- Königliche Preußische Gewehrfabrique
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Die Königliche Preußische Gewehrfabrique war Preußens erstes Rüstungsunternehmen, das, mit Sonderrechten versehen, die preußische Armee mit Rüstungsgütern aller Art versorgte. Die Manufaktur, von 1722 bis 1850 privat betrieben, hatte Standorte in Potsdam und Spandau. Nachdem die Gewehrfabrique 1852 komplett vom Staat übernommen wurde, fiel 1852 der Standort Potsdam weg, womit Spandau alleiniger Standort wurde und es bis zur Schließung des Werkes im Jahre 1918 blieb.
Vorgeschichte
Zu Beginn der Herrschaft König Friedrich Wilhelms I. 1713 war der preußische Staat komplett abhängig von Waffenimporten. Eine eigenständige Rüstungsindustrie war fast nicht vorhanden. Gründe für das Fehlen einer eigenen Rüstungsindustrie lagen im Fehlen der dafür notwendigen Rohstoffe wie Kupfer, Zinn, Blei, Salpeter in Brandenburg und Preußen.
Der König, der von den Ansichten des zu dieser Zeit vorherrschenden Merkantilismus geprägt war, war nach waffentechnischer Autarkie bestrebt, da er bereits für den Krieg seines Nachfolgers plante. Der dafür enorme Bedarf von mehreren hunderttausend Musketen war durch Importe allein nicht zu decken, zumal diese nicht zuverlässig in Preis und Lieferdatum waren und vom Feind jederzeit abgefangen werden konnten.
Als möglicher Standort einer Waffenfabrik kam nur ein militärisch gesicherter Platz in Frage, der zudem über Wasser leicht erreichbar sein musste, da die schlechten Straßen keinen schnellen und bequemen Transportweg darstellten. Beide Bedingungen waren in Spandau, mit der mächtigsten Festung Preußens und der größten preußischen Garnisonsstadt Potsdam gegeben, die zudem beide auf dem Wasserweg der Havel miteinander verbunden waren.
Eine weitere Voraussetzung waren Kapital und Fachleute. Beides stellten die Geschäftsleute David Splitgerber (1683–1764) und Gottfried Adolph Daum (1679–1743), die sich unter den Bewerbern für die Führung und Anlage einer solchen Unternehmung schließlich durchsetzen konnten, zur Verfügung.
In Preußen fehlte es zu dieser Zeit an geeigneten Fachkräften, so dass die beiden Geschäftsleute Fachkräfte aus den damals etablierten europäischen Waffenfertigungszentren Lüttich, Solingen, Suhl und Zella anwarben.
Diese allgemein üblichen Anwerbungen von Spezialisten wurden von den jeweiligen Landesherren jedoch verständlicherweise verboten. Gingen die Werbungen dennoch weiter, führte dies in der Regel zu diplomatischen Konflikten. Es kam allerdings auch vor, dass angeworbene Arbeiter auf ihrer Reise zur Gewehrfabrik von Soldatenwerbern abgefangen und in die Armee gepresst wurden. Dies hielt viele Fachleute davon ab, nach Preußen zu gehen.
Geschichte der Manufaktur unter Splitgerber & Daum (S et D) 1722–1774
Der Grundstein der Fabrik als Fachwerkgebäude mit zwei Geschossen wurde in Potsdam am 26. März 1722 gelegt.[1] Die Kosten für die Häuser wurden auf 120.000 Reichstaler, die Kosten für die Bohr-, Schleif-, und Hammermühle auf 3919 Reichstaler veranschlagt und sämtlich vom Staat getragen.
Am 31. März 1722 wurden mit der Allerhöchsten Resolution des Königs die Bedingungen geregelt, die künftig für das Unternehmen gelten sollten.
Enthaltene Regelungen der königlichen Resolution (nicht im Wortlaut):
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- Der König stellte die Fabrikations- und Wohngebäude sowie die schweren Geräte (einschließlich Ambosse), während die beiden Unternehmer für den Unterhalt zu sorgen hatten.[2]
- Alle Gebäude wurden seitens des Staates unentgeltlich repariert.
- Der König sorgte für die Beförderung der Meister, Gesellen und deren Familien aus „fremden Landen“ nach Potsdam.
- freie Religionsausübung der zugereisten Arbeiter.
- Errichtung einer katholischen Kirche auf dem Innenhof der Gewehrfabrik.
