- Merkantilismus
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Merkantilismus (vom französischen mercantile ‚kaufmännisch‘) ist ein nachträglich verliehener Begriff für ein Spektrum verschiedener wirtschaftspolitischer Konzepte, welche sowohl geldpolitische als auch handels- und zahlungsbilanztheoretische, aber auch finanzwirtschaftliche Ansätze verbinden. Der Merkantilismus war in Europa die vorherrschende wirtschaftliche Lehrmeinung der Frühmoderne (vom 16. bis zum 18. Jahrhundert).
Mit dem Bedürfnis der absolutistisch regierten Staaten nach wachsenden, sicheren Einnahmen zur Bezahlung der stehenden Heere, des wachsenden Beamtenapparats und nach repräsentativen Bauten und Mäzenatentum der Fürsten, entwickelte sich in den verschiedenen europäischen Staaten eine vom Interventionismus und Dirigismus geprägte wirtschaftspolitische Praxis, der eine geschlossene wirtschaftstheoretische und -politische Konzeption noch fehlte. Gemeinsam ist dieser wirtschaftspolitischen Praxis das Streben nach Überschüssen im Außenhandel zur wirtschaftlichen Entwicklung des eigenen Staats. Die Kapitalmenge, die durch die staatlichen Goldreserven repräsentiert wird, werde am besten durch eine aktive Handelsbilanz mit hohen Exporten und niedrigen Importen erhöht. Regierungen unterstützten demnach diese Ziele, indem sie Exporte aktiv förderten und Importe durch Anwendung von Zöllen hemmten.
In der Binnenwirtschaft führte dies zu signifikanten staatlichen Eingriffen und zur Kontrolle über den Außenhandel und das Wirtschaftssystem, während gleichzeitig wichtige Strukturen des modernen kapitalistischen Systems entstanden. Der Merkantilismus belastete die damaligen zwischenstaatlichen Beziehungen durch zahlreiche europäische Kriege, der Imperialismus entstand. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde der Merkantilismus durch die klassische Nationalökonomie des schottischen Ökonomen Adam Smith verdrängt. Heute wird der Merkantilismus (als Ganzes) von der Mehrzahl aller Ökonomen abgelehnt, obwohl einige Elemente weiterhin Beachtung finden.
Inhaltsverzeichnis
Theorie
Grundsätze
Fast alle europäischen Ökonomen, die zwischen 1500 und 1750 publizierten, werden heute im Allgemeinen als Merkantilisten betrachtet, obwohl diese sich selbst nicht als Anhänger einer gemeinsamen Ideologie begriffen. Der Begriff „merkantiles System“ wurde vom Marquis de Mirabeau 1763 geprägt und von Adam Smith 1776 allgemein verbreitet. Das Wort stammt vom lateinischen mercari (Handel treiben) mercator bzw. merx (Ware) bzw. italienisch/französisch mercantile (kaufmännisch) ab. Ursprünglich nur von Kritikern wie Mirabeau und Smith verwendet, wurde der Begriff bald auch von Historikern übernommen.
Der Merkantilismus als Ganzes kann nicht als eine einheitliche, geschlossene Wirtschaftstheorie betrachtet werden. Es gab keinen merkantilistischen Autor, der ein umfassendes Modell für ein ideales Wirtschaftssystem vorlegte, wie Smith dies später für die klassische Nationalökonomie tat. Stattdessen betrachtete jeder merkantilistische Autor einen anderen Teilaspekt der Wirtschaft. Einzelne problembezogene Ideen und unterschiedliche Ansätze in den europäischen Staaten stehen häufig unverbunden nebeneinander.
Der Merkantilismus betrachtet Außenhandel als Nullsummenspiel, bei dem der eine gewinnt, was der andere verliert. Deshalb ist es per definitionem unmöglich, den gesamtwirtschaftlichen Nutzen zu maximieren. Merkantilistische Schriften wurden eher dazu erstellt, politische Vorgehensweisen zu rechtfertigen, als zu untersuchen, welche Politik am nützlichsten sei.
Bullionismus
Um etwa 1500 entwickelten Jean Bodin und andere einen frühen Merkantilismus, der die Bedeutung der staatlichen Gold- und Silberreserven betonte und deshalb als Bullionismus (von englisch „bullion“ = ungeprägtes Edelmetall) bezeichnet wurde. In dieser Periode gab es einen großen Zufluss von Gold und Silber aus den europäischen Kolonien in der Neuen Welt, und die Hauptsorge der anderen Staaten bestand darin, gegenüber dem habsburgisch regierten Spanien konkurrenzfähig zu bleiben. Die frühen Monetaristen, wie Thomas Gresham und John Hales und die Bullionisten um Thomas Milles betrachteten die staatlichen Edelmetallreserven als Maßstab für die wirtschaftliche (und militärische) Stärke eines Staates, denn eine Messgröße für das Volkseinkommen gab es damals noch nicht. An den Höfen der Monarchen begann sich die Erkenntnis durchzusetzen, dass Voraussetzung für einen militärisch starken Staat seine finanzwirtschaftliche Kraft sei, deren Voraussetzung wirtschaftliche Aktivität war. Gold und Silber dienten als Zahlungsmittel für (Söldner-)Armeen, Waffen sowie für den Bau von Flotten. Internationale Bündnisse erforderten oft große Zahlungen zwischen den Staaten. Nur wenige europäische Staaten kontrollierten Gold- und Silberminen. Die übrigen Staaten deckten ihren Bedarf an Zahlungsbilanzmitteln über eine aktive Außenhandelsbilanz. Wenn ein Staat mehr Güter exportiert als importiert, dann gleicht sich diese Ungleichheit durch einen Zufluss an Geld oder Edelmetallen aus. Daher glaubten die Merkantilisten, dass eine Volkswirtschaft mehr Güter exportieren als importieren solle. Die Ausfuhr von Edelmetallen wurde folgerichtig streng verboten. Hohe Zinssätze sollten Investoren ermutigen, ihr Geld im Inland anzulegen.
