Berthold Beitz

Berthold Beitz
Berthold Beitz (1986)

Berthold Beitz (* 26. September 1913 in Zemmin) ist ein einflussreicher Manager in der Montanindustrie des Ruhrgebiets.

Während des Zweiten Weltkriegs rettete er im von Deutschen besetzten Galizien mehreren hundert jüdischen Zwangsarbeitern das Leben, indem er sie als unentbehrlich für die Erdölindustrie einstufte und in den von ihm verwalteten Fabriken beschäftigte. Nach Kriegsende lernte er Alfried Krupp kennen und wurde sein Generalbevollmächtigter. Gemeinsam mit ihm baute er den Krupp-Konzern wieder auf und wandelte nach dem Tod Alfried Krupps das Kruppsche Familienvermögen in eine Stiftung um. Als Testamentsvollstrecker des Krupp-Erbes und Vorsitzender des Kuratoriums der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung hat Beitz während des Niedergangs der Montanindustrie in nunmehr fünf Jahrzehnten den Strukturwandel im Ruhrgebiet wesentlich mitbestimmt und den Umbau zu einer Wirtschafts-, Wissenschafts- und Kulturregion mitbetrieben. Beitz war von 1972 bis 1988 Mitglied im Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und zwischen 1984 und 1988 dessen Vizepräsident.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Herkunft und Ausbildung

Berthold Beitz kam in Zemmin, einem Ortsteil der Gemeinde Bentzin im Landkreis Demmin in Vorpommern als Sohn von Erdmann und Erna Beitz, geb. Stuth, zur Welt. Der Vater war während des Ersten Weltkriegs als Ulanen-Wachtmeister eingesetzt und erhielt nach dem Militärdienst in Greifswald eine Anstellung als Bankbeamter.

Berthold war in diesen Jahren ein begeisterter Sportler, der sich vor allem dem Segeln und Rudern widmete. Nach dem 1934 in Greifswald erfolgreich abgelegten Abitur absolvierte er im nahen Stralsund eine zweijährige Lehre zum Bankkaufmann. Im Anschluss daran wurde er binnen eines Jahres zum stellvertretenden Filialleiter bei der Pommerschen Bank in Demmin befördert.

Die ersten Kriegsjahre

Im April 1939 wechselte Beitz als kaufmännischer Angestellter zur Mineralölfirma Shell in Hamburg, für die er während des gesamten Krieges tätig war. Nach Beginn des Polenfeldzugs ging er zu einem Tochterunternehmen der Shell, der Beskiden-Erdöl-Gewinnungs-GmbH, die die ostgalizischen Erdölfelder im neu gebildeten Generalgouvernement ausbeuten sollte. Ende 1939 wurde er in die südpolnische Kleinstadt Jasło, 1940 als Leiter der Buchhaltung in das benachbarte Krosno versetzt.

Die Zeit in Boryslaw

Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion wurde Berthold Beitz im Juli 1941 zum kaufmännischen Leiter der Karpathen-Öl AG in Boryslaw berufen, die den jetzt ebenfalls besetzten, ehemaligen sowjetischen Teil des Erdölreviers ausbeutete. Schätzungen zufolge waren vor der Besetzung Polens etwa 10% der Bevölkerung Juden, und in Galizien, dem Zentrum des jüdischen Siedlungsgebietes in Europa, lag ihr Anteil bei bis zu 40%. Sie lebten im Schtetl in oft einfachen Verhältnissen und verdienten ihren Lebensunterhalt als Kaufleute, Handwerker und vor allem auch als Arbeiter in der Ölindustrie. Zwischen 1941 und 1944 bewahrte er viele Juden vor den Vernichtungslagern, indem er sie als unabkömmlich für die Produktion seines kriegswichtigen Unternehmens reklamierte. Zu seinen Mitarbeiterinnen gehörte Hilde Berger, die später die Sekretärin von Oskar Schindler im KZ Plaszow war. Bei der Übernahme der Erdölförderung durch die deutsche Betriebsleitung wurden die jüdischen Beschäftigten, die ein Fünftel der Belegschaft stellten, zunächst trotz anderslautender Weisung der Reichsregierung weiterbeschäftigt.

