- Jüdischer Familienname
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Jüdische Familiennamen weisen etymologische Besonderheiten auf, die nachfolgend dargestellt werden sollen. Dieser Artikel beschränkt sich vorerst auf das aschkenasische Judentum. Die sephardischen, orientalischen, slawischen und neu-hebräischen Namen bleiben hier unberücksichtigt.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Geschichte und Prinzipien
- 2 Beispiele für die Namensbildung
- 3 Literatur
- 4 Einzelnachweise
- 5 Weblinks
Geschichte und Prinzipien
Aschkenasische Juden, also ursprünglich in Deutschland und Frankreich angesiedelte und die von dort z.B. nach Osteuropa ausgewanderten Juden, hatten bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts meist noch keine festen Familiennamen. In aller Regel wurde der Name des Vaters als zweiter Name (Patronym) benutzt, also beispielsweise Jakob ben Nathan = Jakob, Sohn des Nathan. Grund dafür ist u. A. die Verordnung von Rabbenu Tam (Jacob ben Meir) aus dem 12. Jahrhundert, dass in einer Scheidungsurkunde nur von Juden unter Juden verwendete Namen (d.h. Eigen- und Vatersnamen) verwendet werden durften, aber nicht von Juden ausschließlich im Verkehr mit Nichtjuden verwendete Beinamen. Diese Anweisung wurde danach bei vergleichbaren Verträgen, z.B. Ehe- und Geschäftsverträgen, adäquat angewendet.
Es gab aber viele Ausnahmen zur Regel. Am wichtigsten steht wohl der Brauch, eine rabbinische Dynastie mit einem, meist vom Herkunftsort des Gründers abgeleiteten, Familiennamen zu bezeichnen, z. B. (von Katzenelnbogen damals in Hessen) oder Emden. Diese Nachnamen dienten teils als Familiennamen, teils sozusagen als Markennamen. Schwiegersöhne, die Rabbiner wurden, erbten oft den Namen, und Söhne, die nicht Rabbiner wurden, trugen ihn meistens nicht.
Die Sippen- oder Stammnamen Kohen und Levi (mit vielen Varianten) wurden von Vater auf Sohn weitergetragen und erschienen in fast allen jüdischen Urkunden, Grabsteinen, usw. wenn ein dort erwähnter Mann (oder der Vater oder Ehemann einer Frau) dem Stamm zugehörte.
In manchen Orten, besonders wo es eine größere jüdische Gemeinde gab, wurden Nachnamen zwar nicht offiziell, aber doch einigermaßen regelmäßig verwendet. In Prag war dies besonders der Fall. [1]
In den absolutistisch regierten Staaten Mittel- und Nordeuropas wurde Ende des 18. Jahrhunderts damit begonnen, jüdische Bewohner als Bedingung für erweiterte Bürgerrechte zur Annahme eines unveränderbaren Familiennamens zu zwingen. Zuerst geschah dies 1787 im Erzherzogtum Österreich, es folgten die anderen deutschen Staaten und Städte. In Preußen: 1790 Breslau, 1791 Regierungsbezirk Breslau, 1794 Regierungsbezirk Liegnitz bzw. Glogau, 1812 (als Teil der Emanzipation) Altmark, Neumark, Pommern, Westpreußen, Ostpreußen; 1833 Posen; 1845 Kulmerland; 1846-1848 restliche Provinzen.
Im restlichen Deutschland: 1813 Bayern, 1828 Württemberg, 1834 Sachsen.
Nach einem Erlass vom 20. Juli 1808 von Napoleon, dem sog. décret infâme (L'Univers Israélite, lvii. 472) mussten alle Juden im französischen Reich einen festen Nachnamen tragen, nach und nach führten alle Herrschaftsgebiete Europas ähnliche Regelungen ein.