Ausgehend von der Überlegung, dass eine permanent aktive Zahlungsbilanz eine Steigerung des Edelmetallschatzes einer Nation bewirken würde, was mit dem Reichtum der Nation gleichgesetzt wurde, kamen Forderungen nach Förderung einer aktiven Handels- und Dienstleistungsbilanz auf. Als wirtschaftspolitisches Instrumentarium bediente man sich in England des Protektionismus: Die Einfuhr von Rohstoffen wurde durch günstige Zölle erleichtert, die Ausfuhr von Fertigwaren und Nahrungsmitteln durch hohe Zölle erschwert. Letzteres sollte das inländische Angebot an Fertigprodukten und Nahrungsmitteln erhöhen und damit die Preise senken in der Erwartung, dass mit sinkenden Nahrungsmittelkosten auch die Löhne fallen und letztlich die Produktionskosten gesenkt werden könnten. Die Einfuhr günstiger Rohstoffe sollte die inländische Produktion zusätzlich anreizen. Ein Verbot des Exports von Geld und Edelmetall ins Ausland um 1600 sollte zusammen mit rigider Devisenbewirtschaftung den Abfluss von Edelmetall ins Ausland erschweren. Zudem wurde in der Navigationsakte von 1651 festgelegt, dass der Transport aller Export- und Importgüter durch englische Schiffe zu erfolgen habe, was die Kontrolle erleichtern und die Dienstleistungsbilanz aktivieren sollte. Dass diese Wirtschaftspolitik gleichzeitig aber die Konkurrenz der Produkte (Erfindungen) und Produktionsmethoden (Innovationen) mit dem Ausland herabsetzte, wurde zu einer entscheidenden Überlegung der Freihändler.
Merkantilismus im 17. Jahrhundert
Im 17. Jahrhundert entwickelte sich eine weitaus komplexere Version des Merkantilismus, die den einfachen Bullionismus ablehnte. Autoren, wie Thomas Mun betrachteten den allgemeinen Wohlstand eines Landes als vorrangiges Ziel und seine Edelmetallreserven als wichtigstes Zeichen des Reichtums, aber nicht als einziges, da Fertigwaren und Rohstoffe ebenfalls unverzichtbar seien. Sie unterstützten die bisherige Auffassung einer aktiven Außenhandelsbilanz, allerdings in einer weniger rigiden Form. Mun, der für die Englische Ostindien-Kompanie arbeitete, argumentierte, dass Exporte von Metallreserven nach Asien gut für England seien, da die dafür importierten Güter mit großem Profit ins übrige Europa weiterverkauft werden könnten. Diese neue Sichtweise erkannte, dass die Umwandlung von Rohstoffen zu Fertigprodukten ein wichtiger Gelderzeuger war und lehnte deshalb den Export von Rohstoffen ab. Während die Bullionisten den Massenexport von Wolle aus England bis dahin befürwortet hatten, forderten die späteren Merkantilisten totale Ausfuhrverbote für Rohstoffe und den Aufbau einer verarbeitenden Industrie im Inland. Eine weitere wichtige Änderung war die Sicht auf die Zinssätze. Um die heimische Industrie zu fördern, war eine hohe Kapitalversorgung vonnöten; im 17. Jahrhundert konnte deswegen ein dramatischer Sturz der Zinssätze beobachtet werden. Spätere Merkantilisten widmeten dem Dienstleistungssektor eine größere Aufmerksamkeit. Hieraus resultierte beispielsweise die Navigationsakte, welche 1651 niederländische Schiffe vom englischen Schiffsverkehr ausschloss.
Die merkantilistischen Maßnahmen zur Förderung der Binnenwirtschaft waren weniger eindeutig als ihre Außenhandelspolitik. Während Adam Smith die Merkantilisten so darstellte, als würden sie strikte Kontrollen über das Wirtschaftssystem befürworten, widersprachen dem viele Merkantilisten. Die Frühmoderne war die Zeit der Patente und gesetzlich auferlegter Monopole. Aus der Tradition fürstlicher Regalien, wie z. B. dem Münzregal oder dem Salzregal, also Einnahmequellen der fürstlichen Schatzkammer, entwickelte sich die Vorstellung, durch die Verleihung von Monopolen an einen dem Fürsten ergebenen Unternehmer einen sicheren Markt zu verschaffen und den daraus resultierenden Reichtum gut kontrollieren und gezielt abschöpfen zu können. Einige Merkantilisten befürworteten die Monopole, andere erkannten die Korruptionsanfälligkeit und Ineffizienz solcher Systeme. Viele Merkantilisten erkannten auch, dass die unausweichliche Folge von Quoten und Preisregulierungen Schwarzmärkte seien.
Ein Punkt, in dem sich die Merkantilisten einig waren, war die Unterdrückung der Arbeiterklasse. Arbeiter und Bauern hatten am Existenzminimum zu leben, damit die Güter kostengünstig hergestellt werden konnten. Ziel war es, die Produktion zu maximieren; der Verbrauch und Genuss der Arbeiter wurde nicht berücksichtigt. Nur wenn sie durch harte Arbeit ihr Existenzminimum sichern konnten, war sichergestellt, dass eine maximale Produktion erreicht werden konnte. Höhere Löhne, Freizeit oder Bildung für die Unterschichten würden unausweichlich zu Lastern und Faulheit führen und wirtschaftlichen Schaden anrichten.
