Islam in Indonesien

Islam in Indonesien
Muslimische Mädchen an der Istiqlal-Moschee in Jakarta
Moschee in Medan
Darussalam-Moschee in Ostjava

88 % der Indonesier sind Muslime.[1] Davon gehören fast alle der sunnitischen Richtung an. Es gibt in Indonesien insgesamt nur etwa 100.000 Schiiten. Mit über 191 Millionen Muslimen ist Indonesien der Staat mit der größten muslimischen Bevölkerung weltweit.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Der Islam erreichte Indonesien erstmals im 10. Jahrhundert. Um 930 wurde in der Region Aceh das erste Sultanat gegründet. Lange Zeit blieb es dabei. Erst im 15. Jahrhundert breitete sich der Islam durch indische und arabische Händler in Sumatra aus und erreichte Anfang des 16. Jahrhunderts auch Java. Mit den Händlern kamen auch Islamgelehrte, die ihre arabische Kultur und die vor allem in der religiösen Musik gespielte Laute Gambus mitbrachten. Viele damalige Fürsten – und mit ihnen die Bevölkerung – konvertierten daraufhin zum sunnitischen Islam. Im 17. und 18. Jahrhundert erreichte der Islam auch die übrigen indonesischen Inseln.

Auf Java soll der Islam durch die „neun Vertrauten (Gottes)“, die „Wali Songo[2] (Wali: arabisch „Vertrauter/Freund“, auch Heiliger; Songo: javanisch „neun“) verbreitet worden sein. Wali sind in einigen Richtungen des Islam Heilige, deren Grabstätten verehrt werden und z. T. Ziel von Pilgerreisen sind. Obwohl einige tatsächlich gelebt und auf Java gewirkt haben, dürfte das meiste der über sie überlieferten Geschichten in das Reich der Sage fallen. Die „Wali Songo“ gründeten überall auf Java Moscheen und islamische Schulen, die Pesantren oder Pondok Pesantren.

Obwohl die verschiedenen Sufi-Orden angehörenden „Wali Songo“ mehr oder weniger strenge Glaubenslehren des Islam verbreiteten, wurden auch alte religiöse Vorstellungen und kulturelle Traditionen abgewandelt, mit Formelementen der arabischen Kultur angereichert und zur unterhaltsamen Verbreitung des neuen Glaubens verwendet. Ein Beispiel ist das indonesische Schattenspiel (Wayang) und speziell für die Insel Lombok der Sagenzyklus Serat Menak Sasak.

Neben den „Wali Songo“ gab es noch einen zehnten Prediger des Islam, Sheikh Siti Jenar. Siti Jenar war ursprünglich ein Schüler der „Wali Songo“, begann aber, den Islam völlig neu auszulegen und begründete eine eigene Lehre. Nachdem die „Wali“ vergeblich versucht hatten, Siti Jenar zu bekehren, wurde er zum Tode verurteilt und enthauptet. Offiziell gehört Siti Jenar nicht zu den „Wali“, dennoch sind etwa 30 % der indonesischen Muslime, vorwiegend auf Java, Anhänger seiner Lehre. Doch nicht nur auf Java haben sich traditionelle Glaubensvorstellungen und vorislamische Traditionen bis heute erhalten, sondern auch bei den Einwohnern Sumatras und Kalimantans.

Im Zuge der japanischen Vision, ein eigenes Kolonialreich aufzubauen, wurden die muslimischen Führer der Unabhängigkeitsbewegung in Niederländisch-Indien durch die japanische Militäradministration gezielt gefördert. US-Dokumente aus dem Zweiten Weltkrieg belegen, wie Japan über Jahrzehnte hinweg die Gruppe des Islam als politischen Faktor für seine eigenen Ziele radikalisierte.[3] Japan erhoffte sich durch die Stärkung des Faktors Religion innerhalb der Unabhängigkeitsbewegung einen starken Widerstand gegen die europäischen Kolonialmächte. Durch eine unabhängige asiatische Handelszone versprach sich Japan außerdem mehr Selbstständigkeit gegenüber dem Westen.

