Walter Ulbricht

Walter Ulbricht
Walter Ulbricht (1950)

Walter Ernst Paul Ulbricht (* 30. Juni 1893 in Leipzig; † 1. August 1973 in Groß Dölln, DDR) war ein deutscher Politiker der KPD sowie später der SED und Staatsratsvorsitzender der DDR.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Walter Ulbricht war gelernter Tischler. Bereits 1908 trat er dem Arbeiterjugendbildungsverein Alt-Leipzig bei, 1912 wurde er Mitglied der SPD. Während des Ersten Weltkrieges diente er als Soldat an der Ost- und Westfront.

Weimarer Zeit

Im Jahr 1917 trat er der USPD bei, einer Abspaltung der SPD. Während der Novemberrevolution 1918 war Ulbricht Mitglied des Soldatenrates seines Armeekorps. Nach seiner Rückkehr nach Leipzig nahm er 1919 an der Gründung der KPD teil, für die er von 1926 bis 1929 im sächsischen Landtag saß. Ab 1928 war er für den Wahlkreis Westfalen-Süd auch Mitglied des Reichstags[1] und kurz darauf auch im Zentralkomitee (ZK) seiner Partei und ab 1929 Politischer Leiter des KPD-Bezirks Berlin-Brandenburg-Lausitz-Grenzmark.

Zwischen 1933 und 1945

Nach der Machtübernahme der NSDAP im Januar 1933 nahm Ulbricht am 7. Februar 1933 an der illegalen Tagung des Zentralkomitees der KPD im Sporthaus Ziegenhals bei Berlin teil.[2] Er führte die Arbeit der KPD in der Illegalität weiter und wurde daher steckbrieflich gesucht, weswegen er nach Paris emigrierte.

1940 verurteilte Walter Ulbricht in der von ihm herausgegebenen Stockholmer Zeitschrift „Welt“ jedoch die Vorschläge anderer Widerständler, England im Weltkrieg gegen Deutschland zu unterstützen. Er schrieb, dass fortschrittliche Kräfte nicht „den Kampf gegen den Terror und gegen die Reaktion in Deutschland führen“, nur um stattdessen dem „englischen Imperialismus" zum Sieg zu verhelfen. Ulbricht verteidigte den Deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt und erklärte als Reaktion, das Hitlerregime werde unter anderem wegen der Stärke der Roten Armee nun im Gegensatz zu England notgedrungen einen friedlichen Weg einschlagen. „Die deutsche Regierung erklärte sich zu friedlichen Beziehungen zur Sowjetunion bereit, während der englisch-französische Kriegsblock den Krieg gegen die sozialistische Sowjetunion will“, so Ulbricht.[3]

Nach seinem Aufenthalt in Paris und Prag zog er im Jahr 1938 nach Moskau, wo er ab 1941 beim deutschsprachigen Programm von Radio Moskau arbeitete. In Kriegsgefangenenlagern und an der sowjetischen Front betreute er deutsche Soldaten und versuchte, sie für den Aufbau eines deutschen Staates im Sinne der KPD zu gewinnen. So forderte er deutsche Soldaten in Stalingrad über Megaphon zur Kapitulation und zum Überlaufen auf. 1943 war er Mitbegründer des „Nationalkomitees Freies Deutschland“ (NKFD) in der Sowjetunion: Nach einer Idee der politischen Abteilung der Roten Armee sollten kommunistische Emigranten und deutsche Kriegsgefangene zusammenarbeiten, im Sinne der Volksfronttaktik.[4]

Landtagsabgeordneter

Nach seiner Zeit als Abgeordneter für die KPD im Landtag von Sachsen 1926-1928 war Walter Ulbricht von 1946 bis 1951 Abgeordneter des Landtages der Provinz Sachsen bzw. Sachsen-Anhalt (ab 1947 Land Sachsen-Anhalt). Im Landtag von Sachsen-Anhalt gehörte er der Fraktion der SED an und war Mitglied des Ausschusses für Recht und Verfassung und des Wirtschaftsausschusses.

