholischen Restauration (z. B. Donoso Cortés). Er kritisierte aus diesem Verständnis heraus die politische Verfassung der Weimarer Republik. Gemeinsam mit dem Kirchenrechtler Hans Barion und dem Theologen Karl Eschweiler bildete er die erste Richtung „politischer Theologie“, die sich innerkirchlich schließlich gegen das II. Vatikanische Konzil (als zu progressiv) wandte.[1]

Weitere Beispiele

Weitere Beispiele für eine „rechtslastige“ Modernität politischer Theologie waren die Action Francaise (Frankreich), im Nationalsozialismus die Bewegung Deutsche Christen und in Spanien bestimmte Bestrebungen, das Staatskirchentum unter Franco für zukunftsweisend zu erachten.

„Neue“ Politische Theologie (Johann Baptist Metz)

Gegen die aus seiner Sicht „alte“ Politische Theologie wendet sich Johann Baptist Metz nach dem Zweiten Weltkrieg mit seiner selbst so benannten „neuen“ Politischen Theologie. Er knüpft an die Vertreter des katholisch modifizierten Sozialismus (bspw. Heinrich Mertens, Walter Dirks, Ernst Michel) an, bei denen die „neue“ Politische Theologie bereits grundgelegt ist. Metz selbst und seine Schüler sprechen im Blick auf ihre Politische Theologie von einer Neuschöpfung des Begriffs, da es ihnen um eine „theologische Politische Theologie“ (T. R. Peters) gehe. Tatsächlich neu ist, dass Metz, beeinflusst von der Frankfurter Schule, insbesondere von Walter Benjamin und Theodor W. Adorno, seine politische Theologie als eine Theologie „nach Auschwitz“ ausgearbeitet hat. Hier einzuordnen ist auch die Theologie Jürgen Moltmanns, der von einer "Theologie der Hoffnung" [2](u.a. in der Auseinandersetzung mit Ernst Bloch) her denkt.

Weitere Beispiele

Weitere Beispiele für linke politische Theologie sind etwa die Ideen der „Friedenspriester“ in den Ostblockstaaten und die Befreiungstheologie.

Vergleich und Auseinandersetzung zwischen „rechten“ und „linken“, „alten“ und „neuen“ Politischen Theologien

Vor allem im Bereich der Liberalismuskritik gibt es Parallelen „rechter“ und „linker“ politischer Theologen.

Die Auseinandersetzung zwischen der alten und der neuen politischen Theologie versucht Jürgen Manemann, einer der profiliertesten Vertreter der neuen politischen Theologie, weiterzuentwickeln und für den gegenwärtigen demokratietheoretischen Diskurs fruchtbar zu machen. Die wichtigsten theologisch-politischen Debatten werden gegenwärtig im „Jahrbuch Politische Theologie“ geführt.

Alternative politische Theologie (Romano Guardini)

Der Religionsphilosoph Romano Guardini versuchte, zwischen „alter“ und „neuer“ Politischer Theologie zu vermitteln und weitergehend zu diesen hegelianisch geprägten Politischen Theologien eine alternative politische Theologie zu entwickeln. Kern ist dabei die 1925 veröffentlichte Gegensatzlehre, die statt der hegelianischen Dialektik von Widersprüchen (These-Antithese), die sich in Synthesen hinein auflösen, echte Widersprüche von polaren Gegensätzen streng unterscheidet und letztere im Sinne einer personalistischen Dialogphilosophie als lebendig-konkrete Spannungseinheit darstellt. In diesem Sinne ist sein Ansatz als Politische Theologie des „Menschlich-Unerlässlichen im Neuen“ zu verstehen.

Erledigungsthesen

Erik Peterson und Hans Maier

Erik Peterson erklärte in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts die antike „politische Theologie“ mit dem Christentum für im Grunde erledigt, und gleichzeitig alle seitherigen und zeitgenössischen Versuche, diese wiederzubeleben (einschließlich der Carl Schmitts). Hans Maier dehnte die Erledigungsthese nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil auf die „neue“ Politische Theologie um den Münsteraner Theologen Johann Baptist Metz aus.

