Gnomon

Gnomon
[1] moderne horizontale Groß-Sonnenuhr mit Obelisk als Gnomon
[2] vertikale Sonnenuhr mit Gnomon für Italienische Stunden

Der Gnomon (griechisch Gnomon (γνώμων): der Schattenzeiger) ist ein bereits vor der Antike bekanntes astronomisches Instrument in der Form eines senkrecht in den Boden gesteckten Stabes aus Holz.[1] Von da aus ging die Entwicklung bis zur gelegentlichen Verwendung eines Obelisken als Schattenwerfer. Der Sonnenschatten seiner Spitze wird beobachtet, um astronomische Größen zu bestimmen.

Die Beschreibung der Projektion der Sonne mittels Nodus (schattenwerfender Punkt oder Lochblende) ist eine Aufgabe der Gnomonik, der Lehre von der Sonnenuhr.

Inhaltsverzeichnis

Anwendung des Gnomons

In der Antike wurde der Gnomon zur Bestimmung der geografischen Breite eines Ortes, der Nordrichtung, der Tagundnachtgleichen (Äquinoktien), der Sonnenwenden (Solstitien) und der Ekliptik verwendet. Dazu wurde der Gnomon in der Regel als einfacher Stab (meistens aus Holz), selten als Obelisk oder als besonderes Bauwerk ausgeführt. Allen Gnomonen gemeinsam ist die besondere Ausführung der Spitze: Damit deren Schatten scharf abgebildet wird und damit präzise ablesbar ist, ist sie spitz geformt oder mit einer kleinen Kugel (Nodus) versehen. Eine Variante mit durchlochter Scheibe an der Spitze zum Erzeugen eines Lichtflecks ist bereits aus dem Alten China bekannt.[2]

Heute wird die mit einer Gnomonspitze mögliche Gnomonische Projektion (Zentralprojektion) des Ortes der Sonne am Himmel vorwiegend in einer Sonnenuhr verwendet. Aus der dabei stattfindenden zweidimensionalen Abbildung lässt sich sowohl die Tages- als auch die Jahreszeit ablesen. Hierbei ist der Gnomon auch ein meistens senkrecht auf dem Zifferblatt montierter Stab. Dieses kann aber verschieden im Raum orientiert sein.

Geschichte des Gnomons

Am Anfang wurde vermutlich vom Gnomon, der der Mensch selbst sein konnte, nur die Schattenlänge abgelesen und interpretiert. Ein astronomisches Instrument mit Gnomon könnte ein Mittagsweiser gewesen sein. Damit wurde mit Hilfe einer auf dem Boden in Meridian-Richtung angebrachten Skala die Mittags-Schattenlänge gemessen.

Über diesen sehr frühen Schritt in verschiedenen Kulturen (einschließlich Altes China) ist nur wenig bekannt. Auf einer babylonischen Tontafel aus der Zeit um 2300 v. Chr. sind die Schattenlängen eines Gnomons zu verschiedenen Zeiten angegeben.

Bei den Chinesen soll der Gnomon seit frühesten Zeiten ein wichtiges astronomisches Instrument gewesen sein. In einem der ältesten Mathematikbücher, dem Zhoubi suanjing, stellt der im elften Jahrhundert v. Chr lebende Herzog von Zhou, Zhou Gong Dan, seinem Hofbeamten Shang Gao mathematische Aufgaben, darunter auch die Umrechnung der Schattenlänge des Gnomons in den Sonnenstand. Chinesische Astronomen haben den Gnomon mindestens bis zur frühen Yuan-Dynastie verwandt und weiterentwickelt (siehe Gaocheng-Observatorium). Laut Herodot (ca. 485-425 v. Chr.) haben die Griechen das Prinzip des Gnomons von den Babyloniern übernommen.

Durch Ausrüstung eines Mittagsweisers mit einer Stunden-Skala wurde daraus schließlich eine vollwertige Sonnenuhr. Texte zu und Funde von Sonnenuhren gibt es aus dem Alten Ägypten. Die altägyptische Schattenuhr und eine gleichzeitig verwendete Wandsonnenuhr waren aber nicht geeignet, die Tagesstunden in jeder Jahreszeit richtig anzuzeigen. Beide Uhren verwendeten einen horizontalen Schattenwerfer, eine Kante die eine, einen Stab die andere. Dieser Sonnenuhrentyp wurde im Mittelalter erneut benutzt (siehe Kanoniale Sonnenuhren). Von Sonnenuhren ab dem vierten Jahrhundert v. Chr. in Griechenland berichtet Vitruv (siehe Hauptartikel Sonnenuhr).

