Hansjoachim von Rohr

Hansjoachim von Rohr

Hansjoachim von Rohr (* 1. Oktober 1888 in Demmin, Vorpommern; † 10. November 1971 in Bad Godesberg) war ein deutscher Rittergutbesitzer und Politiker (DNVP).

Inhaltsverzeichnis

Leben und Wirken

Jugend

Hansjoachim von Rohr („Achi Rohr“) wurde als Sohn des pommerschen Großgrundbesitzers Hans von Rohr geboren. Seine Kindheit verbrachte er auf dem Gut seiner Familie in Vorwerk (Demmin).[1]. Nach dem Abitur studierte Rohr-Demmin Rechts- und Volkswirtschaftslehre in Heidelberg, Berlin und Greifswald. Seit dem Wintersemester 1907/08 war er Mitglied des Corps Saxo-Borussia Heidelberg.[2]

Vor 1914 war v. Rohr als Referendar am Amtsgericht Demmin und bei der Bezirksregierung Merseburg tätig. Anschließend nahm er bis 1918 am Ersten Weltkrieg teil, um nach seiner Rückkehr ab 1919 die Bewirtschaftung der Familiengüter zu übernehmen.

Weimarer Republik

Politisch begann v. Rohr-Demmin in der Weimarer Zeit, sich in der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) zu betätigen. Von 1924 bis 1932 gehörte er dem Preußischen Landtag als Abgeordneter an. Ferner amtierte er von 1925 bis 1933 als Vorsitzender des Pommerschen Landbundes. Dort setzte er im Sinne der von ihm vertretenen berufsständischen Konzeption eine Besetzung des Vorstandes mit drei gleichberechtigten Mitgliedern (je einem Bauern, Großgrundbesitzer und Landarbeiter) durch.

Die Versuche der seit Ende der 1920er Jahre auch in Pommern erstarkenden NSDAP, in Führungspositionen des Landbundes einzudringen, verstand er „äußerst geschickt ... abzuwehren“[3], weswegen er der NSDAP als der „Hauptfeind der Nationalsozialisten in Pommern“ galt.[4] Karl Dietrich Bracher behauptete in seinem Werk Die Auflösung der Weimarer Republik, v. Rohr habe im Mai 1932 gemeinsam mit anderen ostpreußischen Großgrundbesitzern beim Reichspräsidenten v. Hindenburg in Neudeck gegen Reichskanzler Brüning interveniert und dadurch "wesentlich zu dessen Sturz beigetragen." Bracher berief sich bei dieser Aussage auf eine Aktennotiz von Hindenburgs Staatssekretär Meissner, der selbst allerdings zur besagten Zeit gar nicht in Neudeck gewesen war. Rohr gehörte als Vorpommer weder zu den "ostpreußischen Nachbarn" Hindenburgs noch war er jemals in Neudeck. Bracher hat seine Aussage in späteren Publikationen denn auch nicht mehr aufrechterhalten; auch in Meissners Erinnerungsbuch 30. Januar 1933 - Hitlers Machtergreifung findet sich kein solcher Hinweis.

NS-Zeit

Nach der Bildung der Regierung Hitler, einer Koalitionsregierung aus NSDAP und DNVP, im Januar 1933, berief der neuernannte Wirtschafts- und Landwirtschaftsminister Alfred Hugenberg v. Rohr als Staatssekretär ins Reichsernährungsministerium. Es begann die in der offiziellen Geschichte des Ministeriums als "Konservatives Zwischenspiel Hugenberg - von Rohr" bezeichnete Phase. Bereits nach wenigen Wochen geriet v. Rohr in heftige Konflikte mit dem Reichskanzler. Als Hitler ihn aufforderte, die führenden Agrarpolitiker der NSDAP zu empfangen und mit ihnen über seine Politik zu verhandeln, lehnte v. Rohr dies mit dem Hinweis ab, solcherart Verhandlungen mit Parteivertretern führe er grundsätzlich nicht. Daraufhin kündigte Hitler in der folgenden Kabinettssitzung an, ggfs. beim Reichspräsidenten v. Rohrs Entlassung zu verlangen (Akten der Reichskanzlei, Die Regierung Hitler 1933-1935; Boppard 1983 ff.; S. 160, 161). Eine im Mai 1933 vorgesehene Rundfunkrede v. Rohrs wurde durch Goebbels mit der Begründung verhindert, dass dadurch die "Kluft" zwischen der Auffassung v. Rohrs und der Auffassung des Reichskanzlers offenkundig geworden wäre (Akten der Reichskanzlei a. a. O. S. 604, 605). Die Konflikte mehrten sich, als nach Hugenbergs Rücktritt der NS-Bauernführer Richard Walter Darré Minister wurde. Nachdem v. Rohr in einer öffentlichen Rede die agrarpolitischen Positionen seines Ministers und der NSDAP kritisiert hatte (Akten der Reichskanzlei a.a.O., S. 726, 727), wurde er im September 1933 entlassen.

Im Januar 1934 übte v. Rohr in einer an Hitler gerichteten Denkschrift Kritik am Reichserbhofgesetz der Regierung. Am Tage des sog. Röhm-Putsches (30. Juni 1934) erschien ein SS-Kommando auf seinem Gut, um ihn zu verhaften. Hofmitarbeiter konnten die SS wenige Minuten ablenken, so dass v. Rohr der Verhaftung entkam.