Kritischer Rationalismus

Aus wissenschaftstheoretischer Sicht griff in den siebziger Jahren der deutsche Kritische Rationalismus (Hans Albert) in die Diskussion ein, der sich dabei formal auf die Seite der Erledigungsthese schlug, dabei aber aus agnostischen bis atheistischen Motiven die theologische Erledigungsthese selbst „miterledigte“. Demnach duldet die „Offene Gesellschaft“ keine Inspiration aus religiöser Richtung. Der kritische Rationalismus verwirft jedes religiöse Vorverständnis. Eine ähnliche Position vertritt der nicht dem kritischen Rationalismus zuzuordnende Hans Blumenberg.

Auch den Anspruch des Katholizismus, sichtbar im Papsttum, „über der Politik“ zu stehen, verwirft der kritische Rationalismus als indiskutabel.

Zum Verhältnis von Theologie, Politik und Philosophie (Leo Strauss)

Im Vorwort zur deutschen Ausgabe seines Buches „Hobbes’ politische Wissenschaft“ (1965, englisch 1936) umriss Leo Strauss die Frage, „inwieweit die Kritik an der orthodoxen – jüdischen und christlichen – Theologie siegreich zu sein verdiene.“ Strauss benennt einen Konflikt zwischen Philosophie und Offenbarung einerseits, und den von Philosophie und Politik andererseits. Beide Konflikte kamen zu Beginn der Neuzeit zum offenen Ausbruch.

Für Strauss war die göttliche (jüdische, christliche) Offenbarung die größte Herausforderung für die Philosophie. Denn wenn es die eine göttliche, also absolute Wahrheit gebe, sei das menschliche Bemühen um eine eigene philosophische oder politische Wahrheit gegenüber der Offenbarung zweitrangig, eventuell sogar sinnlos. Damit stehe die Philosophie vor der Frage, ob die Wahrheit nicht grundsätzlich verfehlt werde, wenn sie vom Menschen selbstständig gesucht wird. Ob nicht die offenbarte Wahrheit nur gläubig hingenommen werden könne. Praktisch stehe die Philosophie vor der Frage, ob kritisch-autonomes Denken – das Lebenselixier philosophischer Wahrheitssuche – nicht zu verwerfen sei (vgl. Kierkegaard). Strauss verweist auf den aus der Geistesgeschichte bekannten Gegensatz von „Athen“ und „Jerusalem“ zur Veranschaulichung des grundsätzlichen Unterschieds zwischen selbstbestimmtem philosophischem Leben ohne eine transzendente Autorität und andererseits einem Leben im Sinne des Offenbarungsglaubens.

Zum Konflikt zwischen Offenbarung und Philosophie kommt der zwischen Philosophie und Politik hinzu, der geschichtlich wirksamer als jener war, weil er den realen wie geistigen Umbruch am Beginn der Neuzeit prägte: Religion (welcher Konfession auch immer) bestimmte damals handfest das zeitgenössische Geschehen. Sowohl in Absetzung von der scholastischen dogmatischen Philosophie wie von den egoistisch geführten Glaubenskriegen entstand in der neuzeitlichen ethischen Philosophie erneut die Frage nach dem richtigen Leben sowie der Versuch einer Ableitung gerechter Gesellschaft aus der Natur und dem Wesen des Menschen (Bodin, Machiavelli, Grotius, Hobbes, Pufendorf, Locke, Rousseau, Kant), einschließlich der Benennung der Menschenrechte. Die Begründung von Ethik und Politik wird säkularisiert und autonom, auch wenn sich noch lange theologisch-religiöse Elemente und Spuren erhalten.

Selber räumt Strauss der Religion Wichtigkeit nur im pragmatischen Sinne ein, indem sie in der säkularisierten neuzeitlichen Gesellschaft Orientierung bieten und somit auch zur politischen Ordnung beitragen könne. Diese Funktion von Religion dürfe aber nicht nur rein funktional (Ludwig Feuerbach: Gott ist die Projektion des Mensch-Wesens ins Jenseits; Karl Marx: Religion ist Opium des Volkes) verstanden werden, sondern müsse als substantiell und eigenständig wahrgenommen werden.

