Jüdischer Bund

Jüdischer Bund

Der Allgemeine jüdische Arbeiterbund von Litauen, Polen und Russland (jiddisch Algemeyner Yidisher Arbeter Bund in Lite, Poyln un Rusland, אַלגמײַנער ײדישער אַרבײטערסבונד אין ליטע,פוילן און רוסלאַנד, russisch Всеобщий еврейский рабочий союз в Литве, Польше и России), allgemein genannt Der Bund (בונד, Бунд), ist eine jüdische Arbeiterpartei, die in mehreren europäischen Ländern aktiv war, noch bis heute zum Teil weiterlebt und Teil der Sozialistischen Internationale ist. Mitglieder des Bundes nannte man Bundisten.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Der Bund wurde 1897 in Vilnius gegründet. Sein Ziel war es, alle jüdischen Arbeiter des zaristischen Russlands in einer sozialistischen Partei zu vereinigen. Damals umfasste das zaristische Russland Litauen, Weißrussland, die Ukraine und einen Großteil Polens – Länder, in denen die meisten Juden weltweit lebten. Der Bund wollte sich mit der russischen Revolution verbünden, um Demokratie und Sozialismus in Russland zu erreichen. Innerhalb eines solchen Russlands, so hofften die Bundisten, würden die Juden Anerkennung als eigene Nation mit gesetzlichem Minoritätsstatus erreichen.

Der Bund war eine säkulare sozialistische Partei, in Opposition zu dem, was die Bundisten als reaktionäre Natur des traditionellen jüdischen Lebens in Russland ansahen. Der Bund widersetzte sich ebenfalls hartnäckig dem Zionismus, mit der Argumentation, dass die Emigration nach Palästina eine Form des Eskapismus sei. Er warb für den Gebrauch des Jiddischen als jüdische Nationalsprache und wandte sich gegen das zionistische Projekt der Wiederbelebung des Hebräischen. Dennoch waren viele Bundisten ebenfalls Zionisten, und der Bund litt an einem ständigen Schwund aktiver Mitglieder durch Emigration. Viele Bundisten waren aktive Begründer sozialistischer Parteien in Palästina sowie später in Israel.

Der Bund gewann Konvertierte aus den Reihen jüdischer Künstler und Arbeiter, aber ebenso der wachsenden Gruppe der Intelligenzija für sich. Er agierte sowohl als politische Partei (soweit die politischen Bedingungen dies erlaubten) als auch als Gewerkschaft. Er gründete zusammen mit den Arbeiterzionisten Selbstverteidigungsgruppen, die die jüdischen Gemeinden vor Pogromen und Regierungstruppen schützen sollten. Während der Revolution von 1905 führte der Bund die Revolutionsbewegung in den jüdischen Städten an, besonders im heutigen Weißrussland. 1910 wurde aus den Reihen der Bundisten und der „Sozialdemokratie des Königreichs Polen und Litauen“ (SDKPiL) die Jugendorganisation Tsukunft gegründet.

Naturgemäß begrüßte der Bund die Februarrevolution 1917, die eine Regierung an die Macht brachte, die die Abschaffung des staatlichen Antisemitismus forderte und die Demokratie einführen wollte. Der Bund stellte sich den Wahlen zur russischen Konstituante und erhielt 550.000 Stimmen. Die seit der Oktoberrevolution 1917 regierenden Bolschewiki Lenins lösten die Versammlung auf. Obwohl sich in der bolschewistischen Führerschaft einige prominente Juden wie Leo Trotzki befanden, bekämpfte das Regime den jüdischen Nationalismus hartnäckig und behandelte den Bund wie einen Feind.

Bis etwa 1920 wurde der Bund in Sowjetrussland zerschlagen. Einige seiner Mitglieder traten der Kommunistischen Partei bei, andere emigrierten. Viele ehemalige Bundisten kamen in den 1930ern während der Säuberungsaktionen Josef Stalins um.

Polen und Litauen

Polen und Litauen wurden 1918 unabhängig, und der Bund fuhr mit seinen Aktivitäten in diesen Ländern fort, besonders in den jüdischen Städten des östlichen Polens. Er war ebenfalls in der jüdischen Emigrantengemeinde in New York City aktiv. In Polen brachten die Bundisten den Einwand vor, dass Juden besser bleiben und für den Sozialismus kämpfen sollten statt zu emigrieren. Als der revisionistisch-zionistische Anführer Wladimir Jabotinsky durch Polen reiste, um für die „Evakuierung“ europäischer Juden zu werben, bezichtigten ihn die Bundisten, dem Antisemitismus Vorschub zu leisten.

Während des Zweiten Weltkriegs operierte der Bund als Untergrundorganisation in Polen weiter. Er spielte eine wichtige Rolle beim Aufbau des Widerstands im Warschauer Ghetto. Während des Krieges wurde er in Polen von Leon Feiner, im Exil von Szmuel Zygielbojm geleitet. Aber die Massaker an polnischen Juden während der Shoa zerstörten sowohl seine personelle Basis als auch den Glauben, seine Ziele erreichen zu können. Bis 1945 glaubten nur noch wenige der überlebenden Juden Osteuropas an die besondere Vision des Bunds von Sozialismus oder an eine Zukunft für Juden in Europa, und die meisten der Überlebenden emigrierten nach Israel. Die zwangsweise Einrichtung eines kommunistischen Regimes in Polen vernichtete, was vom Bund noch übrig war. Der Bund (nur „Jewish Socialist Labour Bund“) überlebte als Minderheitenbewegung in jüdischen Gemeinden der Vereinigten Staaten von Amerika, Kanada und Australien sowie in Israel. In Israel erscheint zweimonatlich die jiddischsprachige Zeitschrift des Bundes Lebns Fragn. Der heutige Vorsitzende ist Benjamin Nadel.

Literatur

  • Gertrud Pickhan, „Gegen den Strom". Der Allgemeine Jüdische Arbeiterbund „Bund“ in Polen 1918-1939, Schriften des Simon-Dubnow-Instituts Leipzig Band I, Leipzig 2001.
  • Denz, Rebekka: Der „Froyenvinkl“. Die Frauenrubrik in der bundischen Tageszeitung Naye „Folkstsaytung“, in: PaRDeS. Zeitschrift der Vereinigung für Jüdische Studien e.V. (14, 2008), herausgegeben von Rebekka Denz, Alexander Dubrau, Nathanael Riemer, Potsdam 2008, S. 96-124.
  • Pickhan, Gertrud: Yidishkayt and Class Consciousness. The Bund and its Minority Concept. (to be published in proceedings Jewish politics in Eastern Europe, ed. by Institute for Jewish Studies Vilnius, 2008)

siehe auch

Weblinks


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