Hüllensystem

Hüllensystem
Eine Menge aus 8 Punkten und ihre konvexe Hülle

In der Mathematik versteht man unter der Hülle einer Menge eine Obermenge, die groß genug ist, um bestimmte Anforderungen zu erfüllen, und zugleich die kleinste Menge ist, die diese Anforderungen erfüllt. Beispiele sind die konvexe Hülle einer Teilmenge eines Vektorraums, die abgeschlossene Hülle einer Teilmenge eines topologischen Raums oder die transitive Hülle einer zweistelligen Relation. Hüllenoperator bezeichnet die Vorschrift, durch die jeder Menge von Objekten ihre Hülle zugeordnet wird.

Inhaltsverzeichnis

Definitionen

Ein Hüllenoperator ist eine extensive, monotone, idempotente Abbildung H, die jeder Teilmenge A einer gegebenen Menge X wiederum eine Teilmenge von X, nämlich die Hülle H(A), zuordnet. Im Einzelnen bedeuten die Anforderungen:

Extensitivität
A \subseteq H(A), das heißt: die Hülle von A enthält mindestens die Menge A selbst.
Monotonie bzw. Isotonie
A\subseteq B\ \Rightarrow\ H(A)\subseteq H(B), das heißt: wenn A Teilmenge von B ist, so gilt das entsprechend auch für ihre Hüllen.
Idempotenz
H(H(A)) = H(A), das heißt: bildet man von der Hülle einer Menge nochmals die Hülle, so wird nichts mehr hinzugefügt.

Einen Hüllenoperator nennt man auch Abschlussoperator, weil ein zu einer strukturierten Menge (ein topologischer Raum, eine algebraische Struktur) gehörender Hüllenoperator jede Teilmenge dieser strukturierten Menge auf die kleinste Unterstruktur abbildet, die diese Teilmenge enthält. Die Unterstrukturen (abgeschlossene Mengen im topologischen Raum, algebraische Unterstrukturen) bilden aber gerade die bezüglich der gegebenen Struktur abgeschlossen Teilmengen.

Hüllensysteme

Definition

Ein Hüllensystem ist ein unter Schnittmengenbildung abgeschlossenes Mengensystem, d. h. ein Hüllensystem auf einer Menge X ist eine aus Teilmengen von X bestehende Menge S mit folgenden Eigenschaften:

  • X ist Element von S.
  • Für jede nichtleere Teilmenge T von S ist der Schnitt der Elemente von T ein Element aus S, oder anders ausgedrückt: Der Durchschnitt von beliebig vielen Elementen von S ist selbst ein Element von S.

Betrachtet man X als Grundmenge, so ist es in diesem Kontext sinnvoll, den allgemein mengentheoretisch nicht definierten Durchschnitt über die leere Menge als

\bigcap\emptyset := X

zu definieren, denn nur so wird X=\bigcap\{X\}\subseteq \bigcap\emptyset \subseteq X erreicht. Dadurch vereinfachen sich die beiden genannten Bedingungen zu der einzigen – gleichwertigen – Bedingung

  • Für jede Teilmenge T aus S ist der Schnitt der Elemente von T ein Element aus S.

Zusammenhang zwischen Hüllensystemen und Hüllenoperatoren

Hüllenoperatoren und Hüllensysteme entsprechen einander:

  • Ist S ein Hüllensystem auf X, dann kann man einen Hüllenoperator HS auf X wie folgt definieren:
H_S(A) := \bigcap \{ Y \in S | Y \supseteq A \} für alle A \subseteq X.
Die Menge, über die hier der Durchschnitt gebildet wird, ist wegen X\in S nicht leer.
  • Umgekehrt kann aus jedem Hüllenoperator H auf X ein Hüllensystem SH auf X gewonnen werden:
S_H := \{ H(A) | A \subseteq X \}.

In vielen Anwendungsfällen hat man einen lediglich monotonen Operator F gegeben, d. h. für jede Teilmenge A\subseteq X ist auch F(A)\subseteq X und aus A\subseteq B folgt F(A)\subseteq F(B). Beispielsweise könnte F für einen topologischen Raum X jeder Punktmenge die Menge ihrer Häufungspunkte zuordnen, oder – falls X eine Halbgruppe ist – jeder Menge A die Menge aller Produkte von Elementen aus A. Einen zugehörigen Hüllenoperator erhält man dann auf eine von zwei Weisen:

  • Sei H(A) der Durchschnitt aller Obermengen B\supseteq A mit F(B)\subseteq B
  • Sei H(A) die Vereinigung der Mengen A_0:=A, A_1:=A_0\cup F(A_0), A_2:=A_1\cup F(A_1),\ldots

Beide Varianten liefern denselben Hüllenoperator. Man spricht dann auch vom Abschluss unter F. Die erste Variante ist meist für theoretische, die zweite für praktische Anwendungen günstiger.

