Kreditwucher

Kreditwucher

Wucher bezeichnet das Angebot einer Leistung zu einer deutlich überhöhten Gegenleistung unter Ausnutzung einer Schwächesituation des Vertragspartners. An Wucher können zivil- und strafrechtliche Folgen geknüpft sein. In einem auf Privatautonomie aufgebauten Privatrechtssystem stellt der Wucher damit die Ausnahme der staatlichen Preiskontrolle dar.


Inhaltsverzeichnis

Geschichte und Etymologie

Etymologisch bedeutet "Wucher" so viel wie Ertrag, vor allem auch reicher Ertrag (vgl. wucherndes Grünzeug), und war daher ursprünglich positiv besetzt. Bei der Leihe von Geld oder Naturalien (hier vor allem Lebensmittel oder Saatgetreide von Bedeutung) waren damit die Zinsen gemeint, die von der Kirche (aber etwa auch in der jüdischen und islamischen Lehre) aus verschiedenen Gründen negativ bewertet wurden: moralisch, weil es bedeutete, die Zwangslage seines Nächsten auszunutzen; philosophisch und theologisch, weil es bedeutete, das an sich unfruchtbare Geld und die Zeit, über die nur Gott zu verfügen hatte, für sich arbeiten zu lassen; und wirtschaftlich-sozial, weil es für solche, die ihrer Schulden nicht mehr Herr wurden, den Ruin bedeutete. Auf der Basis einzelner älterer Bestimmungen erließ die Kirche daher seit dem 12. Jahrhundert ein allgemeines Zinsverbot und bezeichnete jeden, der es übertrat, als Wucherer.

Rechtslage in Deutschland

Zivilrecht

In Deutschland ist Wucher in Absatz 2 des § 138 BGB geregelt. Nichtig ist demnach ein zweiseitiges Rechtsgeschäft,

durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.

Es handelt sich also um eine rechtshindernde Einwendung, das Rechtsgeschäft muss nach Bereicherungsrecht rückabgewickelt werden. Nichtig ist auch das dingliche Erfüllungsgeschäft, weil das Gesetz nicht nur das Versprechen, sondern auch das Gewähren erwähnt. Allerdings bleibt das Erfüllungsgeschäft des Wucherers selbst wirksam. (siehe Wortlaut „... oder gewähren lässt“).

Die engen gesetzlichen Grenzen des Wuchers werden dadurch überbrückt, dass bei wucherähnlichen Rechtsgeschäften stattdessen § 138 Abs. 1 BGB (Sittenwidrigkeit) mit gleicher Rechtsfolge eingreift.

Voraussetzungen

Damit Wucher vorliegt und das Rechtsgeschäft unwirksam ist, müssen objektive und subjektive Elemente vorliegen.

Auf objektiver Seite müssen Leistung und Gegenleistung in einem „auffälligen Missverhältnis“ zueinander stehen. Ob diese Bedingung erfüllt ist, ist einer umfassenden Würdigung des Einzelfalls zu entnehmen. Ein solches Missverhältnis liegt aber meist vor, wenn der Wert der Leistung das Doppelte der Gegenleistung übersteigt. Es ist der Marktwert bei Abschluss des Rechtsgeschäfts zugrunde zu legen.

Hinzukommen muss aber eine besondere Motivation des Bewuchernden, nämlich das „Ausbeuten“ als bewusstes Ausnutzen der gegebenen schlechten Situation des Bewucherten; es ist Vorsatz erforderlich. Eine Zwangslage liegt vor, wenn dem Opfer des Wuchergeschäfts das Eingehen dieses Geschäfts als das kleinere Übel erscheint. (Beispiel: Um die drohende Zwangsversteigerung seines Hauses zu vermeiden, nimmt jemand bei einer Privatperson einen Kredit auf, der mit 20 Prozent pro Monat verzinslich ist). Unerfahrenheit ist ein Mangel an Lebens- oder Geschäftserfahrung. (Beispiel: Ein Einwanderer lässt sich darauf ein, für eine kleine Einzimmerwohnung 2.000 € pro Monat zu bezahlen, weil er mit den Preisen nicht vertraut ist.). Ein Mangel an Urteilsvermögen besteht, wenn jemandem in erheblichem Maße die Fähigkeit fehlt, sich bei rechtsgeschäftlichem Handeln von vernünftigen Beweggründen leiten zu lassen oder das Äquivalenzverhältnis der beiderseitigen Leistungen richtig zu bewerten. (Beispiel: Mit einer Person geringer Intelligenz wird ein für sie eindeutig nachteiliger komplizierter Versicherungsvertrag geschlossen.) Unter erheblicher Willensschwäche ist eine verminderte Widerstandsfähigkeit zu verstehen (zum Beispiel: Abhängigkeitskrankheit, wie z. B. Alkoholismus.)

Strafrecht

Wucher ist in Deutschland für bestimmte Fälle auch unter Strafe gestellt. § 291 StGB sieht für das Vergehen des Wuchers Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren vor, in besonders schweren Fällen Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Wucher ist ein Offizialdelikt.