Der Aufbau der DDR unter Ulbricht

Mao, Stalin und Ulbricht, 1949
Ulbricht beim III. Deutschen Turn- und Sportfest in Leipzig 1959

Am 30. April 1945 kehrte Ulbricht als Chef der nach ihm benannten Gruppe Ulbricht in das zerstörte Deutschland zurück und organisierte die Neugründung der KPD und 1946 den Vereinigungsparteitag von KPD und SPD in der Sowjetischen Besatzungszone.[5]

Nach der Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 wurde er stellvertretender Vorsitzender im Ministerrat unter dem Vorsitzenden Otto Grotewohl, übertraf jedoch diesen und Staatspräsident Wilhelm Pieck an Macht. 1950 folgte Ulbrichts Ernennung zum Generalsekretär des ZK der SED, einer Position, die 1953 in Erster Sekretär des ZK der SED umbenannt wurde.

Nach dem Tod Josef Stalins war die Position Ulbrichts zeitweise stark gefährdet, da er als Prototyp des Stalinisten galt. Paradoxerweise rettete ihn der Volksaufstand des 17. Juni 1953, da die Sowjetunion seine geplante Absetzung als Schwächezeichen verstanden hätte. Eine schon vorgestellte Briefmarke mit Ulbrichts Porträt für das Standardporto eines Briefes der DDR wurde allerdings nicht ausgegeben. Die mangelnde Rückendeckung seiner innerparteilichen Rivalen Wilhelm Zaisser und Rudolf Herrnstadt seitens der Besatzungsmacht stärkte seine Position, so dass er den politischen Machtkampf innerhalb der SED für sich entscheiden konnte. 1960 wurde er Vorsitzender zweier neu geschaffener Gremien, des Nationalen Verteidigungsrates und des Staatsrates, der nach dem Tode Wilhelm Piecks das Amt des Präsidenten der DDR ersetzte. Ulbricht war damit Staatsoberhaupt der DDR und hatte die entscheidenden Herrschaftsfunktionen über Staat und Partei auf seine Person vereint. Innerparteiliche Kritiker wie Karl Schirdewan, Ernst Wollweber, Fritz Selbmann, Fred Oelßner, Gerhart Ziller und andere wurden ab 1958 als „Fraktionsbildner“ diffamiert und politisch ausgeschaltet. Der Historiker Stefan Alisch meint deshalb, er habe die Machtfülle eines Diktators besessen.[6]

Mauerbau

Mauerbau im November 1961

Der Bau der Berliner Mauer durch die DDR 1961 fand unter Ulbrichts politischer Verantwortung statt, nachdem er als Ergebnis harter Verhandlungen die Moskauer Staatsführung von der Notwendigkeit ihres Baues aus Sicht der DDR-Regierung (wegen der damaligen Abwanderung der gut Ausgebildeten und der Elite, dem so genannten „Ausbluten“) überzeugt hatte.

Zunächst hatte er sich auf einer Pressekonferenz am 15. Juni 1961 bemüht, derartige Absichten öffentlich zu dementieren, auch indem er auf die Frage der westdeutschen Journalistin Annamarie Doherr: „Ich möchte eine Zusatzfrage stellen. Doherr, Frankfurter Rundschau. Herr Vorsitzender, bedeutet die Bildung einer freien Stadt Ihrer Meinung nach, dass die Staatsgrenze am Brandenburger Tor errichtet wird? Und sind Sie entschlossen, dieser Tatsache mit allen Konsequenzen Rechnung zu tragen?“ antwortete: „Ich verstehe Ihre Frage so, dass es Menschen in Westdeutschland gibt, die wünschen, dass wir die Bauarbeiter der Hauptstadt der DDR mobilisieren, um eine Mauer aufzurichten, ja? Ääh, mir ist nicht bekannt, dass solche Absicht besteht, da sich die Bauarbeiter in der Hauptstadt hauptsächlich mit Wohnungsbau beschäftigen, und ihre Arbeitskraft voll eingesetzt wird. Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!“[7] Obwohl nicht speziell nach der Art der Abriegelungsmaßnahmen gefragt wurde, war Ulbricht selbst damit der erste, der den Begriff „Mauer“ diesbezüglich in den Raum stellte. Ob er dies aus einer Unachtsamkeit heraus oder mit Absicht tat, konnte nie abschließend geklärt werden.