- Die gefertigten Gewehre waren steuerfrei und durften auch an externe Kunden verkauft werden. (Ausnahme: „Die nicht etwa mit Seiner Königl. Maj. oder den Alliierten im Krieg begriffen ...“)
- Das Pulver zum Beschuss der Läufe ließ der König kostenlos liefern.
- Das Branntweinverbot wurde für die Arbeiter aufgehoben.
- Die Arbeiter waren von der Werbung und Militärpflicht ausgeschlossen.
- Andere Gewehrfabriken durften im Land nicht angelegt werden (Monopolstellung).
- Import und Verwendung von schwedischem Eisen als Rohstoff wurde gestattet.
- Bezahlt wurde pro Stück, der Preis für eine Flinte wurde auf 6 Reichstaler und 6 Groschen festgelegt.
- Abnahme/Güteprüfung erfolgten durch Artillerieoffiziere. Geprüfte Stücke erhielten einen Adlerstempel auf Rohr und Gewehrschloss.[3]
- Der Staat übernimmt die Ausbildungkosten von Lehrlingen und Gesellen (Großes Militärwaisenhaus).
1724 wurde zusätzlich vom preußischen König die Einfuhr fremder Gewehre verboten.
In Spandau entstand östlich der Festung Spandau eine Fabrikanlage, die aus einer Bohrmühle, Schleifmühle und Niethämmern bestand. Hier sollten die technisch gröberen, aufwendigeren Arbeiten verrichtet werden. So befanden sich in Spandau eine Platinen- und Rohrschmiede, Werkzeugmacher, Bohrer und Schleifer (fabrizierten Läufe, Ladestöcke und Bajonette). Die Kürassschmiede in Spandau entstand erst ab 1750.
Anschließend wurden die vorbereiteten Teile mit dem Flusskahn auf der Havel in die Gewehrfabrik nach Potsdam verschifft, wo die Fertigstellung der Gewehre beziehungsweise der Zusammenbau erfolgte.[4] Hierzu gab es Büchsenschäfter (Schaftherstellung), Schlosser (Schlossherstellung) und eine Messinggießerei (Verzierung). Das Werksgelände in Potsdam bestand neben der Fabrik aus Wohnhäusern (insgesamt 138 Wohnungen), einer katholischen Kirche und Gärten. Der Standort der Fabrik befand sich an der heutigen Ecke Henning-von-Tresckow-/Hoffbauerstraße.
Neben den Flinten wurden zudem Pistolen, Büchsen, Blankwaffen und Kürasse produziert. Im August 1722 konnten 171 Meister und Gesellen aus Lüttich unter Vertrag genommen werden, die damit die dringend benötigten Fachkräfte stellten. Im Januar 1723 erfolgte bereits der erste offizielle Auftrag zur Fertigung von 36.685 Flinten (Modell 1723) für die preußische Armee. Die Produktion lief bald auf vollen Touren, sodass bereits am 12. Juni 1723 die ersten 400 Musketen an die preußische Armee ausgeliefert werden konnten. Insgesamt wurden 1723 bereits 10.000 Waffen aller Art produziert.
Die neu gefertigten Waffen waren allerdings wesentlich teurer als die importierten und besaßen stellenweise eine schlechtere Qualität. Über sechs Reichstaler kostete anfangs eine in Potsdam gefertigte Muskete, während Importe aus Lüttich und Suhl für vier Taler zu haben waren. Das Kalkül des Soldatenkönigs war es, dass sich erst auf lange Sicht die enormen Investitionen auszahlen sollten.
1726 lag die Jahreskapazität der Fabrik bei 15.000 Gewehren (damals: Begriff Ge-wehre stellvertretend für alle Art von Waffen, inklusive Stichwaffen). Im selben Jahr erhielt das Unternehmen den zweiten Auftrag vom Staat zur Fertigung von 10.000 Musketen Modell 1723. 1727 erfolgte ein weiterer Auftrag zur Fertigung von 38.720 Gewehren.
