Sonnenuhr

Sonnenuhr
Bild 1: vertikale Sonnenuhr mit Polstab
Bild 2: antike Sonnenuhr (Skaphe): Der Nodus war die Spitze eines waagerechten Gnomons.
Bild 3: Sonnenbahnen auf der Himmelskugel: vorne Sommer-, hinten Wintersonnenwende
gnomonisch projiziert

Eine Sonnenuhr ist ein astronomisches Gerät, das den Stand der Sonne am Himmel vorwiegend zur Anzeige der Tageszeit nutzt.[1] Dazu wird der Schatten eines punktförmigen Körpers (Nodus) oder die Schattenrichtung eines parallel zur Erdachse ausgerichteten Stabes (Polstab) auf einem Zifferblatt abgelesen.

Es gibt viele unterschiedliche Arten von Sonnenuhren. Am häufigsten wird ein ebenes Zifferblatt verwendet, das meistens vertikal (Vertikalsonnenuhr), äquatorparallel (Äquatorialsonnenuhr) oder horizontal (Horizontalsonnenuhr) gelagert wird.

Die Lehre von den Sonnenuhren heißt Gnomonik.

Bis zur Wende des 15. Jahrhunderts waren in den meisten Fällen Sonnenuhren gemeint, wenn man von Uhren („Orrlein“) sprach.[2] Heute dienen sie oft nur noch als Schmuck von Gebäuden und Plätzen. Sonnenuhren in moderner Bauweise sind aber in der Lage, die „amtliche“ Zeit (zum Beispiel die Mitteleuropäische Zeit) mindestens auf die Minute genau anzuzeigen.[3]

Inhaltsverzeichnis

Stand der Sonne am Himmel

Der Stand der Sonne ist durch Angabe von zwei Koordinatenwerten vollständig bestimmt. Bei Verwendung von äquatorialen Ortskoordinaten wird mit dem Stundenwinkel τ die Tageszeit erfasst, während der Deklinationswinkel δ die Jahreszeit enthält.[4]

In Bild 3 sind die beiden Grenz-Tagesbögen als dicke Linien über dem Horizont auf die Himmelskugel gezeichnet. Sie gelten für die Sonnenwendtage (für den Winter der kleinere Bogen hinten, für den Sommer der größere Bogen vorn). An den anderen Tagen des Jahres bewegt sich die Sonne (scheinbar) auf dazwischen liegenden Bögen. Der Sonderfall für die Tagundnachtgleichen ist der gezeichnete mittlere Bogen, der gleichzeitig der Himmelsäquator ist. Die Mittelpunkte der Tagesbögen liegen auf der Himmelsachse (gezeichnet zwischen Mittelpunkt M und Pol). Von der Schnittlinie zwischen Äquator- und Meridian-Ebene (enthält die Punkte Süd, M und Nord und den Pol) aus werden die beiden Sonnenstandswinkel τ und δ gemessen.

Abbildung des Sonnenortes in einer Sonnenuhr

Zur vollständigen zweidimensionalen Abbildung des Sonnenortes dient ein punktförmiger Schattenwerfer (Nodus).[5] Er lässt sich als Mittelpunkt M der Himmelskugel in den Bildern 3 und 4 auffassen. Die Himmelskugel mit der Entfernung zur Sonne als Radius ist nämlich im Vergleich zur Erde so groß, dass jeder Ort auf der Erde als ihr Mittelpunkt gelten kann. Zwischen den grauen Strahlen wird der Stundenwinkel τ (Tageszeit), zwischen den hyperbelförmigen Linien der Deklinationswinkel δ (Jahreszeit) abgelesen (Bild 4).

Bei Beschränkung auf die Anzeige der Tageszeit in äquinoktialen Stunden genügt die eindimensionale Abbildung mit einem Polstab, der in Bild 4 die Stelle der Himmelsachse (Polachse) einnimmt.[6] Der Nodus entfällt, weshalb auf dem Sonnenuhren-Zifferblatt (Projektionsfläche) anstatt Schattenpunkten nur Schattenlinien abgebildet werden, die stündlich auf die grauen Stundenlinien fallen.

