Anatoli Michailowitsch Golizyn

Anatoli Michailowitsch Golizyn

Anatoli Michailowitsch Golizyn (auch Golytsin und Golizin; russisch Анатолий Михайлович Голицын; * 25. August 1926 in Pyrjatyn in der Ukraine) war ein sowjetischer Geheimdienstoffizier, zuletzt im Rang eines Major des KGB und Überläufer.

Inhaltsverzeichnis

Berufsweg

1946 trat Golizyn in das Ministerstvo Gosudarstvennoi Bezopasnosti (Ministerium für Staatssicherheit), der Vorgängerinstitution des Komitet Gossudarstwennoy Besopasnosti (KGB), ein. Von 1950 bis 1953 war er in der sogenannten Amerikaabteilung der KGB-Spionageabwehr tätig. Ab Mitte 1953 wurde er als Resident in der sowjetischen Botschaft in Wien eingesetzt. Im Zuge der Vorbereitungen des Abschluss zum österreichischen Staatsvertrag im Mai 1955 und des vorherigen Teilabzuges der sowjetischen Truppen aus dem besetzten Österreich, wurde er Ende 1954 nach Moskau zurückbeordert.

Nachdem der KGB ihn 1958 zum Major beförderte, wurde er Mitarbeiter der Abteilung PGU, welche insbesondere für die nachrichtendienstliche Überwachung der NATO zuständig war. 1960 wurde er getarnt als Botschaftsattaché Klimow in Helsinki eingesetzt.

Überlauf 1961

Bei der Rückkehr aus einem Heimaturlaub floh er mit Frau und Kind am 22. Dezember 1961 in die CIA-Residentur in Helsinki. Als Zeichen seinen Willens zum Übertritt verriet er als erstes einige Sowjetagenten in Finnland. Nach anfänglich widersprüchlichen Aussagen führte er, ohne direkte Namensnennung, den CIA auf die Spur des „Topagenten“ des KGB im Bundesnachrichtendienst (BND) Heinz Felfe.

Danach wurde er zu weiteren Vernehmungen in die USA gebracht und dort aufgrund seiner detaillierten Aussagen durch den Chef der CIA-Gegenspionageabteilung James Jesus Angleton an die britischen Nachrichtendienste MI5 und MI6 nach London vermittelt, denen er entscheidende Hinweise zur Enttarnung des Doppelagenten Kim Philby gab.

Hier verriet er den sowjetischen Agenten Anthony Blunt. Nachdem aufgrund eines Zeitungsberichts im Daily Telegraph seine Identität öffentlich wurde, reiste er wegen befürchteter Mordanschläge durch den KGB zurück in die USA. Dort wurde ihm und seiner Familie eine neue Identität gegeben, unter der diese seitdem lebt.

Informationen und Folgen

Aufgrund seiner komplexen Persönlichkeit und seiner gesteigerten Neigung zur Selbstdarstellung versorgte Golizyn Angleton mit einer Reihe von Informationen, die sich aus Wissen, Halbwissen und Nichtwissen zusammensetzte. Dass viele seiner Informationen reine Erfindungen waren, ist dadurch erklärbar, dass er sicherstellen wollte, dass ihm und seiner Familie der Schutz durch den amerikanischen Geheimdienst und die US-Staatsbürgerschaft gewährt wurde.

Zum Beispiel enthüllte er einen angeblichen sowjetischen Masterplan, dass der KGB eine Vielzahl angeblicher sowjetischer Überläufer einsetzen wolle, um gezielte Desinformationen an die westlichen Nachrichtendienste zu leiten. Diese, so die Aussage von Golizyn, verkauften dem „Westen“ ausschließlich Desinformationen, damit die Sowjetunion so die Weltherrschaft erlangen könne. Hierzu zählen solch abstruse Behauptungen, wie z.B. dass der schwedische Spitzenpolitiker und spätere Ministerpräsident Olof Palme, aber auch der Mitarbeiter im Department of State und spätere Außenminister Henry Kissinger durch den KGB geführt und stark beeinflusst worden seien. Weiterhin gab er auch einen nichtnamentlichen Hinweis auf einen KGB-Maulwurf in der CIA. Dieser interne Agent erhielt den Decknamen „Sascha“; die Suche nach ihm paralysierte den amerikanischen Nachrichtendienst jahrelang. Die Aussage Golizyns wurde der Beginn einer als Operation „Honetol“ bezeichneten „Hexenjagd“, welche etwa 13 Jahre andauerte und in deren Folge rund Hundert der besten Sowjetspezialisten bei der CIA der Spionage verdächtigt und viele aus dem Dienst entlassen wurden. Auch wurde nahezu jeder KGB-Überläufer in den folgenden Jahren wieder nach Hause geschickt, da man ihn Dank Golizyn für einen Desinformanten hielt. Die Suche nach dem Phantom „Sascha“ legte fast die gesamte Arbeit gegen die Sowjetunion lahm und sie sei das „größte Trauma“ der Agency, klagte einmal der spätere CIA-Chef William Egan Colby. Insbesondere eine diesbezügliche Anweisung Angletons an seine Auslandsagenten, jegliche Bearbeitung in Bezug auf Überläufer aus der Sowjetunion einzustellen, war einer der Gründe, weshalb der CIA und damit der USA wichtige Vorabinformationen zum Einmarsch der sowjetischen Truppen 1968 in Prag, zur Niederschlagung des Prager Frühlings, letztendlich fehlten.

Literatur

  • Anatolij Golizin: New Lies for Old. New York 1984
  • Phillip Knightley: Die Geschichte der Spionage im 20. Jahrhundert. Verlag Scherz, 1989, ISBN 3-502-16384-7
  • Helmut Roewer, Stefan Schäfer und Matthias Uhl: Lexikon der Geheimdienste im 20. Jahrhundert. Herbig, München 2003, ISBN 3-7766-2317-9

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