Zwei Monate später, am Sonntag, den 13. August 1961, begannen nachts gegen 1 Uhr Streitkräfte der DDR, die Grenze zwischen Ost- und West-Berlin, sowie der zwischen West-Berlin und der DDR auf ihrer vollen Länge (nahezu 170 km) praktisch lückenlos und zur gleichen Zeit mit einem gewaltigen Aufwand an Menschen und Material abzuriegeln und Sperranlagen zu errichten.

National orientierte Architektur und Kulturpolitik

Walter Ulbricht (1970)
Walter-Ulbricht-Büste der Bildhauerin Ruthild Hahne, für die Ulbricht 1963 selbst Modell gesessen hat
Ulbricht mit Ehefrau, Lotte Ulbricht

Beim Aufbau der DDR forderte Ulbricht auf dem III. Parteitag der SED die Abkehr vom (westlichen, im Bauhaus in Weimar begründeten) Formalismus. Die Architektur habe der Form nach national zu sein. Diese gespaltene Haltung spiegelte sich in der Gründung einer Deutschen Bauakademie und Zeitschriften mit dem Titel „Deutsche Architektur“ und etlichen widersprüchlichen Abbruch- und Baumaßnahmen wider. Besonders umstritten war die Sprengung der Leipziger Universitätskirche, viele Neubauten erfolgten im neoklassizistischen Stil wie die Stalinallee in Berlin.

Ulbricht sah den Sozialismus als eigenständige längerdauernde Phase und setzte sich damit auch von anderen Ländern im RGW ab. Einen in diesem Sinne „nationalen Weg zum Sozialismus“ spiegeln auch die Verwendung von Elementen der früheren Wehrmachtsuniform bei den NVA-Uniformen, nach preußischen Militärs benannte Orden der NVA wie dem Blücher- und dem Scharnhorst-Orden sowie der später unter Honecker nicht mehr gesungene Text der DDR-Hymne wider.

Nach dem Mauerbau 1961 öffnete sich die DDR zunächst nach innen, insbesondere gegenüber der Jugendkultur in der DDR, Ulbricht beabsichtigte eine möglichst umfassende eigene Jugendkultur der DDR zu schaffen, die weitgehend unabhängig von westlichen Einflüssen sein sollte. Bekannt wurde seine auf das „Yeah, Yeah, Yeah“ der Beatles anspielende Aussage „Ist es denn wirklich so, dass wir jeden Dreck, der vom Westen kommt, nu kopieren müssen? Ich denke, Genossen, mit der Monotonie des Je-Je-Je, und wie das alles heißt, ja, sollte man doch Schluss machen.“[8]

Verwaltungs- und Wirtschaftspolitik

Prägend für die Neugliederung der DDR war die Ausschaltung und Beseitigung der Selbstverwaltung durch Auflösung der fünf Länder und Neugliederung in 14 Bezirke (25. Juli 1952), zu denen (Ost-)Berlin als „Hauptstadt der DDR“ hinzukam. Die Ende der 50er Jahre erhöhten Planzielerwartungen, die weiter forcierte Kollektivierung der Landwirtschaft und die durch Drohungen Chruschtschows verschärfte Berlin-Krise machten die Lage der DDR prekär. Diese wurde durch das bekannteste durch Walter Ulbricht begonnene Bauwerk, die paradoxerweise dem ungeliebten Formalismus verhaftete Berliner Mauer, 1961 wieder stabilisiert.

Ulbricht versuchte seit 1963 mit dem Neuen Ökonomischen System der Planung und Leitung (NÖSPL) – später kurz Neues Ökonomisches System (NÖS) – eine größere Effektivität der Wirtschaft zu erreichen. Wichtige Treiber der NÖS waren Wolfgang Berger und Erich Apel. Der gesamtheitliche Plan sollte bestehen bleiben, aber die einzelnen Betriebe sollten größere Entscheidungsmöglichkeiten haben. Es ging dabei nicht nur um den Anreiz durch eigene Verantwortung, sondern auch darum, dass konkrete Fragen vor Ort besser entschieden werden können.