Die Juden konnten ihre neuen Namen nicht immer frei wählen; so kam es in vereinzelten Fällen zu erniedrigenden oder beleidigenden Nachnamen (Trinker, Bettelarm, Maulwurf), die allerdings später meist wieder geändert werden durften. Aber die österreichischen und französischen Gesetze ließen keine neuen Namen zu, die den jüdischen Hintergrund des Trägers deutlich herausstellten (z.B. Namen aus dem Alten Testament oder alttestamentliche Städtenamen). Die jüdischen sollten sich von deutschen Familiennamen möglichst nicht unterscheiden, um die Integration der Juden zu fördern, die in dieser Zeit volle Bürgerrechte erhielten.
Je nach Region konnte die Namensgebung unterschiedlich verlaufen, so dass bei der Deutung der Namen auch die Herkunftsregion eine große Rolle spielen kann. Nicht zu verkennen ist aber auch die Freude der Juden an Synonymen, am Denken um die Ecke, an Verballhornungen, an Wortspielereien und an (Selbst-)Ironie. Gerade ihre Mehrsprachigkeit und die Eigenart der hebräischen Schrift, nur Konsonanten abzubilden, trugen dazu wesentlich bei.
Beispiele für die Namensbildung
Hinweis: Die Endsilbe "mann" wird hier generell mit beiden 'n' geschrieben. In Polen, im englischen Sprachraum und auch in Israel hingegen fast immer nur mit einem 'n'.
Biblische Vornamen
bzw. Anspielungen auf Episoden in der Bibel wie
- Nachtteiler für Abraham (siehe 1. Buch Mose 14,15)
- Baum für Abraham (als Stammvater)
- Leblang für Isaak (der nach der Bibel 180 Jahre alt wurde)
- Wurm für Jakob (siehe Jesaja 41,14)
- Stammler, Stamler, Schreiber, aber auch Adler für Mose
- Stein für Isaak
und Übernamen bzw. Koseformen solcher biblischer Namen wie
Zwölf Stämme Israels
Die zwölf Stämme genießen in der jüdischen Gesellschaft einen hohen Stellenwert und wurden daher gerne für die Namenswahl in direkter oder umschriebener Form herangezogen. Der Name Israel selbst ist ursprünglich selten und hat erst durch die traurigen Umstände des 20. Jahrhunderts Verbreitung gewonnen.
wobei nicht selten auf die in 1. Mose 49,3–27 angesprochenen Symbole ausgewichen wurde wie
- Löwe (Synonym für den Stamm Juda), dito Leon und Loeb, diminutive Koseform Leibel, Leibl
- Drache (für Dan), dito Trachmann
- Wolf (für Benjamin)
- Hirsch (für Naftali, eigentlich Gazelle), daraus auch Hirschmann, Hirschfeld, Hirschl, Hirschberg
- Bär (für Issachar, eigentlich Esel, aber das wurde in Bär umgewidmet)
oder den sie symbolisierenden Schmuck auf den Priestergewändern laut 2. Buch Mose 28,17–21
- Rubin (für Stamm Ruben)
- Bernstein
- Diamand, Diamant
- Saphir (für Issachar)
- Smaragd (für Juda)
- Krystall
Ersatzweise auch die ihnen zugeordneten Fahnenfarben wie
- Roth (für Stamm Ruben), Rossi in Italien, auch aufgrund der Farbe ihrer Hüte, die sie auf behördliche Anordnung als Juden dort zu tragen hatten
- Schwarz (für Joseph und Benjamin)
- Grün (für Simeon)
- Weiß (für Zebulon)
- Blau (für Issachar und Juda/Jehuda)
- Gelb (für Dan)
- Rosa (für Naftali)
häufig erweitert um Zusätze, etwa Grünspan, Bleiweiß, Schwarzmann, Rosenblatt, Rosenzweig, Rosenthal
vergleichbar Silber und Gold beinhaltende Namen, die mit den Erzengeln Michael und Gabriel in Verbindung gebracht werden, denn Gabriel brachte nach der Überlieferung das Gold zur Erde, daher
Früchte des Heiligen Landes
nach 5. Buch Mose 8,8
- Weizmann (Weizen)
- Feigenbaum (Feige)
- Weinreb, Weinstock (Weinrebe)
- Honigmann (Honig)
- Teitelbaum (Dattelbaum/-palme)
- Morelenbaum
Tierkreiszeichen
Hausnamen
Hausnamen oder Wohnstättennamen traten vor allem in Judengassen wie in Frankfurt am Main auf, da es keine Hausnummern gab und die Häuser durch Symbole kenntlich gemacht wurden.