Wegen des Mangels an Fachleuten in der deutschen Mineralölwirtschaft wurde Beitz von der Wehrmacht "unabkömmlich gestellt" und daher zunächst nicht zum Wehrdienst einberufen. Schließlich wurde er im März 1944 aber doch noch zur kämpfenden Truppe eingezogen. Sein höchster Dienstgrad war Feldwebel, zudem war Beitz Offiziersanwärter in Reserve, da er bis 1938 auf Drängen des Vaters an einigen freiwilligen Wehrübungen teilgenommen hatte. Berthold Beitz erlebte das Kriegsende als Soldat.

Viele der bis zu diesem Zeitpunkt von Beitz beschützten Juden flohen daraufhin in die umliegenden Wälder und konnten auf diese Weise die Zeit bis zum Kriegsende in Galizien überleben. Das Zwangsarbeitslager der Karpathen-Öl wurde am 22. Juli 1944 im Angesicht der näherrückenden sowjetischen Truppen aufgelöst[1] und die noch verbliebenen Häftlinge wurden in die KZ Auschwitz und Mauthausen deportiert. Beitz wurde vorgeworfen, er hätte nur arbeitsfähige Juden vor dem sicheren Tod gerettet, um die Rohölförderung aufrechtzuerhalten. Diese Betrachtung ist aber umstritten und wird von der Yad-Vashem-Kommission für Gerechte unter den Völkern nicht geteilt.[2] Er wurde 1973 in die Liste der Gerechten unter den Völkern aufgenommen, seine Frau Else schließlich auch im Jahr 2008.[3]

Nach Kriegsende

Auch aufgrund seiner Charakterstärke während des Weltkrieges wurde er 1946, nach der Flucht aus der Kriegsgefangenschaft, durch die amerikanische Besatzung zum Vizepräsidenten des Zonenamtes des Reichsaufsichtsamtes für das Versicherungswesen in Hamburg ernannt. Von 1949 bis 1953 war er Generaldirektor der Versicherungsgesellschaft Iduna-Germania in Hamburg.[4] In dieser Eigenschaft traf er 1953 Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, der ihn für die Position des Generalbevollmächtigten in den Krupp-Konzern warb.

Krupp-Konzern

Der Essener Krupp-Betrieb wurde am 1. September 1939 vom Oberkommando der Wehrmacht zum „Wehrmachtsbetrieb“ erklärt. Alfried Krupp übernahm die Konzernleitung von seinem Vaters Gustav Krupp von Bohlen und Halbach 1943. Die Produktion des Krupp-Konzerns wurde zu diesem Zeitpunkt in stärkstem Maße durch die kriegwirtschaftlichen Anforderungen bestimmt, die die unternehmerische Autonomie stark einschränkten.

Alfried Krupp wurde unmittelbar nach dem Krieg von US-Truppen verhaftet und interniert. Drei Jahre später wurde er von den Alliierten als Kriegsverbrecher schuldig gesprochen. Neben der Beschlagnahmung seines Vermögens wurde er zu 12 Jahren Haft im Kriegsverbrechergefängnis Landsberg verurteilt. Auf der Grundlage eines Gutachtens amerikanischer Sachverständiger wurde Alfried Krupp am 31. Januar 1951 begnadigt. Aufgrund des 1953 geschlossenen „Mehlemer Vertrages“ wurde ihm sein gesamtes Vermögen unter der Auflage einer strikten Entflechtung zurückgegeben. Im März 1953 konnte Krupp von Bohlen und Halbach wieder die Leitung des Unternehmens übernehmen, dessen Essener Produktionsstätten zu diesem Zeitpunkt größtenteils zerstört oder demontiert waren.

Bereits im Sommer 1952 trafen sich Alfried Krupp und Berthold Beitz zufällig im Essener Atelier des Bildhauers Jean Sprenger. Einige Wochen später, am 25. September 1952, kamen die beiden in Hamburg erneut zusammen und Krupp bot Beitz die Position eines Generalbevollmächtigten des Konzerns an. Beitz willigte ein und wurde im November 1953, nach der Rückübertragung des Unternehmens, zu Krupps persönlichem Vertrauten und übte das Amt als Generalbevollmächtigter bis 1967 aus.[4]

Ab 1970 war Beitz Aufsichtsratsvorsitzender im Krupp-Konzern, seit 1989 Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrates.[4] Diesen Status hat er seit 1999 auch in der heutigen ThyssenKrupp AG.

Krupp-Stiftung

Kurz vor dem Tod Alfried Krupps 1967 wurde das Kruppsche Privatvermögen in eine Stiftung überführt. Beitz wurde Vorsitzender des Kuratoriums der gemeinnützigen Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung und damit Testamentsvollstrecker und Sachwalter des Kruppschen Vermögens. Er übt dieses Amt bis heute aus.

