Georges Prosper Remi

Georges Prosper Remi

Georges Prosper Remi (* 22. Mai 1907 in Etterbeek bei Brüssel; † 3. März 1983 in Woluwe-Saint-Lambert bei Brüssel), bekannter unter dem Namen Hergé, war ein belgischer Comic-Autor und -Zeichner.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Seine Initialen, umgedreht zu „R. G.“ und französisch ausgesprochen, ergeben den Künstlernamen Hergé. Sein bekanntestes und umfangreichstes Werk sind Die Abenteuer von Tim und Struppi (im Original: Les aventures de Tintin), die er von 1929 bis zu seinem Tod schrieb und zeichnete. Das 24. Abenteuer Tim und die Alpha-Kunst blieb unvollendet. Andere Serien, die Hergé zeichnete und textete, sind Jo, Jette und Jocko, Stups und Steppke (Quick et Flupke) und Paul und Virginia. Mit seinem Werk beeinflusste er die Comic-Kultur in Europa wie kaum ein anderer.

Seine Geschichten zeichneten sich durch eine herzliche Menschlichkeit und ihre detailtreuen und realitätsnahen Zeichnungen aus. Hergé unternahm teilweise die Reisen, die er beschrieb, selbst und sammelte so Bilder und Eindrücke, die er dann in die Geschichten einfließen ließ. Viele der in den Tim und Struppi-Alben gezeigten Gegenstände, Landschaftsansichten und Straßenbilder existierten wirklich oder hatten reale Vorlagen. Seine typische Art zu zeichnen, die Ligne claire (dt. klare Linie) mit ihren klar begrenzten Figuren, ohne Schatten, war stilbildend und wurde oft kopiert.

Kindheit und frühe Karriere

Georges Remi wurde 1907 geboren. Seine Eltern, Alexis und Elisabeth Remi, lebten in Brüssel. Er wuchs in einem stark konservativ und katholisch geprägten Milieu auf. Seine vier ersten Schuljahre fielen in die Zeit des Ersten Weltkriegs (1914–1918), in dem Brüssel von den Deutschen besetzt wurde. Georges, dessen Zeichentalent sich bereits zeigte, kritzelte auf die Ränder seiner Schulbücher Bilder der deutschen Soldaten. Außer ein paar Zeichenstunden, die er später an der Saint-Luc-Schule besuchte, erhielt er nie eine Ausbildung im Zeichnen oder Malen.

Im Jahr 1920 wechselte Georges, auf Wunsch des katholischen Arbeitgebers des Vaters, an die katholische Schule „Saint-Boniface“. Jeder Tag wurde mit einer Messe begonnen und die Lehrerschaft bestand vollständig aus Priestern. [1] Für Georges Remi begann damit der Eintritt in ein katholisches Milieu, das für seine weitere Entwicklung von enormer Bedeutung war. Dieser Effekt verstärkte sich, als er kurz darauf auch der Association des Scouts Baden-Powell de Belgique, einem katholischen Pfadfinderbund, beitrat. Viele europäische Länder lernte er in verschiedenen Sommerlagern kennen. Seine Arbeit an den Comics war stark geprägt von der Ethik der Pfadfinderbewegung und von seinen frühen Reiseerlebnissen.

Nach dem Schulabschluss 1925 arbeitete er bei der katholischen Zeitung Le XXe Siècle, wo er sich zunächst aber mit einer einfachen Verwaltungsstelle beim Abonnementservice begnügen muss. Bei XXe Siécle handelt es sich um eine in den klerikalen und konservativen Kreisen der Großregion Brüssel oft gelesene Zeitung, die einer radikalen Wandlung unterzogen worden war, seitdem Pater Norbert Wallez mit der Führung betraut worden war. Der Pater war ein großer Bewunderer des italienischen Faschismus und Mussolinis, seitdem er von diesem im Oktober 1923 auf einer Italienreise persönlich empfangen worden war [2]. Wallez’ Persönlichkeit schlägt sich auch stark in der politischen Ausrichtung des XXe Siècle nieder: „Man ist hier nicht nur Juden, Kommunisten und Freimaurern gegenüber feindlich eingestellt, das versteht sich von selbst. […] die Zeitung vertritt eine Denkweise, die allem kritisch gegenübersteht, was mit Politik, Geld, […] und generell mit Modernität in Zusammenhang steht.“ [2]. Im folgenden Jahr veröffentlichte er seinen ersten, noch mit Untertiteln versehenen Comic, Die Abenteuer von Totor, im Pfadfindermagazin Le Boy-Scout Belge.

