John le Carré

John le Carré
John le Carré beim „Zeit Forum Kultur“ in Hamburg am 10. November 2008

John le Carré (* 19. Oktober 1931 in Poole, Dorset, Vereinigtes Königreich; eigentlich David John Moore Cornwell) ist ein englischer Schriftsteller.

Inhaltsverzeichnis

Leben

John le Carrés Mutter Olive (Gassy) Cornwell verließ die Familie, als er fünf Jahre alt war. Sein Vater Richard Thomas Archibald (Ronnie) Cornwell (1906–1975), mehrfach wegen Betrugs und anderer hochstaplerischer Delikte verurteilt,[1] übte zeitlebens großen Einfluss auf ihn aus; in seinem stark autobiografisch geprägten Roman A Perfect Spy (dt. Ein blendender Spion) verarbeitete er die Beziehung literarisch.

Le Carré studierte 1948-1949 Germanistik und Neue Sprachen an der Universität Bern, u. a. bei Fritz Strich, der ihn trotz fehlender Deutschkenntnisse förderte.[2] 1950 trat er dem Nachrichtendienst der Britischen Armee in Österreich bei. Dort vernahm er Personen, die über den Eisernen Vorhang geflüchtet waren. 1952 kehrte er nach England zurück und studierte am Lincoln College Oxford, wo er für den britischen Inlandsgeheimdienst MI5 ultralinke Gruppen nach Sowjetagenten ausspionierte. Nach einer kurzen Unterbrechung seines Studiums wegen der Insolvenz seines Vaters schloss er 1956 sein Studium in Oxford mit Auszeichnung ab. Am Eton College lehrte er für zwei Jahre Französisch und Deutsch. 1958 wurde er MI5 Agent und wechselte 1960 zum Secret Intelligence Service, dem britischen Auslandsgeheimdienst (MI6), für den er in Bonn und Hamburg arbeitete. In dieser Zeit schrieb er seine ersten Romane, um 1964 den Dienst zu quittieren und sich unter seinem Künstlernamen John le Carré ausschließlich der Schriftstellerei zu widmen.

1954 heiratete er Alison Ann Veronica Sharp, mit der er drei Söhne hat. Diese Ehe wurde 1971 geschieden. 1972 heiratete er die Lektorin Valérie Jane Eustace. Mit ihr hat er einen Sohn, der unter dem Namen Nick Harkaway publiziert.

Thema seiner Romane war bis in die achtziger Jahre der Ost-West-Gegensatz und der Kalte Krieg. Sie zeichnen sich durch differenzierte psychologische Zeichnung der handelnden Figuren aus und sind akribisch recherchiert. Le Carré brach mit der herkömmlichen Schwarz-Weiß-Sichtweise. Der Westen greift im Kampf gegen den Kommunismus zu den Methoden des Ostens und verrät so die Ideale, für die er kämpft. Le Carré stellt in seinen Romanen wiederholt die Frage, ob der Zweck die Mittel heiligt und ob der Westen zu den Mitteln des Ostens greifen darf, um sich zu verteidigen, und trotzdem eine Gesellschaft bleibt, die es wert ist, verteidigt zu werden. Auch nach Ende des Kalten Krieges ist le Carré seiner Thematik treu geblieben: Männer, die sich für das Individuum und gegen die Institution entscheiden, sowie Kritik an der Politik des Westens. Die Zeitung The Independent nannte le Carré in Bezug auf die Zeitkritik in seinen Romanen „eine faszinierende Mischung aus Patrizier und Populist.“[3]

Im Februar 2011 bot John le Carré der Bodleian Library, Universität Oxford, sein literarisches Archiv zur bleibenden Aufbewahrung an.[4]