Ursachen
Die Gelehrten sind sich nicht einig, warum der Merkantilismus die führende wirtschaftliche Ideologie für zweieinhalb Jahrhunderte war. Eine Gruppe, repräsentiert durch Jacob Viner, argumentiert, dass der Merkantilismus einfach ein eingängiges System gewesen sei und Menschen der damaligen Zeit nicht die analytischen Möglichkeiten gehabt hätten, um festzustellen, dass dieses System in Wahrheit sehr trügerisch war. Eine zweite Gruppe, vertreten durch Leute wie Robert B. Ekelund, behauptet, der Merkantilismus sei überhaupt kein Fehler gewesen, sondern das bestmögliche System für seine Entwickler. Diese Gruppe argumentiert, der Merkantilismus sei von gewinnorientierten Kaufleuten und Regierungen geschaffen worden. Die Kaufleute profitierten kräftig von den erzwungenen Monopolen, Ausschluss von ausländischen Wettbewerbern und Armut in der Arbeiter- und Bauernklasse. Die Regierungen profitierten von den hohen Zöllen und den Zahlungen der Kaufleute. Während spätere wirtschaftliche Ideen von Akademikern und Philosophen entwickelt wurden, waren fast alle merkantilistischen Autoren Kaufleute oder Regierungsbeamte.
Der Merkantilismus entwickelte sich zu einer Zeit, in der sich die europäische Wirtschaft in einer Übergangsphase befand. Mit dem Vordringen des Geldes und seinem Austausch von Gütern, Dienstleistungen und Zahlungsbilanzmitteln über Grenzen hinweg veränderten sich die Bedürfnisse sowohl der Fürstenhaushalte, als auch der Kaufleute. Technische Verbesserungen in der Schifffahrt und das Wachstum der großen Städte führten zu einem schnellen Wachstum des internationalen Handels. Durch die Einführung der doppelten Buchführung und der modernen Bilanzierung konnten Zu- und Abflüsse von Geld leicht nachvollzogen werden. Die isolierten, auf Naturalwirtschaft beruhenden feudalen Grundherrschaften wurden durch zentralisierte, auf Geldwirtschaft beruhende Nationalstaaten ersetzt. Dies veränderte auch die Betrachtung der Einnahmen der Fürstenhaushalte: Hatte sich im Frühmittelalter der Monarch von einer Königspfalz zur anderen begeben, um die Realabgaben seiner lokalen Untertanen zu verzehren bzw. für Bauprojekte ihre reale Arbeitsleistung in Anspruch genommen und sich ansonsten mit den Einnahmen aus den Regalien begnügen müssen, konnte der Staat im Zeitalter des Absolutismus in einer Geldwirtschaft auf Steuern zurückgreifen. Mit der Einführung indirekter Steuern war die Durchsetzung ihrer Erhebung auch nicht mehr zwangsläufig mit der Ausübung von individueller Gewalt verbunden.
Vor dem Merkantilismus strebten die mittelalterlichen Scholastiker ein Wirtschaftssystem an, das zur christlichen Lehre von Gerechtigkeit und Frömmigkeit passte. Sie konzentrierten sich hauptsächlich auf Tauschvorgänge zwischen Individuen, die Mikroökonomie. Der Merkantilismus gehörte zu den Theorien und Ideen, welche das mittelalterliche Weltbild ersetzten. Machiavellis Politikmodell und das Prinzip der Staatsräson wurden zum Leitbild staatlicher Politik. Die merkantilistische Idee, dass jeglicher Handel ein Nullsummenspiel sei, in welchem jede Seite den anderen in skrupellosem Wettbewerb zu betrügen versuchte, wurde in die Arbeit von Thomas Hobbes integriert. Diese dunkle Seite der menschlichen Natur passte ebenfalls gut in die puritanische Weltsicht, und einige der schärfsten merkantilistischen Gesetze, wie die Navigations-Akte, wurden von der Regierung Oliver Cromwells eingeführt.
Politik
Ursprünge
Merkantilistische Anschauungen waren in der Frühmoderne die vorherrschende wirtschaftliche Ideologie in ganz Europa, und die meisten Staaten haben diese Anschauungen bis zu einem gewissen Grad übernommen. Die Zentren des Merkantilismus waren England und Frankreich. In diesen Staaten wurde die merkantilistische Politik auch am häufigsten durchgesetzt.
Frankreich
Nach einer Periode 30-jähriger Bürger- und Religionskriege entschloss sich der siegreiche Hugenotte Henri de Navarre zum Katholizismus überzutreten („Paris ist eine Messe wert“) und als König Heinrich IV. ab 1594 zu regieren. Er übertrug das Amt des Finanzministers seinem alten hugenottischen Freund und Waffenkameraden Sully, der bei Amtsantritt neben völlig zerrütteten Staatsfinanzen ein verwüstetes Land mit brachliegender Landwirtschaft und darniederliegendem Handwerk und durch Räuberbanden und zerstörte Verkehrswege weitgehend verschwundenem Handel vorfand. Doch der Merkantilismus hatte in Frankreich bereits im frühen 16. Jahrhundert, bald nachdem die Monarchie die wichtigste Macht in der französischen Politik geworden und den Adel aus seiner regionalen Einflussmöglichkeit verdrängt hatte, eingesetzt. Die wenigen wirtschaftstheoretischen Erörterungen jener Epoche in Frankreich verdanken wir dem Controlleur Générale du Commerce und President du Conseil du Commerce Barthélemy Laffémas, Antoine de Montchrétien und François Véron de Forbonnais. Der bedeutendste frühe französische Vertreter des Merkantilismus war Sully. 1539 wurde eine Verordnung erlassen, der zufolge Wollgüter aus Teilen der habsburgisch beherrschten Gebiete (Spanien und Teile Flanderns) nicht mehr eingeführt werden durften. Ein Jahr später wurden zahlreiche Restriktionen gegen den Export von Gold in Kraft gesetzt. Über das restliche 16. Jahrhundert wurden weitere protektionistische Maßnahmen eingeführt. Der Höhepunkt des französischen Merkantilismus ist eng verknüpft mit Jean-Baptiste Colbert, der 22 Jahre lang (1661 bis 1683) Finanzminister war. Dies geht soweit, dass der französische Merkantilismus manchmal Colbertismus, in Italien Il Colbertismo, genannt wird. Unter Colbert kontrollierte die französische Regierung die Wirtschaft in sehr hohem Maße, um die Einnahmen zu erhöhen. Protektionistische Verordnungen wurden in Kraft gesetzt, um Importe zu begrenzen und Exporte zu fördern. Manufakturen wurden in Gilden und Monopole aufgeteilt. Durch den Staat wurde durch mehr als tausend Anweisungen geregelt, wie verschiedene Güter produziert werden sollten.