Hier begann sein Aufstieg als Zeichner innerhalb des katholischen und konservativen Lagers. Georges wurde Mitglied des ‚Movement d’Action catholique’ und trat der ‚Association catholique de la Jeunesse belge’ (A.C.J.B.) bei. Er kam damit in Kontakt mit katholischen Jugendorganisationen, die sich gerade im Laufe der 1920er und 1930er Jahre immer weiter radikalisierten. [3]. Georges machte hier die Bekanntschaft von Personen wie Léon Degrelle und Raymond De Becker machte, die später bereitwillig mit den deutschen Besatzern kollaborierten. Die Bekanntschaft ging sogar so weit, dass Hergé sich bereit erklärte, Bücher Degrelles (Histoire de la guerre scolaire, 1932) und De Beckers (Le Christ, roi des affaires, 1930 und Pour un ordre nouveau, 1932) zu illustrieren. Nachdem er 1927 seinen Militärdienst absolviert hatte, übertrug ihm 1928 Norbert Wallez die Verantwortung für die Kinderbeilage Le Petit Vingtième des Le XXe Siècle. Er begann, Geschichten im Le Petit Vingtième zu illustrieren, was ihm erste Anerkennung im Verlag brachte, ihn aber nicht ganz zufriedenstellte. Er beschloss, im Stil der amerikanischen Comic Strips mit Sprechblasen eine eigene Geschichte zu zeichnen, und so erschien vom 10. Januar 1929 bis 8. Mai 1930 im Le Petit Vingtième das erste Tim und Struppi-Abenteuer Tim im Lande der Sowjets. Das Album erscheint auf direkten Wunsch des antibolschewistischen Wallez. Hergés Hauptquelle stellt das Buch ‚Moscou sans voiles’ (Moskau ohne Schleier) von Joseph Douillet dar. Douillet gab ein stark antikommunistisch verzerrtes Bild, das sich auf Hergés Comic übertrug. Der Kritiker Michael Farr kritisierte das: „Eine seiner größten Schwächen liegt in der starken Abhängigkeit von Douillets geradezu absurd tendenziösem Buch, das im Grunde genommen Hergés einzige Quelle darstellte.“[4]. Tim im Lande der Sowjets zeigt einige Passagen, die aus heutiger Sicht ein nicht übertriebenes Bild der Zeit des Stalinismus zeichnen.

Ab Januar 1930 veröffentlichte Hergé dort auch einen weiteren Comic um zwei Straßenjungen aus Brüssel, Stups und Steppke (Quick et Flupke). Viele Jahre produzierte er diese fantasievollen, aber vergleichsweise wenig erfolgreichen Einseiter parallel zu den langen Geschichten mit Tim und Struppi. Deren zweites Abenteuer, Tim im Kongo, gilt heute als ebenso umstritten wie der Erstling Tim im Lande der Sowjets. War es beim einem die strikte Verteufelung des Bolschewismus, so ist es hier der Kolonialismus, der bis heute ein ungutes Licht auf das Album wirft. Wieder war es Norbert Wallez, der Hergé dazu brachte, Tim nicht wie geplant direkt nach Amerika reisen zu lassen. Auf Wallez’ ausdrücklichen Wunsch hin begaben sich Tim und Struppi stattdessen zunächst in den Kongo, um bei den jugendlichen Lesern des Petit Vingtième Begeisterung für die belgische ‚vocation coloniale’ und für die katholische Missionierung des Kongo zu wecken[2]. Vor dem Hintergrund der Ausbeutung des Kongo und der vor allen Dingen unter der Herrschaft Leopold II. im Kongo begangenen Gräueltaten, erscheinen die sehr prokolonialistischen Darstellungen innerhalb des Albums als im besten Falle als extrem ‚naiv’. Kritik an der belgischen Herrschaft wird nicht einmal in Ansätzen geübt. Weitere Schwachpunkte des Albums sind in der Darstellung der Afrikaner als ‚große Kinder’ und dem aus heutiger Sicht grotesk anmutenden Umgang mit der Natur zu sehen. Michael Farr merkt zu ‚Tim im Kongo’ an: „Es ist kaum möglich, politisch weniger korrekt zu sein.“ [4]. 1931 begann Hergé dann mit Tim in Amerika. In Die Zigarren des Pharaos wurden die beiden trotteligen Detektive Schulze und Schultze (Dupond et Dupont) eingeführt.