- Adler (aus dem Haus zum Schwarzen Adler)
- Rothschild (aus dem Haus mit dem roten Schild)
- Sichel
- Einhorn
- Elephant
- Stern
- Storch
- Strauss
- Pflug
- auch diese Namen werden gerne um Komposita ergänzt
Eindeutschungen
- Baruch (= der Gesegnete) wurde eingedeutscht in
- Karmi (= Mein Weingarten) wurde eingedeutscht in
- Baumgarten, Baumgart, Baumgartel, Baumgartner etc., er war der vierte Sohn von Ruben (Numeri 26.6))
Berufsnamen
Bei Berufsnamen ist Vorsicht geboten: Es müssen Namen wie Goldschmied, Brauer, Melzer nicht unbedingt auf den ausgeübten Beruf bezogen sein, sondern können auch Synonym sein. Goldschmied zu Elijah, Kupferschmied und Kaufmann (von Kupper, Kosename für Jakob) oder Jäger für den Stamm Naftali.
Allgemeine Berufsbezeichnungen
- Biermann
- Kramer/Cremer
- Melzer
- Bethmann
- Cantor
- Levi (= Priester)
- Kohn/Cohn, Kuhn, Kahn (= Priester)
- Schwei(t)zer
Jüdische Gemeindeämter
- Klemperer, ursprünglich der „Klopfer“, in der ostjüdischen Gemeinde der Gemeindediener, der morgens an die Türen der Frommen klopft, um sie an ihr Frühgebet zu erinnern.
- Schaechter (von Schächten, schachat „töten, schlachten“, also der rituelle Metzger)
- Saenger / Singer oder latinisiert: Cantor, vgl. Cantor|o|witz
Orts- und Ländernamen
- Guggenheim oder Guggenheimer von Gugenheim, heute Gougenheim bei Straßburg; oder von Jugenheim in Rheinhessen,
- Heller (und Pfennig) möglicherweise von Schwäbisch Hall, wo diese beiden Münzen geprägt wurden
- Kissinger (Bad Kissingen)
- Wormser (Worms)
- Schapiro, Shapiro oder Spiro, Spira (Speyer)
- Halpern oder Halperin (Heilbronn)
- Mintz (Mainz)
- Schlesinger (aus Schlesien stammend)
- Pollock und Varianten (aus Polen stammend)
- Feuchtwanger
- Frankfurter
- Wertheimer
- Oppenheimer
- Landauer
- Aber auch hier ist Vorsicht geboten. Das Toponym kann nur dann auf den Ort hinweisen, wenn zur Zeit der Namensentstehung Juden dort wohnten. So ist der Name Berlin oder Berliner in den seltensten Fällen auf die Stadt Berlin zurückzuführen, sondern den Diminutiv von Bär.[2] Auch der Name Engländer leitet sich von Engel, nicht von England ab.
Landesübliche Namen
Die charakteristischen Namen der jeweiligen Umgebung wurden nicht selten ebenfalls übernommen, um das Stigma der damaligen Zeit, Jude zu sein, zu verbergen. Vor allem beim Wechsel des Glaubens wurden stigmatisierende Namen abgelegt und landesübliche Namen angenommen. Darunter verstehen sich Herkunftsnamen, Eigenschaftsnamen (Kurz, Krause, Klein, Lang) ebenso wie Berufsnamen (Schmidt, Müller)
Verschleifungen / Verballhornungen
Einige eindeutig erscheinende Namen sind Verfälschungen von Kosenamen oder Kurznamen in ähnlich klingende deutsche Wörter, die aber mit dem Ursprungswort nichts gemein haben.
- Ehren- und Ohren-/Oren- ist gelegentlich identisch mit Aaron, dito Ahorn
- Frank, gelegentlich Kosename von Ephraim
- Hack, Hock oder Sack rührt von Isaak her.
