- Islam in Indien
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Der Islam ist in Indien nach dem Hinduismus die zweitgrößte Glaubensrichtung. Von den etwas über 1 Mrd. Einwohnern Indiens sind 80,5% Hindus und 13,4% (135,5 Millionen) Muslime. Nach Indonesien und Pakistan ist Indien damit das Land mit der drittgrößten islamischen Gemeinschaft.
Seit seiner Einführung in Indien hat der Islam zahlreiche Beiträge zur Kultur und zum sozialen wie politischen Leben Indiens beigetragen. Zugleich ist es im Laufe der Geschichte immer wieder zu Konflikten zwischen Muslimen und Hindus gekommen, die auch der maßgebliche Grund dafür waren, dass das britische Kolonialgebiet Britisch-Indien 1947 in die überwiegend muslimisch geprägten Staaten Pakistan und später Bangladesch auf der einen und in die Republik Indien mit überwiegend hinduistischer Bevölkerung, aufgeteilt wurde. Der religiöse Gegensatz zwischen Indien und Pakistan ist ein wesentlicher Faktor in den gespannten Beziehungen zwischen beiden Staaten, doch auch innerhalb Indiens kommt es immer wieder zu heftigen Konflikten zwischen Angehörigen beider Glaubensrichtungen.
Inhaltsverzeichnis
Erste Kontakte
Im Gefolge der Islamischen Expansion und dem Sieg der Araber über das Perserreich der Sassaniden gelangte der Islam im Jahre 712, gut ein Jahrhundert nach dem Auftreten Mohammeds, bis an den Indus und damit an die Grenzen der indischen Welt. Frühzeitig entwickelten sich Handelskontakte zwischen Arabern und Indern, wobei vor allem die Hafenstädte der indischen Westküste dem gegenseitigen Austausch dienten. In Kerala kam es dabei zum Übertritt erster Hindus zum islamischen Glauben. Bereits im Jahr 642 wurde in Kasaragod eine erste Moschee errichtet. Weniger friedlich gestalteten sich die Verhältnisse am oberen Indus, wo die muslimischen Machthaber in Persien immer wieder in Konflikte mit den Herrschern von Sindh gerieten, ohne dabei zunächst territoriale Gewinne zu erzielen.
Besondere Bedeutung erlangte die nach der im heutigen Afghanistan gelegenen Stadt Ghazna benannte turkstämmige Dynastie der Ghaznawiden. Sie wurde 977 gegründet und attackierte unter Mahmud von Ghazni (998-1030) in insgesamt 17 Feldzügen das Industal, wobei die Kavallerie der Invasoren sich dem indischen Fußheer mit seinen Elefanten häufig überlegen zeigte. Den Ghaznawiden gelang es so, sich im Punjab festzusetzen. Am Hof der Ghaznawiden stellte sich zugleich eine erste kulturelle Blüte ein; so wirkten dort der Dichter Firdausi und der Mathematiker Al Biruni. Neben den kriegerischen Auseinandersetzungen lässt sich also bereits hier auch ein kultureller Austausch beobachten.
Die Angriffe der Ghaznawiden stellten zunächst allerdings aus indischer Perspektive eher eine Randerscheinung dar. Erst gegen Ende des 12. Jahrhunderts sollte es zu einem umfassenden Eroberungsversuch kommen. 1186 stürzten die Ghuriden die Ghaznawiden und bereits kurz darauf, im Jahre 1192 konnte Muhammad von Ghur eine Konföderation der indischen Rajputen unter Führung des Fürsten von Delhi, Prithviraj III. Chauhan in der Schlacht von Taraori besiegen. Muhammad zog daraufhin in Delhi ein. 1206 wurde er von seinem General Qutb-ud-Din Aibak ermordet, der damit das Sultanat von Delhi begründete und am Indus eine eigene Herrschaft errichtete.