1932 heiratete Hergé Germaine Kieckens, die Sekretärin des Direktors von Le XXe Siècle. Die Ehe blieb kinderlos und wurde 1975 geschieden.

Für die frühen Abenteuer von Tim und Struppi brauchte Hergé jeweils ungefähr ein Jahr für die Fertigstellung. Nach der Vorveröffentlichung wurden sie als Comic-Alben vom Verlag Casterman herausgegeben. Hergé überarbeitete die Geschichten regelmäßig für die folgenden Auflagen, insbesondere wurden spätere Auflagen in Farbe herausgegeben. Auch die eigentliche Geschichte wurde überarbeitet, da Hergé teilweise unzufrieden damit war. Vorurteile mussten korrigiert, die technische Entwicklung berücksichtigt und der Stil verbessert werden. So bei einer Szene aus Tim im Kongo, in der Tim den schwarzen Schülern in der Missionsschule eine Geografiestunde erteilt. „Meine lieben Freunde,“ erklärt Tim, „heute erzähle ich euch etwas über euer Land: Belgien“. In den späteren Auflagen wurde daraus eine Mathematikstunde.

Eine Wende kam mit dem fünften Tim-und-Struppi-Abenteuer Der Blaue Lotos. Hergé hatte am Schluss des vorherigen Abenteuers erwähnt, dass Tim nach China reisen werde. Pater Gosset, der Kaplan der chinesischen Studenten an der Katholischen Universität Löwen, schrieb an Hergé und bat ihn, vorsichtig zu sein bei dem, was er über China schreiben wolle. Im Frühjahr 1934 trafen sich Hergé und Gosset, der ihn mit Tschang Tschong-Jen bekannt machte, einem jungen Bildhauerstudenten an der Brüsseler Académie des Beaux-Arts. Die beiden jungen Künstler wurden rasch Freunde, und Tschang führte Hergé in die chinesische Geschichte, Kultur und in die Technik der chinesischen Kunst ein. Beeinflusst durch diese Erfahrungen wollte Hergé fremde Kulturen und Schauplätze fortan so exakt wie möglich beschreiben. Als Zeichen der Dankbarkeit fügte er einen erfundenen Tschang Tschong-Jen in Der Blaue Lotos ein, einen jungen Chinesen, den Tim trifft, und der sein Freund wird.

Eine andere Auswirkung seiner Freundschaft mit Tschang war, dass sich Hergé der Probleme bewusst wurde, die der Kolonialismus mit sich brachte, speziell die Interessen des japanischen Reiches in China. Der Blaue Lotos hat eine deutliche antiimperialistische Botschaft und stand damit im Gegensatz zur vorherrschenden Meinung im Westen, die den Interessen der Japaner wohlgesinnt war. Von verschiedener Seite gab es scharfe Kritik, als Der Blaue Lotos erschien; sogar japanische Diplomaten protestierten beim belgischen Außenministerium. Der weitere Verlauf der Weltgeschichte gab Hergé recht. Tschang beendete sein Studium in Brüssel und kehrte nach China zurück. Der Kontakt brach bei der Eroberung Chinas durch die Japaner ab. Mehr als vierzig Jahre sollten vergehen, bis sich die beiden Freunde wiedertrafen.