1942 wurde Rohr, der für zwei auf seinem Hof verstorbene sowjetische Kriegsgefangene eine christliche Beerdigung organisiert hatte, wegen „ Verbotenen Umgangs mit Kriegsgefangenen“ zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, wurde aber wieder entlassen, nachdem das Urteil durch das Reichsgericht aufgehoben worden war. Diese Revisionsentscheidung hatte der 2. Strafsenat des Reichsgerichts entgegen der ihm durch den Reichsjustizminister übermittelten ausdrücklichen Weisung Hitlers getroffen,das Urteil gegen v. Rohr unverzüglich vollstreckbar zu machen. Rohr sei ein "Staatsfeind", Männer seines Schlages seien gefährlicher als Kommunisten (Hubert Schorn, Der Richter im Dritten Reich; Frankfurt 1959, S. 442 ff.). Nach dem Attentat vom 20. Juli wurde Rohr-Demmin erneut verhaftet und blieb bis Kriegsende im Gefängnis.[1]

Nachkriegszeit

Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Enteignung seiner Güter ging v. Rohr nach Westdeutschland, wo er sich für die Deutsche Konservative Partei - Deutsche Rechtspartei engagierte. Dort gehörte er zu der Gruppe um den Parteivorsitzenden Hermann Klingspor, die sich nicht an der Gründung der Deutschen Reichspartei beteiligte, sondern die stärker christlich-konservativ geprägte Nationale Rechte bildete, die in Nordrhein-Westfalen mit der FDP kooperierte. Im Zuge des Wahlbündnisses der NR mit der FDP zog er 1950 für eine Legislaturperiode in den Nordrhein-Westfälischen Landtag ein. 1969 gründete er die Monatszeitschrift "Konservativ heute", die Publizisten wie Pascual Jordan, Armin Mohler, Sebastian Haffner, Hans Maier, Carl Zuckmayer, Otto von Habsburg und ihm selbst eine Plattform für die Verbreitung der Zeit angepassten konservativen Gedankengutes bot.

Den Schwerpunkt der Arbeit v. Rohrs nach dem Kriege bildete die Agrarpolitik. In seiner seit 1947 bis zu seinem Tode 1971 erschienen Zeitschrift "Stimmen zur Agrarwirtschaft" trat er - darin in heftigem Gegensatz zu Andreas Hermes und Hans Schlange-Schöningen - für eine frühzeitige Beendigung der Zwangswirtschaft im Agrarbereich ein. Als geistiger Kopf der "agrarpolitischen Opposition" innerhalb des Bauernverbandes befürwortete er eine Preispolitik, die dem gut geführten bäuerlichen Familienbetrieb eine Existenz ermöglichte. Weil er dieses Anliegen bei der französischen Regierung besser als bei der deutschen aufgehoben sah, befürwortete er anders als viele Landwirte eine baldige Europäisierung der Agrarpolitik.[5]

Gemeinsam mit Thomas Dehler, Karl Georg Pfleiderer, Herbert Wehner u. a. drängte er ab 1952 die Bundesregierung unter Konrad Adenauer, auf Basis der Stalin-Note vom März 1952 mit der Sowjetunion über die Möglichkeit einer Wiedervereinigung Deutschlands im Rahmen einer militärischen Neutralität zu verhandeln. Dieses Bemühen scheiterte 1955 mit dem Beitritt der Bundesrepublik zur NATO.

In zwei bis zum Bundesverwaltungsgericht geführten Rechtsstreitigkeiten ging bzw. geht es darum, ob v. Rohr wegen seiner Regierungstätigkeit von Februar bis September 1933 eine „Förderung des Nationalsozialismus“ (vom Bundesverwaltungsgericht 1963 bejaht) vorzuwerfen ist bzw. ob er „dem nationalsozialistischen System erheblich Vorschub geleistet hat“. Eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Greifswald, das ein solches Vorschubleisten bejaht hatte, wurde am 29. September 2010 durch das Bundesverwaltungsgericht aufgehoben.[6]

Werke

  • Hansjoachim von Rohr: Die agrarpolitische Opposition 1947-1971 im Spiegel der "Stimmen zur Agrarwirtschaft", dargestellt von Artur Schürmann. Verein für Agrarwirtschaft, Bussau 1978

Einzelnachweise

  1. a b Hans Joachim von Rohr (Sohn): Haus Demmin in Vorpommern, in: Bruno J. Sobotka: Burgen, Schlösser, Gutshäuser in Mecklenburg-Vorpommern, Theiss, Stuttgart 1993.
  2. Kösener Corpslisten 1960, 66, 1201
  3. Andreas Müller: Fällt der Bauer, stürzt der Staat - Deutschnationale Agrarpolitik 1928-1933, München 2003.
  4. NS-Landpost' vom 29. Januar 1933
  5. Artur Schürmann, Die Agrarpolitische Opposition 1947-1971, Bussau 1978
  6. Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. September 2010 zur Sache 5 C 16.09

Literatur

  • Friedrich Grundmann: Agrarpolitik im ‚Dritten Reich‘. Anspruch und Wirklichkeit des Reichserbhofgesetzes. Hamburg 1979. (Dissertation)
  • Andreas Müller: Fällt der Bauer, stürzt der Staat - Deutschnationale Agrarpolitik 1928-1933. München 2003.
  • Munzinger Internationales Biographisches Archiv 6/1968 vom 29. Januar 1968
  • Hans Christoph von Rohr: Ein konservativer Kämpfer. Der NS-Gegner und Agrarpolitiker Hansjoachim von Rohr. Hohenheim Verlag, Stuttgart und Leipzig 2010, ISBN 3-898-50206-6.

Weblinks


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