Sultanat von Delhi
Bis etwa 1230 hatte das muslimische Sultanat die Kontrolle über das Gebiet nördlich der Narmada gewonnen, während sich im Süden des Subkontinents unabhängige hinduistische Fürsten halten konnten - eine Zweiteilung, die auch für die Folgezeit charakteristisch bleiben sollte. Die Sultane förderten die Ausbreitung des Islams und errichteten ein straffes Herrschaftssystem, dessen kennzeichnendes Merkmal die Vergabe weiter Gebiete an verdiente Gefolgsleute als Lehen (jagir) war. Auf diese Weise war auch ein gewisses Maß an Kontrolle über die Großen des Reiches gewährleistet. Die arabisch-indischen Kaufleute lebten in relativem Wohlstand und die arabische Welt profitierte durch den Ausbau des Handels mit Indien; die indischen Bauern und Handwerker hingegen lebten großteils in Armut, da sie beispielsweise unter Sultan Ala ud-Din Khalji die Hälfte ihrer Erträge als Steuern abliefern mussten. Aus religiösen Gründen wurden viele traditionelle hinduistische Klöster und Tempel zerstört und Schriften vernichtet. Zudem wurde den Hindus die Jizya, die "Ungläubigensteuer", auferlegt, was den Hass auf die Eroberer nährte. Da im Süden weiterhin hinduistische Reiche Widerstand leisteten, machte sich der seit 1325 regierende Sultan Muhammed Tughluk daran, auch die verbleibenden Hindu-Reiche zu unterwerfen. Tatsächlich gelang ihm innerhalb weniger Jahre die Eroberung des gesamten Subkontinents, doch kurze Zeit später zeigte sich, dass dieser Sieg die Ressourcen des Sultanats zu sehr beansprucht hatte. In Bengalen entstand 1338 ein eigenes Sultanat, 1347 ein weiteres, das Bahmani-Sultanat im heutigen Maharashtra. Vor allem aber erwuchs im hinduistischen Reich von Vijayanagar ("Stadt des Sieges"), das bis heute unter Hindus als Symbol des Widerstandswillens gegen die Muslime gilt, ein mächtiger Gegner. Sultan Firuz III., Herrscher seit 1351, versuchte unterdessen den Rückgang der islamischen Macht in Indien durch Reformen aufzuhalten; er erbaute Firozabad im Dekkan als neue Hauptstadt, förderte die Wirtschaft und nahm einige besonders hindu-feindliche Maßnahmen seiner Vorgänger zurück. Den Niedergang des Sultanats konnte er dennoch nur verzögern, nicht aufhalten. 1398 fiel der Mongolenherrscher Timur Lenk ins Sultanat ein, was die Hindus Indiens nutzten, um in Gujarat, Malwa und Jaunpur unabhängige Staaten auszurufen, sodass die Sultane von Delhi in den ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts über kaum mehr als die Stadt Delhi selbst regierten. Eine grundlegende Erneuerung der moslemischen Herrschaft erfolgte dann erst durch einen erneuten Eingriff von außen: Im Jahre 1526 stieß Babur, ein Urenkel Timurs, von seiner Residenz in Kabul nach Indien vor und besiegte den Sultan von Delhi, Ibrahim Lodi, unter Einsatz von Artillerie in der Ersten Schlacht bei Panipat. Damit begründete Babur das Mogulreich, das bis zur britischen Herrschaft Bestand haben sollte.