Gegenwärtige Situation

Im Gegensatz zu vielen anderen mehrheitlich muslimischen Staaten ist der Islam in Indonesien nicht Staatsreligion. Grundlegend ist vielmehr die 1945 vom damaligen Präsidenten Sukarno formulierte Staatsideologie Pancasila, die auf einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Völkern und Religionen Indonesiens abzielt und sechs Religionen bzw. Konfessionen offiziell anerkennt (neben dem Islam die christlichen Konfessionen Protestantismus und Katholizismus, den Hinduismus, den Buddhismus und den Konfuzianismus).

Die beiden größten muslimischen Organisationen Indonesiens sind die traditionalistische Nahdatul Ulama und die Muhammadiyah, die eine „reformistische“, d.h. orthodoxe Auslegung des Islam vertritt. Die Nadhlatul Ulama ist mit über 30 Millionen Mitgliedern die größte muslimische Organisation der Welt. Bekanntestes Mitglied ist ihr Mitbegründer, der frühere Präsident Indonesiens Abdurrahman Wahid (Gus Dur). Derzeit prominentester Islam-Prediger ist Abdullah Gymnastiar.

Die Auslegung des Islam unterscheidet sich stark nach Region und ethnischer Zugehörigkeit seiner Anhänger. Als orthodoxe Muslime sind vor allem die Maduresen, Minangkabau, Achinesen und die Makassaren bekannt, während die Javaner und Osing traditionell eine gemäßigte Form des Islam praktizieren. In einigen Provinzen Sulawesis wiederum hat sich in den letzten Jahren ein am arabischen Vorbild orientierter orthodoxer Islam verbreitet. Der Anthropologe Clifford Geertz prägte für diejenigen Muslime, die wie in Java eine synkretische Form des Islam praktizieren, den Begriff Abangan. Den Gegensatz bilden die Santri, die sich stärker am normativen Islam orientieren und sich nochmals in Modernisten (bzw. Reformisten) und Traditionalisten unterteilen lassen. Letztere sind in der Nahdatul Ulama organisiert.

In 16 Provinzen bildet die Scharia mittlerweile die Grundlage der Rechtsprechung. Vor allem aus Aceh wird in diesem Zusammenhang immer wieder von Bestrafungsaktionen wie öffentlichem Auspeitschen für Spieler oder für sich öffentlich küssende Paare berichtet. Auch wurde erst kürzlich in der indonesischen Stadt Tangerang bei Jakarta das Küssen in der Öffentlichkeit verboten, wenn es länger als fünf Minuten dauert. Zusätzlich wurde Frauen polizeilich verboten, nach 19 Uhr alleine spazieren zu gehen. Allerdings erklärte ein dafür zuständiger Polizeibeamter, dass man bei einer Nichteinhaltung des Gesetzes nicht gleich mit einer Verhaftung zu rechnen brauche. In der Hauptstadt selbst verschwanden Anfang 2006 Getränke mit einem Alkoholgehalt von über 5 % aus den Supermarktregalen.

Weitere Gesetze, die die Verbreitung pornografischer Medien (wie z. B. Playboy) und freizügiges Verhalten einschränken sollen, sind ebenfalls in Planung. Offenbar fallen auch traditionelle Kostüme und Trachten unter die Kategorie. Dagegen regte sich allerdings Widerstand von Intellektuellen, Künstlern und Frauenrechtsorganisationen, die eine Stärkung des orthodoxen Islam befürchten.