Eratosthenes von Kyrene stellte 225 v. Chr. Messungen mit Gnomonen an, aus denen er den Erdumfang zu etwa 252.000 Stadien berechnete. Er stellte fest, dass sich die Mittagshöhe der Sonne in Alexandria von der in Syene (Assuan) etwa um 7,2° unterscheidet. Mit diesem Winkel und der bekannten Distanz von etwa 5.000 Stadien zwischen beiden ziemlich auf gleichem Längengrad liegenden Städten erhielt er ein Ergebnis, das dem tatsächlichen Wert von 40.024 Kilometern (etwa 240.000 Stadien) sehr nahe kommt

Mathematische Grundlagen zur Nutzung des Gnomons

Projektion der Sonne auf ein Zifferblatt

[3] Gnomonische Projektion

Die Abbildung der Sonne durch einen Punkt ist eine Zentralprojektion. Sie wird wegen ihrer Entwicklung im Zusammenhang mit der Gnomonik auch Gnomonische Projektion genannt. Das Projektionszentrum liegt im Zentrum des Himmels (gleich Zentrum der Erde). Die Vereinfachung, das Projektionszentrum auf die Erdoberfläche in die Spitze eines Gnomons zu verlegen, ist für die Aufgabenstellung zulässig, da die Sonne soweit entfernt ist, dass die Parallaxe aufgrund des Erdradius vernachlässigbar ist. Die Abbildung [4] zeigt eine Gnomonische Projektion mit lotrechtem Gnomon und horizontaler Projektionsfläche, die zum Beispiel die Fläche des Zifferblattes einer Sonnenuhr ist (horizontale Sonnenuhr). Alle Großkreise wie der Himmels-Äquator und der durch den Standort verlaufende Meridian werden bei der Gnomonischen Projektion als Geraden abgebildet. Da die Stundenkreise der Sonne ebenfalls Großkreise sind, werden sie auf dem Zifferblatt als ein Geradenbüschel (Stundengeraden) abgebildet, das im Durchstoßpunkt der Polachse auf der Projektionsfläche konvergiert. Die Wendekreise – werden als Hyperbeln abgebildet. Damit ist ersichtlich, dass der Schatten der Gnomonspitze zur Tagundnachtgleiche (Äquinoktium) von Sonnenaufgang bis –untergang auf einer Geraden verläuft und dabei die Stundengeraden schneidet. Zur Sonnenwende bewegt er sich auf einer Hyperbel und schneidet dabei über den Tagesverlauf ebenfalls die Stundenlinien.

Abbildung [3] zeigt, dass der Schatten des lotrechten Gnomonstabes die Stundengeraden schneidet. Würde der Stab im Durchstoßpunkt der Polachse auf die Projektionsfläche gestellt und in Richtung Himmels-Pol zeigen, so würde sein Schatten ebenso wie die Stundengeraden vom Durchstoßpunkt aus radial nach außen verlaufen. Somit würde jeder Punkt des Schattens die Zeit richtig zeigen. Ein solcher Stab heißt Polstab. Er bildet die Sonne eindimensional ab.

Antike Messungen mit dem Gnomon

[4] Nordrichtung finden mit dem Gnomon

Für die geografische Ortsbestimmung müssen Länge und Breite eines Ortes festgelegt werden. Bezugspunkt für die Breite ist dabei der Äquator. Für die Länge muss ein Bezugspunkt vereinbart werden: Heute ist das der Meridian durch die Sternwarte von Greenwich. Im Altertum hat man eine bekannte Stadt zum Beispiel Alexandria als Bezugspunkt gewählt. Von dieser aus konnte dann durch Bestimmung der Richtung und Entfernung zum nächsten Ort dessen Länge festgelegt werden. Diese Messung musste in der Praxis durch Zerlegung der Strecke in einzelne nach Richtung und Länge bestimmte Abschnitte (Polygonierung) erfolgen.

Bestimmung der Nordrichtung und der geografischen Breite

Zur Bestimmung der Nordrichtung werden um den Gnomon mehrere Kreise gezogen (siehe Abb. [4]). Die Sonne schneidet jeden Kreis einmal am Vormittag (V) und einmal am Nachmittag (N). Die Nordrichtung ist die Winkelhalbierende der jeweiligen Schenkelpaare zu V und N. Das Verfahren kann zur Genauigkeitssteigerung an verschiedenen Tagen oder wie in Abb. [4] dargestellt mit verschiedenen Kreisen wiederholt werden.