Die Umkehr der Abbildung mittels Licht anstatt mittels Schatten kommt bei Sonnenuhren ebenfalls vor. Punktlicht wird von einer Lochblende (wie bei einer Lochkamera) und Linienlicht von einer Schlitzblende erzeugt.

Vergleich der beiden Abbildungsarten

In der Antike war die zweidimensionale Abbildung üblich und nötig, denn die anzuzeigenden und mit der Jahreszeit veränderlichen temporalen Stunden sind sowohl eine Funktion des Stundenwinkels als auch eine des Deklinationswinkels. Als Nodus diente die Spitze eines vertikalen Stabes, des Gnomons, der dem Fachgebiet Gnomonik seinen Namen gab. Der Nodus kann als Mittelpunkt der Himmelskugel angesehen werden. Eine Zentralprojektion mit dem projizierenden Punkt in der Mitte des abzubildenden Körpers wird folglich verallgemeinert als gnomonische Projektion (Bild 4) bezeichnet.

Im späten Mittelalter wurden die mechanischen Uhren erfunden, wodurch sich im öffentlichen Gebrauch die konstanten, von der Jahreszeit unabhängigen äquinoktialen Stunden durchzusetzen begannen. Zur Anzeige dieser Stundenart auf einer Sonnenuhr genügt die eindimensionale Abbildung mit einem Polstab. Die Schattenrichtung des zur Erdachse parallelen Polstabs ist von der Deklination der Sonne unabhängig, sie ist allein eine Funktion des Stundenwinkels. Der Schatten des Polstabes ist einfacher als ein punktförmiger Schatten zu erkennen. Zudem dreht er sich – wie die Zeiger einer mechanischen Uhr – um einen Punkt (Fußpunkt des Stabes).

Der Nodus wurde jetzt eigentlich nicht mehr gebraucht, blieb aber neben dem Polstab weiter in Anwendung.[7] Moderne Sonnenuhren, die die sogenannte Zeitgleichung in der Anzeige berücksichtigen, benötigen wieder die Punktanzeige, denn diese „Gleichung“ ist eine Funktion der Jahreszeit.

Anzeige der Tageszeit

Bild 5: vertikale Sonnenuhr für Äquinokt. Stunden; oben: WOZ; Mitte: MEZ; unten: MESZ
(MEZ- und MESZ-Anzeige gegen gesetzliche Zeit schwankend)
Bild 6: vertikales Zifferblatt für Temporale Stunden; zum Vergleich: in Rot für äquinoktiale Stunden
Bild 7: vertikale Sonnenuhr für italienische Stunden

Unterscheidungsmerkmale bei der Messung der Tageszeit mittels einer Sonnenuhr sind:

  • die Dauer der Stunden
  • der Zählbeginn für die Stunden
  • die mit der Zeitgleichung auszugleichende Schwankung während des Jahres.

Die Anzeige der Sonnenuhr bezieht sich primär auf den Längengrad ihres Aufstellortes (Ortszeit). Um sie in die gesetzliche Zeit umzuwandeln, muss sie auf den Sonnenstand des Bezugsmeridians (Zonenzeit) umskaliert und die Zeitgleichung angewendet werden. Die Anwendung der Zeitgleichung ist aufwändig, weshalb die meisten existierenden Sonnenuhren nur die Wahre Ortszeit anzeigen.[8]

Anzeige in äquinoktialen Stunden

Die seit dem Ende des Mittelalters bis heute geltenden äquinoktialen Stunden können vorteilhaft bei Verwendung eines Polstabes als Wahre Ortszeit (WOZ) angezeigt werden. Mit einfach zu verändernder Skala lässt sich auch die WOZ des Bezugsmeridians der Zeitzone anzeigen, die aber gegen die gesetzliche Zeit übers Jahr schwankt (Bild 5). Moderne Sonnenuhren mit angewendeter Zeitgleichung brauchen zur Anzeige wieder den historisch älteren Nodus.

