Hanfried Lenz

Hanfried Lenz
Hanfried Lenz

Hanfried Lenz (* 22. April 1916 in München) ist ein deutscher Mathematiker.

Inhaltsverzeichnis

Studium und Kriegsdienst

Lenz wurde als Sohn des Humangenetikers und Rassenhygienikers Fritz Lenz geboren. Nach dem Abitur und der Teilnahme am Reichsarbeitsdienst begann er das Studium der Mathematik und Physik an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Er wurde hier Mitglied im Verein Deutscher Studenten (VDSt) und unterbrach das Studium in den Jahren 1935 bis 1937 zur Ableistung des Wehrdienstes. Danach führte er sein Studium zunächst an der Ludwig-Maximilians-Universität München, dann an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin und schließlich an der Universität Leipzig fort. Im Sommer 1939 wurde er als Soldat eingezogen und diente nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges an der Westfront. Im Frühjahr 1941 bestand er während eines Heimaturlaubes in Leipzig das Staatsexamen für das höhere Lehramt. In der Folge nahm Lenz am Krieg in der Sowjetunion teil. Lenz Bruder ist der Humangenetiker Widukind Lenz, der Entdecker der teratogenen Eigenschaften des Wirkstoffes Thalidomid (Contergan).

Schon in der Schulzeit schwärmte er für Hitler und erkannte seinen Irrtum erst spät, zum Teil durch die von Deutschen in Osteuropa verübten und trotz Geheimhaltung nicht ganz unbekannt gebliebenen Untaten ernüchtert, insbesondere die Deportationen der Juden, von denen er durch seinen Vater erfuhr. Eine Gelbsuchterkrankung während eines Urlaubs führte dazu, dass Lenz in die Heimat zurückkehrte. Dort heiratete er 1943 Helene Ranke (1920–1994), die der Bekennenden Kirche nahe stand. Aus dieser Ehe stammen vier Kinder, darunter der Jurist Karl-Friedrich Lenz. Von 1943 bis 1945 arbeitete er im Hochfrequenzlabor der Physikalisch-technischen Reichsanstalt in Berlin und dann in Zeulenroda. Hier widmete er sich in untergeordneter Stellung der Entwicklung der „kriegswichtigen“ Radar-Technologie.

Politisches Engagement und Professur

Bei Kriegsende führte ihn sein Weg über Heidelberg zunächst nach Hannover und dann nach München. In seinem Entnazifizierungsverfahren wurde er als „Mitläufer“ eingestuft. In München schloss er zunächst seine Ausbildung ab und war dann ein gutes Jahr als Mathematik- und Physiklehrer an der Klenze-Oberrealschule tätig. Ab 1949 holte ihn Professor Frank Löbell als wissenschaftlichen Assistenten an den Lehrstuhl für Geometrie der TH München. 1951 folgte die Promotion bei Josef Lense und 1953 die Habilitation. Lenz begann auch politisch aktiv zu werden und trat aus Protest gegen die Wiederbewaffnungspläne 1953 in die Gesamtdeutsche Volkspartei von Gustav Heinemann ein, lehnte aber eine Kandidatur für den Bundestag ab. 1954 wechselte er zur SPD. Unterdessen war er weiter als Privatdozent tätig und wurde 1959 außerplanmäßiger Professor an der TH München. Im akademischen Jahr 1967/68 war er Gastprofessor an der Ohio State University in Columbus, Ohio, USA. In der Folge bekam er einen Ruf nach West-Berlin, wo er 1969 ordentlicher Professor an der Freien Universität wurde. In seinen dortigen ersten Jahren war er stark in Anspruch genommen durch die akademische Selbstverwaltung und Hochschulpolitik, insbesondere im Fachbereichsrat als Vorsitzender und im Akademischen Senat, so dass ihm wenig Zeit zur Forschung blieb (vgl. die Liste seiner Arbeiten am Ende seiner Autobiographie, s. unten). Er erlebte dort die zum Teil radikalen Forderungen der 68er-Studenten, die häufig seine Vorlesungen störten, und übernahm als Reaktion zunehmend konservative Ansichten. 1972 wechselte er von der SPD zur CDU. Die Emeritierung erfolgte gegen seinen Willen 1981, wurde auf seinen Einspruch jedoch rückgängig gemacht und geschah zum zweiten Mal 1984. Kleine Vorlesungen hielt er noch bis 2004. Zu seinem 90. Geburtstag veranstaltete der Fachbereich Mathematik der Freien Universität im Jahr 2006 ein Festkolloquium.

