Christa Wolf

Christa Wolf
Christa Wolf im März 2007
Christa Wolf während einer Demonstration auf dem Alexanderplatz am 4. November 1989

Christa Wolf (* 18. März 1929 in Landsberg an der Warthe als Christa Ihlenfeld) ist eine deutsche Schriftstellerin.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Christa Wolf wurde als Tochter des Kaufmanns Otto Ihlenfeld in Landsberg an der Warthe, heute Gorzów Wielkopolski, Polen, geboren. Sie besuchte dort bis kurz vor Kriegsende die Schule. Nach der Flucht vor den anrückenden sowjetischen Truppen fand die Familie 1945 vorerst in Mecklenburg eine neue Heimat. Wolf arbeitete als Schreibhilfe beim Bürgermeister des Dorfes Gammelin bei Schwerin. Sie beendete die Oberschule 1949 mit dem Abitur in Bad Frankenhausen und trat im selben Jahr in die SED ein, deren Mitglied sie bis zu ihrem Austritt im Juni 1989 blieb. Von 1949 bis 1953 studierte sie Germanistik in Jena und Leipzig, unter anderem bei Hans Mayer. 1951 heiratete sie den Schriftsteller Gerhard Wolf. Ein Jahr später wurde ihre erste Tochter Annette geboren.

Christa und Gerhard Wolf bei einer Autogrammstunde 1973 in Berlin

Christa Wolf arbeitete als wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Deutschen Schriftstellerverband und als Lektorin verschiedener Verlage sowie als Redakteurin bei der Zeitschrift neue deutsche literatur. Von 1955 bis 1977 war sie Mitglied im Vorstand des Schriftstellerverbands der DDR. Vier Jahre nach Geburt ihres ersten Kindes wurde die zweite Tochter Katrin („Tinka“) geboren.

1961 debütierte Wolf mit ihrer Moskauer Novelle über die Liebesbeziehung einer Ostberliner Ärztin zu einem russischen Dolmetscher. Seit 1962 ist Christa Wolf freie Schriftstellerin. Sie lebte von 1962 bis 1976 in Kleinmachnow bei Berlin, seit 1976 ist ihr Wohnort Berlin. Von 1963 bis 1967 war sie Kandidatin des ZK der SED. Ab 1974 war sie Mitglied der Akademie der Künste der DDR. Bereits 1972 unternahm sie eine Reise nach Paris und wurde 1984 Mitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste in Paris. Zwei Jahre später trat sie der Freien Akademie der Künste in Hamburg bei. 1976 wurde sie aufgrund der Mitunterzeichnung des „offenen Briefes gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns“ aus dem Vorstand der Berliner Sektion des Schriftstellerverbandes der DDR ausgeschlossen und erhielt in einem SED-Parteiverfahren eine strenge Rüge. Wolf unternahm viele Lesereisen, unter anderem nach Schweden, Finnland, Frankreich und in die USA, wo sie das Ehrendoktorat der Ohio State University erhielt. Sie zählt zu den bedeutendsten deutschen Schriftstellerinnen der Gegenwart. Ihr Werk wurde in viele Sprachen übersetzt.

Bei der Demonstration gegen die Politik in der DDR am 4. November 1989 hielt Christa Wolf auf dem Berliner Alexanderplatz die Rede „Sprache der Wende“.[1] An die Auflösung oder Zerstörung des Staates DDR glaubte Christa Wolf im November/Dezember 1989, wie auch viele ihrer Schriftstellerkollegen und -kolleginnen, nicht. Sie hielt wie etliche DDR-Intellektuelle noch einige Zeit eine Reform des Sozialismus unter anderer Führung für möglich. Am 26. November 1989 traten sie im Aufruf Für unser Land[2] für die DDR und gegen den „Ausverkauf unserer materiellen und moralischen Werte“ ein. Christa Wolf ließ in dieser Zeit keinen Zweifel daran, dass die Veränderungen in der DDR nicht der Stabilisierung des Staatswesens gelten dürften, sondern der „Fortentwicklung des Sozialismus“. Deshalb lehnte sie die Bezeichnung Wende, die Krenz zum Amtsantritt eingebracht hatte, entschieden ab; diese könne zu Missverständnissen im Sinne einer Kehrtwende führen, einer Restauration oder einer Wendung zum Westen hin.[3] Christa Wolf sprach vielmehr von einer „Epochenwende“.[4]

Anfang der 1990er Jahre wurde bekannt, dass Wolf von 1959 bis 1962 als „IM Margarete“ beim Ministerium für Staatssicherheit der DDR geführt worden war. Sie hatte drei Berichte verfasst, die allerdings ein ausschließlich positives Bild der betroffenen Personen zeichneten. Entsprechend beklagte die Stasi in internen Aufzeichnungen von 1962 Wolfs „Zurückhaltung“ in der Zusammenarbeit und begann nunmehr, die Autorin selbst umfangreich zu überwachen – ein Zustand, der bis zum Ende der DDR anhielt.[5] Auf die spätere Frage warum sie trotz dieses Zustandes nicht aus der DDR auswanderte, antwortete sie, dass sie von ihren Lesern in der DDR gebraucht wurde.[6]