Anzeige der mittleren Tageszeit

Sonnenuhren, die die Zeitgleichung anwenden, zeigen primär die Mittlere Ortszeit (MOZ) in äquinoktialen Stunden an. Eine Skalierung auf Zonenzeit (zum Beispiel MEZ und/oder MESZ) ist leicht möglich.

Anzeige in temporalen Stunden

Bei den in der Antike verwendeten temporalen Tagesstunden ist die Länge von der Jahreszeit (Parameter: Sonnendeklination) abhängig. Temporale Stunden können nur mit punktförmigen Schatten auf einer zweidimensionalen Skala angezeigt werden. Auf dem Zifferblatt in Bild 6 sind zum Vergleich in Rot gezeichnete äquinoktiale Stundenlinien gezeichnet, auf die der Schatten eines Polstabs fällt. Dieser geht durch den Nodus N und seinem Fußpunkt F auf dem Zifferblatt. Der Nodus liegt vor dem Zifferblatt. Die Linien für temporale Stunden sind keine Geraden und schneiden sich nicht alle in einem Punkt. Sie sind im Sommer stärker, im Winter weniger gespreizt als die äquinoktialen Stundenlinien. Beide Linienarten schneiden sich an den Tagen der Tag-Nacht-Gleiche.

Anzeige in besonderen Stunden

Während des Übergangs von temporalen zu äquinoktialen Stunden gab es den Gebrauch äquinoktialer Stunden, die nicht auf den Sonnenhöchststand (Wahrer Mittag), sondern auf den Sonnenauf- oder -untergang bezogen wurden. Beide Momente variieren übers Jahr, weshalb diese Stunden nur mit einem punktförmigen Schatten anzeigbar sind. Solche Stunden waren Italienische Stunden (ab Sonnenuntergang, Bild 7), Babylonische Stunden (ab Sonnenaufgang) und Nürnberger Stunden[9] (ab Abend mit schrittweise verändertem Zählbeginn).

Anzeige der Jahreszeit

Die Deklination der Sonne ist ein direktes Maß für die Jahreszeit. Eine Sonnenuhr mit Nodus zeichnet Tagesbahnen (Datumslinien[10]) der Sonne auf. Traditionell werden die Tage zu Beginn der zwölf astrologischen Tierkreiszeichen ausgewählt. Da sich die Deklination während eines Tages kaum ändert, lassen sich fünf Linien des Sommerhalbjahres (Löwe bis Schütze) auch im Winterhalbjahr verwenden (Wassermann bis Zwillinge). Zusammen mit den Linien für die Sonnenwendetage (Anfang von Krebs und Steinbock) enthält ein Zifferblatt sieben Datumslinien (graue Hyperbeln in Bild 6).[11]

Die Zifferblätter

Bild 8 Sonnenuhr (Skaphe) mit Nodus
Bild 9 zylindrische Sonnenuhr für die Mittlere Ortszeit, oben: 1., unten: 2. Halbjahr
Bild 10 Äquatorialsonnenuhr

Prinzipielles Unterscheidungskriterium bei Sonnenuhren ist die Verwendung entweder eines Polstabs oder eines Nodus. Sonst unterscheiden sie sich vor allem durch die Form und die Lage ihres Zifferblattes. Alle Formen und alle Lagen im Raum sind möglich.[12] Die drei folgenden Formen sind die häufigsten. Die Aufzählung führt von der komplexesten zur einfachen Form und gleichzeitig von der historisch ältesten zur heute überwiegend vorkommenden Form.

Kugelförmiges Zifferblatt

Dieses Zifferblatt ist die Gegenform der Himmelskugel. Es wurde bereits in der Antike unter dem Begriff Skaphe verwendet. Das in Bild 2 gezeigte Fundstück ist für temporale, die moderne Ausführung in Bild 8 für äquinoktiale Stunden liniert.