Gemeinnütziges und soziales Engagement

Beitz ist seit 1972 bis heute Mitglied im Nationalen Olympischen Komitee Deutschlands, war von 1972 bis 1988 auch Mitglied im Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und zwischen 1984 und 1988 dessen Vizepräsident. Seit 1988 ist er Ehrenmitglied des IOC.

Seit den 1970er Jahren ist er für sein Engagement insbesondere im kulturellen und sportlichen Austausch mit der Sowjetunion bzw. Russland bekannt. Er gehörte daher seit Willy Brandt regelmäßig zum Beraterstab der Bundesregierungen für die Ost-Aussöhnung mit Polen und der Sowjetunion/Russland.

Günter Mittag (links) und Berthold Beitz (rechts) auf der Hannover-Messe 1987

Der Ruhr-Universität Bochum übergab Beitz nach dem Tode Alfried Krupps den bedeutenden Bücherbestand der Bibliothek der Villa Hügel, die den Grundstock der Universitätsbibliothek bildete. Als Kuratoriumsvorsitzender der Stiftung förderte er außerdem zahlreiche Forschungsprojekte an der Bochumer Universität und der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina zu Halle/Saale.

Die Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald sowie die Stadt Greifswald erfahren durch den aus Pommern stammenden Beitz seit Jahrzehnten aus Mitteln der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung Förderung. Für dieses Engagement für die Wissenschaft wurde Beitz mehrfach ausgezeichnet, unter anderen als Ehrensenator, Ehrendoktor und Namensgeber des zentralen „Berthold-Beitz-Platzes“ am naturwissenschaftlichen Campus der Universität. Er setzte sich unter anderem auch für das Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald ein. Unter seinen zahlreichen Ehrungen ist ihm die Ernennung als Stifter der Universität Greifswald, die als Dank für sein großes Engagement für Stadt und Universität geschah, mit am wichtigsten.[5]

Beitz sorgte dafür, dass die Villa Hügel mit der einzigartigen Architektur, ihren Kunstschätzen und der zugehörigen Parklandschaft für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Die Gründung der Kulturstiftung Ruhr, die ihren Sitz in der Villa Hügel hat, geht ebenfalls auf ihn zurück.

Privatleben

Berthold Beitz ist seit 1939 mit seiner Frau Else, geb. Hochheim,[4] verheiratet. Sie haben drei Kinder und sieben Enkel. Beitz bezeichnet sich selbst als „Einzelgänger“. Er gehört weder einem Verein noch einer Partei an.[5] Beitz gilt als ungeduldig und trifft viele Entscheidungen aus dem Bauch heraus („Wenn ich in einen Raum komme, weiß ich zu 80 Prozent, wie die Verhandlungen laufen.“).[5] In die Politik sei er nie gegangen, da er dann, als ungeduldiger Bauchmensch, seine Entscheidungen erst mit anderen langwierig hätte abstimmen müssen.[5] Auch nach über sechs Jahrzehnten im Ruhrgebiet könne man den Akzent seiner pommerschen Heimat noch heraushören.[5]

Seine Frau Else Beitz holte 1978 ihr Abitur nach und studierte Erziehungswissenschaften bis zu ihrem Diplom 1984. 1993 wurde Else Beitz promoviert zum Thema Industriepädagogik in den Großbetrieben des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg – dargestellt am Beispiel der Firma Krupp.[6]

Würdigung

„Von Haus aus ein nüchterner Pommer[7] lebt Beitz seit Jahrzehnten in Essen. „Ich habe die Aufgabe, den letzten Willen von Alfried Krupp zu erfüllen, und das wird auch mein weiteres Leben bestimmen“, sagte Beitz nach dem Tode Krupps 1967.[8]

Seit den Anfängen der gemeinsamen Arbeit von Alfried Krupp und Berthold Beitz herrscht Uneinigkeit darüber, wem der außergewöhnliche Aufstieg des Konzerns in den Jahren ab 1955 zuzurechnen sei.