1935 zeichnete der Künstler für die französische Wochenzeitschrift Coeurs vaillants die ersten Seiten der Serie Jo, Jette und Jocko (Jo, Zette et Jocko) um zwei Geschwister und ihren Schimpansen. Davon erschienen im Laufe der Zeit drei Abenteuer in fünf Bänden, von denen vor allem das letzte, Das Tal der Kobras, sich in puncto Humor mit den Tim-Abenteuern messen kann. 1939 begonnen, konnte es erst 1954 fertiggestellt werden.

Der Zweite Weltkrieg

1939 wurde Hergé von Song Meiling, der Frau Chiang Kai-sheks, in die Republik China eingeladen, weil er in Der Blaue Lotos zugunsten des chinesischen Volkes Stellung bezogen hatte. Der bevorstehende Krieg machte die Reise unmöglich. Im gleichen Jahr wurde Hergé in die belgische Armee einberufen. Die Arbeit am neuesten Abenteuer Im Reiche des Schwarzen Goldes wurde unterbrochen. Nach der Besetzung Belgiens durch die deutschen Truppen 1940 wurde er aus der Armee entlassen.

Le Petit Vingtième, in dem Tims Abenteuer bisher veröffentlicht worden waren, wurde von den Besatzern eingestellt. Hergé nahm daraufhin ein Angebot des Le Soir, Brüssels führender französischsprachiger Zeitung, an, einen neuen Tim-und-Struppi-Comic zu produzieren. Dies fiel Hergé besonders leicht, da sein alter Freund Raymond De Becker von den deutschen Besatzern zum Chefredakteur von ‚Le Soir’ erhoben worden war. Der deutsche Chef der Militärverwaltung Alexander von Falkenhaus versuchte ‚Le Soir’, die seit langem führende Zeitung Belgiens, für die eigenen Zwecke einzusetzen und brachte sie unter deutsche Kontrolle [1]. Le Soir wurde damals als Sprachrohr der Nazi-Besatzungstruppen bezeichnet. Trotz dieser schon damals bekannten Tatsachen folgte Hergé De Becker und akzeptierte es damit, in einer Zeitung zu arbeiten, die mittelbar durch die deutsche ‚Propagandaabteilung’ gesteuert wurde[1]. Hergé musste Kompromisse eingehen und Im Reiche des Schwarzen Goldes wegen der anti-faschistischen Grundaussage der Geschichte unvollendet lassen. So begann er die Arbeit an Die Krabbe mit den goldenen Scheren, das erste von sechs Alben, die er während des Krieges herausgab. Dieses Album wurde in der Zeitschrift Le Soir Jeunesse als Fortsetzungsgeschichte ab Oktober 1940 vorveröffentlicht, hier wurde Kapitän Haddock als neue Figur eingeführt.