Zur Tagundnachtgleiche steht die Sonne in der Äquatorebene. Dann entspricht das zu Mittag (Höchststand der Sonne) gemessene Verhältnis Schattenlänge : Stablänge dem Tangens der geografischen Breite (siehe Abb. [5]). In der Literatur der Antike wurde die Breite dementsprechend auch als das äquinoktiale Schattenverhältnis angegeben. Die Literatur berichtet für

[5] Breite am Gnomon
[6] Skiotherikós Gnomon
  • Alexandria 3 zu 5 (Strabon II, 5, 38)
  • Massila (Marseille) (Pytheas) und Byzantion (Hipparchos) 120 zu 41,8
  • Rom 8 zu 9 (Vitruv)
  • Rhodos 5 zu 7 (Vitruv)
  • Tarent 9 zu 11 (Vitruv)
  • Athen 3 zu 4 (Vitruv)

Die Äquinoktialschatten sind allerdings nur schwer zu ermitteln. Die entsprechende Schattenline liegt aber auf der Winkelhalbierenden der beiden Solstitienschatten. Diese sind sehr wohl beobachtbar. Somit kann die geografische Breite aus den beiden Beobachtungen zur Winter- und zur Sommersonnenwende gemittelt werden.

Da die Sonne eine relative große Ausdehnung als Lichtquelle hat, wirft sie keinen scharf abgegrenzten Schatten. Die Ablesung ist daher ungenau. Eine Scheibe mit Lochblende oder eine Kugel wurde daher zur Verbesserung der Ablesegenauigkeit an der Gnomonspitze befestigt. Die Kugel finden wir heute noch auf unseren Kirchtürmen.

Aktuelle Forschungen zu antiken astro-geodätischen Messinstrumenten rechtfertigen die Annahme, dass bereits bei den Griechen für diese Vermessungen speziell gefertigte komplexe Messinstrumente auf der Basis eines derart verbesserten Gnomons verwendet wurden, welche in ihrer funktionalen Ausprägung ähnlich der Abb. [6] konstruiert waren.

Begriffsverwendung in der Geometrie

In der Mathematik, speziell in der planaren Geometrie, bezeichnet der Begriff Gnomon die Restfläche zwischen zwei ähnlichen Figuren. Diese Konstruktion war schon in der griechisch-hellenistischen Mathematik bekannt und bezeichnete eine geometrische Figur, die entsteht, wenn man aus einem Parallelogramm ein ihm ähnliches und ähnlich gelegenes so ausschneidet, dass es eine Ecke mit dem ursprünglichen Parallelogramm gemeinsam hat.

Literatur

  • Oskar Becker: Das mathematische Denken der Antike. 2. Auflage. Mit einem Nachtrag von Günther Patzig. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1966, ISBN 3-525-25304-4 (Studienhefte zur Altertumswissenschaft 3).
  • François Dom Bedos di Celles: La Gnomonique pratique, ou l'art de tracer les cadrans solaires. Avec des observations sur la maniere de regler les Hozloges. Chez Briasson, Despilly, Hardy, Paris 1760. Faksimile-Ausgabe: Laget, Librairie Paris 1978, ISBN 2-85204-076-X.
  • Dieter Lelgemann, Eberhard Knobloch, Andreas Fuls, Andreas Kleineberg: Zum antiken astro-geodätischen Messinstrument Skiotherikós Gnomon. In: ZfV. Zeitschrift für Geodäsie, Geoinformation und Landmanagement. 130, Heft 4, 2005, ISSN 1618-8950, S. 238–247.
  • Helmut Minow: Schattenmessung mit dem Gnomon. In: ZfV. Zeitschrift für Geodäsie, Geoinformation und Landmanagement. 130, Heft 4, 2005, S. 248–252.
  • René R. J. Rohr: Die Sonnenuhr. Geschichte, Theorie, Funktion. Callwey, München 1982, ISBN 3-7667-0610-1.
  • Karlheinz Schaldach, Römische Sonnenuhren. Eine Einführung in die antike Gnomonik. 3. Auflage. Deutsch, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3-8171-1649-7.
  • Karl Schoy: Über den Gnomonschatten und die Schattentafeln der arabischen Astronomie. Ein Beitrag zur arabischen Trigonometrie nach unedierten arabischen Handschriften. Lafaire, Hannover 1923.
  • Vitruvius: Vitruvii De architectura libri decem. = Zehn Bücher über die Architektur. Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Curt Fensterbusch. Lizenzausgabe. 5. Auflage. Primus, Darmstadt 1996, ISBN 3-89678-005-0.

Einzelnachweise

  1. Renè R. J. Rohr: Die Sonnenuhr. Geschichte, Theorie, Funktion. Callwey, München 1982, ISBN 3-7667-0610-1, S. 10
  2. Renè R. J. Rohr: Die Sonnenuhr. Geschichte, Theorie, Funktion. Callwey, München 1982, ISBN 3-7667-0610-1, S. 13

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