Mogulreich
Baburs Nachfolger Humayun hatte zunächst noch mit heftigem Widerstand der Hindus zu kämpfen und seinem Vasallen Sher Khan gelang es sogar, ihn aus Indien wieder zu vertreiben, doch gelang es den muslimischen Herrschern, wieder zurückzukehren und unter Akbar 1556 die Hindus in der Zweiten Schlacht bei Panipat zu besiegen. Dem Mogulreich gelang es, eine stabilere Herrschaft als die Sultane von Delhi zu errichten, da nunmehr die Regierung mehr nach politischen als nach religiösen Gesichtspunkten erfolgte. 1563 wurden die Sondersteuern für Hindus aufgehoben, Hindus wurde die Aufnahme in den Staatsdienst gestattet (der erste Minister der Region Malwa Anfang des 16. Jhs. war etwa ein Hindu), außerdem kam es nun vermehrt zu Ehen zwischen Hindu-Prinzessinnen und muslimischen Amtsträgern. 1583 verkündete Akbar in einem Edikt die religiöse Toleranz in einer zunehmend religiös diversifizierten Gesellschaft: Mit der Errichtung portugiesischer Stützpunkte an der Küste seit der Ankunft Vasco da Gamas fand das Christentum erste Anhänger in Indien, während sich innerhalb des Hinduismus neue Sekten bilden und es auch zu Formen synkretistischer muslimisch-hinduistischer Glaubensrichtungen kommt. In Nordindien propagierte Ramananda bereits im 15. Jh. die Bhakti-Bewegung, die auch für Muslime offen war und die sich vor allem die Kritik an überkommenen hinduistischen Tempelpraktiken zugunsten einer unmittelbareren Hinwendung des Gläubigen zu Gott zum Ziel setzte. Ramanandas Schüler Kabir verband dann um 1500 den islamischen Monotheismus mit der Lehre vom Karma. Eine nicht unbedeutende Rolle spielte auch der Sufismus, der auf islamischer Seite ähnliche mystische Strömungen vertrat und der wegen seiner unorthodoxen Inhalte für manchen Hindu leichter akzeptabel war als die traditionelle islamische Doktrin.
Ganz ohne Konflikte zwischen Hindus und Muslime verlief aber auch diese Periode nicht, was nicht zuletzt daran lag, dass es im Süden, wie schon zu Zeiten des Delhi-Sultanats, weiterhin selbständige Hindu-Staaten gab, mit denen das Mogulreich regelmäßig Krieg führte. Bereits unter Akbar kam es etwa 1568 bei Chitor zu einem Massaker an Rajputen. Auf Akbar folgte 1605 Jahangir, der als Sohn des muslimischen Moguls und einer Rajputen-Prinzessin zwar die väterliche Toleranzpolitik fortsetzte, wegen seiner Alkohol- und Opiumsucht aber einen schlechten Ruf bei Moslems und Hindus gleichermaßen genoss. Zugleich stieg der persische Einfluss am Mogulhof, der zu einer Blüte der Künste und Wissenschaften beitrug. Jahangirs Nachfolger Shah Jahan sorgte mit dem Bau des Taj Mahal, einem 1648 vollendeten Grabmal für seine Lieblingsfrau, schließlich für den Höhepunkt islamischer Baukunst in Indien. Unter dem Einfluss orthodox-muslimischer Geistlicher ging Shah Jahan zwar zunächst hart gegen Hindus und Christen vor, in der Folge konzentrierte er sich aber mehr auf seinen luxuriösen Lebensstil. Seinem Heer gelangen unterdessen Fortschritte durch die Eroberung mehrerer Hindu-Staaten in Zentralindien. Zu einer Verschärfung des muslimisch-hinduistischen Gegensatzes kam es dann unter Aurangzeb, der 1657 seinen Vater Shah Jahan stürzte und als gläubiger Muslim eine Politik der Intoleranz verfolgte. 1679 führte er entsprechend die Hindu-Steuer wieder ein, daneben ließ er Hindu-Tempel zerstören, Pilgerfeste verbieten und die Schari'a zur Grundlage des Rechtswesens erklären. In seiner fast 50-jährigen Herrschaft schuf sich der Mogul damit zahlreiche Feinde, darunter die Sikhs im Punjab, die Rajputen (nach Absetzung des hinduistischen Vasallen von Jaipur) und im Süden unter Shivaji geeinten Marathen. Nach Aurangzebs Tod im Jahre 1707 folgten eine Reihe eher unbedeutender Herrscher, die sich in rascher Folge ablösten, während die indischen Fürsten an Macht gewannen und die Kolonialmächte - zunächst Frankreich, seit 1763 Großbritannien - die Gegensätze unter den einheimischen Mächten nutzten, um ihren eigenen Einfluss auszudehnen. Zwar regierte in Delhi dann mit Shah Alam II. (1759-1806) wieder ein islamischer Herrscher etwas länger, doch war das Mogulreich längst nur noch ein Schatten seiner selbst und machtlos gegen die Einfälle der Afghanen, denen es 1788 gelang, Delhi zu plündern und den Mogul zu blenden.