Während des Krieges ergaben sich zwei wesentliche Änderungen in der Arbeitsweise von Hergé. Wegen des Papiermangels wurden nicht mehr zwei Seiten pro Woche produziert wie beim Le Petit Vingtième, sondern täglich ein drei bis vier Bilder umfassender Bildstreifen, eben ein echter Comic-Strip. Um trotzdem Spannung zu erzeugen, baute Hergé mehr Gags und mehr Action in die Geschichten ein. Auch konnte er nicht mehr auf aktuelle Ereignisse eingehen, um das Erscheinen nicht zu gefährden. So produzierte er eher fantastische Abenteuer: eine Expedition zu einem Meteoriten (Der geheimnisvolle Stern), eine Schatzsuche (Das Geheimnis der Einhorn und Der Schatz Rackhams des Roten) sowie eine Geschichte um einen alten Inka-Fluch (Die sieben Kristallkugeln und Der Sonnentempel). In diesen Geschichten wurden die handelnden Personen mehr in den Vordergrund gerückt, und in Der Schatz Rackhams des Roten wurde eine neue wichtige Figur neben Tim eingeführt: Professor Bienlein. Die Änderungen wurden von den Lesern gut aufgenommen, und die Buchausgaben dieser Geschichten gehören zu den beliebtesten der Serie. Diese und einige andere Figuren bildeten im Laufe der Alben eine Art Ersatzfamilie für den immer als alleinstehend dargestellten Tim. Trotz des Rückzugs aus dem aktuellen Geschehen und den relativ unpolitischen Geschichten, die Hergé während der Besatzungszeit veröffentlicht, ist es ihm dennoch nicht gelungen ganz ‚neutral’ durch diese Zeit zu kommen. 1940 illustriert Hergé das Buch ‚Fables’ von Robert de Vroylande, das eine antijüdische Geschichte enthält. Hergés Illustration erinnert dabei stark an antisemitische Karikaturen aus demselben Zeitraum [1]. Der geheimnisvolle Stern enthält einen Wettlauf zwischen zwei Expeditionen. Der Wettlauf zum Meteoriten gerät zum Zweikampf zwischen Europa und Amerika, was negativ rezipiert wird [1]. Der skrupellose US-amerikanische Bankier, der die Expedition des amerikanischen Forscherteams finanziert, hieß in der Ursprungsfassung des Comics Blumenstein. In der heutigen überarbeiteten Fassung des Albums fährt das gegnerische Forscherteam unter der Flagge eines Phantasiestaates und der Bankier wurde in Bohlwinkel umbenannt [2]. Aber noch heute erinnert vor allem die Darstellung Bohlwinkels Nase an die antisemitischen Karikaturen jener Zeit.

1943 traf Hergé Edgar Pierre Jacobs, einen Comic-Zeichner, den er anstellte, um ihm bei der Überarbeitung der früheren Geschichten zu helfen. Jacobs wichtigste Arbeit an der Serie waren seine Zeichnungen der Kostüme und der Hintergründe in der Buchausgabe König Ottokars Zepter. Er zeichnete unter anderem das Titelbild zum Sonnentempel und arbeitete auch an Die sieben Kristallkugeln mit.

Nachkriegswirren

Die Besetzung Belgiens endete am 3. September 1944. Die Veröffentlichung von Tims Abenteuern wurde gegen Ende von Die sieben Kristallkugeln unterbrochen, weil die Alliierten Le Soir schlossen. Während der chaotischen Zeit nach der Besetzung wurde Hergé von verschiedenen Gruppen insgesamt viermal inhaftiert. Er wurde beschuldigt, ein Nazi-Sympathisant gewesen zu sein, eine ziemlich unbegründete Behauptung. Trotz seiner Mitarbeit an der von den Besatzern kontrollierten Zeitung le Soir wurde Hergé letztlich nicht verurteilt. Tatsächlich findet man in den vor dem Krieg produzierten Geschichten mehrere kritische Äußerungen über den Faschismus. In König Ottokars Zepter wird der Anschluss Österreichs an Deutschland unverhüllt kritisiert. Wie andere frühere Angestellte der von den Nazis kontrollierten Presse wurde Hergé von keinem Verlag mehr angestellt. Die nächsten zwei Jahre arbeitete er zusammen mit Jacobs und der neuen Assistentin Alice Devos. Sie waren damit beschäftigt, die alten Geschichten in Farbe herauszubringen.

1946 endete Tims und Hergés Verbannung. Der Publizist und Résistance-Kämpfer Raymond Leblanc startete mit dem Künstler das Magazin Tintin, dessen erste Ausgabe am 26. September erschien. Es wurde wöchentlich herausgegeben, mit jeweils zwei Seiten Tim und Struppi, anderen Comics und ausgewählten Reportagen. Nun wurde endlich der Abschluss von Die sieben Kristallkugeln veröffentlicht. Tintin startete gut und erreichte rasch eine Auflage von über 100.000 Exemplaren jede Woche.

Tim und Struppi wurde immer mit „von Hergé“ signiert, ohne Edgar Pierre Jacobs und die anderen Assistenten anzugeben. Als Jacobs' Anteil an den Arbeiten zunahm, verlangte er, als Koautor genannt zu werden. Hergé lehnte ab, und die bisherige erfolgreiche Zusammenarbeit endete. Jacobs produzierte stattdessen seinen eigenen Comic für Tintin, die erfolgreiche Serie Blake und Mortimer.