Bei Globus-Sonnenuhren befindet sich das Zifferblatt auf der Außenseite einer Kugel. Eine moderne Globus-Sonnenuhr mit Nodus im Mittelpunkt ist die HELIOS-Sonnenuhr.

Zylindrisches Zifferblatt

Weil eine Zylinderfläche einfacher herzustellen ist als eine Kugelfläche, waren Hohlzylinder-Sonnenuhren (Bild 9) und Hohlkegel-Sonnenuhren die Nachfolger der antiken Skaphe.

Eine Säulensonnenuhr hat ihre Skala auf der Außenseite eines Zylinders.

Ebenes Zifferblatt

Die meisten Sonnenuhren haben das einfache ebene Zifferblatt, das zudem meistens an einer Hauswand angebracht ist. Bei horizontalen Sonnenuhren befindet es sich auf dem Boden, manchmal auch auf der Oberseite eines Sockels oder auf einem Tisch.

Horizontale Sonnenuhren haben gegenüber vertikalen Sonnenuhren den Vorteil, dass sie zwischen Sonnenauf- und -untergang immer besonnt sind. Letztere können im Sommer die frühen und die späten Tagesstunden nicht anzeigen. Handelt es sich nicht um eine reine Süd-(Haus-)Wand, so ist die Einschränkung am Morgen oder am Abend am größten.

Bei der äquatorialen Sonnenuhr (Bild 10) hat das Zifferblatt eine Sonderlage, nämlich die Ebene des Himmelsäquators. Eine solche Sonnenuhr hat auf beiden Seiten der Ziffernscheibe ein Zifferblatt (oben für das Sommerhalbjahr; unten für das Winterhalbjahr). An den Tagen der Tag-Nacht-Gleiche ist die Uhr wegen Streiflicht schlecht ablesbar.

Eine weitere Sonderlage des Zifferblatts ist die zum Polstab parallele Lage bei einer polaren Sonnenuhr. Die Stunden-Striche auf dem Zifferblatt sind zueinander parallele Linien. Die polare Ost-Sonnenuhr befindet sich auf einer nach Osten zeigenden Wand. Die polare West-Sonnenuhr ist das Gegenstück dazu. Zwischen diesen beiden Grenzlagen befindet sich das polare Zifferblatt auf einer nach hinten gekippten Südwand.

Bild 11 im Osireion beschriebene altägyptische Sonnenuhr
Bild 12 discus in plano (Vitruv)
Bild 13 Kanoniale Sonnenuhr
Bild 14 Vielflächen-Sonnenuhr, vorn im Quadrat: polare Ostuhr
Bild 15 tragbare Ringsonnenuhr

Geschichte

Als erster Gnomon diente der Mensch selbst. Aus dem antiken Griechenland sind Tafeln erhalten, auf denen die Tageszeit in Abhängigkeit von der eigenen Schattenlänge angegeben ist.[13] Entsprechende Tabellen (Schattentafel) wurden später auch im Römischen Reich,[14] und noch im Mittelalter benutzt. Als Maßeinheit diente jeweils die Länge des eigenen Fußes.

Mit einem Stab als Gnomon entstand ein Mittagsweiser, eines der ersten astronomischen Instrumente. Damit wurde mit Hilfe einer auf dem Boden in Meridian-Richtung angebrachten Skala die Mittags-Schattenlänge als Maß für die Jahreszeit gemessen. Eratosthenes hat schon um 240 v. Chr. den Erdradius ziemlich genau aus der Mittags-Schattenlänge zweier gleicher Mittagsweiser, von denen einer in Syene – dem heutigen Assuan – der andere in Alexandria aufgestellt war, bestimmen können. Die Messungen erfolgten gleichzeitig am Tag der Sommersonnenwende. Dazu wertete er die Differenz der Höhenwinkel der Sonne, die in den Schattenlängen enthalten sind, und die ihm bekannte Entfernung zwischen den beiden Orten aus. Er wusste, dass beide Orte etwa gleiche geographische Länge haben und nahm an, dass die Erde eine Kugel sei.