Das Unternehmen arbeitete profitabel und die Besitzer Splitgerber und Daum verdienten unter diesen Bedingungen ein Vermögen und pachteten im ganzen Land weitere Minen, Kanonengießereien und Pulvermühlen. So erfolgte ab 1729 die Zulieferung von Messing durch das von Splitgerber und Daum gepachtete Messingwerk Finow bei Eberswalde (das 1786 wieder in staatl. Hände überging)
Bis 1740 blieb die personelle Stärke weitgehend in gleicher Höhe. So arbeiteten im März 1730 76 Meister, 135 Gesellen und 41 Jungen in der Manufaktur[5] (200 in Potsdam und 52 in Spandau). Angeworbene Meister erhielten in der Regel Dreijahresverträge, jedoch flohen gerade in der Anfangszeit viele Lütticher in ihre Heimat zurück. In der Gewehrfabrik mussten zudem auch 50 bis 60 Kinder aus dem direkt benachbarten Potsdamer Militärwaisenhaus unter schweren Arbeitsbedingungen arbeiten.
Während der Schlesischen Kriege (1740–1742 und 1744–1745) wurden Arbeiter der Gewehrfabrik an die Armee abgestellt, um die anfallenden Reparaturarbeiten an den Waffen direkt vor Ort im Felde auszuführen. Dem widersetzten sich vor allem die ausländischen Arbeiter, die massenweise desertierten. 1744 konnten diese Verluste durch Anwerbung von 160 neuen Fachkräften in Lüttich ausgeglichen werden. Die personellen Engpässe führten dazu, dass in den Jahren 1743–1745 die Fabrik nicht mehr alle Bestellungen abarbeiten konnte und der Staat gezwungen war, ausländische Waffen zu importieren.
1750 betrug die personelle Stärke nur noch 129 Mann. Das hatte mit der 12-jährigen Friedenszeit Preußens und der dadurch verursachten schlechten Auftragslage für Waffenhersteller zu tun. Im Siebenjährigen Krieg (1756–1763) stiegen die Anforderungen wieder gewaltig. Sie waren so groß, dass man in Suhl zusätzlich 20.000 Gewehre während des Krieges kaufen musste. 1760 zerstörten russische Soldaten bei ihrem kurzzeitigen Einmarsch in Berlin und Potsdam einen Teil der Fabrikanlage. Der Schaden betrug 22.000 Reichstaler.
1766 wurde das Potsdamer Fabrikgebäude vom einfachen zweistöckigen Fachwerkhaus auf ein vierstöckiges aus Stein ausgebaut. Bis 1769 war die Fabrik sehr gut ausgelastet, da nach 1763 die materiellen Verluste der Armee erst wieder ausgeglichen werden mussten. Die Herstellungskapazität lag 1770 bei 25.000 Handfeuerwaffen im Jahr
Geschichte des Unternehmens unter David Splitgerbers Erben (DSE) 1775–1795
Von 1770 bis 1788 hatte das Unternehmen mit einer schlechten Auftragslage (infolge des Friedens) zu kämpfen, die es auch durch Exporte nicht ausgleichen konnte. Lohnkürzungen und Entlassungen waren die Folge. Trotzdem wurden 1777 in Spandau noch 10.000 Gewehrläufe hergestellt. 1784 reichte der Auftragsstand für die 229 Beschäftigten nur noch für zwei Tage Arbeit in der Woche.[5]
Geschichte des Unternehmens unter Gebrüder Schickler (GS) 1796–1850
Seit 1796 wurde das Unternehmen von den Gebrüdern Schickler geführt. Im Jahre 1799 wurde von der kgl. Preußischen Bergwerks- und Hüttenadministration die Verwendung von schlesischem Eisen vorgeschrieben. Das verursachte Probleme bei der Herstellung, da das schlesische Eisen nicht an die Qualität des schwedischen Eisens heran reichte und eigentlich nicht für die Waffen-Produktion geeignet war. Eine höhere Ausfallquote war die Folge davon.
Um 1800 war die Gewehrfabrique in quantitativer Hinsicht den zwei anderen bedeutenden Waffenfabrikationszentren Suhl und Lüttich durchaus ebenbürtig. Dabei hatte sich die waffentechnische Bearbeitung bis zu diesem Zeitpunkt im Grunde nicht verändert.[6] Neben der internationalen Bedeutung war die Gewehrfabrik zudem das mit Abstand bedeutendste Unternehmen in Potsdam. Im Februar 1803 wurde ein staatlicher Direktor einberufen. Seine Aufgaben lagen in der Aufsicht, Prüfung, Abnahme und der Unternehmensorganisation. Der privatwirtschaftliche Einfluss wurde dadurch mehr und mehr verdrängt. Der Staat versuchte dadurch größere Kontrolle zu erlangen, da er laut der Auffassung der herrschenden Elite ein besonderes Interesse an dieser für den Staat lebensnotwendigen Branche haben musste. 1806 waren in der Manufaktur in Potsdam und Spandau 400 Handwerker beschäftigt, die in einem Jahr 15.000 Nothardtgewehre Modell 1801 herstellen konnten.