Werk

Bereits in seinem ersten Roman Schatten von Gestern führt er George Smiley ein, seinen wohl bekanntesten Protagonisten, dessen Genialität als Geheimdienstmann im krassen Gegensatz zu seiner Unfähigkeit zu sozialen Bindungen steht. Seine Ehefrau Ann wird ihn bereits nach zwei Jahren wegen eines Autorennfahrers aus Kuba verlassen. „Klein, dick und von ruhiger Gemütsart, schien er eine Menge Geld für wirklich miserable Anzüge auszugeben, die auf seinem viereckigen Gestell wie die Haut einer verschrumpelten Kröte wirkten.“[5] So wird er in einem kurzen ‚Curriculum Vitae‘ in Schatten von Gestern vorgestellt, ein einfacher Mann, „der weder Schule, Eltern, Regiment oder Beruf noch Reichtum oder Armut aufweisen konnte.“ Nach bescheidener Mittelschule und bescheidenem College in Oxford wird er 1928 vom Geheimdienst angeheuert, als englischer Lektor an eine kleine Universität nach Deutschland geschickt, wo er potentielle Agenten sichtet, schließlich beginnt er „die großmäulig hinterhältige Invasion des neuen Deutschland zu hassen“, muss die Bücherverbrennungen des Jahres 1937 mit ansehen, wo ihn „zugleich mit Hass der Triumph überwältigte, dass er seine Gegner kannte“. 1939 kommt er nach Schweden, er hat inzwischen ein Talent für Tarnung entwickelt, und doch ruft man ihn 1943 nach England zurück. Nach dem Krieg ändert sich alles, „die NATO und alle verzweifelten Maßnahmen, die von den Amerikanern ins Auge gefasst wurden, änderten gänzlich die Art von Smileys Dienst… Die amateurmäßige Inspiration einer Handvoll hochqualifizierter, schlecht bezahlter Männer war der betriebsamen Leistungsfähigkeit, dem Bürokratismus und den Intrigen einer großen Ministerialsektion gewichen.“ Hier beginnt Smileys literarische Karriere.

Der internationale Durchbruch gelingt le Carré mit seinem dritten Buch Der Spion, der aus der Kälte kam, in dem Smiley lediglich im Hintergrund die Fäden zieht. Der britische Agent Leamas, dessen Ost-Berliner Spionagering enttarnt wurde (mit schrecklichen Konsequenzen für seine Agenten), wird auf eine letzte Mission in den Osten geschickt. Zu spät muss er erkennen, dass er lediglich eine Schachfigur in dem zynischen Spiel der Geheimdienste darstellt. Diese Darstellung der Agentenwelt steht in einem starken Kontrast zu den zeitgleich erschienenen und verfilmten Spionage-Geschichten um die Figur des James Bond. In der Verfilmung des Romans spielt Richard Burton die Rolle des Leamas.

In den Romanen Dame, König, As, Spion und Agent in eigener Sache wird Smileys Kampf gegen seinen russischen Widersacher mit dem Decknamen Karla geschildert, von der Enttarnung eines russischen Maulwurf-Agenten im britischen Geheimdienst (offenbar eine Anspielung auf die Affäre um Kim Philby) bis zum endgültigen Sturz seines Widersachers. Was Smiley antreibt, wird nie ganz klar, jedenfalls sind es keine ideologischen Motive; die vermutet man eher bei Karla. Smiley ist im Laufe der Zeit desillusioniert worden, er kämpft nicht mehr für oder gegen eine Sache, sondern tut das, was er am besten kann, weil er eben nichts anderes kann. Die beiden Geschichten wurden von der BBC mit Alec Guinness in der Rolle des George Smiley verfilmt. Le Carré war sehr zufrieden mit der Umsetzung, an der er beteiligt war, sah sich aber dennoch nicht mehr in der Lage, die Figur weiterzuentwickeln, da sich danach vor seinem inneren Auge immer Alec Guinness vor sein eigenes Bild von George Smiley stellte.

1991 erscheint dann doch noch der Roman Der heimliche Gefährte, in dem sich ein alt gewordener Spion noch einmal an Episoden seines Lebens erinnert. Smiley taucht hier hauptsächlich als Stichwortgeber auf, um den Ich-Erzähler Ned noch einmal die komischen, heldenhaften oder absurden Stationen seiner Laufbahn passieren zu lassen.