Als man den Schatten schließlich zu jeder Tageszeit auf einer sich zu beiden Seiten der Mittagslinie erstreckenden Skala maß, war eine vollwertige Sonnenuhr gewonnen. Zu diesem frühen Schritt, in verschiedenen alten Kulturen wie in China und in Mesopotamien unabhängig voneinander vollzogen, existieren nur wenige Texte. Gut belegt sind archäologische Funde von Sonnenuhren aus dem Alten Ägypten.

Die altägyptische Sonnenuhr (Bild 11), beispielsweise auch in einer Variante als Wand-Sonnenuhr, verwendete einen horizontalen Schattenwerfer.[15] Die Lage eines solchen Schattens (weder auf dem Boden noch auf einer Wand) ist, ausgenommen am Äquator und an den Polen, auch vom Jahresdatum abhängig, weshalb diese Uhren nur als primitive Vorläufer prinzipiell richtig konstruierter Sonnenuhren gelten. Eine Sonnenuhr mit horizontalem Stab in einer Wand wurde im Mittelalter als Kanoniale Sonnenuhr erneut benutzt (Bild 13).

Vitruv beschreibt im neunten seiner zehn Bücher die ihm bekannten antiken Sonnenuhren.[16] Die Liste beginnt mit einer Sonnenuhr des im dritten Jahrhundert v. Chr. lebenden Chaldäers Berossos und der Skaphe des Aristarchos von Samos. In beiden Fällen handelt es sich um eine Hohlkugel-Sonnenuhr. Berossos verwendete zuerst eine komplette Halbkugel, die er Hemispherium nannte. Er hatte sich damit ein komplettes Gegenstück zum sichtbaren Teil der Himmelssphäre geschaffen. Später beschränkte er sich auf etwas mehr als den skalierten Teil und gab dieser Uhr den Namen Hemicyclum (Bild 2). Aristarchos wählte den heute noch für alle Hohlkugel-Sonnenuhren gebräuchlichen Namen Skaphe.

In der Liste Vitruvs folgt der discus in plano von Aristarchos, vermutlich eine horizontale Sonnenuhr, von der ein Exemplar an der Via Appia gefunden wurde (Bild 12). Dann folgt die arachne[17] des Eudoxos von Knidos. Die restlichen von Vitruv genannten Sonnenuhren konnten nicht gefunden und auch nicht gedeutet werden.

Der im ersten Jahrhundert v. Chr. gebaute achteckige Turm der Winde in Athen ist rundum mit vertikalen Sonnenuhren versehen. Es handelt sich bei ihnen um die größten antiken Vertikaluhren. Zu der gewöhnlich auf einer Südwand angebrachten Sonnenuhr kommen sieben weitere Sonnenuhren, jede in eine andere Richtung zeigend.[18]

Der römische Kaiser Augustus ließ auf dem Marsfeld in Rom einen aus Ägypten stammenden Obelisken als Gnomon aufstellen. Dieser diente lediglich als Mittagsweiser und Kalender (Anzeige der die Jahreszeit enthaltenden Schattenlänge am Mittag). Dass es sich um eine komplette Sonnenuhr handelte, erwies sich als nicht realistische Vermutung.[19]

Nach dem Ende des Römischen Reiches gingen Gebrauch und Anfertigung von Sonnenuhren zurück. Das Wissen darüber ging nahezu verloren. Seit dem achten Jahrhundert n. Chr. wurden wieder einfache Sonnenuhren wie die Wand-Sonnenuhren im Alten Ägypten angefertigt. Ihr jetzt verwendeter Name Kanoniale Sonnenuhren deutet ihren Gebrauch in Klöstern und deren Umgebung an. Man erinnerte mit ihnen an die am Tage zu verrichtenden, seit Benedikt von Nursia streng geregelten Gebete (Bild 13). Dabei wurde in Kauf genommen, dass die mit einer solchen unvollkommenen Sonnenuhr angezeigten Gebetszeiten weder gleichmäßig über den Tag verteilt, noch unabhängig von der Jahreszeit waren. Die Verbreitung dieses Typs ging mit der von Irland und England ausgehenden missionarischen Tätigkeit der Benediktiner einher.[20]