Dennoch leitete das Bekanntwerden dieser Fakten über Wolf, zusammen mit der Kritik an ihrer Erzählung Was bleibt, den sogenannten Literaturstreit ein. In vielen Medien wurde eine harte Auseinandersetzung um ihre Stasiverpflichtung geführt und diese ungeachtet des Kontextes gegen sie verwendet. Dies empfand sie als ungerechtfertigte Abrechnung mit ihrem Wunsch nach einem demokratischen Sozialismus und ihrer DDR-Biographie. Sie bezeichnete es als Hexenjagd und verglich ihre Situation mit ihrer Unterdrückung in der DDR. Sie unternahm längere Aufenthalte in den USA. Sie zog sich aus der politischen Öffentlichkeit zurück und reagierte körperlich auf die Vorwürfe mit Krankheit – dokumentiert unter anderem in der Erzählung Leibhaftig. 1993 veröffentlichte Wolf zur Widerlegung der Medienvorwürfe unter dem Titel Akteneinsicht Christa Wolf selber ihre vollständige IM-Akte.[6]

Mit ihrem USA-Aufenthalt 1992/93 befasst sich Wolf in dem 2010 erschienenen Werk Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud. Sie reflektiert ihr Erleben der Nachwendezeit, ihre prinzipielle Treue zur sozialistischen Utopie und ihr Erschrecken vor Auswirkungen des Kapitalismus wie dem Elend der Schwarzen und dem Ersten Irakkrieg. Lange beschäftigt sie sich mit der Veröffentlichung ihrer Stasitätigkeit. Während sie damals die heftige Kritik daran mit den Denunziationen anlässlich von Nachdenken über Christa T. verglich, nimmt sie jetzt Abschied von moralischer Rigorosität und Selbstmitleid. In Nüchternheit „überschätzt [sie] weder ihr Leiden noch das Gewicht ihrer Spitzeltätigkeit“.[7]

Rezeption

Die Werke Christa Wolfs wurden in der Literaturkritik kontrovers diskutiert, besonders nach der Deutschen Wiedervereinigung. Als der Text Was bleibt veröffentlicht wurde, haben westdeutsche Kritiker wie Frank Schirrmacher argumentiert, dass Christa Wolf es versäumt habe, den Autoritarismus der ostdeutschen kommunistischen Regierung zu kritisieren. Andere Kritiker haben Wolfs Werke als "moralistisch" bezeichnet. Verteidiger der Schriftstellerin haben dagegen die Bedeutung Christa Wolfs als wichtige Repräsentantin der ostdeutschen literarischen Produktion anerkannt.[8] Fausto Cercignanis Studie von Christa Wolfs Frühromanen und darauf folgende Aufsätze über ihre späteren Werke haben dazu beigetragen, ein Bewusstsein der Essenz des Erzählwerks der ostdeutschen Schriftstellerin zu fördern, und zwar unabhängig von ihren politischen und persönlichen Wechselfällen. Die Hervorhebung Cercignanis auf Christa Wolfs Heldentum hat den Weg freigemacht für folgende Beiträge in dieser Richtung.[9]

Literarische Rezeption

Sowohl Christa Wolfs Sommerstück [10] als auch Sarah Kirschs Chronik Allerleih-Rauh [11] erzählen von einem gemeinsam mit Freunden erlebten Mecklenburger Sommer in den 1970er Jahren. Die unterhaltsamen Feste und Unternehmungen der Künstlerkolonie sowie die Gespräche über private Freuden und Sorgen können die angespannte, in Kirschs Chronik nur angedeutete, politische Atmosphäre vor der Ausbürgerung Wolf Biermanns nicht verdecken. Die unterschiedliche Einschätzung der Situation formulieren die beiden Autorinnen bzw. ihre Erzählerinnen: einerseits im selbstkritischen Rückblick: „Etwas würde sich verändern, heute sagen wir alle, wir hätten gewusst, dass es so nicht bleiben konnte. [...] Der Schrei, der uns in der Kehle saß, ist nicht ausgestoßen worden. Aus unserer Haut sind wir nicht herausgekommen... [12] und andererseits : „doch es schien mir unfassbar, dass die Einwohner wieder bereit waren, vom Kleister der Hoffnung zu zehren, an ein Wunder zu glauben, das ausgerechnet von dort kommen sollte, wo Heinrich Vogeler einstmals in einem Lager [Deportation nach Kasachstan] verscholl“ [13]. Wolf [14] und Kirsch [15] weisen zwar auf den fiktiven Charakter der Texte hin, die Vorbilder der Hauptfiguren sind jedoch gut erkennbar. Die Allerleih-Rauh-Erzählerin spricht die Problematik der Identifizierung an, indem sie den Vorspruch „Alles ist frei/erfunden und jeder Name/wurde verwechselt“ in Verbindung mit einem Kommentar zur verzögerten Editionsgeschichte der Wolfschen Erzählung wieder aufgreift [16]. Sie vermutet persönliche Rücksichtsnahmen und mahnt: „[M]it Mystifizierungen falscher Namen ist nichts gewonnen, wir müssen für uns selbst gerade stehen, aus Christa kann ebenso wenig Kitty werden wie aus Carola eine Cordula oder aus mir eine Bernhardine. [17]