Daneben sei die Frage nach dem richtigen Leben auch zutiefst politisch: Durch die philosophische Radikalität, mit der sie gedacht werden müsse, sei Philosophie gegenüber allen konkreten und vorfindbaren Lebensformen und politischen Ordnungen politisch subversiv. Die politische Philosophie habe sich allerdings auf sich selbst zu beschränken und müsse sich ihrer zersetzenden Wirkungen in Bezug auf die Religionen bewusst sein.

Notwendigkeit und Grenzen Politischer Theologie

Die Frage nach dem eigentlichen Ort einer neuzeitlichen Politischen Theologie wurde durch Ernst-Wolfgang Böckenförde erneut gestellt, als er von den Voraussetzungen des Staates sprach, die er selbst nicht herstellen bzw. gewährleisten kann (sog. Böckenförde-Diktum). Diese Voraussetzungen seien faktisch auch religiös bedingt. So verstanden ist die eigentliche Aufgabe Politischer Theologie, die Voraussetzungen der Politik einer theologischen Reflexion und Kritik zu unterziehen. Dabei sollen theologische Gehalte nicht zur Legitimierung von politischen Zuständen – sei es des Status-Quo, sei es von „konservativen“ bzw. „progressiven“ Revolutionen dienen.

In seiner ersten Enzyklika (Nr. 26 ff.) fordert Papst Benedikt XVI., dass die christlichen Kirchen sich in einen Dialog mit dem jeweiligen Gegenüber in Politik und Gesellschaft begeben sollen, um die Herausforderungen der Weltpolitik angehen zu können.

Manche Theologen fordern, den Anwendungsbereich eigentlich „politischer“ Theologie darauf zu beschränken, dass die Theologie als Wissenschaft sich ihrer Situation innerhalb der politischen Diskussion selbstkritisch bewusst ist. Politische Wirkung wird zunehmend als Aufgabe angesehen, die von „Laien“ (im Sinne von nicht theologisch „studierten“ Gläubigen) in ihren Lebensbereichen zu leisten ist. Jede unmittelbare Übersetzung von theologischen Forschungsergebnissen und Lehrsystemen in (an die Politik adressierte) Forderungen setze sich, ob nun „links“ oder „rechts“ positioniert, dem Verdacht aus, Religion durch Politik ersetzen zu wollen.

Politische Theologie in der Ostkirche

Die Politische Theologie beeinflusste auch die Ostkirche. Der Sozialphilosoph Christos Yannaras trat 1976, nach dem Ende der griechischen Diktatur, mit einer eigenen Politischen Theologie hervor. Darin wird die neue Politische Theologie der Befreiung rezipiert, um so vom Westen und seiner Spaltung in links und rechts Distanz zu gewinnen.

Neuerdings ist es gerade die alte Politische Theologie von Donoso Cortés und Carl Schmitt, von der man sich eine Klärung der Situation verspricht, in welche die orthodoxe Kirche im europäischen Einungsprozess geraten ist. So interpretiert Dimitrios Kisoudis den ostkirchlichen Begriff der Ikone in seinem anthropologischen Widerspruch zu jedem Verfassungs-Nomismus. In der Ostkirche brauche eine Politische Theologie dem Kirchenvolk nicht erst nahe gelegt zu werden, da sie meist aus der Verbindung von Staats- und Kirchenvolk hervorgehe.

Siehe auch

Anmerkungen

  1. vgl. Thomas Marschler: Kirchenrecht im Bannkreis Carl Schmitts. Hans Barion vor und nach 1945. Bonn 2004
  2. Jürgen Moltmann: Verzeichnis der Werke.

Literatur

Weblinks

  • Literatur zum Schlagwort Politische Theologie im Katalog der DNB und in den Bibliotheksverbünden GBV und SWB

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