Kontenabrufverfahren

Kontenabrufverfahren

Unter Kontenabruf versteht man den Zugriff staatlicher Stellen auf die Kontostammdaten von Bankkunden.

Kreditinstitute (nur in Deutschland) sind verpflichtet eine Datei zu führen, in der die Kontostammdaten ihrer Kunden gespeichert sind. In gesetzlich eindeutig geregelten Fällen darf die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) seit April 2003 bei Erfüllung ihrer Aufgaben, insbesondere für strafrechtliche Zwecke, auf diese Datei zugreifen sowie Auskunft über einzelne Kontostammdaten eines in Deutschland geführten Bankkontos an andere Behörden erteilen. Seit April 2005 führt das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) Anfragen für die Finanzbehörden und andere bestimmte Behörden durch, so z. B. wenn ein Steuerpflichtiger keine hinreichenden Angaben über seine Einkommensverhältnisse geben kann oder will. Die Kontenabrufe führen in rd. 45% aller Fälle zur Aufdeckung bisher verschwiegener Kapitaleinkünfte.[1]

Inhaltsverzeichnis

Abfragbare Daten

Gespeichert werden Kontonummer, Eröffnungs- und Auflösungsdatum sowie Namen (Nachname und alle Vornamen), Geburtsdatum des Kontoinhabers, Namen (Nachname und alle Vornamen) eines oder mehrerer evtl. abweichenden wirtschaftlich Berechtigten (hier auch die Adresse) sowie Namen (Nachname und alle Vornamen) und Geburtsdatum von Verfügungsberechtigten des Kontos. Wertpapierdepots werden wie Konten gemeldet. Änderungen der Kontoinformationen sind täglich für den Abruf bereit zu stellen.

Die Daten sind für 3 Jahre zu historisieren. Die Speicherung begann ab dem 1. April 2003 und wurde per 12. Juli 2006 spezifiziert (mit Wirkung zum 1. August 2007).

Eine Speicherung von Kontoständen oder -Umsätzen erfolgt nicht.

Verfahren

Bereitstellen der Daten

Es besteht keine zentrale Datenbank (Kontenevidenzzentrale), in der die Daten zusammengeführt werden. Stattdessen halten die einzelnen Banken die Daten vor. Vielfach wird diese Datenhaltung an externe Dienstleistungsunternehmern (z. B. die Dienstleistungsgesellschaften der jeweiligen Bankenverbände) ausgelagert. Die Banken sind verpflichtet, die Daten in einer gesonderten Datenbank bereit zu halten und erfahren nicht, auf welche Daten die Behörden zugreifen.

Abruf der Daten für steuerliche Zwecke

Finanzbehörden können über das BZSt Kontendaten abrufen, sofern dies für das Besteuerungsverfahren notwendig ist.

Abruf der Daten für andere Zwecke über das BZSt

Die zuständigen Behörden können über das BZSt Kontendaten in folgenden Fällen abrufen:

  • Sozialhilfe: Bei der Berechnung der Einkünfte, die nach § 82 Abs. 1 Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) zu dem bei der Gewährung von Sozialhilfe zu berücksichtigenden Einkommen gehören, bestimmen sich die Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 1 bis 3 EStG (§ 6 der Verordnung zur Durchführung des § 82 SGB XII).
  • Sozialversicherung: Im Rahmen der gesetzlichen Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung einschließlich der Alterssicherung der Landwirte sowie der sozialen Pflegeversicherung ist das Gesamteinkommen die Summe der Einkünfte im Sinne des Einkommensteuerrechts (§ 16 SGB IV).
  • Wohnraumförderung: Bei der sozialen Wohnraumförderung basiert das maßgebende Gesamteinkommen auf der Summe der positiven Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 1, 2 und 5 a EStG (§ 21 Wohnraumförderungsgesetz).
  • Ausbildungsförderung und Aufstiegsförderung: Bei der Ausbildungsförderung und der Aufstiegsförderung basiert das maßgebende Einkommen auf der Summe der positiven Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 1 und 2 EStG (§ 21 Bundesausbildungsförderungsgesetz; § 17 Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz).
  • Wohngeld: Bei der Gewährung von Wohngeld basiert das maßgebende Gesamteinkommen auf der Summe der positiven Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 1, 2 und 5a EStG (§ 10 Wohngeldgesetz).
  • Erziehungsgeld: Bei der Gewährung von Erziehungsgeld basiert das Einkommen auf der nicht um Verluste in einzelnen Einkommensarten zu vermindernde Summe der positiven Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 1 und 2 EStG (§ 6 Bundeserziehungsgeldgesetz).
  • Unterhaltssicherung: Die Leistungen zur Unterhaltssicherung sind um die einkommensteuerpflichtigen Einkünfte des Wehrpflichtigen zu kürzen, die er während des Wehrdienstes erhält (§ 11 Unterhaltssicherungsgesetz).