Auszeichnungen

Überreichung des Nationalpreises der DDR 1964 durch Walter Ulbricht

Werke

Texte

Hörspiele

  • Kein Ort. Nirgends, Hörspielfassung zusammen mit Gerhard Wolf, WDR 1982
  • Medea Stimmen, Hörspielfassung (unbekanntes Datum)
  • Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud, Hörbuch gelesen von Christa Wolf, 2010, Der Audio Verlag, ISBN 978-3-862-31008-1

Filme

Interview

Literatur

  • Peter Böthig (Hrsg.): Christa Wolf – Eine Biographie in Bildern und Texten, Luchterhand, München, 2004
  • Fausto Cercignani: Existenz und Heldentum bei Christa Wolf. «Der geteilte Himmel» und «Kassandra», Würzburg, Königshausen & Neumann, 1988.
  • Clemens Götze: Nichts vergessen – Autobiographisches Schreiben als Selbsterfahrung in Christa Wolfs Roman Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud. In: Ders.: Ich werde weiterleben, und richtig gut. Moderne Mythen in der Literatur des 20. Jahrhunderts, Berlin 2011, S.57-78.
  • Sonja Hilzinger: Christa Wolf. Leben, Werk, Wirkung, Suhrkamp, Frankfurt/M. 2007, ISBN 3-518-18224-2
  • Jörg Magenau: Christa Wolf – Eine Biographie, Kindler, Berlin, 2002
  • Giulio Schiavoni (Hrsg.): Prospettive su Christa Wolf – Dalle sponde del mito, Franco Angeli, Mailand, 1998
  • Gisela Stockmann: Christa Wolf. Amselweg, In: Gisela Stockmann: Schritte aus dem Schatten. Frauen in Sachsen-Anhalt, Dingsda-Verlag, Querfurt 1993

Film

  • Ein Tag, ein Jahr, ein Leben. Die Schriftstellerin Christa Wolf. Kulturdokumentation, 50 Min., ein Film von Gabriele Conrad und Gabriele Denecke, Produktion: RBB, arte, Sendung: 29. Juli 2005 bei arte, u.a. mit Günter Grass, Friedrich Schorlemmer[18]

Weblinks

 Commons: Christa Wolf – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Die wiedergefundene Sprache, der Freitag, 25. Oktober 2009
  2. Aufruf: Für unser Land
  3. vgl. Paul Gerhard Klussmann: „Die Geschichte ist offen“. Utopie und Utopieverlust am Ende des Jahres 1989, in: ders. und Frank Hoffmann (Hrsg.): Das Epochejahr 1989 in Deutschland, Kleine Schriften aus dem Institut für Deutschlandforschung, Bochum 2000
  4. vgl. Christa Wolf: Auf dem Weg nach Tabou, 1994
  5. Die ängstliche Margarete, Der Spiegel 4/1993
  6. a b Wolfgang Thierse: Fremd zieh ich wieder aus, 23. Juni 2010
  7. Reise ans Ende der Tugend ZEIT online, abgerufen am 28. Juni 2010
  8. Dolores L. Augustine (2004), "The Impact of Two Reunification-Era Debates on the East German Sense of Identity". German Studies Review (German Studies Association) 27 (3): 569–571. http://www.jstor.org/stable/4140983. Retrieved 7. März 2009
  9. Fausto Cercignani: Existenz und Heldentum bei Christa Wolf. «Der geteilte Himmel» und «Kassandra», Würzburg, Königshausen & Neumann, 1988. Für die darauf folgenden Aufsätze siehe http://en.scientificcommons.org/fausto_cercignani.
  10. Wolf, Christa: Sommerstück. Frankfurt a. M. 1989.
  11. Kirsch, Sarah: Allerleih-Rauh. Stuttgart 1988.
  12. s. Wolf, Christa, 1989, S. 124.
  13. s. Kirsch, Sarah, 1988, S. 88.
  14. s. Wolf, Christa, 1989, abschließende Bemerkung.
  15. s. Kirsch, Sarah, 1988. Vorspruch.
  16. s. Kirsch, Sarah, 1988, S. 61.
  17. s. Kirsch, Sarah, 1988, S. 61.
  18. Interview mit der Regisseurin Conrad, abgerufen am 14. November 2010

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