Britische Herrschaft
Unterdessen bauten die Briten systematisch ihre Herrschaft, ausgehend von ihren Stützpunkten in Bengalen, Madras und Bombay, aus; 1803 erobern sie Delhi (das Mogulreich bestand formell bis zum Sepoy-Aufstand weiter) und mit dem Sieg über die Marathen 1818 waren sie unangefochtene Herrscher über den Subkontinent. Sie führten westliche Kultur und Technologie ein, verbesserten die Infrastruktur und schafften bis dahin übliche besonders harte Strafen, wie sie sowohl Muslime als auch Hindus ausübten (Pfählen, verstümmeln, Witwenverbrennungen), ab. Auch die Sklaverei, von der zunächst die Briten selbst profitiert hatten, fiel dem aufklärerischen Geist der Zeit zum Opfer. Jeglicher politische Widerstand gegen die britische Besatzungsherrschaft wurde dagegen verboten. Der Sepoy-Aufstand von 1857/58 wurde blutig niedergeschlagen, zu den Opfern zählten Muslime und Hindus gleichermaßen. Die Annahme des Titels "Kaiserin von Indien" durch die britische Königin Victoria im Jahre 1877 bildete den ersten krönenden Abschluss dieser Politik.
Der Beitrag der Muslime an der Befreiungsbewegung Indiens
Die britische Herrschaft schuf zum Einen eine durch die konsequente Ausbeutungspolitik verarmte Masse an Bauern (die einheimische Textilproduktion wurde durch die Kolonialwirtschaft ruiniert), es entstand aber zugleich ein gebildetes Bürgertum, das an den von den Briten errichteten Schulen westliche Ideen kennenlernte und für die eigenen Zwecke nutzbar zu machen suchte. 1885 gründeten muslimische und hinduistische Inder gemeinsam den Indischen Nationalkongress (INC), der sich die Unabhängigkeit Indiens auf die Fahnen schrieb. Da im INC bald die Hindus deutlich dominierten, gründeten muslimische Gegner der britischen Herrschaft 1906 im bengalischen Dhaka die Muslimliga, die seit 1916 unter der Leitung von Ali Jinnah stand. Im gleichen Jahr forderten sowohl INC als auch Muslimliga im Pakt von Lucknow von den Briten unmissverständlich die Autonomie für Indien, zumal indische Truppen einen nicht unwesentlichen Beitrag am Sieg der Alliierten im Ersten Weltkrieg leisteten.
Die Führung der Kronkolonie, die seit 1911 in der alten Mogulstadt Delhi residierte, reagierte auf diese Entwicklungen allerdings mit Härte. 1919 richteten britische Soldaten in Amritsar ein Massaker an, dem weit über 300 Sikhs, Muslime und Hindus zum Opfer fielen. In der Folge standen die Aktionen Mahatma Gandhis im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, doch auch muslimische Politiker trugen ihren Teil an der Unabhängigkeitsbewegung bei; zu nennen sind vor allem Abul Kalam Azad, der spätere erste Erziehungsminister der Republik Indien, Hakim Ajmal Khan, Begründer der Jamia Millia Islamia, der ersten islamischen Hochschule Indiens, Rafi Ahmed Kidwai, der sozialistische Ideen propagierte, Khan Abdul Ghaffar Khan, der sich wie Gandhi dem gewaltlosen Kampf verschrieb und ebenfalls lange Jahre im Gefängnis verbrachte, Maulavi Barkatullah, der im Afghanistan während des Ersten Weltkrieges Premierminister einer indischen Exilregierung und Gründer der Ghadar-Partei war, Syed Rahmat Shah, ebenfalls ein Aktivist der Ghadar-Partei, der 1915 wegen eines Umsturzversuchs von den Briten gehängt wurde, Ali Ahmad Siddiqui, der 1917 Syed Rahmat Shahs Schicksal teilte, Vakkom Abdul Khadar, der reiche Geschäftsmann Umar Subhani aus Bombay; auch muslimische Frauen waren maßgeblich am Unabhängigkeitskampf beteiligt, nachdem Hazrat Mahal bereits im Sepoy-Aufstand eine wichtige Rolle gespielt hatte.