Um die Produktion zu fördern, wurden Spezialisten für Seiden- und Brokatstoffe als ausländische Arbeitskräfte aus Flandern abgeworben. Aus den italienischen Staaten wurden Spezialisten für Glas, aus dem Norden Metallspezialisten ins Land geholt. Auswanderung für Spezialisten wurde verboten, später sogar unter Todesstrafe gestellt. Da die Privatinitiative trotz vieler Anreize nicht allzu groß war, wurden staatliche Manufakturbetriebe, wie die Tapeten- und Möbelfabrik Hôtel Royale eingerichtet. Colbert ergriff auch Maßnahmen, um interne Handelsbarrieren zu vermindern, reduzierte interne Zölle und schuf ein umfassendes Netzwerk an Straßen und Kanälen (Canal du Midi). Um die internen Zölle (traites) zu reduzieren, wurden 1664 die zwölf inneren Provinzen zu einer Zolleinheit, den cinq grosses fermes zusammengeschlossen. Die Sorge für den Ausbau und die Instandhaltung dieser Verkehrswege entzog Colbert dem Hochadel und entwickelte eine spezielle Verwaltung, aus der sich die „ponts et chaussées“ entwickelte. Dennoch gelang es ihm nicht, die Straßen- und Brückenzölle zu beseitigen. Die vorher bestehenden landschaftlichen Bezüge verschwanden zugunsten der vom Staat gesetzten einheitlichen Gewichte, Maße, der Währung und der Zölle. Straffe Zentralisierung der wirtschaftlichen und politischen Entscheidungskompetenz begleitete diese Phase in Frankreich. Zur Sanierung der Staatsfinanzen unter Ludwig XIV. verlagerte er die direkte Besteuerung auf die indirekte (Akzise). Dies ging mit Markt- und Straßenzwang, Verbot von Fürkauf, unkontrolliertem Land- und Tauschhandel einher. Damit sollten die immensen Handelsgewinne stärker der Besteuerung unterworfen und die Lasten auf der Landwirtschaft reduziert werden. Durch die Senkung der direkten Steuern wurde die Landwirtschaft, in der drei Viertel der Bevölkerung ihren Lebensunterhalt erzielte, und der dritte Stand gefördert, während mit den indirekten Steuern (gabelle und dîme royale) Adel und Klerus trotz Erhalt des Steuerprivilegs an der Finanzierung des Staates beteiligt wurden. Mit der Reglementierung wurde die Markttransparenz zwar gesteigert, aber ein Teil der Wirtschaftsaktivitäten, die mit Konkurrenz und Spekulation verbunden waren, unterblieben. Colberts Maßnahmen waren sehr erfolgreich: Frankreichs Produktion und Wirtschaftsmacht wuchsen in dieser Zeit so beträchtlich, dass es zur führenden europäischen Macht aufstieg. Weniger Erfolg hatte Colbert dabei, aus Frankreich eine führende Handelsmacht zu machen, worin England und die Niederlande vorherrschend waren.
Großbritannien
In England erreichte der Merkantilismus seinen Höhepunkt während des königsfeindlichen Langen Parlaments, obwohl die merkantilistische Politik auch während großer Teile der Tudor- und Stuart-Perioden Anwendung fand. Auch Robert Walpole (1721–1742) gilt als später Anhänger merkantilistischer Politik.
In Großbritannien war die staatliche Kontrolle über die Binnenwirtschaft wesentlich geringer als auf dem Kontinent; sie wurde durch das Common Law und die wachsende Macht des Parlaments begrenzt. Staatlich kontrollierte Monopole waren besonders vor dem englischen Bürgerkrieg üblich, aber umstritten. Die merkantilistischen Gelehrten in England vertraten keine einheitliche Meinung über die Notwendigkeit einer kontrollierten Binnenwirtschaft, so dass sich der englische Merkantilismus auf die Kontrolle des Außenhandels konzentrierte. Eine Vielzahl von Regulierungen wurde eingesetzt, um Exporte zu fördern und Importe zu unterbinden. Auf Importe wurden Zölle gesetzt, auf Exporte gab es Fördergelder. Der Export von Rohstoffen wurde vollständig verboten. Der Stalhof der deutschen Hansekaufleute in der Thames Street in London wurde bereits 1598 geschlossen. Die Navigations-Akte schloss ausländische Händler aus Englands heimischem Handel aus. Das Land strebte in aggressiver Weise nach Kolonien, denen die Produktion von Rohstoffen und der ausschließliche Handel mit Großbritannien vorgeschrieben wurden. Dies führte zu Spannungen mit den Einwohnern der Kolonien; die merkantilistische Politik gilt als eine der Hauptursachen für die Amerikanische Unabhängigkeitsbewegung. Durch die merkantilistische Politik wuchs Großbritannien jedoch zur weltgrößten Handelsnation und zu einer Weltmacht heran.