Krisen

Die Arbeit am Tintin-Magazin beanspruchte Hergé sehr. 1949, während der Arbeiten an der neuen Version von Im Reiche des Schwarzen Goldes (die erste Version wurde wegen des Krieges nie fertiggestellt), erlitt er einen Nervenzusammenbruch. Vier Monate dauerte die Erholung. Ein zweiter Zusammenbruch folgte 1950.

Um Hergé zu entlasten, wurde am 6. April 1950 das Studio Hergé gegründet. Das Studio beschäftigte verschiedene Assistenten, um Hergé bei der Produktion der Abenteuer von Tim und Struppi zu helfen. Die Künstler Jacques Martin und Bob de Moor waren die wichtigsten. Sie arbeiteten bei allen weiteren Geschichten mit und zeichneten Details und Hintergründe, so auch die imposanten Mondlandschaften in Schritte auf dem Mond. Mit Hilfe des Studios, zu dem nun auch Roger Leloup und Jo-El Azara stießen, schaffte es Hergé, zwischen 1954 und 1958 Der Fall Bienlein und Kohle an Bord zu veröffentlichen. Der Fall Bienlein gilt bei vielen Kennern als das am schönsten gezeichnete Album der Serie.

Wieder kamen persönliche Probleme auf Hergé zu. Nach fünfundzwanzig Jahren Ehe kam es zu einer großen Krise in der Beziehung zu seiner Frau Germaine. Er hatte sich in Fanny Vlaminck (heute Fanny Rodwell), eine junge Zeichnerin, verliebt. Zudem hatte er Alpträume, er träumte von weißen Flächen. Er konsultierte einen Schweizer Psychoanalytiker, der ihm riet, die Arbeit an Tim und Struppi aufzugeben. Stattdessen schrieb Hergé Tim in Tibet, eine der stärksten Tim-und-Struppi-Geschichten.

Von September 1958 bis November 1959 veröffentlicht, handelt Tim in Tibet von Tims Suche nach seinem Freund Tschang, mit dem er sich in Der Blaue Lotos angefreundet hatte. Die Suche führt ihn weit hinein in den Himalaja und erlaubte Hergé so, seine Alpträume künstlerisch zu verarbeiten. Die sonst übliche Vielfalt an Charakteren wurde über weite Strecken auf ein Minimum reduziert: Tim, Kapitän Haddock und der Sherpa Tharkey. Hergé bezeichnete dieses stark persönlich gefärbte Abenteuer später als seine Lieblingsgeschichte. Die Vollendung der Geschichte schien auch in Hergés Leben einen neuen Abschnitt einzuleiten. Seine Alpträume hörten auf, und er trennte sich von seiner Frau. Die Ehe wurde aber wahrscheinlich erst 1975 geschieden, und Hergé heiratete Fanny Vlaminck 1977.

Die letzten Jahre

Die letzten drei kompletten Abenteuer von Tim und Struppi wurden in wesentlich längeren Abständen produziert: Die Juwelen der Sängerin im Jahr 1961, Flug 714 nach Sydney 1966 und Tim und die Picaros im Jahr 1975. In dieser Zeit eroberte Tim aber andere Medien. Tim wurde im französischsprachigen Europa ein echter Star und ein gesuchter Werbeträger. Ein erster Realfilm wurde 1960 gedreht, Tim und das Geheimnis um das Goldene Vlies mit dem jungen Belgier Jean-Pierre Talbot als Hauptdarsteller, der ihn auch 1964 im Film Tim und die blauen Orangen spielte. 1969 wurde der erste abendfüllende Zeichentrickfilm produziert: Der Sonnentempel.

Hergé reiste nun viel. Es gelang ihm, den Kontakt zu Tschang Tschong-Jen wiederherzustellen. Nach der Kulturrevolution hatte Tschang als Straßenkehrer gearbeitet, in den siebziger Jahren war er Leiter einer Kunstschule in Schanghai geworden. 1981 trafen sich Hergé und Tschang nach über vierzig Jahren wieder. 1985 zog Tschang nach Paris um, wo er 1998 starb.