Frühzeitig machten sich aber innerhalb der Unabhängigkeitsbewegung auch die alten hinduistisch-muslimischen Gegensätze geltend, so während des Moplah-Aufstandes von 1921, bei dem in Kerala mehrere Tausend Muslime und Hindus ums Leben kamen. Dies war ein erster Vorbote der Auseinandersetzungen, die dann 1947 mit voller Wucht ausbrechen sollten. Während die britische Führung in der Indienfrage auf Grund der Popularität Gandhis zunehmend in die Defensive geriet, standen die indischen Muslime vor der Perspektive, in einem unabhängigen Indien in eine Minderheitenposition zu geraten. Sie setzten daher zunehmend auf einen eigenen muslimischen Teilstaat, der in den Regionen Indiens etabliert werden sollte, in denen sie die Mehrheit bildeten. Angesichts der komplexen geschichtlichen Entwicklung war eine entsprechende Grenze nicht eindeutig zu ziehen und die Pläne trafen auch auf den Widerstand der Hindus, sodass Ali Jinnah und seine Muslimliga im Jahre 1936 beschlossen, jede Zusammenarbeit mit dem INC aufzukündigen. Die Dominanz des INC zeigte sich besonders 1937, als er bei regionalen Wahlen in 6 von 11 Provinzen als Sieger hervorging. 1940 stellte Ali Jinnah daraufhin eine Pakistan-Resolution vor, in der er von der Kolonialregierung die Unabhängigkeit eines muslimischen Staates in Indien neben einem hinduistischen einforderte. Er begründete die Zwei-Nationen-Theorie mit der unterschiedlichen Lebensweise der beiden Religionsgemeinschaften:
Hindu und Moslem haben verschiedene religiöse Hintergründe, ein anderes Alltagsleben und eine andere Literatur. Sie heiraten nicht miteinander und essen auch nicht miteinander da sie zu zwei verschiedenen Kulturen gehören, die auf widersprüchlichen Ideen und Konzepten beruhen. [..]Das Zusammenzwängen solcher Völker in einem einzigen Staat – die einen als zahlenmäßige Minderheit, die anderen als Mehrheit – muss zu wachsender Unzufriedenheit und schlussendlicher Zerstörung der Regierungsstrukturen eines solchen Staates führen.
Die Bedrohung durch Japan, das im Zweiten Weltkrieg Birma besetzte, gab zwar den Briten noch einmal einen gewissen Rückhalt, mit dem Ende des Krieges wurde dafür die Forderung nach Entkolonialisierung nur umso lauter. Die Briten sahen sich dadurch gezwungen, ihren indischen Kolonialbesitz am 15. August 1947 in die Unabhängigkeit zu entlassen, wobei sie, entsprechend Jinnahs Vorstellungen, einer Teilung in die Staaten Indien und Pakistan zustimmten (Mountbattenplan).