Leistungen als Mathematiker

Lenz ist vor allem bekannt durch seine Klassifikation projektiver Ebenen[1], die später von Adriano Barlotti[2] wesentlich erweitert wurde. Außerdem zeigte er 1954 auf, wie man affine Räume auch axiomatisch definieren kann, ohne auf projektive Räume oder Vektorräume zurückzugreifen[3]. Dieses Resultat wird inzwischen auch als Satz von Lenz bezeichnet.[4] In den späteren Jahren widmete er sich neben der Geometrie vor allem der Kombinatorik. Hier war er neben seinem ehemaligen Doktoranden Dieter Jungnickel und seinem jüngeren Kollegen Thomas Beth (* 1949; † 2005) Koautor des Buches „Design Theory“, das 1987 erschien (2. erweiterte Auflage 1999). Vorher schrieb er eine Reihe weiterer mathematischer Werke: 1954 wurde er mit der Schrift „Zur Begründung der analytischen Geometrie“ habilitiert. Es folgten die Bücher „Grundlagen der Elementarmathematik“ (1961), „Vorlesungen über projektive Geometrie“ (1965) und „Nichteuklidische Geometrie“ (1967). Für seine Leistungen wurde Hanfried Lenz 1995 mit der vom Institute of Combinatorics and its Applications verliehenen Euler-Medaille ausgezeichnet.

Seine Autobiographie „Mehr Glück als Verstand“ enthält eine Liste seiner Veröffentlichungen.

Schriften

  • Vorlesungen über projektive Geometrie. Akademische Verlagsgesellschaft Geest und Portig Leipzig 1965.
  • Grundlagen der Elementarmathematik. VEB Verlag der Wissenschaften 1961. 3. Auflage: Hanser 1976.
  • Nichteuklidische Geometrie. BI Hochschultaschenbuch 1967.
  • mit Thomas Beth, Dieter Jungnickel: Design Theory. Bibliographisches Institut, Mannheim 1985.
  • Kleiner Desarguescher Satz und Dualität in projektiven Ebenen. Jahresbericht DMV 1954. Lenz-Barlotti Klassifikation (online)
  • Über die Einführung einer absoluten Polarität in die projektive und affine Geometrie des Raumes. Mathematische Annalen. Band 128, 1954, S. 363. (online)
  • Zur Definition der Flächen zweiter Ordnung. Mathematische Annalen. Band 131. 1956, S. 385. (online)
  • Halbdrehungen im Raum. Mathematische Zeitschrift. Band 78. 1962, S. 410. (online)
  • Zur Axiomatik der ebenen euklidischen Geometrie. Elemente der Mathematik. Band 22, 1966. (online)
  • Mehr Glück als Verstand. München 2002, Eigenverlag (Books on Demand). ISBN 3-8311-3618-1