Mit der Modernisierung des ökonomischem Systems gingen Reformen im gesellschaftlichen Bereich (etwa durch das Bildungsgesetz von 1965) einher. Die DDR nahm Züge einer „sozialistischen Leistungsgesellschaft“ an, in der nicht mehr nur politische Rechtgläubigkeit, sondern auch fachliche Qualifikationen über die berufliche und damit gesellschaftliche Stellung entschied. Zunehmend rückten auch Fachleute in politische Führungspositionen auf. Verfassungsrechtlich wurden die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen 1968 in der zweiten Verfassung der DDR festgeschrieben.

Eines der besonderen Steckenpferde Ulbrichts war die wissenschaftliche Leitung der Wirtschaft und Politik, unter anderem mittels „Kybernetik“, Elementen der Psychologie und Soziologie, aber vor allem stärker auf naturwissenschaftlich-technischer Basis. Das NÖS sah auch die Verbindung der Ökonomie mit der Wissenschaft vor, was in der Praxis hieß, dass mehr und mehr Fachleute die wichtigen Entscheidungen trafen und einzelne Betriebe und Unternehmen eine größere Selbständigkeit erlangten. Im Frühjahr 1972 bestanden noch etwa rund 11.400 mittelständische Betriebe in der DDR, unter ihnen circa 6500 halbstaatliche Betriebe, die insbesondere Konsumgüter und Dienstleistungen anboten, was von vielen Mitgliedern der SED nicht gern gesehen wurde.

Ulbricht verhalf der DDR zu einer wichtigen Rolle bei der Devisenbeschaffung für den RGW, da sie durch Bartergeschäfte finanzierte Rohstofflieferungen aus der Sowjetunion in auch im westlichen Ausland verkäufliche Chemiegrundstoffe und Konsumwaren umsetzte. Vergeblich trieb Ulbricht auf höchster Ebene die Erdölprospektion in der DDR voran, um gegenüber der damals noch über 30 % ihres Erdölbedarfs selbst fördernden Bundesrepublik aufzuholen. Er war bestrebt auch insgesamt die Abhängigkeit von der Sowjetunion zu vermindern. Letzteres scheiterte 1965 nach konträren Verhandlungen mit der Sowjetunion. Erich Apel erschoss sich.

Danach kam es innerhalb der SED zu größerem Widerstand gegen das NÖS. Der Führer dieser Opposition, die sich der Unterstützung Breschnews erfreute, war Erich Honecker, der wiederum auf die Stimmen zahlreicher Parteimitglieder hoffen konnte und 1972 eine letzte große Verstaatlichungswelle durchsetzte.

Außenpolitische Positionen

Ulbricht ignorierte „Widersprüche im Sozialismus“, etwa bei den real vergleichsweise schlechten Beziehungen der DDR zu den kleineren „Bruderstaaten“ im RGW. Sein dafür verwendeter Begriff „sozialistische Menschengemeinschaft“ wurde nach seinem Tod schnell fallengelassen. Wichtig und entscheidend für die DDR wie auch die politische Karriere Ulbrichts selbst war das Verhältnis zur Sowjetunion. Mit Hinweis auf die vergleichsweise großen wirtschaftlichen Erfolge im RGW propagierte Ulbricht Ende der 60er Jahre das „Modell DDR“ als Vorbild aller entwickelten realsozialistischen Industriegesellschaften und geriet darüber in ideologische Konflikte mit der KPdSU. Der Niederschlagung des Prager Frühlings stand Ulbricht wiederum positiv gegenüber. Dem tschechoslowakischen Botschafter hatte er vorher vorgeworfen, mit ihrer entschiedenen Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit würde die KSČ den anderen sozialistischen Staaten in den Rücken fallen:

„Jetzt liefern Sie das Material für den psychologischen Krieg des Imperialismus gegen den Sozialismus. Jeden Tag bekommt die Weltpresse von Ihnen Material für den Kampf gegen das sozialistische Weltsystem. Während […] in Westdeutschland die Jugendlichen mutig auftreten, vom Imperialismus geschlagen und getötet werden, liefern Sie Material über den 'Terror der Kommunisten'. […] Das ist zuviel, dass ist schlimmer als zu Zeiten Chruschtschows.[9]

Damit meinte Ulbricht die Auseinandersetzung mit dem Stalinismus und dem damit verbundenen Personenkult, gegen die er selbst sich verwahrte, da er seine Position gefährdet sah. Beim Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in die ČSSR und der militärischen Zerschlagung der Reformbewegung, die als „Konterrevolution“ oder „Sozialdemokratismus“ denunziert wurde, nahm die Nationale Volksarmee nicht teil, auch wenn die offizielle DDR-Propaganda bis Ende der 1980er Jahre behauptete, sie hätte an der Invasion teilgenommen.[10]

Auf Ulbricht geht der Standpunkt der DDR-Führung zurück, dass es normale diplomatische Beziehungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland nur geben könne, wenn beide Staaten die volle Souveränität des jeweils anderen Staates anerkannten (Ulbricht-Doktrin). Dies stand im Gegensatz zur bundesdeutschen Hallstein-Doktrin, derzufolge die Bundesrepublik die Kontakte zu einem Staat abbricht, der die DDR anerkennt.

Entmachtung

Ulbricht besuchte die LPG „Rotes Banner“ in Trinwillershagen

Ab 1969 kam es zu Streitigkeiten mit Mitgliedern des Politbüro der SED zur weiteren Wirtschafts- und Außenpolitik der DDR. Ulbricht war im Rahmen der Entspannungspolitik von Bundeskanzler Willy Brandt bereit, die Verhandlungen mit der Bundesrepublik über eine völkerrechtliche Anerkennung zurückzustellen, und beispielsweise auf den Austausch von Botschaftern zu verzichten. Er erhoffte sich von der neuen Entspannungspolitik der Bundesregierung wirtschaftliche Vorteile für die DDR.[11] Da die Mehrheit im Politbüro nicht dieser Meinung folgte, kam es ab 1970 zur Schwächung seiner Position in der Partei. Offiziell wurde in der DDR bis 1989 behauptet, Ulbricht habe sich den deutschlandpolitischen Entspannungsbemühungen zwischen der neuen sozialliberalen Bundesregierung und der Sowjetunion widersetzt.

Die Unterstützung der sowjetischen Führung unter Leonid Breschnew verlor er aber bereits ab 1967, als er die These aufstellte, dass sich die DDR auf dem Weg in das „entwickelte gesellschaftliche System des Sozialismus“ befinde, und dies eine eigenständige Gesellschaftsform darstelle. Hierbei wollte er auch mit der KPdSU gleichziehen, welche behauptete, sie habe in der Sowjetunion den Sozialismus bereits realisiert und befinde sich auf dem Weg zum Kommunismus. Damit stellte Ulbricht einen Monopolanspruch der KPdSU auf deren Auslegung der marxistisch-leninistischen Grundsätze in Frage und beanspruchte für die SED unter seiner Führung sowie für die DDR, ein Vorbild für die anderen Ostblockstaaten bei der Verwirklichung des Sozialismus in einem industrialisierten Land zu sein. Dafür wurde er von der sowjetischen Parteiführung und Gesellschaftswissenschaftlern stark kritisiert.[12]