Nach der Niederlage Preußens im 4. Koalitionskrieg gegen Frankreich 1806/7 wurde das Werk zeitweise stillgelegt. Im August 1809 wurde wieder die volle Tätigkeit aufgenommen, allerdings ohne Verträge mit dem preußischem Staat abgeschlossen zu haben. Am 7. Oktober 1809 wurde mit Kabinettsordre die Einrichtung einer Gewehrrevisionskommission verfügt, um eine bessere Qualitätskontrolle der Produkte zu gewährleisten. Im Sommer 1812 zählte die Fabrik wieder 210 Beschäftigte. Als am 27. April 1813 Spandau von der Franzosenherrschaft befreit wurde, wurde lediglich eine Schleif- und Poliermühle seitens der Franzosen zerstört.
Während der Befreiungskriege 1814 bis 1815 wurden hier insgesamt 65.340 Neupreußische Gewehre, 3570 Pistolen und 1704 Jägerbüchsen gefertigt. Die Kosten für ein Neupreußisches Gewehr betrugen dabei 11 Reichstaler pro Stück (später 10 RT 8 Gr). Bis 1840 wurden die Neupreußischen Gewehre gefertigt. Ab 1840 erfolgte eine langsame Umstellung auf die neuen Perkussionsgewehre.
Geschichte des Unternehmens als staatliches Unternehmen 1852–1918
Am 1. Januar 1852 wurde der seit 1722 bestehende Vertrag gekündigt und die Schicklersche Fabrik verstaatlicht.[7] Der Potsdamer Teil wurde aufgelöst und die Zündnadelgewehre in Spandau bis 1870 weiterproduziert.
Die Gewehrfabrik wurde 1918[7] nach 195-jähriger Bestehenszeit, infolge der Niederlage des Deutschen Kaiserreiches im Ersten Weltkrieg aufgelöst.
Siehe auch
Einzelnachweise
- ↑ Bernhard R. Kroener: Potsdam – Staat, Armee, Residenz in der preußisch-deutschen Militärgeschichte, 1993 Berlin, Popyläen Verlag, Seite 253
- ↑ Erika Herzfeld: Preußische Manufakturen, 1. Auflage 1994 Berlin, Verlag der Nationen, Seite 150
- ↑ Erika Herzfeld: Preußische Manufakturen, 1. Auflage 1994 Berlin, Verlag der Nationen, Seite 152
- ↑ Erika Herzfeld: Preußische Manufakturen, 1. Auflage 1994 Berlin, Verlag der Nationen, Seite 153
- ↑ a b Erika Herzfeld: Preußische Manufakturen, 1. Auflage 1994 Berlin, Verlag der Nationen, Seite 154
- ↑ Bernhard R. Kroener: Potsdam – Staat, Armee, Residenz in der preußisch-deutschen Militärgeschichte, 1993 Berlin, Popyläen Verlag, Seite 260
- ↑ a b Bernhard R. Kroener: Potsdam – Staat, Armee, Residenz in der preußisch-deutschen Militärgeschichte, 1993 Berlin, Popyläen Verlag, Seite 268
Literatur
- Erika Herzfeld: Preußische Manufakturen. Grossgewerbliche Fertigung von Porzellan, Seide, Gobelins, Uhren, Tapeten, Waffen, Papier u. a. im 17. und 18. Jahrhundert in und um Berlin. Bayreuth, Verlag der Nationen 1994, ISBN 3-373-00119-6.
- Heinrich Müller: Das Heerwesen in Brandenburg und Preußen von 1640 bis 1806. Band 1: Die Bewaffnung. Brandenburgisches Verlagshaus, Berlin 1991, ISBN 3-327-01072-2.
- Bernhard R. Kroener (Hrsg.): Potsdam. Staat, Armee, Residenz in der preußisch-deutschen Militärgeschichte. Propyläen Verlag, Frankfurt am Main u. a. 1993, ISBN 3-549-05328-2.
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