Kostenerstattung (Krankenversicherung)

Kostenerstattung (Krankenversicherung)

Alle Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in Deutschland haben seit dem 1. Januar 2004 die Möglichkeit, anstelle des Sachleistungsprinzips die Kostenerstattung zu wählen. Seit 1. April 2007 ist nach § 13 Absatz 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) eine Einschränkung der Wahl auf den Bereich der ärztlichen Versorgung, der zahnärztlichen Versorgung, den stationären Bereich oder auf veranlasste Leistungen möglich. Der Patient ist seit 1. Januar 2011 für drei Monate an seine Entscheidung gebunden. Bis Ende 2010 betrug die Bindungsfrist ein Jahr.

  • Im Sachleistungsprinzip weist sich der Patient durch seine Versichertenkarte als Mitglied einer Krankenkasse aus und erhält dafür die Leistungen, die für wirtschaftlich, ausreichend, notwendig und zweckmäßig § 12 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V)) gehalten werden; also nicht unbedingt das Maximum der medizinisch möglichen Leistungen.
  • Im Kostenerstattungsprinzip wird der Patient als Selbstzahler (Privatpatient) nach der amtlichen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) bzw. der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) behandelt, bezahlt seine Rechnung direkt an den Arzt und lässt sich den erstattungsfähigen Anteil durch seine Krankenkasse erstatten. Erstattungsfähig durch die Krankenkasse ist nur der Betrag, der bei Anwendung der Kassen-Gebührenordnungen (Ärzte: EBM Einheitlicher Bewertungsmaßstab, Zahnärzte: BEMA Bewertungsmaßstab zahnärztlicher Leistungen) gezahlt worden wäre, abzüglich einer je nach Krankenkasse unterschiedlichen Pauschale von maximal 5 % für den Verwaltungsaufwand und fehlende Wirtschaftlichkeitsprüfung, d. h. für den Verzicht auf Budgetierung. Einzelne Krankenkassen, z. B. die Techniker Krankenkasse, verzichten auf diesen Abschlag. Die meisten Krankenkassen akzeptieren auch Abtretungserklärungen der Patienten, so dass die Ärzte quasi direkt mit der Krankenkasse abrechnen können und den Patienten Verwaltungsaufwand erspart wird.

Da die Gebührenordnungen GOÄ/GOZ der PKV und EBM/BEMA der GKV teilweise inkompatibel sind und vor allem die privatärztliche GOÄ/GOZ Abrechnungsposten vorsehen, die kein Äquivalent im EBM/BEMA der GKV haben, kann es vorkommen, dass große Teile der Privatrechnung von den Krankenkassen nicht erstattet werden. Auch darf der Arzt nach der GOÄ/GOZ je nach Leistungsbereich den Preis für eine Leistung mit Steigerungsfaktoren versehen (ohne Begründung zwischen 1,0 bei einfachem und 2,3 bei durchschnittlichem Aufwand, mit Begründung bei Besonderheiten auch bis 3,5). Einen Steigerungsfaktor kennt die GKV jedoch nicht, und die erstattungsfähigen Vergütungen nach EBM liegen meist nur im Bereich des 0,8- bis 1,2-fachen GOÄ-Steigerungssatzes.

Weil insbesondere beim Eintritt einer schweren oder langwierigen Erkrankung hohe Selbstbehalte entstehen können, kann die Wahl der Kostenerstattung derzeit uneingeschränkt nur GKV-Versicherten empfohlen werden, die entweder über eine sogenannte private ambulante Restkostenversicherung verfügen oder beihilfeberechtigt sind. Versicherte ohne eine solche Zusatzversicherung sollten sich bei Ihrer Krankenkasse erkundigen, ob der Selbstbehalt pro Jahr nach oben beschränkt ist. Mehrere Krankenkasse bieten einen solchen „airbag“ an. Die Gesundheitsreform 2007 sieht eine Stärkung der Praktikabilität des Kostenerstattungsprinzips für GKV-Versicherte vor, indem den GKV erlaubt wird, Kostenerstattungswahltarife gegen Mehrprämie anzubieten, die die Restkosten erstatten.

Der gesetzlich Krankenversicherte kann die Kostenerstattung wählen, nachdem er sich vom Leistungserbringer darüber hat aufklären lassen. Informationen gibt es auch auf den Seiten der kassenärztlichen Vereinigungen. Eine Beratung oder Zustimmung der gesetzlichen Krankenkasse ist nicht mehr erforderlich.

Problematik

Die Vor- und Nachteile der genannten Prinzipien sind im Zusammenhang mit der Diskussion um die Rationierung von Gesundheitsleistungen aus Kostengründen heftig umstritten.

Beim Sachleistungprinzip gelten für den Arzt Beschränkungen für seine ärztlichen Leistungen und Richtgrößen für seine Verordnungen von Arzneien und Heilmittel (z. B. Krankengymnastik), teilweise drohen Regressforderungen. Damit verbunden sind Befürchtungen, der Arzt könne Leistungen und Verordnungen vorenthalten (d. h. Diagnostik und Behandlung nicht durchführen oder notwendige Arzneimittel usw. nicht rezeptieren), um nicht in Kürzungs- oder Regressgefahr zu geraten. Als möglicher ökonomischer Effekt des Sachleistungsprinzips wird die Vermeidung unnötiger und unwirtschaftlicher medizinischer Maßnahmen angesehen.