Der Merkantilismus prägte das Landschaftsbild in einigen Regionen Großbritanniens sowohl durch den Bau von Schifffahrtskanälen (z. B. Bridgewater-Kanal, Thames & Severn Canal), den frühen sog. Narrowboat-Kanälen als auch durch Trockenlegung von Sümpfen und ähnliche Projekte. Die Maximierung der landwirtschaftlichen Produktion durch Umwandlung von „nutzlosem Land“ in Agrarfläche erhöhte nach merkantilistischer Auffassung auch die wirtschaftliche Stärke einer Nation, da mit einer Erhöhung der Agrarproduktion fallende Preise für Lebensmittel und demzufolge für Manufakturarbeit erwartet werden konnten.
Spanien
Ähnlich wie in England und Flandern beruhte in Spanien ein beträchtlicher Teil der Produktion im 15. und 16. Jahrhundert auf der Erzeugung von Wolle und Tuchen. Da Kastilien trotz des reichlichen Rohstoffs Wolle - anders als Flandern - nicht genügend Kapazitäten in der „Schlüsselindustrie“ Tuchmanufaktur besaß, um die Inlandsnachfrage zu decken, beantragen die Cortes in Madrigal bereits 1439 das Verbot von Wollexport und Tuchimport. Die Cortes bestimmen 1438 und 1462 in Gesetzen, dass ein Drittel der Wolle den kastilischen Werkstätten vorbehalten bleiben müsse.
Die Monarchie vermochte nicht einen einheitlicheren spanischen Binnenmarkt herzustellen. Die Steuer- und Zollgrenzen zwischen den verschiedenen spanischen Königreichen blieben weitgehend unangetastet. Zwischen Galicien und Asturien wurde eine königliche 20%ige Steuer als „diezmos de la mar“ (= Meereszehnter) erhoben. Sogar an den Grenzen zwischen den Königreichen Kastilien und Granada, Aragón, Navarra und Valencia wurde der „diezmo del rey“ (= Königlicher Zehnter) erhoben. In Kastilien bestand eine Goldwährung (1 dobla/castellano = 365 Maravedís; ab 1497 1 ducado = 375 Maravedís), die von den Silbermünzen (1 real = 34 Maravedís; und der blanca = 0,5 Maravedís) ergänzt wurde. In Aragón beruhte die Währung auf Silbermünzen (1 libra = 20 sueldos = 240 dinaros). Die Maße unterschieden sich nicht allein zwischen Aragón und Kastilien; auch das politisch zu Kastilien gehörende Andalusien benutzte eigene Maße. Der Handel mit Fleisch, Wein, Fisch, Salz, gelegentlich Gemüse und Brennholz wurde durch lokale Beschränkungen geregelt. Die Ausfuhr von Gold und Silber, Getreide, Vieh, Waffen, Eisen und Holz war verboten und der Binnenhandel wurde gefördert. Die Produktion des Agrarsektors und des Handwerks (Ausnahme: Tuche) blieb weitgehend der lokalen und regionalen Obrigkeit überlassen. 1495 erhielten zunächst Kastilier die Erlaubnis, Agrarprodukte - in erster Linie Weizen, Öl und Wein - und handwerkliche Erzeugnisse der Alten Welt nach Westindien auszuführen und Luxusgüter von dort aus ins spanische Königreich zu importieren. 1511 erweiterte Fernando II. de Aragón dieses Handelsprivileg auch auf die Aragoneser. Kaiser Karl V. dehnte die Handelsfreiheit mit den amerikanischen Kolonien 1529 auf alle Untertanen seines Kaiserreichs aus. 1549 wurde sie jedoch wieder auf seine spanischen Untertanen eingeschränkt. Selbst an die flandrischen Weber, die viel für die spanische Wolle gegeben hätten, durften bald keine Wolle mehr ausgeführt werden, da sie als feindliche Provinzen galten. 1552 erließ Karl V. ein Ausfuhrverbot für spanische Stoffe nach Amerika; 1569 wurde die Textilindustrie in den spanischen Kolonien verboten. Nur noch grobes, billiges Tuch durfte mit importierter Wolle gefertigt werden, um die indianische Bevölkerung zu bekleiden. Kaum kam es der Obrigkeit zu Ohren, dass die Tuchfabrikation im mexikanischen Pueblo de los Angeles schon zur Exportkonkurrenz der Textilmanufakturen im Mutterland herangewachsen war, die sogar Perú belieferte, gab König Felipe II. seinem Vizekönig den Befehl, diesen Gewerbezweig auf regionale Maße zurückzustutzen. Als es infolge der allgemeinen Verarmung durch die Inflation auch für Spanier heimisches Wolltuch unerschwinglich wurde, verbot die Krone kurzerhand den heimischen Manufakturen, Qualitätsware zu erzeugen, „damit das Volk nicht zum Luxus gereizt würde“. Ausländische Billigware wurde beinahe zollfrei um den Preis der Vernichtung des Hauptgewerbes ins Land gelassen, um die Preise des spanischen Tuchs zu drücken, das zeitweilig den „Weltmarkt“ beherrscht hatte. Auf Initiative Karls V. wurde die aus den Niederlanden bekannte Technologie der Windmühlen in der Mancha übernommen. Das Gewerbe der Kolonien beschränkte sich deshalb anfangs auf einheimische Produkte (Wolle, Baumwolle, Felle), die für den unmittelbaren Bedarf verarbeitet werden (Textilien, Leder). Die Philippinen lieferten durch jährlich einmal ins mexikanische Acapulco verkehrende Konvois chinesische Seide, Gewürze und Porzellan. Deshalb bezogen die Siedler in den amerikanischen Kolonien in dieser Phase fast ihren gesamten Bedarf samt Wein und Weizen aus dem Mutterland. Die Krone übernahm durch Monopole (Tabak, Salz, Spielkarten, Quecksilber, Sklavenhandel) weitgehend