Beispiele

  • Betrachten wir die Ebene R2. Alle konvexen Teilmengen der Ebene bilden zusammen ein Hüllensystem, der zugehörige Hüllenoperator die Bildung der konvexen Hülle einer Teilmenge.
  • Die abgeschlossenen Mengen eines topologischen Raumes bilden ein Hüllensystem. Der zugehörige Hüllenoperator ist die Bildung der abgeschlossenen Hülle einer Teilmenge und heißt Kuratowskischer Hüllenoperator.
  • Ist eine Gruppe gegeben, so bilden ihre Untergruppen ein Hüllensystem. Der zugehörige Hüllenoperator ist die Bildung der Untergruppe, die von einer Teilmenge erzeugt wird.
  • Die Normalteiler einer Gruppe bilden ein Hüllensystem.
  • Jedes Idealsystem ist ein Hüllensystem.
  • Die Bildung der transitiven Hülle einer Relation ist ein Hüllenoperator.
  • Die beiden Verkettungen στ und τσ einer Galois-Verbindung (σ,τ) sind Hüllenoperatoren.
  • Die Bildung der Kleeneschen Hülle einer formalen Sprache ist ein Hüllenoperator.
  • Der Sigma-Operator aus der Maßtheorie, der jeder Menge von Teilmengen eines Raumes die kleinste umfassende Sigma-Algebra zuordnet, ist ein Hüllenoperator.
  • Die Inferenzoperation der formalen Logik ist ein Hüllenoperator.
  • Für den Hüllkörper zu einer Zahlenmenge wird verlangt, dass zu allen Elementen der Menge stets auch ihre Summe, ihr Produkt, ihre Differenz und ihr Quotient (außer bei Division durch Null) und die Zahlen 1 und 0 zur Menge gehören. Der Hüllkörper der Menge {0} ist somit bereits die Menge aller rationalen Zahlen. Erst wenn die Zahlenmenge mindestens eine irrationale Zahl (zum Beispiel √2) enthält, so ergibt sich ein Körper, der größer ist als \mathbb{Q}.

Anwendungen auf Formale Sprachen und Komplexitätsklassen

Es sei \mathcal{C} eine Klasse von formalen Sprachen. Wir betrachten folgende Hüllenoperatoren auf \mathcal{C}:

Wenn L\in\mathcal{C}, dann auch H_{hom}(\{L\}) = \{L' | \exist h, h \mbox{ ist Homomorphismus}: h[L]=L' \} \,\,\,\,\in\mathcal{C}
  • Hehom: Abschluss unter \varepsilon-freien Homomorphismen, wie Hhom, aber \forall x:h(x)\not=\varepsilon
  • Hinvhom: Abschluss unter inversen Homomorphismen:
Wenn L\in\mathcal{C}, dann auch H_{inv-hom}(\{L\}) = \{L' | \exist h, h \mbox{ ist Homomorphismus}: h[L']=L \} \,\,\,\,\in\mathcal{C}
  • H_{\cup}: Abschluss unter Vereinigung:
H_{\cup}(\mathcal{C}) = \{L | \exists L_1,L_2\in\mathcal{C} : L=L_1\cup L_2\}
  • H_{\cap}: Abschluss unter Durchschnitt:
H_{\cap}(\mathcal{C}) = \{L | \exists L_1,L_2\in\mathcal{C} : L=L_1\cap L_2\}
H_{\circ}(\mathcal{C}) = \{L | \exists L_1,L_2\in\mathcal{C} : L=L_1L_2\}
H_{kleene}(\mathcal{C}) = \{L | \exists L'\in\mathcal{C} : L=L'^*\}

Wenn eine Klasse \mathcal{C} und einer der obigen Hüllenoperatoren H die Eigenschaft hat, dass gilt H(\mathcal{C})=\mathcal{C}, dann heißt \mathcal{C} unter der entsprechenden Operation (Homomorphismus, \varepsilon-freier Homomorphismus, inverser Homomorphismus, Vereinigung, Durchschnitt, Konkatenation bzw. Kleene-Stern) abgeschlossen.

Literatur

  • Marcel Erné: Einführung in die Ordnungstheorie. Bibliographisches Institut, Mannheim 1982, ISBN 3-411-01638-8. 
  • Heinrich Werner: Einführung in die allgemeine Algebra. Bibliographisches Institut, Mannheim 1978, ISBN 3-411-00120-8. 

Siehe auch

Kernoperator


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