Neben dem Ost-West-Konflikt beschäftigt sich le Carré auch mit den Spannungen im Nahen Osten. In Die Libelle setzt ein israelisches Agenten-Team eine junge Engländerin auf einen palästinensischen Top-Terroristen an. Auch hier steht neben der spannenden und realistischen Handlung die Frage nach der Moral im Vordergrund; die Manipulation von Personen und das Ausnutzen der menschlichen Schwächen des Gegners. Nicht zuletzt wird auch die ungerechte Behandlung der Palästinenser geschildert.

Auch in seinen späteren Romanen gelingt es ihm, wichtige zeitgenössische Themen in eine hochkomplexe und spannende Handlung einzubinden, so auch in seinem Buch Der ewige Gärtner, in dem es um die Machenschaften international agierender Pharma-Konzerne geht. Immer wieder begegnet man tragischen und skurrilen Gestalten, die oft auf persönlichen Begegnungen während seiner Recherche-Reisen basieren. In Der Nacht-Manager (1993) beschreibt er detailliert den internationalen Waffenhandel, in Marionetten (2008) widmet er sich der nach dem 11. September 2001 in der Gesellschaft herrschenden Furcht vor islamistischem Terror.

Auszeichnungen

Für sein literarisches Schaffen wurde er von den Mystery Writers of America 1984 mit dem Grand Master Award und von der Vereinigung der englischen Krimi-Schriftsteller 1988 mit dem Diamond Dagger ausgezeichnet.

2005 vergab die britische Crime Writers' Association (CWA) anlässlich der 50. Verleihung einen speziellen Dagger of Daggers für den besten Kriminalroman der letzten 50 Jahre. Preisträger war John Le Carré mit seinem Roman The Spy Who Came In From The Cold (dt.: Der Spion, der aus der Kälte kam). Weitere Auszeichnungen:

Werke

Romane

Drehbücher

  • 1970 The End of the Line, ein Fernsehfilm der britischen Serie Armchair Theatre, ausgestrahlt am 29. Juni 1970, Regie: Alan Cooke
    • als deutsche Buchausgabe: Endstation, dt. von Hubert von Bechtolsheim und Marianne de Barde; Köln: Kiepenheuer & Witsch 1985. ISBN 3-462-01710-1
  • 2001 Der Schneider von Panama, zusammen mit John Boorman und Andrew Davies

Verfilmungen

  • 1965 Der Spion, der aus der Kälte kam (The Spy Who Came in from the Cold) – nach dem gleichnamigen Roman
  • 1966 Dare I Weep, Dare I Mourn – Fernsehfilm nach einer Kurzgeschichte; GB; Regie: Ted Kotcheff [6]
  • 1966 Anruf für einen Toten (The Deadly Affair) – nach dem Roman „Call for the Dead“; GB; Regie: Sidney Lumet
  • 1968 Krieg im Spiegel (The Looking Glass War) – nach dem gleichnamigen Roman
  • 1970 The End of the Line – Originaldrehbuch für eine Episode der englischen TV-Serie The Armchair Theatre
  • 1979 Dame, König, As, Spion (Tinker Tailor Soldier Spy) – nach dem gleichnamigen Roman; 7-tlg. BBC-Fernseh-Serie
  • 1982 Smileys Leute – Agent in eigener Sache (Smiley's People) – nach dem gleichnamigen Roman; 6-tlg. BBC-Fernseh-Serie
  • 1984 Die Libelle (The Little Drummer Girl) – nach dem gleichnamigen Roman; USA; Regie: George Roy Hill
  • 1987 Ein blendender Spion (A Perfect Spy) – nach dem gleichnamigen Roman; 7-tlg. BBC-Fernseh-Serie
  • 1990 Das Russland-Haus (The Russia House) – nach dem gleichnamigen Roman
  • 1991 Der Mörder mit den Silberflügeln (A Murder of Quality) – Fernsehfilm nach dem gleichnamigen Roman; GB; Regie: Gavin Millar
  • 2001 Der Schneider von Panama (The Tailor of Panama) – nach dem gleichnamigen Roman
  • 2005 Der ewige Gärtner (The Constant Gardener) – nach dem gleichnamigen Roman