Wirtschaft und Handel zwischen Kolonien und Mutterland und kontrollierte alles durch die Casa de Contratación. Die Krone schrieb die Handelswege („la flota“, das 1561 eingeführte System von Schiffen, die als Geleitzug im Konvoi regelmäßig zwei Mal jährlich festliegende, befestigte Häfen anliefen) verbindlich vor, verbot den Außenhandel zwischen ihren Kolonien und anderen europäischen Mächten, verbot den Anbau von Wein und Olivenöl und erhob von den ex- und importierten Waren eine Abgabe („la almojarifazgo“) von 20%. Daneben wurde, wie im Mutterland, eine Art Umsatzsteuer, die „alcabala“ von jedem Verkauf und der „quinto real“, das königliche Fünftel erhoben. Für die Unterhaltung der flota musste eine Sondersteuer entrichtet werden, die „avería“. Dies verteuerte Manufakturprodukte in den Kolonien, verhinderte Wettbewerb für die Manufakturen des Mutterlandes und zog Bestechung, Betrug, Schmuggel und alle Formen der Schattenwirtschaft geradezu magisch an. Die Bürokratie konnte gar nicht genug aufgebläht werden, um all die Schlupflöcher zu stopfen: Die 1782 nach französischem Vorbild eingeführte Intendanturbürokratie verschlang 80% der Steuereinnahmen. Während des wirtschaftlichen Zusammenbruchs im 17. Jahrhundert hatte Spanien eine wenig kohärente Wirtschaftspolitik, aber unter Felipe V. wurden die französische Politik mit einigem Erfolg eingeführt. So wurde z. B. eine königliche Manufaktur für Gobelins eingerichtet, für die Fachkräfte aus den Niederlanden abgeworben wurden.
Übriges Europa
Die anderen Nationen Europas übernahmen den Merkantilismus ebenfalls in unterschiedlichem Umfang. Die Niederlande, die durch ihre Handelsvormachtstellung zum Finanzzentrum Europas geworden waren, hatten wenig Interesse an Handelsbeschränkungen und übernahmen wenige merkantilistische Handlungsweisen. In Mitteleuropa und den nordischen Ländern wurde der Merkantilismus nach dem Dreißigjährigen Krieg populär, mit Christina I. von Schweden und Christian IV. von Dänemark als nennenswerten Befürwortern.
Die habsburgischen römisch-deutschen Kaiser waren seit langem an der merkantilistischen Politik interessiert, aber die großflächige und dezentrale Struktur ihres Reiches mit vielen Akteuren machte die Umsetzung schwierig. Nach den Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges stand in den deutschen Fürstenstaaten die Steigerung der Bevölkerungszahlen (Peuplierung) im Mittelpunkt ihrer Politik. Deshalb prägte sich für die deutschen Theoretiker der Begriff Kameralismus (von der Fürstenkammer „camera principi“). Da allgemein angenommen wurde, dass die Bevölkerungszahl unmittelbaren Einfluss auf den Reichtum eines Landes hätte und die Möglichkeit seines Fürsten, Truppen auszuheben limitierte, wurden Maßnahmen zu Peuplierung getroffen. Die Einwanderung wurde gefördert, die Auswanderung wurde verboten. Darüber hinaus begann das merkantilistische Schrifttum in Deutschland sich über Haushalt, Verwaltungs- und Besteuerungsverfahren, Staatskredite und staatliche Buchführung Gedanken zu machen und diese zu systematisieren. Hier sind Namen wie Johann Joachim Becher und Johann Heinrich Gottlob von Justi, aber auch Klock, Philipp Wilhelm von Hörnigk, Wilhelm von Schröder, Veit Ludwig von Seckendorff und Joseph Freiherr von Sonnenfels zu nennen.
Die deutsche Variante des Merkantilismus setzte gegenüber Frankreich zeitlich verzögert in verschiedenen Bereichen Schritte von der Stadtwirtschaft zur Staatswirtschaft durch zentrale Förderung von Gewerbe und von frühen Manufakturen zur Seiden-, Glas- und Porzellanherstellung (Meißen). Manufakturen für Uniformen, Pferdesättel, Uniformteile (Knöpfe, Litzen), Waffen (Messer, Degen, Säbel, Schusswaffen, Munition) wurden angesiedelt. Während in England der Außenhandel gefördert wurde, stand in Frankreich und insbesondere in Deutschland der Binnenhandel im Vordergrund der Aufmerksamkeit. Am erfolgreichsten unter den deutschen Ländern war Preußen, das unter Friedrich II. die wohl am stärksten kontrollierte Wirtschaft in Europa hatte und seine zunächst passive in eine aktive Handelsbilanz wandeln konnte. Hier wurde der Kameralismus als Polizeiwissenschaften, später Staatswissenschaften gelehrt, für die ein Lehrstuhl in Halle (Saale) und Frankfurt (Oder) eingerichtet wurde, und behielt bis in die Gegenwart Einfluss auf die Finanzwissenschaft. Die praktischen wirtschaftspolitischen Maßnahmen entsprachen weitgehend denen in Frankreich. Bei Gewerbeansiedlungen wurden Privilegien (Befreiung der Manufakturbetriebe von der Zunftregulierung und Innungsfreiheit), Vorschüsse und Exemtionen (= Steuerbefreiungen) gewährt. Der preußische Kurfürst warb niederländische Händler an, die in Potsdam ihr eigenes Viertel erhielten, französische Hugenotten wurden in Preußen angesiedelt, um die Produktion von Luxuswaren, wie z. B. die Seidenweberei in Krefeld, anzukurbeln.