Konflikte

Das Aufkommen einer Islamisierungswelle ab Ende der 1980er Jahre[4] förderte das Entstehen sozialer und religiöser Konflikte. Durch die jahrzehntelang praktizierte Politik der Transmigrasi wurden sie auch in bis dahin mehrheitlich nichtmuslimische Landesteile getragen.[5] Auf den Molukken kamen v.a. in den Jahren 1999 bis 2002 ca. 10.000 Menschen bei Kämpfen zwischen den Religionsgruppen ums Leben; die meisten Opfer waren ambonesische Christen. In Zentral-Sulawesi fanden durch ähnliche Konflikte bisher mehr als 1.000 Menschen den Tod. Teile von Zentral-Sulawesi (darunter der Poso-Bezirk), einer Region, in der die Zahl von Muslimen und Christen etwa gleich hoch ist, sind geprägt von einem eher konservativen Islam. In West-Neuguinea kommt es bereits seit Jahren zu schweren Übergriffen auf die überwiegend christliche Papua-Bevölkerung durch die Milizen muslimischer Siedler aus Java („Laskar Jihad“) und durch das indonesische Militär.[6][7] Unabhängigen Schätzungen zufolge sind allein in diesem Landesteil seit der Besetzung durch Indonesien bis zu 100.000 Menschen Opfer von politisch und religiös motivierter Gewalt geworden.

Seit 2008 ist der Ahmadiyya-Bewegung die öffentliche Religionsausübung untersagt. Seither kam es durch einen militanten muslimisch-orthodoxen Mob zu mehreren Übergriffen auf einzelne ihrer Mitglieder.[8] Religionsminister Suryadharma Ali forderte im September 2010 das Verbot der Ahmadiyya.[9]

Siehe auch

Literatur

  • Bahtiar Effendy: Islam and the state in Indonesia. Ohio University Press, Athens (Ohio) 2003. ISBN 0896802388
  • Giora Eliraz: Islam in Indonesia. Modernism, radicalism, and the Middle East dimension. Sussex Academic Press, Brighton u. a. 2004.
  • Greg Fealy und Sally White (Hrsg.): Expressing Islam: Religious Life and Politics in Indonesia. Institute of Southeast Asian Studies, Singapur 2009. ISBN 9812308504
  • Clifford Geertz: Religiöse Entwicklungen im Islam. Beobachtet in Marokko und Indonesien. Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1988. ISBN 3-518-58091-4
  • Robert W. Hefner: Civil Islam: Muslims and Democratization in Indonesia. Princeton University Press, 2000. ISBN 0691050473
  • Christine Holike: Islam und Geschlechterpolitiken in Indonesien. Der Einzug der Scharia in die regionale Gesetzgebung. regiospectra Verlag, Berlin 2008. ISBN 978-3-940132-04-8
  • Fauzan Saleh: Modern Trends in Islamic Theological Discourse in 20th Century Indonesia: A Critical Study: A Critical Survey. (Social, Economic and Political Studies of the Middle East and Asia) Brill, Leiden 2001, ISBN 978-9004123052

Einzelnachweise

  1. Länderinformationen zu Indonesien. Auswärtiges Amt, abgerufen am 30. März 2011.
  2. Wali Songo: the nine Walis. Sejarah Indonesia
  3. Religion wurde als politische Waffe entdeckt. Vgl. Matti Justus Schindehütte: Zivilreligion als Verantwortung der Gesellschaft. Religion als politischer Faktor innerhalb der Entwicklung der Pancasila Indonesiens. 2006
  4. Peter L. Münch-Heubner: Osttimor und die Krise des indonesischen Vielvölkerstaates in der Weltpolitik. München 2000, S. 134
  5. Peter L. Münch-Heubner: Osttimor und die Krise des indonesischen Vielvölkerstaates in der Weltpolitik. München 2000, S. 135f.
  6. International Crisis Group: Resources and Conflict in Papua. Brussel 2002 pdf 737 kb, S. 8
  7. http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Indonesien/westpapua6.html
  8. Indonesia pressured over Ahmadiyah Muslim sect killings. BBC; 8. Februar 2011
  9. Anett Keller: Mehrere Tote bei brutalen Übergriffen. In: die tageszeitung. 9. Februar 2011, abgerufen am 10. Februar 2011.

Weblinks


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