Am 1. Juli 2010 wurde das langjährige Russland/Eurasien-Zentrum an der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berthold-Beitz-Zentrum, Kompetenzzentrum für Russland, Ukraine, Belarus und Zentralasien umbenannt. Die Neugründung des Zentrums wurde bei einem feierlichen Mittagessen am 14. Juni 2010 im Beisein von Berthold Beitz in der Villa Hügel besiegelt. Träger des Zentrums sind der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft und die Deutsche Bank. Mit der Namensgebung würdigt die deutsche Wirtschaft Beitz’ Verdienste als Mit-Architekt der deutschen Ostpolitik in den 1960er-Jahren. Das Berthold-Beitz-Zentrum wird von Alexander Rahr geleitet.[9]

Nach ihm sind der Berthold-Beitz-Boulevard in Essen, der Berthold-Beitz-Platz in Greifswald und die Berthold-Beitz-Straße in seinem Heimatort Zemmin benannt.

Auszeichnungen und Ehrungen

Literatur

Film

  • Berthold Beitz – Der Herr der drei Ringe. Dokumentation, Deutschland, 2003/2008, 45 Min., Buch und Regie: Reinhold Böhm, Cathrin Leopold, Produktion: WDR, Ausstrahlung: 22. September 2008, Inhaltsangabe vom WDR.

Weblinks

 Commons: Berthold Beitz – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Arbeitslager im besetzten Polen – Distrikt Galizien. In: deathcamps.org, abgerufen am 28. November 2010.
  2. Yad Vashem: The Holocaust Martyrs’ and Heroes’ Remembrance Authority. Abgerufen am 28. November 2010.
  3. Veranstaltungen des Freundeskreises von Yad Vashem Jerusalem in Deutschland e.V. 2008 In: Friends of Yad Vashem Worldwide, 2008.
  4. a b c d e Walter Habel (Hrsg.): Wer ist wer? Das deutsche who's who. XLVI. Ausgabe 2007/08 (Begründet von Walter Habel - vormals Degeners wer ist´s), Lübeck 2007, S. 78.
  5. a b c d e Susanne Kippenberger: Der Patriarch. In: Der Tagesspiegel, 30. Januar 2010 abgerufen am 29. November 2010
  6. Wulf Mämpel: Gerechte unter den Völkern Dr. Else Beitz. In: WAZ, 10. März 2008.
  7. „Dankesworte von Prof. Berthold Beitz anlässlich der Verleihung der Ehrenbürgerwürde der Landeshauptstadt Kiel am 12. Februar 2004.“ In: Stadt Kiel, PDF-Datei, 2 S.
  8. Krupp ist meine Lebensaufgabe. In: stern, 25. September 2003.
  9. Berthold-Beitz-Zentrum in Berlin gegründet. In: Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft, 30. Juni 2010.
  10. „Die Stadt verneigt sich vor einem großen Mann. Stadt verleiht Ehrenbürgerrechte an Professor Berthold Beitz.“ In: Stadt Essen, 10. Mai 2007.
  11. Erste polnisch-deutsche Auszeichnung »Pomerania Nostra« an den Deutschen Berthold Beitz verliehen. In: Kulturforum östliches Europa, 20. Oktober 2003.
  12. Liste der Ehrendoktorate des Weizman-Instituts.
  13. Josef König: RUB-Ehrendoktorwürde für Berthold Beitz. In: Informationsdienst Wissenschaft (idw), 10. Juni 1999.
  14. Jens Wylkop: Akademische Jahresfeier. 40 Jahre Ruhr-Universität Bochum. In: RUB-aktuell, Ruhr-Universität Bochum, 21. Juni 2005.
  15. „Die Stadt verneigt sich vor einem großen Mann. Stadt verleiht Ehrenbürgerrechte an Professor Berthold Beitz.“ In: Stadt Essen, 10. Mai 2007.
  16. Der Berthold-Beitz-Boulevard. Die neue Straße für den dritten Stadtring. In: Krupp-Gürtel. Essens neue Seite, 2009, abgerufen am 28. November 2010.
  17. cht/dpa: Harvard benennt Lehrstuhl nach Berthold Beitz. In: Spiegel Online, 6. Oktober 2008.
  18. Pressemitteilung: Verleihung der Moses Mendelssohn Medaille 2010 an Prof. Dr. h.c. mult. Berthold Beitz. In: Moses Mendelssohn Zentrum, 26. Februar 2010.
  19. http://www.derwesten.de/staedte/essen/Berthold-Beitz-zum-Ehrensenator-ernannt-id3747526.html
  20. Späte Ehrung in: FAZ vom 14. November 2011, Seite 27
  21. Frank Stenglein: Biografie: Berthold Beitz und die Freiheit zum Handeln. In: DerWesten, 21. November 2010.

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