Kritik
Der Merkantilismus förderte auch die immense Gewaltausbreitung im 17. und 18. Jahrhundert in Europa. Da das Welthandelsvolumen als konstant angesehen wurde, glaubte man, das eigene Handelsvolumen nur dadurch erhöhen zu können, dass man anderen ihren Handel wegnahm. Mehrere Kriege, z. B. die englisch-niederländischen Seekriege sowie der französisch-niederländische Krieg können direkt auf merkantilistische Theorien zurückgeführt werden. Die häufigen Kriege während dieser Periode verstärkten wiederum den Merkantilismus, der als notwendige Komponente erfolgreicher Kriegsführung gesehen wurde. Ebenso verstärkte er den Imperialismus dieser Zeit, da jeder Staat versuchte, neue Kolonien als Rohstofflieferanten und exklusiven Handelspartner zu gewinnen. Während dieser Periode breiteten sich die europäischen Mächte rund um den Globus aus. Wie in der heimischen Wirtschaft geschah dies oft unter der Führung von Unternehmen mit staatlich garantierten Monopolen: Staatlich monopolisierte Handelskompanien versorgten und verwalteten bestimmte Teile der Welt, wie die verschiedenen Ostindien-Kompanien oder die britische Hudson’s Bay Company.
Gelehrte wie Dudley North, John Locke und David Hume kritisierten den Merkantilismus lange bevor Adam Smith seine klassische Theorie formulierte. Die Merkantilisten konnten den Begriff des komparativen Vorteils, der 1817 von David Ricardo gelehrt wurde, und den Nutzen des Freihandels nicht nachvollziehen. Ricardo verweist darauf, dass Portugal Wein und Kork kostengünstiger als England produzieren könne, während England vergleichsweise günstig Textilien herstellen konnte. Wenn also Portugal sich auf die Produktion von Wein und Kork und England auf die von Textilien spezialisieren würde und beide Handel trieben, so hätten beide Länder am Ende einen Vorteil. Handel sei kein ruinöses Nullsummenspiel, sondern könne für beide Seiten vorteilhaft sein. Durch Importbeschränkungen und Zölle entginge beiden Nationen dieser Vorteil.
David Hume zeigte die Unmöglichkeit einer konstant positiven Außenhandelsbilanz, die von den Merkantilisten angestrebt wurde. Wenn Geld in ein Land fließt, so werde der Wert des Geldes in diesem Land beständig sinken, da die gesamtwirtschaftliche Nachfrage steigt. Damit würden die Güter immer teurer werden. Umgekehrt würden in dem Land, das Geld exportiert und Güter importiert, die Preise langsam fallen. An irgendeinem Punkt wäre es dann nicht mehr kosteneffektiv, Güter von einem Hochpreisland in ein Niedrigpreisland zu exportieren, und die Außenhandelsbilanz würde sich umkehren. Die Merkantilisten unterschätzten diesen Vorgang, weil die frühen Monetaristen noch vom Wert des Edelmetalls überzeugt waren und annahmen, die Ausweitung der zirkulierenden Geldmenge würde das Land reicher machen.
Die Wichtigkeit, die den Geldreserven beigemessen wurde, war ebenfalls ein zentrales Ziel der Kritiker, auch wenn viele Merkantilisten von selbst begonnen hatten, Gold und Silber als weniger wichtig zu sehen. Für Adam Smith war Gold ein Gut wie jedes andere, nichts anderes als ein gelbes Mineral, das nur aufgrund seiner Seltenheit so gefragt war.
Die Physiokraten in Frankreich bildeten die erste Schule, die den Merkantilismus komplett ablehnte. Aber auch die physiokratische Theorie war umstritten, und erst Adam Smith konnte 1776 mit seinem Buch Wohlstand der Nationen eine durchdachte Alternative veröffentlichten. Dieses Buch beschreibt die Grundsätze dessen, was heute als die klassische Nationalökonomie bekannt ist. Smith verwendet einen beträchtlichen Anteil des Buches dafür, Argumente der Merkantilisten zu widerlegen, obwohl er oft vereinfachte oder überzogene Versionen derselben bemüht.
Die Gelehrten streiten auch über die Gründe, warum der Merkantilismus zu Ende ging. Diejenigen, die ihn für einen Irrweg halten, glauben, dass seine Ersetzung durch das präzisere Modell vom Adam Smith unausweichlich gewesen sei. Andere Theoretiker betrachteten den Merkantilismus als eine Einrichtung gewinnsüchtiger Kaufleute und Regierungen, der durch größere Machtverschiebungen endete. In Großbritannien verblasste der Merkantilismus, als das Parlament das Recht zur Vergabe von Monopolen erhielt. Der zeitliche und finanzielle Aufwand zum Erreichen einer parlamentarischen Mehrheit wurde so groß, dass kaum noch neue Monopole vergeben wurden, obwohl reiche Kapitalbesitzer das Parlament kontrollierten.
Die merkantilistischen Regulierungen wurden in Britannien im Laufe des 18. Jahrhunderts kontinuierlich abgebaut, und während des 19. Jahrhunderts übernahm es vollständig den Freihandel und Smiths Laissez-faire-Haltung. Auf dem europäischen Festland verlief die wirtschaftliche Liberalisierung etwas langsamer. In Frankreich verblieb die Kontrolle über die Wirtschaft in den Händen der königlichen Familie, und der Merkantilismus setzte sich bis zur Französischen Revolution fort. In Deutschland blieb der Merkantilismus vom späten 19. Jahrhundert bis ins frühe 20. Jahrhundert, als die Historische Schule ihren Höhepunkt hatte, eine wichtige Ideologie.