Muslime im unabhängigen Indien
Die Ausführungen dieser Beschlüsse führte unmittelbar zur Eskalation der ohnehin gespannten muslimisch-hinduistischen Beziehungen. Es kam zu Massakern und zur Vertreibung mehrerer Millionen Hindus und Muslime (bis 1963 flohen insgesamt rund 7,5 Mio. Muslime aus Indien nach West-Pakistan und 5,5 Mio. Hindus von dort nach Indien; für Ost-Pakistan ist von 1,0 Mio. muslimischen und 3,3 Mio. hinduistischen Flüchtlingen auszugehen). Bis zu 750.000 Menschen sind dabei vermutlich ums Leben gekommen. Zum bis heute umstrittenen Zankapfel wurde Kaschmir, wo eine Volksabstimmung scheiterte, pro-pakistanische Milizen erhoben sich gegen den pro-indischen Maharaja Kaschmirs, was dann zum Ausbruch des Ersten Indisch-Pakistanischen Krieges führte, der 1948 unter Vermittlung der UN mit der Einrichtung einer Waffenstillstandslinie beendet wurde. Zugleich ging die indische Regierung mit Waffengewalt gegen den bislang von einem muslimischen Herrscher geführten Fürstenstaat Hyderabad vor, das, ebenso wie der kleine Fürstenstaat Junagadh auf der Halbinsel Gujarat, dem indischen Staat einverleibt wurde.
In Pakistan wurde unterdessem Ali Jinnah zum Staatspräsidenten erhoben, während in Indien Jawaharlal Nehru als Ministerpräsident bis 1964 die Politik leitete. Als Führer des eher säkularen INC war ihm an einer Beruhigung der religiösen Konflikte gelegen. Die 1950 verabschiedete Verfassung sah entsprechende religiöse Toleranz und Gleichberechtigung ungeachtet des jeweiligen Glaubens vor. Dennoch blieb die Situation der Muslime in Indien oft kritisch. Unter den Muslimen, die ins benachbarte Pakistan flüchteten (die so genannten Muhajirs) waren vor allem wohlhabendere Leute, sodass in Indien eher weniger bemittelte Muslime zurückblieben, die in einem mehrheitlich hinduistischen Umfeld immer wieder Verdächtigungen und Übergriffen ausgesetzt waren. Gelang es muslimischen Unternehmern dennoch, eigene Industriebetriebe zu führen, wie z.B. Wipro Ltd., Wockhardt, Himalaya Health Care, Hamdard Laboratories, Mirza Tanners, u.a., so war auch dies häufig wieder Grund für Misstrauen von Seiten mancher Hindus. Die politische Führung Indiens demonstrierte unterdessen ihren Willen zur religiösen Gleichberechtigung durch entsprechende politische Gesten. So war das (allerdings in Indien vergleichsweise machtlose) Amt des Staatspräsidenten 1967–1969 mit Zakir Hussain, 1974–1977 mit Fakhruddin Ali Ahmed und 2002–2007 mit Abdul Kalam in den Händen von Muslimen. Auch in anderen Bereichen der indischen Gesellschaft gelingt es Muslimen mitunter, erfolgreich Karriere zu machen. Bekannt geworden sind dabei unter anderem: Mohammed Khan, Muzaffar Ali und Rafeeq Ellias in der Werbebranche, M. F. Husain, S. H. Raza, Akbar Padamsee, Ghulam Mohammed Sheikh und Tyeb Mehta im Bereich der Kunst, Irfan Habib, Mushirul Hasan, Shahid Amin und Zoya Hasan als bedeutende Gelehrte, Habib Tanvir, Ebrahim Alkazi, Jabbar Patel und Zohra Sehgal in der Theaterbranche, Rahi Masoom Reza, Ali Sardar Jafri, Kamala Suraiya und Kaifi Azmi als Schriftsteller, die Journalisten M. J. Akbar und Zahid Ali Khan, im Sport Mohammad Azharuddin, Sayyed Kirmani und Mushtaq Ali, aber auch in der Hindi-Filmindustrie "Bollywood" gibt es einige namhafte Muslime, etwa die Schauspieler Aamir Khan, Shahrukh Khan, Salman Khan, Zayed Khan, Saif Ali Khan, Fardeen Khan, Naseeruddin Shah und die Schauspielerinnen Tabu, Shabana Azmi, Zeenat Aman, Waheeda Rehman und Meena Kumari oder die Regisseure Farhan Akhtar, K. Asif, Akbar Khan.
