Kassandrarufe

Kassandrarufe

Kassandra (griechisch Κασσάνδρα) ist in der griechischen Mythologie die Tochter des trojanischen Königs Priamos und der Hekabe, damit Schwester von Hektor, Polyxena, Paris und Troilos.

Inhaltsverzeichnis

Mythologische Überlieferung

Ajax und Kassandra

Der Gott Apollon verliebte sich in sie und schenkte ihr die Gabe der Vorhersehung, um seinem Werben Nachdruck zu verleihen. Kassandra verschmähte ihn jedoch. Daraufhin verfluchte Apollon Kassandras Gabe der Vorhersehung, weil er sie ihr nicht wieder wegnehmen konnte. Er fügte hinzu, dass nie jemand ihren Vorhersagen Glauben schenken werde.

So warnte Kassandra vergebens gegen Ende des Trojanischen Krieges (wie auch der Priester Laokoon) die Trojaner vor dem Trojanischen Pferd und der Hinterlist der Griechen, so dass Troja unterging.

Nach der Eroberung Trojas wurde Kassandra von Ajax dem Lokrer im Tempel der Athene, in den sie sich geflüchtet hatte, vergewaltigt. Agamemnon beanspruchte Kassandra als Sklavin und nahm sie mit nach Mykene. Agamemnon wurde nach seiner Ankunft in Mykene von seiner Frau Klytämnestra und ihrem Geliebten Aigisthos im Bad erdolcht. Kassandra, die auf Grund ihrer seherischen Gabe um dieses Schicksal wusste und es auch vorhergesagt hatte, wurde von Klytämnestra ebenfalls erdolcht.

Cassandra; Gemälde von Evelyn De Morgan

Darstellungen der Kassandra in Literatur und Kunst der Antike

In der Nähe von Mykene gibt es ein Grabmal, welches als das der Kassandra überliefert wurde. Ursprünglich war es jedoch wahrscheinlich einer lokalen Gottheit geweiht.

Kassandras Insignie auf antiken Bilddarstellungen ist die Doppelaxt des phrygischen Apollon (Petronius, Sat.89,20 ff.).

In der Ilias, der Beschreibung des Krieges um Troja des griechischen Dichters Homer, findet man Kassandra als die Tochter Priamos und der Hekabe, jedoch ist sie dort noch nicht als warnende Seherin beschrieben (Buch XXIV,697-706). Diese traditionelle Darstellung der Kassandra als warnende Stimme vor dem Untergang scheint sich dann später zu entwickeln. Bei Pindar und anderen griechischen Autoren, wie Aischylos in seinem Werk "Agamemnon" und Euripides in "Die Troerinnen" wird die Gabe der Prophetie der Kassandra fast als bekannt vorausgesetzt.

Als einziges antikes Werk stellt die Dichtung Alexandra aus der Zeit um 190 v. Chr. die Figur der Kassandra in den Mittelpunkt. Weshalb der Autor Lykophron den Namen Alexandra wählte, ist nicht bekannt (siehe auch Orestes von Aischylos).

In der Aeneis des röm. Schriftstellers Vergil wird Kassandra ebenfalls als Seherin erwähnt (II,246ff.), hier jedoch hat sie eine positive Vision von der Zukunft Roms.

Kassandrarufe

Heute nennt man jemanden eine „Kassandra“, der zutreffend, aber vergebens vor einer drohenden Gefahr warnt. Solche Warnungen werden als „Kassandrarufe“ bezeichnet (siehe auch Kassandra-Syndrom). Historisch bekannte Warnungen dieser Art sind jene des deutschen Botschafters in London, Karl Max Fürst Lichnowsky vor einer kriegerischen Verwicklung mit Großbritannien (1914), Lenins Politisches Testament aus 1922-23 mit seiner expliziten Warnung vor Josef Stalin, sowie die zahlreichen publizierten und nicht publizierten Warnungen "Hitler bedeutet Krieg" (und unvermeidliche deutsche Niederlage). Charakteristisch für solche Kassandrarufe ist die Tatsache, dass sie von Personen stammen, die über Insiderkenntnisse und realitätsgerechtes Urteil verfügen, aber nicht (oder nicht mehr) über entsprechende Durchsetzungsmacht.

Moderne Darstellungen der Kassandra

Eine literarische Bearbeitung des Themas liefert die Erzählung Kassandra von Christa Wolf.

Auch Marion Zimmer Bradley stellt in ihrem Buch Die Feuer von Troja Kassandra in den Mittelpunkt und erzählt die Geschichte des Untergangs aus der Sicht der Priesterin Kassandra, die gleichzeitig Priamos Tochter, Priesterin Apollos und Priesterin der Großen Mutter war. Allerdings wird die Geschichte hier als phantasievoller Roman, mit Kassandra als Urmutter Alexanders des Großen dargestellt, was mit der Überlieferung, unter anderem durch Homer, so gut wie nichts gemein hat.

In Disneys Hercules, einer Fernsehserie nach den gleichnamigen Film, wird Kassandra dargestellt als zynischer Teenager mit Gothic-Aspekten und einem ziemlich aufdringlichen, aber liebenswürdigen Verehrer in der Gestalt ihres Mitschülers Ikaros. Diese Darstellung ist amüsant, hat mit der echten Mythologie allerdings ebenso wenig zu tun wie der Disneyfilm.

Literaturverweise

  • Gustav Schwab: Die schönsten Sagen des klassischen Altertums. Gondrom, Bindlach 2006, ISBN 978-3-8112-2804-7.
  • Matthias Falke (Hrsg.): Mythos Kassandra. Texte von Aischylos bis Christa Wolf. Reclam, Leipzig 2006, ISBN 3-379-20114-6.
  • Thomas Epple: Der Aufstieg der Untergangsseherin Kassandra: Zum Wandel ihrer Interpretation vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart Königshausen & Neumann, Würzburg 1993, ISBN 3-88479-760-3

Belletristik (Auswahl)

  • Jean Giraudoux: Der Trojanische Krieg findet nicht statt. Stück in 2 Akten (La guerre de Troie n'aura pas lieu). Insel-Verlag, Leipzig 1984.
  • Jean-Paul Sartre: Die Troerinnen des Euripides. Stück in 12 Szenen. Rowohlt, Reinbek 1991, ISBN 3-499-34011-9.
  • Lesja Ukrainka: Kassandra. Dramatische Dichtung. Edition Thelem, Dresden 2007, ISBN 978-3-937672-97-7.
  • Christa Wolf: Kassandra. Verlag der Süddeutschen Zeitung, München 2007, ISBN 978-3-86615-509-1.
  • Marion Zimmer Bradley: Die Feuer von Troja. Fischer, Frankfurt/M. 2003, ISBN 3-596-50630-1.

Hörbücher

  • Christa Wolf: Kassandra aus der Reihe Starke Stimmen, gelesen von Corinna Harfouch. Brigitte Hörbuch-Edition

Siehe auch

Weblinks


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