Siehe auch

Literatur

  • Max Neumann: Geschichte des Wuchers in Deutschland bis zur Begründung der heutigen Zinsengesetze (1654) : aus handschriftlichen und gedruckten Quellen dargestellt. Verlag der Buchhandlung des Waisenhauses, Halle 1865 (Digitalisat)
  • Harald Siems: Handel und Wucher im Spiegel frühmittelalterlicher Rechtsquellen. (= Monumenta Germaniae Historica; Schriften / Bd. 35). Hahn, Hannover 1992, ISBN 3-7752-5163-4
  • Detlev Heinsius: Das Rechtsgut des Wuchers. Zur Auslegung des § 302 a StGB. Lang, Frankfurt am Main u. a. 1997, ISBN 3-631-31559-7 (zugl. Dissertation, Rostock 1996)
  • Martin Maria Laufen: Der Wucher (§ 291 Abs. 1 Satz 1 StGB). Systematische Einordnung und dogmatische Struktur. Lang, Frankfurt am Main u. a. 2004, ISBN 3-631-52440-4 (zugl. Dissertation, Rostock 2003)
  • Freddy Raphael: Sechstes Bild: Der Wucherer. In: Julius H. Schoeps / Joachim Schlör (Hrsg.): Bilder der Judenfeindschaft. Antisemitismus - Vorurteile und Mythen. Augsburg 1999, S. 103-118, ISBN 3-8289-0734-2.
Bitte beachte den Hinweis zu Rechtsthemen!

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем сделать НИР

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • John Torrio — Giovanni „Johnny“ Torrio (* 1882 in Orsara di Puglia, Italien, nahe Neapel; † 16. März 1957 Brooklyn) war ein Italo amerikanischer Mobster, der während der 1920er für den Aufbau des Chicago Outfit verantwortlich war. Dieser Clan der US… …   Deutsch Wikipedia

  • La Cosa Nostra — Mit La Cosa Nostra wird der US amerikanische Ableger der originären sizilianischen Mafia bezeichnet. Entstanden um 1900 werden darunter heute sämtliche organisierten Banden italienisch stämmiger Verbrecher in den USA zugeordnet.… …   Deutsch Wikipedia

  • Torrio — Giovanni „Johnny“ Torrio (* 1882 in Orsara di Puglia, Italien, nahe Neapel; † 16. März 1957 Brooklyn) war ein Italo amerikanischer Mobster, der während der 1920er für den Aufbau des Chicago Outfit verantwortlich war. Dieser Clan der US… …   Deutsch Wikipedia

  • Bilotti — Thomas „Tommy“ Bilotti (* 23. März 1940 in New York City; † 16. Dezember 1985 in Manhattan) war ein US amerikanischer Mobster und Stellvertreter von Paul Castellano, dem Oberhaupt der „Gambino Familie.“ Bilotti wurde intern auf Grund seiner… …   Deutsch Wikipedia

  • Bonanno-Familie — Die Familie Bonanno ist eine der Fünf Familien der Cosa Nostra von New York City, welche dort die organisierte Kriminalität in weiten Teilen beherrschen. Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte der Familie 1.1 Vorgeschichte 1.2 Fünf Familien …   Deutsch Wikipedia

  • Familie Bonanno — Die Familie Bonanno ist eine der Fünf Familien der Cosa Nostra von New York City, welche dort die organisierte Kriminalität in weiten Teilen beherrschen. Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte der Familie 1.1 Entstehung 1.2 Die Familie unter Joseph… …   Deutsch Wikipedia

  • Johnny Torrio — Giovanni „Johnny“ Torrio (* 1882 in Orsara di Puglia, Italien, nahe Neapel; † 16. März 1957 Brooklyn) war ein Italo amerikanischer Mobster, der während der 1920er für den Aufbau des Chicago Outfit verantwortlich war. Dieser Clan der US… …   Deutsch Wikipedia

  • Wucher — Überteuerung; Preistreiberei; Mondpreise (umgangssprachlich); überhöhte Preise * * * Wu|cher 〈m. 3; unz.〉 1. Erzielung eines im Verhältnis zur Leistung zu hohen Gewinns, indem die Notlage, Unerfahrenheit od. der Leichtsinn des anderen ausgenützt… …   Universal-Lexikon

  • Chicago Outfit — Das Chicago Outfit bezeichnet die US amerikanische Sektion der Mafia in Chicago. Es ist die einzige selbstständige Organisation außerhalb von New York City, die nicht von den dortigen fünf Familien (Bonanno, Colombo, Gambino, Genovese und… …   Deutsch Wikipedia

  • Daniel Leo (Mafioso) — Daniel „The Lion“ Leo (* um 1941) ist ein US amerikanischer Mobster und gilt als aktuelles Oberhaupt der Genovese Familie in New York City. Leben Leo war in seiner Jugend in den 1970er Jahren Mitglied in der gewalttätigen East Harlem Purple Gang …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”