- Kniefall von Warschau
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Der Kniefall von Warschau war ein Ereignis am 7. Dezember 1970 unmittelbar vor der Unterzeichnung des Warschauer Vertrags zwischen Polen und der Bundesrepublik Deutschland.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Willy Brandt legte als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland vor dem Ehrenmal der Helden des Ghettos in Warschau einen Kranz nieder. Nach dem Richten der Kranzschleife verharrte er nicht wie üblich stehend, sondern kniete einige Zeit schweigend nieder, erhob sich wieder und ging an der Spitze seiner Delegation fort.
- "Wenn dieser ... für das Verbrechen nicht mitverantwortliche, damals nicht dabeigewesene Mann nun dennoch auf eigenes Betreiben seinen Weg durchs ehemalige Warschauer Getto nimmt und dort niederkniet -- dann kniet er da also nicht um seinetwillen. Dann kniet er, der das nicht nötig hat, da für alle, die es nötig haben, aber nicht da knien -- weil sie es nicht wagen oder nicht können oder nicht wagen können. Dann bekennt er sich zu einer Schuld, an der er selber nicht zu tragen hat, und bittet um eine Vergebung, derer er selber nicht bedarf. Dann kniet er da für Deutschland."
Das schrieb Hermann Schreiber, der zugegen gewesen war, eine Woche später im SPIEGEL.[1]
Die Demutsbekundung war überraschend: für die Delegation, die Gastgeber und die Öffentlichkeit. International wurde sie als Bitte um Vergebung gewertet und ebnete der Ostpolitik den Weg, für die Willy Brandt 1971 der Friedensnobelpreis zuerkannt wurde. In der Bundesrepublik Deutschland stieß sie auch auf Ablehnung - nicht zuletzt aus den Reihen der CDU. Einer Spiegel-Umfrage zufolge fanden damals 48 Prozent der Westdeutschen den Kniefall übertrieben, 41 Prozent angemessen, 11 Prozent hatten keine Meinung dazu.[2]
Für Polen unterschrieb den Warschauer Vertrag Ministerpräsident Józef Cyrankiewicz; er überlebte das KZ Auschwitz.[3]
Die Presse der DDR erwähnte die Geste nicht.[3]
Im Rückblick ist man sich einig, dass der Kniefall eine wichtige Rolle bei der Entspannung zwischen den Blöcken spielte. Der am gleichen Tag unterzeichnete Warschauer Vertrag erkannte die Unverletzlichkeit der faktischen polnischen Grenzen an.
Viel wurde darüber spekuliert, ob Brandt spontan gehandelt habe. Er selbst schrieb dazu in seinen 1989 erschienenen "Erinnerungen":
- Immer wieder bin ich gefragt worden, was es mit dieser Geste auf sich gehabt habe. Ob sie etwa geplant gewesen sei? Nein, das war sie nicht. Meine engen Mitarbeiter waren nicht weniger überrascht als jene Reporter und Fotografen, die neben mir standen, und als jene, die der Szene ferngeblieben waren, weil sie »Neues« nicht erwarteten.
- Ich hatte nichts geplant, aber Schloß Wilanow, wo ich untergebracht war, in dem Gefühl verlassen, die Besonderheit des Gedenkens am Ghetto-Monument zum Ausdruck bringen zu müssen. Am Abgrund der deutschen Geschichte und unter der Last der Millionen Ermordeten tat ich, was Menschen tun, wenn die Sprache versagt.[4]
Egon Bahr äußerte sich in seinen Erinnerungen "Zu meiner Zeit" 1996 wie folgt:
- Als die Wagenkolonne sich zum Ghetto-EhrenmaI in Bewegung setzt, vergleichen Berthold Beitz und ich unsere Eindrücke. Wir steigen in Ruhe aus und haben es nicht eilig, uns der dichten Menge von Journalisten und Photographen zu nähern - da wird es plötzlich ganz still. Daß dieses hartgesottene Völkchen verstummt, ist selten. Beim Nähertreten flüstert einer: »Er kniet.« Gesehen habe ich das Bild erst, als es um die Welt ging. Den Freund zu fragen, habe ich mich auch am Abend beim letzten Whisky gescheut. Daß einer, der frei von geschichtlicher Schuld, geschichtliche Schuld seines Volkes bekannte, war ein Gedanke, aber große Worte zwischen uns waren unüblich. »Ich hatte das Empfinden, ein Neigen des Kopfes genügt nicht.«[5]
Etwa 150 Meter nordwestlich des Ehrenmals und bis zum Bau des Museums der Geschichte der polnischen Juden von dort aus sichtbar wurde dem Kniefall im Jahr 2000 ein Denkmal aus Backstein mit einer Bronzetafel von Wiktoria Czechowska Antoniewska errichtet. Das Areal um dieses Denkmal heißt inzwischen offiziell Skwer Willy Brandta (Willy-Brandt-Platz).
Der Komponist Gerhard Rosenfeld schuf eine Oper Kniefall in Warschau über Willy Brandt (Libretto von Philipp Kochheim, Uraufführung 1997 in Dortmund).
2010 besuchte der deutsche Bundespräsident Christian Wulff anlässlich des 40. Jahrestages des Kniefalls Polen.[3]
Verweise
Siehe auch
Literatur
- Alexander Behrens (Hrsg.): Durfte Brandt knien? Der Kniefall in Warschau und der deutsch-polnische Vertrag. Eine Dokumentation der Meinungen., Verlag J.H.W.Dietz Nachf., Bonn 2010 ISBN 978-3-8012-0404-4
- Thomas Brechenmacher und Michael Wolffsohn: Denkmalsturz? Brandts Kniefall. Olzog Verlag, München 2005
- Christoph Schneider: Der Warschauer Kniefall. Ritual, Ereignis und Erzählung. UVK-Verlag, Konstanz 2006
- Rezension der beiden vorstehenden Bücher von Friedrich Kießling (* 1970)
- Adam Krzemiński: Der Kniefall. Warschau als Erinnerungsort deutsch-polnischer Geschichte. In Merkur (Zeitschrift) November 2000 S. 1077 und in Étienne François, Hagen Schulze (Hrsg.): Deutsche Erinnerungsorte. Verlag C.H.Beck München 2001ff.
Weblinks
- DHM LeMO: Ostverträge (Link nicht mehr abrufbar)
- Richard von Weizsäcker: Es begann in Polen. Brandts Kniefall ermöglichte die EU-Osterweiterung. Die Zeit, 6. Dezember 2000
- Link zum Foto des Kniefalls
- Kniefall Willy Brandts vor dem Denkmal für die Opfer des Warschauer Ghettoaufstandes Warschau, 7. Dezember 1970, Photographie, Bundesbildstelle, Bonn
- Thomas Kröter: Die Kraft der Demut - Artikel (2010) zum 40 Jahrestag des Kniefalls
Fußnoten
- ↑ Der Spiegel 51/1970, S. 29 f. Ein Stück Heimkehr
- ↑ KNIEFALL ANGEMESSEN ODER ÜBERTRIEBEN?. In: Der Spiegel. Nr. 51, 1970 (online).
- ↑ a b c fr-online.de: Die Kraft der Demut - Artikel (2010) zum 40 Jahrestag des Kníefalls
- ↑ Willy Brandt. Erinnerungen. Propyläen-Verlag Frankfurt am Main 1989 S. 214
- ↑ Egon Bahr. Zu meiner Zeit. Blessing-Verlag München 1996 S. 341
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