- Katz ist gebildet aus Cohen-Zedek (= Priester der Gerechtigkeit oder gerechter Priester)
- Konz, Kunz oder Kutz aus Cohen tzädäq (wie Katz)
- mit -burg oder -berg endende Namen stellen teilweise eine Verballhornung von Baruch dar.
- Baum, siehe Baumann
- Baumann, Variante von Baum = Synonym für Abraham, Stammvater der Juden
- Bein- kann von Benjamin, aber auch von Ben = Sohn hergeleitet sein
- Benda, ben David = Sohn Davids
- Biermann, Variante von Bärmann
- Gafner vom Hebräischen Wort Gaf'ner für Brot abgeleitet
- Herrman von Chaim
- Heim vom Vornamen Chaim
- Kaufmann kann auch abgeleitet werden von Jaak(a)uf = Jakob, dito Kopp
- Lieb, Liebmann/Lippmann, Lipp als Synonym für Eliakim, Jehuda, Moshe u.a.
- Mandel, Mandelbaum, Mandelbrot, Mendelssohn, abgeleitet vom Kurznamen für Menachem
- Maus, Abwandlung von Moses
- Meier vom Vornamen Meir (im Talmud der Erleuchter), also nicht identisch mit dem deutschen Meier = Gutsverwalter
- Morgen-/Morgenstern/Morgenthau vom Kosenamen für Mordechai
- Müller von der Koseform des Namens Shamuel/Samuel/Shemuel
- Oppermann von Opfermann, gemeint ist Levi oder Cohen
- Scherbaum, Schermann teils von Sara, aber auch von Ephraim herleitbar
- Schick, Übername von Jehoshua/Josua
- Schiff/Schiffmann von Shifra (=die Schöne, siehe Ex. 1,15), ggf. auch Synonym von Kahn
- Schul von Saul, hebr.ausgesprochen Scha'ul
- Sonne von Sohn
- Zweig von Zvi (=Hirsch)
Das Studium jüdischer Namen ist mit sehr vielen Überraschungen verbunden. Ihre Deutung ist häufig auf Mutmaßungen angewiesen oder auf die Kenntnis der einstmaligen Gegend zum Zeitpunkt ihrer Entstehung. Die vorgenannten Beispiele erheben daher keinen Anspruch auf Ausschließlichkeit, sondern sollen einen Eindruck geben über die Vielfalt von Namensentstehungen.
Literatur
- Eva. H. und Heinrich W. Guggenheimer: Etymologisches Lexikon der jüdischen Familiennamen. Saur, München 1996, ISBN 3-598-11260-2.
- Alexander Beider: A Dictionary of Jewish Surnames from Galicia. Avotaynu, Bergenfield, NJ 2004, ISBN 188622319X.
- A. Heppner: Die Stamm-Numeranten. In: Breslauer Juedisches Gemeindeblatt, Amtliches Blatt der Synagogengemeinde zu Breslau. Breslau 1928.
- Franz D. Lucas und Margret Heitmann: Stadt des Glaubens. Olms, 1992, ISBN 978-3487094953.
- Alexander Beider: A Dictionary of Jewish Surnames from the Russian Empire. Avotaynu, Bergenfield, NJ 1993, ISBN 0962637335.
- Alexander Beider: Jewish Surnames in Prague (15th–18th Centuries). Avotaynu, Bergenfield, NJ 1994, ISBN 978-0962637353.
- Alexander Beider: A Dictionary of Jewish Surnames from the Kingdom of Poland. Avotaynu, Bergenfield, NJ 1996, ISBN 0962637394.
- Lars Menk: A Dictionary of German-Jewish Surnames. Avotaynu, Bergenfield, NJ 2005.
- Leopold Zunz: Namen der Juden: Eine geschichtliche Untersuchung. Leipzig 1837.
Einzelnachweise
- ↑ (Beider 1994)
- ↑ Olaus Faber: Das babylonische Handbuch der Sprache. Von Zungenbrechern, Schwiegermuttersprachen und Freud’schen Versprechern, 1. Auflage, Eichborn, 2008. Seite 134. ISBN 9783821858326
Weblinks
- Jüdische Nachnamen: Eine Einführung unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Familiennamen in jüdischen Grabmalinschriften
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