Abruf der Daten für andere Zwecke über die BaFin

Ordentliche Gerichte, Staatsanwaltschaften, Polizeibehörden, Zollfahndungsämter, Steuerfahndungsstellen, Straf- und Bußgeldstellen von Finanzämtern, Bundespolizeiinspektionen sowie die BaFin selbst können bei den Kreditinstituten über die BaFin Kontendaten für die Erfüllung ihrer Aufgaben abrufen.

Abfragen 2004 Abfragen 2005 Abfragen 2006
BaFin 1.380 632 972
Polizeibehörden 26.212 38.675 47.805
Finanzbehörden 6.057 10.008 11.838
Staatsanwaltschaften 3.038 7.494 12.861
Zollbehörden 2.251 5.160 7.202
Sonstige 479 441 478
Gesamt 39.417 62.410 81.156

Gesetzliche Grundlagen

Gesetzliche Grundlage für das Kontoabrufverfahren ist § 24c des Kreditwesengesetzes (KWG). Die Zugriffsmöglichkeiten des BZSt sind in §§ 93, 93b Abgabenordnung (AO) geregelt. Relevant ist weiterhin der Anwendungserlass zur Abgabenordnung vom 10. März 2005.

Kritik

Das Kontenabrufverfahren wird von zwei Seiten kritisiert. Datenschützer befürchten den so genannten Gläsernen Bankkunden und fordern striktere Zugangsbeschränkungen. Von Seiten der Banken wird auf die Kosten des Verfahrens verwiesen, die die Banken tragen müssen, obwohl sie nicht die Nutzer des Systems sind.

Am 12. Juli 2007 entschied das Bundesverfassungsgericht aufgrund mehrerer Klagen, dass die Abfrage der Kontenstammdaten grundsätzlich mit der Verfassung vereinbar ist. Allerdings stellten die obersten Richter fest, dass die Vorschrift des § 93 Abs. 8 AO nicht der Normenklarheit und -bestimmtheit entspricht und legten eine Frist zur gesetzlichen Neuregelung der Abfrage-Bestimmungen bis zum 31. Mai 2008 fest (Az.: 1 BvR 1550/03; 1 BvR 2357/04; 1 BvR 603/05; BGBl. I 2007 S. 1673). Eine Konkretisierung des § 93 Abs. 8 AO erfolgte in Artikel 6 Nr. 2 Buchstabe b des Unternehmensteuerreformgesetz 2008 mit Wirkung vom 18. August 2007.

Weblinks


Literatur

  • Glück, Oliver: § 24c KWG und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung – Eine Untersuchung der Verfassungsmäßigkeit des automatisierten Abrufs von Kontoinformationen, Diss, Frankfurt a. M. 2005, ISBN 3-631-53780-8
  • Reichling, Tilman: "Massive Ausweitung der Kontenabfrage", in: DuD 2008, S. 670
  • Widmaier, Gunter: "Der automatisierte Abruf von Kontostammdaten in der Kritik und in der praktischen Anwendung", in: WM 2006, S. 116

Quellennachweis

  1. "Straubinger Tagblatt v. 25. 4. 2006"

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