Literatur

  • Martin Aigner, Dieter Jungnickel (Hrsg.): Geometries and Groups. In: Proceedings of a Colloquium at the FU Berlin May 1981, dedicated to Prof. Dr. Hanfried Lenz on his 65. Birthday. Springer 1981.
  • Walter Benz: Zum mathematischen Werk von Hanfried Lenz. In: Journal of Geometry. Nr. 43, 1992.
  • Dieter Jungnickel, Günter Pickert: A life´s work in geometry: homage to Hanfried Lenz. Designs, Codes and Cryptography. Band 8. 1996, S. 9.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Kleiner Desarguescher Satz und Dualität in projektiven Ebenen, Jahresbericht Deutscher Mathematikerverein, Bd.57, 1954, S.20
  2. Barlotti: Le possibili configurazioni del sistema delle coppie punto-retta (A,α) per cui un piano grafico risulta (A,α)-transitivo. Bolletino Unione Matematica Italiana. Band 12. 1957, S.212–226.
  3. Lenz: Zur Begründung der analytischen Geometrie. Sitzungsberichte der Bayrischen Akadademie der Wissenschaften, Mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse, 1954, S. 17–72.
  4. Albrecht Beutelspacher: Einführung in die endliche Geometrie II. Projektive Räume. Bibliographisches Intstitut, Mannheim 1983, ISBN 3-41101648-5.

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужен реферат?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Hanfried Lenz — (* April 22, 1916 in Munich) is German mathematician, who s mainly known for his work in geometry and combinatorics.Hanfried Lenz is the son of Fritz Lenz an influential German geneticist, who is associated with the Nazi racial policies during… …   Wikipedia

  • Hanfried — ist der Vorname folgender Personen: Hanfried Krüger (1914–1998), evangelisch lutherischer Theologe, Oberkirchenrat, Ökumeniker und Journalist. Hanfried Lenz (* 1916), deutscher Mathematiker Hanfried Müller (1925–2009), evangelischer deutscher… …   Deutsch Wikipedia

  • Lenz (Familienname) — Relative Häufigkeit des Namens Lenz in Deutschland (Stand: Juni 2010) Lenz ist ein Familienname. Bekannte Namensträger Inhaltsverzeichnis A B …   Deutsch Wikipedia

  • Hans Joachim Lenz — Lenz steht für: Frühling eine Variante des männlichen Vornamens Lorenz, der wiederum eine Variante des lateinischen Vornamens Laurentius ist. Lenz (Zeitschrift) für ab 60 Jährige Lenz (Modelleisenbahn) Markenname der Modelleisenbahn der Deutschen …   Deutsch Wikipedia

  • Karl-Friedrich Lenz — (* 30. Januar 1958 in München) ist ein deutscher Jurist. Er wurde als Sohn von Helene und Hanfried Lenz geboren und ist der Enkel von Fritz Lenz. Nach dem Jurastudium von 1976–1981 und der Promotion im Jahre 1986 in München war Lenz unter anderem …   Deutsch Wikipedia

  • Widukind Lenz — (* 4. Februar 1919 in Eichenau; † 25. Februar 1995 in Münster) war ein deutscher Humangenetiker. Inhaltsverzeichnis 1 Leben 2 Thalidomid Forschungen 3 Werke …   Deutsch Wikipedia

  • Fritz Lenz — (* 9. März 1887 in Pflugrade; Kreis Naugard, Pommern; † 6. Juli 1976 in Göttingen) war ein deutscher Anthropologe, Humangenetiker und Eugeniker. In der Zeit der Weimarer Republik und im nationalsozialistischen Deutschen Reich war er einer der… …   Deutsch Wikipedia

  • Liste der Biografien/Len–Ler — Biografien: A B C D E F G H I J K L M N O P Q …   Deutsch Wikipedia

  • Klassifikation projektiver Ebenen — Die übliche Klassifikation projektiver Ebenen erfolgt in der synthetischen Geometrie anhand der Operation der jeweiligen Gruppe ihrer Kollineationen. Die Lenz Barlotti Klassifikation klassifiziert die Ebenen durch Eigenschaften der Operation… …   Deutsch Wikipedia

  • Moufangebene — Moufangebenen sind projektive Ebenen, in denen der kleine projektive Satz von Desargues allgemeingültig ist. Sie sind nach der deutschen Mathematikerin Ruth Moufang benannt, die diese Ebenen in den 1930er Jahren untersuchte.[1] Sie konnte zeigen …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”