Lehrerinnenzölibat

Lehrerinnenzölibat

Das Lehrerinnenzölibat war eine rechtliche Regelung, die eine Unvereinbarkeit von Ehe und Beruf für Lehrerinnen festschrieb.

Inhaltsverzeichnis

Deutsches Reich

Hintergrund

1880 wurde das Lehrerinnenzölibat im Deutschen Reich per Ministererlass eingeführt. Es untersagte Lehrerinnen zu heiraten; auf eine Missachtung folgte die Kündigung.

Grundlage dafür waren arbeitsmarktpolitische Aspekte und moralische Vorstellungen über die Geschlechterhierarchie. Ein Leben lang berufstätig zu sein entsprach nicht der bürgerlichen Frauenrolle; der Lehrerinnenberuf diente lediglich der kurzfristigen Versorgung unverheirateter junger Frauen aus bürgerlichen Familien. Einer „Doppelbelastung“ standzuhalten wurde Frauen nicht zugetraut; zudem galten berufstätige Frauen als unnötige Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Das Lehrerinnenzölibat war damit ein Instrument, mit dem durch Diskriminierung flexibel auf die jeweilige Arbeitsmarktsituation reagiert werden konnte – bestand Lehrermangel, so wurde es gelockert, bestand dagegen ein Überangebot, konnten damit Lehrerinnen vom Arbeitsmarkt verdrängt werden.

Berufsethos, Moral und Zölibat

Aus heutiger Sicht erscheint es schwer verständlich, dass die bürgerliche Frauenbewegung mit dem Lehrerinnenzölibat auch emanzipative Aspekte verknüpfte: Im Zuge der bürgerlichen Frauenbewegung hatten sich Frauen am Ende des 19. Jahrhunderts den Zugang zum Besuch mittlerer und höherer Bildungseinrichtungen und zu einer Reihe qualifizierter Berufe erkämpft; meist im pädagogischen und sozialen Bereich. Ob Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren waren, stand für Frauen aus der Arbeiterklasse außer Frage. Für die bürgerliche Frauenbewegung blieb dies vorerst ungeklärt. Auf Familie zu verzichten, um sich bewusst „beruflicher Erfüllung“ zu widmen, galt durchaus als emanzipative Entscheidung. Das Lehrerinnenzölibat brachte damit die „innere Berufung“ zum Ausdruck und prägte das Berufsethos der Lehrerinnen.

Gleichzeitig wurde das Lehrerinnenzölibat aber auch mit religiösen Werten symbolisch aufgeladen. Der Verweis auf die „geistige Mutterschaft“ einer Lehrerin stellt eine Parallele zu christlichen Zölibatsvorstellungen her. So erläuterte die langjährige Vorsitzende des „Vereins katholischer deutscher LehrerinnenMaria Johanna Schmitz, die sich schon in der Weimarer Nationalversammlung für das Lehrerinnenzölibat ausgesprochen hatte, dessen gedankliche Grundlage:

„Die Lehrerin - wie wir sie gewünscht und erzogen haben - soll sich mit ganzer Kraft ihrem Beruf widmen. Sie soll ausscheiden aus dem Beruf, wenn sie erkennt, daß sie in die Ehe eintreten und einen anderen hochwertigen Beruf ergreifen soll. Sie soll, solange sie in der Schule steht, ungeteilt sein. Und sie soll aus diesem Erleben heraus die Fähigkeit haben, den Lehrberuf auch als Lebensberuf zu sehen, sich ihm für immer zu weihen, und sie kann das um so mehr, wenn sie in der katholischen Kirche steht, die ihr in der Lehre von der gottgeweihten Jungfräulichkeit einen herrlichen Fingerzeig, ja eine Verklärung für diese Ganzheitsaufgabe des Berufes gibt. Es ist eine soziale Tat unseres Vereins, wenn er von seinen Mitgliedern erwartet, daß gerade sie, die Volkserzieherinnen, nicht Ehe und Schuldienst miteinander verbinden. Sie sollen vorleben, was sie als soziale Entwicklung erwarten: die Wiedergewinnung der Frau ungeteilt für Familie… Unser Ideal ist die Verbindung christlicher Jungfräulichkeit mit dem Lehrerinnenideal. Die ist in einer Zeit, wo ein heiliger Radikalismus dem Radikalismus der Gottlosen gegenübergestellt werden muß, so zeitgemäß wie je“

– Katholische Bildung 1955, S. 80 f

Aufhebung

In Artikel 128 II der Weimarer Reichsverfassung 1919 wurde das Lehrerinnenzölibat auf Antrag der SPD mit Zustimmung von DDP, DVP und USPD abgeschafft: „Alle Ausnahmebestimmungen gegen weibliche Beamte werden beseitigt.“ Schon im Oktober 1923 wurde es aus arbeitsmarktpolitischen Gründen wieder eingeführt: Die „Personalabbauverordnung“ erlaubte die Entlassung verheirateter Beamtinnen, um in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Stellen für Männer zu sichern. Unverheiratete Lehrerinnen mussten eine „Ledigensteuer“ – einen zehnprozentigen Lohnsteueraufschlag – bezahlen. Da sie auch weniger verdienten als gleichrangige männliche Lehrer, konnte eine Heirat schon aus finanziellen Gründen eventuell als erstrebenswert erscheinen. Die Personalabbauverordnung galt bis 1951 (außer in der DDR); erst dann konnten Lehrerinnen eine Familie gründen und weiterhin beruflich tätig sein.

Im Dienstrecht des Landes Baden-Württemberg bestand bis 1956 die Regelung, dass eine Lehrerin den Dienst zu quittieren hatte, wenn sie heiratete. Aus diesem Grund gab es damals besonders an Grundschulen noch viele „Fräulein“.

Schweiz

Auch in der Schweiz wurde im Kanton Zürich 1912 ein Gesetz zum Lehrerinnenzölibat erlassen: „Primar- und Sekundarschullehrerinnen, die sich verheiraten, haben vor dem Abschluss der Ehe von ihrem Amte zurückzutreten.“ Erst 1962 trat das Gesetz außer Kraft.[1]

Siehe auch

Literatur

  • Andrea Abele-Brehm: 100 Jahre akademische Frauenbildung in Bayern und Erlangen – Rückblick und Perspektiven. Erlanger Universitätsreden, Folge 3, Nr. 64. Erlangen 2004.
  • Ingrid Biermann: Die einfühlsame Hälfte. Weiblichkeitsentwürfe des 19. und frühen 20. Jahrhunderts in Familienratgebern und Schriften der Frauenbewegung. Kleine, Bielefeld 2002, ISBN 3-89370-360-8.
  • Gottfried Hodel: Vom Lehrerinnenzölibat zum Kampf gegen das Doppelverdienertum. In: Zeitschrift für pädagogische Historiographie, 9, 2003, Heft 1, S. 21–30.
  • Claudia Huerkamp: Die Lehrerin. In: Ute Frevert (Hrsg.): Der Mensch des 19. Jahrhunderts. Campus, Frankfurt am Main 1999, ISBN 3-593-36024-1, S. 176–200.

Einzelnachweise

  1. staatsarchiv.zh.ch (PDF)

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