Auswirkungen
In der englischsprachigen Welt wurde Adam Smiths Ablehnung des Merkantilismus ohne Widerspruch akzeptiert, allerdings stimmen heute die meisten Ökonomen überein, dass der Merkantilismus in einigen Bereichen richtig gewesen sei. An prominentester Stelle unterstützte der Brite John Maynard Keynes explizit einige der Lehren des Merkantilismus. Adam Smith lehnte es ab, sich mit der Geldmenge zu befassen, weil Güter, Menschen und Institutionen die Grundlagen des Wohlstands seien. Keynes hielt dagegen, dass die Geldmenge, die Außenhandelsbilanz und die Zinssätze von großer Bedeutung für eine Volkswirtschaft seien. Diese Ansichten wurden später zur Basis des modernen Monetarismus.
Adam Smith lehnte die merkantilistische Konzentration auf die Produktion ab. Er glaubte, Konsum sei der einzige Weg zu Wirtschaftswachstum. Keynes argumentierte hingegen, die Förderung der Produktion sei genauso wichtig wie die Förderung des Konsums. Keynes erkannte auch, dass in der Frühmoderne das Streben nach größeren Edelmetallreserven vernünftig gewesen sei. Vor der Einführung des Papiergeldes sei die Erhöhung der Goldmenge der einzige Weg gewesen, um die Geldmenge zu erhöhen. Als infolge der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er und Anfang der 1930er Jahre die USA ihr Kapital aus dem Ausland abzog bzw. die Schuldnerstaaten ihre Schuldenlast nur mühsam und verzögert bedienen konnten, erkannte Keynes die Bedeutung der Zahlungsbilanz. Er erkannte, dass wenn alle Staaten ihre Exporte fördern und ihre Importe beschränken wollten, um den heimischen Arbeitsmarkt zu unterstützen, das Deutsche Reich den Handelsbilanzüberschuss nicht mehr erwirtschaften könne, um die nach dem Krieg geforderten Reparationen zu leisten. Anders als die Laissez-faire-Ideologie von Smith übernahm Keynes vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise die merkantilistische Idee aktiver staatlicher Eingriffe in die Wirtschaft. Keynes' Theorien wurden von vielen politischen Parteien aufgegriffen, Franklin D. Roosevelts New-Deal-Programm in den USA war das umfangreichste staatliche Beschäftigungsprogramm. Diese Politik wurde von allen Parteien bis Mitte der 1970er Jahre mit großem Erfolg weitergeführt. Während Keynes' ökonomische Theorien große Auswirkungen hatten, blieben seine Bemühungen, den Begriff „Merkantilismus“ zu rehabilitieren, erfolglos.
Bis heute wird der Begriff oft abwertend benutzt, weil er einseitig mit protektionistischen Maßnahmen gleichgesetzt wird. Die Ähnlichkeiten zwischen dem Keynesianismus (und nachfolgenden Ideen) und dem Merkantilismus, führten dazu, dass Anhänger dieser Theorien oft „Neomerkantilisten“ genannt werden. Andere Systeme, die einige merkantilistische Merkmale aufweisen, wie das Wirtschaftssystem Japans, werden ebenfalls Neomerkantilisten genannt. Moderne regionale und sektorale Wirtschaftsförderung wäre ohne die Gedanken und Erfahrungen der Merkantilisten nur schwer denkbar.
In der merkantilistischen Periode etablierten sich viele moderne wirtschaftliche Institutionen, wie die Börse, das moderne Bankensystem und die Versicherungswirtschaft.
In einigen Fällen hatte der Protektionismus wichtige positive Auswirkungen auf die Volkswirtschaften. Smith selbst lobte beispielsweise die Navigations-Akte, da sie die englische Handelsflotte vergrößerte und eine zentrale Rolle spiele, Großbritannien in eine ökonomische Weltmacht zu verwandeln, die sie über mehrere Jahrhunderte blieb. Einige Ökonomen wie der Deutsche Friedrich List hielten es für sinnvoll, junge Industrien zu schützen, weil der langfristige Nutzen den kurzfristigen Mehraufwand übertreffe.
Merkantilisten, die ja im Allgemeinen Kaufleute oder Regierungsbeamten waren, sammelten riesige Mengen an Handelsdaten und verwendeten diese für ihre Forschung und ihre Publikationen. William Petty, ein starker Anhänger des Merkantilismus, wird üblicherweise als der erste gesehen, der empirische Datenanalyse in der Wirtschaftsforschung benutzte. Smith lehnte diese Methode ab und argumentierte, dass nur deduktives Schließen zur Entdeckung ökonomischer Gesetze führe. Heute weiß man, dass beide Methoden wichtig sind.
Literatur
- Fritz Behrens: Grundriss der Geschichte der politischen Ökonomie. Berlin 1962
- Fritz Blaich: Die Epoche des Merkantilismus. Wiesbaden 1973
- Ingomar Bog: Der Merkantilismus in Deutschland. In: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 173. Stuttgart 1961
- Rainer Gömmel: Die Entwicklung der Wirtschaft im Zeitalter des Merkantilismus 1620–1800. München 1998. ISBN 3-486-55757-2
- Jochen Hoock u. Pierre Jeannin (Hrsg.): Ars Mercatoria...1470-1820. Eine analytische Bibliographie, 6 Bde. Paderborn 1993
- Immanuel Wallerstein: Das moderne Weltsystem, Bd. 2: Der Merkantilismus: Europa zwischen 1600 und 1750. Wien 1998 (engl. Erstauflage: New York 1980)
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