1982 benannte die belgische Astronomische Gesellschaft zum 75. Geburtstag von Hergé einen kurz zuvor entdeckten Asteroiden nach ihm. Der Asteroid Hergé liegt im Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter.

Hergé starb am 3. März 1983 in der Klinik Saint-Luc in Brüssel an Komplikationen einer Blutarmut, an der er seit einigen Jahren litt. Er wurde 75 Jahre alt. Er hatte sich gewünscht, auf dem Friedhof am Dieweg im Brüsseler Stadtteil Uccle beerdigt zu werden. Dieser Friedhof, auf dem auch viele berühmte Brüsseler beerdigt sind, ist ein Symbol für den guten Umgang der Religionen und Kulturen miteinander, denn dort liegen Katholiken, Juden und bekennende Agnostiker gemeinsam begraben. Der Friedhof war 1950 für neue Gräber geschlossen worden, für Hergé wurde eine Ausnahme gemacht.

Postume Veröffentlichungen und Ehrungen

Hergé verfügte in seinem Testament, dass niemand nach ihm Tim und Struppi weiterführen sollte. So wurde auch sein unvollendetes Abenteuer Tim und die Alphakunst nur als eine Serie von Skizzen und Notizen veröffentlicht. (Die jüngste Meldung, man habe im Nachlass Bob de Moors Skizzen zu einem weiteren Abenteuer Tim in Australien entdeckt, war wohl nur ein Aprilscherz.) 1987 schloss Fanny die Hergé-Studios und gründete die Hergé-Stiftung. 1988 stellte das Magazin Tintin sein Erscheinen ein.

Die Hergé-Stiftung, die den Nachlass und die Rechte an den Comics verwaltet, verhinderte 2001, dass der Band Tim in Tibet in China unter dem Titel Tim und Struppi im chinesischen Tibet erscheint. Von der International Campaign for Tibet (ITC) wurde der Hergé-Stiftung deswegen im Mai 2006 der Light of Truth Award durch den Dalai Lama verliehen (weiterer Preisträger war Desmond Tutu).[5]

Ausstellungen

Literatur

  • Assouline, Pierre: Hergé. Biographie, Paris 1996.
  • Bocquet/Fromental/Stanislas: Die Abenteuer von Hergé (Eine Biografie als Comic), Carlsen, Hamburg 2001, ISBN 978-3-551-74409-8
    • ergänzte Neuausgabe, Carlsen, Hamburg 2007, ISBN 978-3-551-77780-5
  • Tim und Struppi, ein Blick ins Atelier (Begleitbuch zur Ausstellung im Wilhelm-Busch-Museum, Hannover 2001), Carlsen, Hamburg 2001, ISBN 3-551-74795-4 (vergriffen)
  • Michael Farr: Auf den Spuren von Tim & Struppi (Die Hintergründe zu jedem einzelnen der 24 Abenteuer werden in Wort und Bild detailliert erläutert), Carlsen, Hamburg 2005, ISBN 978-3-551-77110-0
  • Peeters, Benoit: Hergé. Fils de Tintin, Paris 2002.
  • Pierre Sterckx (Text) / André Soupart (Fotos): Hergé. Collectionneur d'art, Tournesol Conseils SA - Renaissance du Livre, Bruxelles, 2006, 84 Seiten, ISBN 2-87415-668-X

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d e Peeters, Benoit: Hergé. Fils de Tintin, Paris 2002
  2. a b c d Assouline, Pierre: Hergé. Biographie, Paris 1996
  3. Conway, Martin: Collaboration in Belgium. Léon Degrelle and the Rexist Movement 1940–44,London 1993, S. 8]
  4. a b Michael Farr: Auf den Spuren von Tim & Struppi, Carlsen, Hamburg 2005, ISBN 978-3-551-77110-0
  5. Süddeutsche Zeitung, 23. Mai 2006, auch SZ-Online

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