Nach den Kreuzzügen tauchte in Europa der Polstab auf, womit die Sonnenuhr ihre prinzipielle Vollkommenheit erlangte, wenn man davon absieht, dass die von ihr angezeigte Wahre Ortszeit noch mit dem „Fehler“ der Zeitgleichung behaftet ist. Der Polstab wird erstmalig im 12. Jahrhundert vom Araber Abul Hassan al Marrakushi beschrieben, was darauf deutet, dass er eine arabische Erfindung ist.[21]

Obwohl nichts Wesentliches mehr zu erfinden war, begann aber jetzt, vor allem nach der Renaissance, eine hohe Zeit für die Sonnenuhr. Sie wurde Objekt der Kunst und der Mathematik, der Phantasie der Gestalter waren keine Grenzen gesetzt. Für herrschaftliche Terrassen und Parks entstanden beispielsweise Vielflächensonnenuhren.

Tragbare Sonnenuhren erschienen in vielfältigen Formen.[22] Die Benutzung einer Sonnenuhr war letztmalig wichtig, bevor die mechanische Uhr ausreichende Genauigkeit und Zuverlässigkeit erreichte. Man justierte die öffentlichen Uhren, zum Beispiel auf Bahnhöfen jeden Mittag mit Hilfe eines auf den Mittleren Mittag korrigierten Mittagsweisers.[23]

Heute erlebt die Sonnenuhr eine Renaissance in privaten Gärten, an Wohnhäusern und in den inzwischen öffentlichen Parks. Eine große Boden-Sonnenuhr befindet sich zum Beispiel auf der Halde Hoheward zwischen Herten und Recklinghausen.

Eine vertikale Mehrfach-Sonnenuhr

Bild 16 Mehrfach-Sonnenuhr von Santuari de Lluc, vier verschieden Arten. Die Aufnahme entstand am 21. September (Tag-Nacht-Gleiche) um 16:50 MESZ (etwa 15 Uhr WOZ).

Die Mehrfach-Sonnenuhr von Santuari de Lluc (Mallorca) veranschaulicht die Entwicklung der Sonnenuhr und deren unterschiedlichen Gebrauch an vier ausgewählten Beispielen.[24]

Die Sonnenuhr steht auf dem Längengrad 2° 53' Ost. Die dortige Wahre Ortszeit läuft der in Greenwich etwa 12 Minuten voraus, der Wahren Ortszeit auf 15° Ost (Bezugslängengrad für die in Spanien gültige Mitteleuropäische Zeit) etwa 48 Minuten nach.

1. Kanoniale Sonnenuhr (links oben) Auf dem Zifferblatt sind auch die Nachtgebete vermerkt, obwohl nur die Zeiten zwischen Sonnenaufgang (PRIMA) und Sonnenuntergang (VESPERAE) anzeigbar sind. Diese beiden Zeiten und der Mittag (SEXTA) sind genau anzeigbar, TERTIA und NONA nicht.

2. Sonnenuhr für Babylonische Stunden (links unten) Schattenwerfer ist die Stabspitze (Nodus). Angezeigt werden ab Sonnenaufgang gezählte äquinoktiale Stunden. Außerdem enthält das Zifferblatt die sieben astrologischen Datumslinien. Der Endpunkt des Stabschattens fällt auf die Stundenlinie IX und auf die Datumsgerade der Tag-Nacht-Gleichen. An diesen Tagen ist Sonnenaufgang 6 Uhr WOZ, neun Babylonische Stunden später (Stunde IX) ist 15 Uhr WOZ.

