Herbert Schuldt

Herbert Schuldt

Herbert Schuldt (* 19. Juli 1941 in Hamburg) ist ein deutscher Lyriker, Essayist, Übersetzer, Künstler und Gestalter von Hörstücken.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Wirken

Leben

Herbert Schuldt ist der Sohn eines Reeders; nach Stationen in London, Paris und Wien lebte er lange in Hamburg und New York, hielt sich seit 1999 zunehmend in China auf und lebt seit 2004 in Peking. Er benutzt meist nur den Künstlernamen „Schuldt“. Er übte zahlreiche Tätigkeiten aus, war mit 19 Jahren vorübergehend Elektronikkaufmann, arbeitete als Tontechniker und auf Baustellen, er las Wörterbücher und schrieb Essays, verfasste Hörstücke und führte Regie[1], fertigte Übersetzungen an, inszenierte Performances und schrieb Bücher. Schuldt erhielt für seine „kunstvollen Übertragungen amerikanischer Lyrik und seine avantgardistischen Vermessungen des englischen und deutschen Wortschatzes“ im Jahr 2000 auf der Frankfurter Buchmesse den „Paul-Scheerbart-Preis“. Ähnlich wie bei Kurt Schwitters, Oskar Pastior oder Gerhard Rühm benutzt Schuldt in seiner durchweg experimentellen Literatur Figurentexte und poetische Wortspiele.

Wortkünstler

Sein Werk Mamelucken antworten (1984) besteht aus Akronym-Gedichten. Aus einem Initialwort, zum Beispiel „Tanz“, bildet er seine Texte: „Taten aus Neugier zausen“. In Abziehbilder heimgeholt (1995) geht er den Wörtern auf den Grund, untersucht die Sprachwirklichkeit und entlarvt darin verborgene Klischees. In Olga at the Cosmic Door. BHs, Parfüms, und Bars. Schlagzeilen aus New York (2000) schließlich konzentriert Schuldt auf groteske Weise Reklame, Glitzer und Rummel dieser Weltstadt in Haiku-ähnliche Kurzformen. Schreiben bedeutet für ihn immer auch imaginative Konstruktion, Neu-Kombination, Ent-Fesselung, Umschichtung von vorgespurten Sprachbahnen“.[2] DIE ZEIT bezeichnete ihn als „den letzten Dadaisten“; er gilt als „ein ungewöhnlich hellhöriger, dem Klang und dem Geräusch, dem Reim- und Alliterationsvorrat der Wörter nachhorchender Übersetzer“.[3]

Schuldt verwandelte Hölderlins Am Quell der Donau durch ungewöhnliche Lautveränderungen.

Beachtet[4] wurde seine Hörspielfassung Am Quell der Donau, die 2002 als Medienkombination (Buch, Leporello-Mappe und CD) herauskam. Sie ist nach einem Gedicht von Friedrich Hölderlin benannt; vom Text ist nur ein Fragment von 117 Versen erhalten, den Schuldt seinem nicht Deutsch sprechenden amerikanischen Dichterkollegen Robert Kelly vorlas. Kelly übersetzte die fremden Laute, wie er sie verstand; so kam der Titel „Unquell the Dawn Now“ heraus. Der Sprachkünstler Schuldt übersetzte nun nach Kellys Lauten aus dem Amerikanischen zurück usw., schließlich dann in ein Hölderlin-Deutsch. So entstand zum Beispiel aus „Doch Alles geht so": though all's gate so, und daraus „wenngleich alles ein Tor ist so" und dann vainlike. All sin torn so. Schuldt schreibt in seinem Nachwort dazu: „Der Klang ist die Seele der Sprache, während die Bedeutungen der Wörter ihr Körper sind.“

Zitat

  • „Ihr aber würzt mit Nektar uns den Othem / Her ovaries fill with nectar and the ocean, / Ihre Eierstöcke füllen sich mit Nektar und dem Meer, / Here I stoke feelin's mid-neck, tar & hound mare & / Hier schür ich Gefühle mitthals, teere & hetze Stute &.“[5]

Künstler

Schuldt hat sich zeitlebens mit Kunst beschäftigt. Zum einen übersetzte er Kunstbücher und schrieb Texte für Ausstellungskataloge[6], zum anderen inszenierte er sich selbst als Künstler. Als Friedensreich Hundertwasser 1959 Gastdozent an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg war, zog er zusammen mit Schuldt, Bazon Brock und anderen eine zehn Kilometer lange „Endlose Linie“, die sich über alle Teile eines Hochschulraumes erstreckte, was damals einen Skandal erregte.[7] Als Aktionskünstler erregte Schuldt 1960 besonderes Aufsehen mit seiner „Internationalen Ausstellung von Nichts“, die in einer verfallenen Hamburger Villa stattfand und bei der lediglich leere Bilderrahmen, unbemalte Leinwände und Lehmklumpen ausgestellt wurden. 2004 erinnerte die Hamburger Kunsthalle in der Ausstellung „Kunst in Hamburg“ an den damaligen Kunstskandal, indem sie die Ausstellung nachbaute und mit den Originalausschnitten der daraufhin erschienenen Presse-Entrüstungen vervollständigte. Weitere Ausstellungen Schuldts fanden zum Beispiel in der Kunsthalle Düsseldorf (2000: Branded Stairwall) sowie in New York (2001: the looks of words) statt. Auch als Vortragskünstler verwendet er gerne Performance-Elemente. Ab 2002 widmet er sich der Photographie, vor allem in New York und in China.