Zitate

Die Täuschung der Öffentlichkeit durch Politik und Medien hat einen Grad erreicht, den ich für höchst gefährlich halte. (…) Wir leben in einer Welt virtueller Nachrichten. Und so gesehen fällt Autoren und Filmemachern die Verantwortung zu, diese Informationslücke zu füllen.“ Aus einem Interview mit der Zeitung Die Welt am 3. Januar 2006 (siehe Weblinks)

Ich weiß nicht, ob es Berechnung, Scham oder Verdrängung war. Aber in jedem Fall geht es nicht. Man stelle sich vor, jemand hat sein Leben lang gegen die Homosexualität gepredigt, und dann zeigt sich, dass er einen Jungen als Geliebten gehabt hat. Das ist dann nicht Scham oder Verdrängung, sondern Heuchelei.“ Aus einem Interview mit der dänischen Zeitung Jyllands-Posten im August 2006 auf eine Frage zu Günter Grass’ Bekenntnis zu seiner Zeit in der Waffen-SS.

Wenn wir sterben, dann sterben wir an Selbstbetrug, Desinteresse und Apathie. Die Medien mit ihrem ‚eingebetteten Journalismus‘ haben versagt, haben sich alles erzählen lassen und verbreiten weiter die Lügen der Regierungen. Für Mussolini ist der Faschismus die Identität von Staats- und Wirtschaftsmacht. Der Unterschied zu damals besteht darin, dass auch noch die Medien dabei mitmachen.“ Kommentar von John Le Carré zum Krieg gegen den Terror, aus einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung, 16. September 2006.

Literatur

  • Peter Bennett: Wilderness of mirrors: the representation of identity and subjectivity in the spy novels of John le Carré. Hannover 1998.
  • Myron J. Aronoff: The spy novels of John le Carre? Balancing ethics and politics. St. Martin’s Press, New York 1998. ISBN 0-312-21482-0
  • Jost Hindersmann: John le Carré – Der Spion, der zum Schriftsteller wurde. NordPark, Wuppertal 2002. ISBN 3-935421-12-5
  • Vittorio Hösle: Berufsethik der Geheimdienste und Krise der hohen Politik. Philosophische Betrachtungen zum literarischen Universum von John Le Carrés Spionageroman im allgemeinen und zu „Absolute Friends“ im besonderen. In: Deutsche Vierteljahresschrift 79 (2005), S. 131-159.
  • Elena Jenssen: Die Narrativik des Geheimen: Erzählplots in den Spionageromanen von John Le Carré. Libri Books on Demand, Norderstedt 2000. ISBN 3-8311-0371-2
  • David Monaghan: Smiley's Circus – Die geheime Welt des John le Carré. Heyne Verlag, München 1992. ISBN 3-453-05629-9
  • Winfried Schuster: Parallele und Kontrast in den Spionageromanen von John le Carré als Zeichen einer Humanität. Untersuchungen zur Erzähltechnik bei David John Moore Cornwell. Laumann Verlag, Dülmen 2005. ISBN 3-89960-269-2

Verweise

  1. "Dank meinem Vater, einem Hochstapler und Betrüger, war ich schon in meiner Kindheit mit dem verführerischen Charme der kriminellen Welt vertraut und genötigt, mir für mein Leben ein moralisches Konzept zurechtzuschnitzen." Interview mit Thomas David in 'Neue Zürcher Zeitung' 12. März 2011 S. 69
  2. Interview in Schweizer Radio DRS 1 am 11. Oktober 2010, "Tagesgespräch"
  3. The Independent: Our Kind of Traitor
  4. Bodleian Libraries: John le Carré to gift his entire literary archive to the Bodleian Library. 24. Februar 2011 (englisch; abgerufen am 24. Februar 2011)
  5. Schatten von Gestern, dt. von Ortwin Much, Wien/Hamburg: Zsolnay, 1963, S.9ff
  6. Beruht auf einer Kurzgeschichte von Le Carré. Siehe Internet Movie Database

Weblinks


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