3. Sonnenuhr für Wahre Ortszeit (WOZ) (Mitte) Die Anzeige erfolgt sowohl mit einem Polstab, der oberen Blechkante, als auch mit einem Nodus, der Kreuzung der Blechkante mit einem darauf befindlichem kleinen Querstab. Der Nodus wird nur zur Anzeige der Jahreszeit benötigt. Das Zifferblatt dieser Uhr ist nicht groß genug ausgelegt, um den Schatten des Nodus zu enthalten.

Die Zahlen links und rechts der Sonne bedeuten:

λ=2° 53' E und φ=39° 50' N: geographische Koordinaten des Standorts
-11' 32" (G): Unterschied zwischen WOZ und gesetzlicher Zeit (MEZ)
δ=13° 48' E: Winkel, um den die senkrechte Wand aus der Südrichtung nach Ost verdreht ist.

4. Sonnenuhren für Mitteleuropäische Zeit (MEZ und MESZ) (rechts) Schattenwerfer ist wieder eine Stabspitze (Nodus), mit der die Zeitgleichung anwendbar ist. Die obere Sonnenuhr wird im Winterhalbjahr benutzt, die untere im Sommerhalbjahr. Dadurch konnten die Analemma-förmigen Stundenlinien in zwei verwechslungsfrei ablesbare Hälften geteilt werden. Beide Uhren sind für MEZ skaliert (obere Ziffern für MEZ, untere Ziffern für MESZ). Angezeigt wird knapp 17 Uhr MESZ (am rechten Rand des unteren Zifferblattes).

Die astrologischen Datumslinien sind eine Beigabe zum ungefähren Ablesen der Jahreszeit.

Sonnenuhren in einer Übersicht

Sonstiges

Von der auf vielen Sonnenuhren angebrachten Lat. Inschrift Horas non numero nisi serenas („Ich zähle nur die heiteren Stunden“) leitet sich der deut. Spruch „Mach es wie die Sonnenuhr, zähl die heit'ren Stunden nur“ ab.

Literatur

  • Hugo Philipp, Daniel Roth, Willy Bachmann: Sonnenuhren - Deutschland und Schweiz. Deutsche Gesellschaft für Chronometrie, Stuttgart 1994, ISBN 3-923422-12-1 (Verzeichnis der ortsfesten Sonnenuhren in Deutschland und in der Schweiz)
  • Karlheinz Schaldach: Die antiken Sonnenuhren Griechenlands, Frankfurt am Main, 2006, ISBN 3-8171-1756-6
  • Karlheinz Schaldach: Römische Sonnenuhren, Frankfurt am Main, 2001, ISBN 3-8171-1649-7
  • René R. J. Rohr: Die Sonnenuhr. Geschichte, Theorie, Funktion. Callwey, München 1982, ISBN 3-7667-0610-1 (umfassende und bebilderte Darstellung)
  • Arnold Zenkert: Faszination Sonnenuhr. 5. Auflage. Verlag Harri Deutsch, Thun und Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-8171-1752-3 (für Anfänger, mit Konstruktionsanleitungen und zusätzlich 250 kommentierten Bildern von Sonnenuhren auf CD-Rom)
  • Jürgen Hamel: Inventar der historischen Sonnenuhren in Mecklenburg-Vorpommern, Verlag Harri Deutsch, Frankfurt am Main 2007 (Acta Historica Astronomiae; 34), ISBN 3-8171-1806-6