Bei einem Gespräch zwischen Breschnew und Erich Honecker am 28. Juli 1970 in Moskau wurde vereinbart, dass Ulbricht die Macht in der DDR abzugeben habe. Bei der 14. Tagung des SED-Zentralkomitees vom 9. bis 11. Dezember 1970 wurde dann über die Wirtschaftspolitik diskutiert und die akuten Versorgungsprobleme, welche man für die schlechte Stimmung in der Bevölkerung gegenüber der SED verantwortlich machte, allein auf die Politik Ulbrichts geschoben. Gleichzeitig wurden sein Führungsstil und seine Alleingänge in der Deutschlandpolitik kritisiert. Am 21. Januar 1971 schrieben dann 13 (der damals 20) Mitglieder und Kandidaten des Politbüros der SED einen siebenseitigen geheimen Brief an Breschnew. Mitverfasser dieses als „Geheime Verschlusssache“ deklarierten Briefes waren u. a. Willi Stoph, Erich Honecker und Günter Mittag. In diesem stellten sie dar, dass Ulbricht nicht mehr in der Lage sei, die wirtschaftlichen und politischen Realitäten richtig einzuschätzen und mit seiner Haltung gegenüber der Bundesrepublik eine Linie verfolge, die das zwischen der SED und der KPdSU abgesprochene Vorgehen empfindlich störe. Sie schlugen Breschnew vor, die Entmachtung Ulbrichts in der Art vorzunehmen, wie zwischen Honecker und ihm im Juli 1970 besprochen. Am 29. März 1971 reiste Ulbricht, ohne es zu wissen, letztmalig an der Spitze einer SED-Delegation zum 24. Parteitag der KPdSU nach Moskau. In seiner Grußrede am 31. März 1971 erinnerte er die dortigen Delegierten daran, dass er zu den wenigen Anwesenden zähle, die Lenin noch persönlich gekannt hätten, und stellte die DDR als Modell für die industriell entwickelten sozialistischen Länder dar. Angesichts der bekannten Probleme in der DDR wurden seine Äußerungen jedoch von den Zuhörern in einer Mischung aus Skepsis und Empörung aufgenommen. Bei persönlichen Gesprächen machte ihm Breschnew dann klar, dass er mit keiner weiteren Unterstützung durch die Sowjetunion zu rechnen habe und auch die Mehrheit des Politbüros der SED sich gegen ihn gestellt habe. Hierbei legte er ihm den Rücktritt nahe.

Am 3. Mai 1971 erklärte Ulbricht dann gezwungenermaßen gegenüber dem Zentralkomitee der SED „aus gesundheitlichen Gründen“ seinen Rücktritt von fast allen seinen Ämtern. Als Nachfolger wurde der damals 58-jährige Erich Honecker nominiert, so wie es bereits die Absprachen mit Breschnew vorsahen. Dieser wurde dann auch auf dem vom 15. bis zum 19. Juni 1971 in Ost-Berlin tagenden 8. Parteitag der SED in die entsprechenden Funktionen gewählt.[13] Einzig das dann weitestgehend einflusslose Amt des Vorsitzenden des Staatsrates behielt er bis an sein Lebensende. Außerdem erhielt er das neu geschaffene Ehrenamt des „Vorsitzenden der SED“. Er starb während der X. Weltfestspiele der Jugend 1973 im Gästehaus der Regierung der DDR am Döllnsee. Ulbricht erhielt einen Ehrenplatz in der Gedenkstätte der Sozialisten auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde. Sein Name wurde schon kurz nach seinem Tod weitgehend aus der DDR-Geschichtsschreibung und dem öffentlichen Leben entfernt. Betriebe, Institutionen und Einrichtungen, die seinen Namen trugen, wurden umbenannt.

Mitte der 1980er Jahre, während der Reformpolitik in der Sowjetunion, die von der SED-Führung abgelehnt wurde, gab es Versuche seitens der SED-Führung, Walter Ulbrichts geschichtliche Rolle in einem positiven Sinne neu zu bewerten.

Personenkult

Walter Ulbricht auf einer Briefmarke der Deutschen Post der DDR, ausgegeben 1961

Noch zu Lebzeiten Walter Ulbrichts, besonders in den 1950er Jahren, wurden in der DDR Betriebe, Einrichtungen und Sportstätten nach ihm benannt, so die Leuna-Werke und das Synthesewerk Schwarzheide, die Deutsche Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft und das spätere Stadion der Weltjugend. Ebenso gab es eine Briefmarkenserie.