Ausstellungen

Preise

Literatur

Veröffentlichungen

  • Olga at the Cosmic Door. BHs, Parfüms, und Bars. Schlagzeilen aus New York. Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2000. ISBN 3883754749
  • Am Quell der Donau. (Medienkombination, 3 Teile in 2 Bänden + CD; zusammen mit Robert Schuldt, Friedrich Hölderlin). Steidl, Göttingen 1998, 2002. ISBN 3-88243-521-6
  • Lustrufe im Garten. Schlagzeilen auf Oxford-Deutsch. Droschl, Graz 1998. ISBN 978-3-85420-488-6
  • Gestaltschmerz. Kleine Bibliothek der Dichtung und Prosa im Deutsch fremder Zungen. Band 1. (Herausgeber). Edition Plasma, Berlin 1997. ISBN 3926867256
  • Abziehbilder, heimgeholt. Zusammen mit Robert Kelly und Jacques Roubaud. Literaturverlag Droschl, Wien 1995. ISBN 3-85420-402-7
  • Glossolalie. Stammelheft tritt an die Stelle der Nr. 18 des Literaturmagazins. (Literaturmagazin 18. Sondernummer). Herausgeber. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1986. ISBN 3-498-06197-6
  • Mamelucken antworten. Akronyme. Edition Neue Texte, Linz 1984. ISBN 3-85420-272-5
  • Leben und Sterben in China. 111 Fabeln nach Lius Wörterbuch. Hanser, München und Wien 1983. ISBN 3-446-13816-1
  • In Togo, dunkel, und andere Geschichten. Verlag Zweitschrift, Hannover 1981
  • Deutschland aufsagen, Deutschland nachsagen. (Tonkassette). Edition S-Press, Düsseldorf und München 1972
  • Lautgestaltung. In: Text + Kritik. München 1972, Heft 35/36
  • Zweifel. DuMont Schauberg, Köln 1967
  • Blut des Metronomen. Hagar, Brühl 1965
  • Steinigung der Nacht. Mit Illustrationen von Hans Platschek. Panderma-Verlag Laszlo, Basel 1960

Übersetzungen

  • Robert Kelly, Schlaflose Schönheit, herausgegeben, übersetzt und mit einem Nachwort von Schuldt, Salzburg 1996, RESIDENZ.
  • Robert Kelly, Geschichten aus Russisch, herausgegeben, übersetzt und mit einem Nachwort von Schuldt, Berlin 1995, Edition PLASMA.
  • Horace Walpole, Hieroglyphische Geschichten (1786), herausgegeben, übersetzt und mit einem Nachwort von Schuldt, Reinbek bei Hamburg 1988, ROWOHLT.
  • Thomas M. Messer: Edvard Munch. DuMont, Köln 1978. ISBN 3-7701-0718-7
  • Robert Descharnes: Salvador Dali. DuMont, Köln 1974. ISBN 3-7701-29881
  • Joseph-Émile Müller: DuMont’s kleines Lexikon des Expressionismus. DuMont Schauberg, Köln 1974. ISBN 3-7701-0767-5
  • José Pierre: DuMont`s kleines Lexikon des Surrealismus. DuMont Schauberg, Köln 1974. ISBN 3-7701-0766-7
  • Dan Flavin: Drei Installationen in fluoreszierendem Licht. Kölnische-Verlagsdruckerei, Köln 1974

Sekundärliteratur

  • Jörg Drews: Ausleuchtung eines Begriffs. Zu Schuldts „Zweifel". In: Text + Kritik. München 1971. H. 30. Konkrete Poesie II
  • Michael Erlhoff: Fabeln aus dem Wörterbuch. Umrisse von Sätzen. In: Die Zeit vom 2. August 1985
  • Helmut Heißenbüttel: Der Triumph des Textes. Schuldts Akronyme: „Mamelucken antworten“. In: Süddeutsche Zeitung vom 6. Dezember 1984
  • Hans-Horst Henschen: Schuldt. In: Neues Handbuch der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur seit 1945. Nymphenburger, München 1990. ISBN 3-485-03550-5
  • Rolf Michaelis: Schatten-Pflanzen. In: Die Zeit. Nr. 26. 1999
  • Thomas Redl: Schuldt: Leben und Sterben in China. 111 Fabeln nach Lius Wörterbuch. In: Wespennest. Zeitschrift für brauchbare Texte und Bilder. Nr. 58. 1985. ISSN
  • Hanns Zischler: Der letzte Dadaist. Schuldt: Dichter, Vortragskünstler und Übersetzer. In: Die Zeit. Ausgabe 50. 1997

Einzelnachweise

  1. z.B. Sentimentalno – Stimmungsbrecher. Text und Regie. Südwestdeutscher Rundfunk. 2000 oder Lustrufe aus Talmi-Welten. Aufgeführt in der Berliner Philharmonie am 1. Januar 2000
  2. Neues Handbuch der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur seit 1945. München 1990. Seite 575
  3. DIE ZEIT. Ausgabe 50. 1997
  4. z. B. Rolf Michaelis: Schatten-Pflanzen. Hölderlin, Schuldt, Kelly im Rundgesang. In: DIE ZEIT. Nr. 26. 1999
  5. Am Quell der Donau. Aus dem Buch der 3-teiligen Medienkombination. Steidl. Göttingen 2002
  6. z.B. im Katalog zur Ausstellung von Francis Picabia. Köln 1980
  7. 2005 erinnerte eine Ausstellung in Uelzen „Hundertwasser in Hamburg – Die Endlose Linie" an diese Begebenheit.

Weblinks


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