Dieser Integrationsleistung stehen die weiter bestehenden und oft blutig ausgetragenen Konflikte gegenüber. Die Kaschmir-Frage und ein unklarer Grenzverlauf im Gebiet des Rann von Kachchh waren im Jahr 1965 Anlass für den Zweiten Indisch-Pakistanischen Krieg. Die seit 1966 regierende Indira Gandhi, die Tochter Nehrus, griff 1971 in die Auseinandersetzungen zwischen der pakistanischen Regierung und dem nach Unabhängigkeit strebenden Ostpakistan ein, sodass es erneut zum Krieg zwischen Pakistan und Indien kam, der damit endete, dass Ostpakistan als Bangladesch mit indischer Hilfe die Selbständigkeit erlangte. Während es in der Folge gelang, den muslimisch-hinduistischen Gegensatz weitgehend friedlich zu halten, kam es zunehmend zu Konflikten zwischen Sikhs und Hindus, die im Sturm auf den Goldenen Tempel von Amritsar und in der Ermordung Indira Gandhis 1984 gipfelten.
Erst in den 90er Jahren eskalierten die Konflikte zwischen Muslimen und Hindus wieder. Anlass war der Streit um die Moschee von Ayodhya, einer Stadt am Ganges, die den Hindus als heilig gilt. Der Hindu-Anführer Lal Krishna Advani, einer der führenden Köpfe in der BJP, die für eine Hinwendung zu alten Hindu-Traditionen eintritt, forderte zu Beginn der 90er Jahre den Abriss der 1528 von Babur erbauten Babri-Moschee, da diese auf den Resten eines alten Hindu-Tempels stehe. Daher sollte an Stelle der Moschee ein neuer hinduistischer Tempel, der Ram-Janmabhumi-Tempel erbaut werden. Am 6. Dezember 1992 stürmte eine fanatisierte Menschenmenge die Moschee und zerstörte sie, die Zentralregierung verbot allerdings den Bau eines Hindu-Tempels an dieser Stelle. Zu erneuten Unruhen kam es 2002, als Terroristen einen Zug mit Hindu-Pilgern überfielen und in Gujarat daraufhin hinduistische Fanatiker mit Massakern an Muslimen antworteten. Der Gegensatz zwischen Muslimen und Hindus bleibt somit auch heute innerhalb der indischen Gesellschaft ebenso virulent wie der Gegensatz zwischen Indien und Pakistan, die mittlerweile beide zu Atommächten aufgestiegen sind.
Als Konzession an den großen Bevölkerungsanteil von Moslems in Indien gelten für sie eigene familienrechtliche Regelungen zur islamischen Ehe.
Bevölkerungsstatistik
Von den 135,5 Mio. indischen Muslimen leben die meisten in den Bundesstaaten Uttar Pradesh (30,7 Mio.), Westbengalen (20,2 Mio.) und Bihar (13,7 Mio.). Eine Bevölkerungsmehrheit bilden die Muslime in Jammu und Kashmir (67%) und Lakshadweep (95%); hohe muslimische Bevölkerungsanteile gibt es auch in Assam (31%), Westbengalen (25%), Kerala (25%) und Karnataka (15%) (alle Angaben entsprechend der Volkszählung 2001).
Literatur
- Kulke, Hermann, und Rothermund, Dietmar: Geschichte Indiens. Von der Induskultur bis heute. Broschierte Sonderausgabe bei Verlag C.H. Beck oHG, München 2006, ISBN 978-3-406-54997-7. (Standardwerk zur Geschichte Indiens)
Weblinks
- Aspekte der Heterogenität des Islam in Indien von Christoph S. Sprung auf der Website des Südasien-Informationsnetz e.V.
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