Persönliches

Walter Ulbricht war zweimal verheiratet: ab 1920 mit Martha Schmellinsky und ab 1953 mit Lotte Kühn. Das Paar hatte 1946 ein Waisenkind namens Beate (* 1944; † 1991), Tochter einer bei einem Luftangriff auf Leipzig ums Leben gekommenen ukrainischen Zwangsarbeiterin, adoptiert, das nach der Wende als verwahrloste Frau in Berlin verstarb.[14] Der Spitzname von Walter Ulbricht war „Spitzbart“. Ulbricht fügte gern fragend in seine Reden das Bindewort ja? an allen möglichen und unmöglichen Stellen ein. Dies und sein „nu, nu“ (sächsische Zustimmungsfloskel), die hohe Stimmlage sowie sein Leipziger Dialekt wurden oft nachgeahmt.

Literatur

  • Mario Frank: Walter Ulbricht. Eine deutsche Biografie, 2000, Siedler-Verlag ISBN 3-88680-720-7
  • Erich W. Gniffke: Jahre mit Ulbricht, Ministerium für Gesamtdeutsche Fragen, Bonn 1966, ISBN 3804687539.
  • Herbert Graf: Mein Leben. Mein Chef Ulbricht. Meine Sicht der Dinge, edition ost, Berlin 2008, ISBN 978-3-360-01097-1
  • Monika Kaiser, Helmut Müller-Enbergs: Ulbricht, Walter. In: Wer war wer in der DDR? 5. Ausgabe. Ch. Links Verlag, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-561-4, Band 2.
  • Norbert Podewin: Walter Ulbricht. Eine neue Biographie. Dietz, Berlin 1995, ISBN 9783320018863.
  • Frank Schumann (Hrsg.): Lotte Ulbricht. Mein Leben. Selbstzeugnisse, Briefe und Dokumente, Das Neue Berlin, Berlin 2003, ISBN 3-360-00992-4
  • Frank Schumann (Hrsg.): Lotte und Walter. Die Ulbrichts in Selbstzeugnissen, Briefen und Dokumenten, Das Neue Berlin, Berlin 2003, ISBN 3-360-01233-X
  • Der meistgehaßte, meistunterschätzte Mann. In: Der Spiegel. Nr. 20, 1971, S. 34 (10. Mai 1971, online).

Weblinks

 Commons: Walter Ulbricht – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Reichstagshandbuch
  2. Liste der Teilnehmer
  3. Walther Hofer: Die Entfesselung des Zweiten Weltkrieges, 2007, Lit Verlag, ISBN 9783825803834; S. 224–225
  4. Verweigerung im Alltag und Widerstand im Krieg – Informationen zur politischen Bildung (Heft 243)
  5. http://www.dhm.de/lemo/html/Nachkriegsjahre/PolitischerNeubeginn/sed.html
  6. Stefan Alisch, Die DDR von Stalin bis Gorbatschow. Der sowjetisierte deutsche Teilstaat 1949 bis 1990, in: Hans-Peter Schwarz (Hrsg.), Die Bundesrepublik Deutschland. Eine Bilanz nach 60 Jahren, Böhlau, Köln, Weimar, Wien 2008, S. 137
  7. Originalton Walter Ulbricht: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!“
  8. * Originalstimme Walter Ulbricht: Anspielung auf das „Yeah, Yeah, Yeah“ der Beatles als wav-Datei.
  9. Klaus Schroeder, Der SED-Staat. Geschichte und Strukturen der DDR, Bayerische Landeszentrale für politische Bildung, München 1998, S. 185
  10. Klaus Schroeder, Der SED-Staat. Geschichte und Strukturen der DDR, Bayerische Landeszentrale für politische Bildung, München 1998, S. 186
  11. Die DDR in den siebziger Jahren, Bundeszentrale für politische Bildung
  12. Die DDR in den siebziger Jahren, Bundeszentrale für politische Bildung, 1. Absatz
  13. Die DDR in den siebziger Jahren, Bundeszentrale für politische Bildung Heft 258
  14. Frank, Mario: Walter Ulbricht. Berlin: Siedler, 2001

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