Beim Kostenerstattungsprinzip trägt der Versicherte gegebenenfalls einen Anteil der Kosten für Diagnostik und Behandlung selber, die er erforderlichenfalls zusätzlich absichern kann. Daraus ergeben sich Bedenken, dass Ärzte auch unnötige und unwirtschaftliche Leistungen durchführen und abrechnen. Als Nachteil für Ärzte wird gesehen, dass sie bei insolventen Patienten keine Bezahlung erwarten können, weil das von der Krankenkasse auf dem Konto eingehende Erstattungsgeld weggepfändet wird. Krankenkassen sehen die Kostenerstattung als nachteilig, da bei ihnen Verwaltungsaufwand entsteht und Erstattungskürzungen direkt gegenüber dem Versicherten gerechtfertigt werden müssen.

Das finanzielle Restrisiko, welches der Patient bei Wahl des Kostenerstattungsprinzips eingeht, kann bei gleichzeitigem Abschluss einer speziellen ambulanten Krankenzusatzversicherung aufgefangen werden. Ein entsprechender Versicherungsschutz kommt im besten Fall für die gesamten Restkosten auf, die von der privat liquidierten Rechnung des Arztes nicht von der Krankenkasse übernommen werden. Die Krankenkasse erbringt Ihren Anteil nur dann, wenn ein Arzt mit Kassenzulasung aufgesucht wird, bei reinen Privatärzten leisten entsprechende Krankenzusatzversicherungen je nach Tarif nur teilweise oder überhaupt nicht. Auch bei einer Inanspruchnahme von Ärzten mit Kassenzulassung leistet nicht unbedingt jeder Tarif für 100 % der verbliebenen Restkosten. Des Weiteren wird der Kostenerstattunsprozess dadurch verkompliziert, dass der Versicherte seinen Erstattungsanspruch bei zwei Abrechnungsstellen, der Krankenkasse und der privaten Krankenzusatzversicherung geltend machen muss. Dieser Prozess ähnelt damit dem Erstattungsprozedere bei Beihilfe berechtigten Personen.[1].

Vorteile sind dagegen:

  • Der Arzt kann alles Sinnvolle zur Heilung bzw. Linderung unternehmen und veranlassen, da er hier von keiner Kürzungs-, Regressgefahr oder dem Abrechnungsverbot von medizinisch vertretbaren Leistungen anderer Fachbereiche (z. B. Ein Gynäkologe kann ohne Sondergenehmigung weiterhin Hausarzt für seine Patientinnen sein. [EBM 2008], Allgemeine Bestimmungen, 1.2.1) bedroht ist. Es entfallen Budgets, die einer optimalen Behandlung des Versicherten eventuell entgegenstehen. Gemäß § 12 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) – Wirtschaftlichskeitsgebot – ist der Arzt im Sachleistungssystem gezwungen, ausschließlich „wirtschaftliche, ausreichende, notwendige und zweckmäßige“ Leistungen zu veranlassen.
  • Kostenerstattung erhöht die Transparenz, da Patienten über ihre Rechnung die wirklichen Kosten ihrer Behandlung erfahren. Allerdings haben auch gesetzlich Krankenversicherte das Recht auf eine Patientenquittung.
  • Wählen Arzt und Patient den Weg der Abtretungserklärung, beschränkt sich der Verwaltungsaufwand für den Patienten auf einige Unterschriften die in der Praxis zu leisten sind.
  • Die von den gesetzlichen Krankenkassen häufig als Begründung für überbordende Bürokratie ins Feld geführte Angst vor Abrechnungsbetrug entfällt, da Patienten selbst nachvollziehen und überprüfen können, ob in Rechnung gestellte Maßnahmen erfolgt sind.
  • Unwirtschaftlichen Doppelbehandlungen und Doctor-Hopping kann von Seiten der Krankenkassen ein Riegel vorgeschoben werden, indem gleichartige Leistungen nur einmal innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens erstattet werden.
  • Das Kostenerstattungsprinzip ist im Gegensatz zur Sachleistung EU-kompatibel.

Das Kostenerstattungsprinzip setzt ein Gespräch zwischen Patient und Arzt voraus, in dem die Notwendigkeit, der Sinn und auch die Kosten der geplanten Maßnahmen geklärt werden. Im Gegensatz zum Sachleistungsprinzip entspricht das Menschenbild des Kostenerstattungsprinzips dem eines mündigen, mitspracheberechtigten Bürgers. Kritisch einzuwenden ist, dass der Patient als Laie der Definitionsmacht des Arztes in puncto Diagnose und Therapie nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen hat. Hier besteht die Gefahr, dass die Idee des mündigen Bürgers von interessierter Seite ideologisiert wird (s. Liberalismus).

Einzelnachweise

  1. "Kostenerstattungsprinzip - so funktioniert es..." auf www.versicherung-online.net

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