Weblinks

 Wikisource: Sonnenuhr – Quellen und Volltexte
 Commons: Sonnenuhren – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Sonnenuhrenhandbuch, Deutsche Gesellschaft für Chronometrie e.V., Fachkreis Sonnenuhren, 2006, S. 1
  2. Bassermann-Jordan/Bertele: Uhren, Verlag Klinkhardt & Biermann, 1969, Seite 102
  3. Dokumentation Helios Sonnenuhr
  4. Sonnenuhrenhandbuch, Deutsche Gesellschaft für Chronometrie e.V., Fachkreis Sonnenuhren, 2006, Bild 2-19
  5. Siegfried Wetzel: Die Physik der Sonnenuhr, Schriften der "Freunde alter Uhren", Deutsche Gesellschaft für Chronometrie, 1998, S. 177 - 188, Abb. 10, [1]
  6. Siegfried Wetzel: Die Physik der Sonnenuhr, Schriften der "Freunde alter Uhren", Deutsche Gesellschaft für Chronometrie, 1998, S. 177 - 188, Abb. 12.2, [2]
  7. Auch heutige Sonnenuhren verwenden oft das Bild der Polstabspitze (Nodus) für jahreszeitliche Angaben, auf den Zifferblättern befinden sich außer den Stunden- zum Beispiel auch Datumslinien.
  8. Karl Schwarzinger: Gnomonik, 3. Zeitmasse
  9. Karl Schwarzinger: Gnomonik, Bild 34
  10. Heinz Schumacher: Sonnenuhren, 27 Kleines Fachwortlexikon, Band 1, Calwey, 1973, S.178
  11. Arnold Zenkert: Faszination Sonnenuhr, 2. Auflage. Verlag Harri Deutsch, 1995, S. 39
  12. Arnold Zenkert: Faszination Sonnenuhr, 3.1 Überblick über die wichtigsten Sonnenuhrenarten, 2. Auflage. Verlag Harri Deutsch, 1995, S. 41
  13. Karlheinz Schaldach: Die antiken Sonnenuhren Griechenlands, Frankfurt am Main, 2006, S. 23
  14. Eine solche Tabelle und die meisten folgenden Angaben zur Geschichte der Sonnenuhr sind zu finden in: René R. J. Rohr: Die Sonnenuhr. Anfänge und Entwicklung der Sonnenuhr, Callwey, 1982, ISBN 3-7667-0610-1. S. 10 - 30
  15. Ludwig Borchardt: Altägyptische Zeitmessung in Die Geschichte der Zeitmessung und der Uhren, Band I, Lieferung B, herausgegeben von Ernst von Bassermann-Jordan, 1920
  16. Vitruvii de architectura libri decem. / Vitruv. Zehn Bücher über Architektur. Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Dr. Curt Fensterbusch. Primus Verlag, Darmstadt 1996, ISBN 3-89678-005-0;
    René R. J. Rohr: Die Sonnenuhr. Geschichte, Theorie, Funktion. Callwey, München 1982, ISBN 3-7667-0610-1, S.23
  17. Arachne heißt Spinne, vermutlich ein Hinweis darauf, dass diese Uhr schon wie der jüngere discus in plano mit Deklinationslinien versehen war.
  18. Karlheinz Schaldach: Die antiken Sonnenuhren Griechenlands, Frankfurt am Main, 2006, S. 68
  19. Michael Schütz: Zur Sonnenuhr des Augustus auf dem Marsfeld, in Gymnasium 97 (1990), S. 432–445;
    Frans W. Maes: Die Sonnenuhr des Kaisers Augustus: Aufstieg und Niedergang einer Hypothese, in: Deutsche Gesellschaft für Chronometrie, Jahresschrift 2005, S. 168–184.
  20. René R. J. Rohr: Die Sonnenuhr. Geschichte, Theorie, Funktion. Callwey, München 1982, ISBN 3-7667-0610-1, S. 26-27
  21. René R. J. Rohr: Die Sonnenuhr. Geschichte, Theorie, Funktion. Callwey, München 1982, ISBN 3-7667-0610-1, S. 27-28
  22. René R. J. Rohr: Die Sonnenuhr. Geschichte, Theorie, Funktion. Callwey, München 1982, ISBN 3-7667-0610-1, S. 29
  23. René R. J. Rohr: Die Sonnenuhr. Geschichte, Theorie, Funktion. Callwey, München 1982, ISBN 3-7667-0610-1, S. 30
  24. Eine Beschreibung dieser Uhr
  25. http://www.digitalsundial.com/patent.html

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