Londoner Flottenkonferenz (1936)

Londoner Flottenkonferenz (1936)

Unter Flottenkonferenz wird eine internationale Konferenz von Seemächten verstanden, die sich in der Regel mit Rüstungsfragen beschäftigt. In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen gab es drei große Flottenkonferenzen: 1922 in Washington sowie 1930 und 1936 in London. Die Jahreszahlen beziehen sich auf den jeweiligen Abschluss der Konferenz.

Inhaltsverzeichnis

Wettrüsten 1919 bis 1921

Nachdem die Royal Navy während des Ersten Weltkrieges kaum noch umfangreiche Flottenrüstungen begonnen hatte - man stellte in den meisten Fällen lediglich die Vorkriegsprogramme fertig -, drohte in der Nachkriegszeit ein erneutes Wettrüsten. Diesmal kam die Bedrohung für Großbritannien nicht vom Deutschen Reich, dessen moderne Schlachtflotte sich in Scapa Flow selbst versenkt hatte, sondern aus Übersee: Sowohl die USA als auch Japan hatten ihre Bestände an Kampfschiffen wesentlich erweitern können und schienen gewillt, den britischen Vorsprung weiter aufzuholen. Schon das US-amerikanische Bauprogramm von 1916 mit zehn modernen Schlachtschiffen und sechs Schlachtkreuzern hätte die britische Flotte zumindest qualitativ in den Schatten gestellt, und im Jahre 1919 bewilligte der US-Kongress die Forderung Woodrow Wilsons nach sechs weiteren Schlachtschiffen.

In Japan wurde im Juni 1920 das so genannten "8:8"-Programm bewilligt (und entsprechende Bauaufträge erteilt), nach dem zwei Geschwader mit jeweils 8 Großkampfschiffen in Dienst gehalten werden sollten, wobei die Schiffe nach 8 Jahren durch Neubauten zu ersetzen seien. Großbritannien antwortete im Sommer 1921 mit einer Serie von vier neu entwickelten Schlachtkreuzern, denen noch einmal vier Schlachtschiffe folgen sollten. Es drohte ein neues, diesmal weltweites Wettrüsten, das kaum weniger ruinös zu werden drohte als das deutsch-englische. Diesem Wettrüsten wäre das Britische Empire nach dem Aderlass des ersten Weltkrieges nicht mehr gewachsen gewesen.

Die Konferenzen von Washington und London

Die Washingtoner Flottenkonferenz von 1922

In dieser Situation sondierte die neu gewählte Regierung unter Präsident Warren G. Harding bei den großen Seemächten nach Möglichkeiten zu einer Marine-Abrüstungskonferenz. Die Regierungen Großbritanniens, Frankreichs und Italiens sagten zu; Japan erst nach einigem Zögern - man befürchtete dort, von den westlichen Großmächten "über den Löffel barbiert" zu werden. Am 12. November 1921 trat die Konferenz der fünf großen Seemächte zusammen. Die amerikanischen Gastgeber legten ihre zentralen Vorschläge auf den Verhandlungstisch, die nach erstaunlicher kurzer Zeit im Wesentlichen in den Vertrag übernommen wurden. Die wichtigsten Punkte des am 6. Februar 1922 geschlossenen Vertrages lauteten:

Die USS Lexington durfte nach den Vertragsvereinbarungen nicht als Schlachtkreuzer fertiggestellt werden und wurde daher zum Flugzeugträger umkonstruiert.
  • Ein Zehnjähriger Baustop für alle Großkampfschiffe;
  • Herstellung eines Verhältnisses von 5 (US) : 5 (GB) : 3 (J) : 1,75 (F) : 1,75 (I);
  • Ausgehend von der gegenwärtigen Zahl in den einzelnen Flotten eine Begrenzung der Höchstzahl an Großkampfschiffen auf 20 britische, 18 US-amerikanische, 10 japanische, 7 französische und 6 italienische.
  • Begrenzung der einzelnen Flugzeugträger auf 27.000  ts und acht 20,3 cm-Geschütze;
  • Begrenzung der einzelnen Schlachtschiffneubauten auf 35.000  ts und ein Kaliber von höchstens 40,6 cm;
  • Begrenzung aller anderen Schiffstypen auf höchstens 10.000  ts und 20.3 cm-Geschütze;
  • Neubauten an Großkampfschiffen dürfen nur dem Ersatz veralteter Einheiten nach frühestens 20 Jahren dienen;
  • Verpflichtung Großbritanniens und der USA, ihre Stützpunkte im Pazifik nicht auszubauen;
  • Der Vertrag war gültig bis 1946 (oder bis zwei Jahre nach Kündigung eines der Mitglieder).
Der erste "Washington-Kreuzer": die japanische Kako

In Tonnage ausgedrückt durften die USA und Großbritannien 500.000 ts an Großkampfschiffen besitzen, Japan 300.000 ts und Frankreich und Italien je 175.000 ts. Durch die Festlegung auf 35.000 ts pro Schiff würde dies später zu den Obergrenzen 525.000 ts bzw. 315.000 ts führen. Gleiches galt für die Flugzeugträger, für die die Obergrenzen von 135.000 ts (US & GB), 81.000 ts (J) und 60.000ts (F & I) galten. Die qualitativen Grenzen für die anderen Schiffsklassen führten zur Entwicklung von Kreuzern, die unter dem Begriff "Washingtonkreuzer" bekannt wurden.

Es gab noch gewisse Ausnahmeregelungen, die etwa Großbritannien den sofortigen Neubau zweier Schlachtschiffe ("Nelson" und "Rodney") gestatteten sowie Frankreich und Italien erlaubten, mit dem Ersatz veralteter Schiffe 1927 zu beginnen. Die "Non-Fortification"-Klausel wurde aufgenommen, um Japans Zustimmung zum Ersatz des britisch-japanischen Bündnisses durch einen neuen "Vier-Mächte-Pakt" im Pazifik zu erlangen.

Der Washingtoner Flottenvertrag war in der Neuzeit der erste Abrüstungsvertrag. Allerdings zeigten die folgenden Jahre, dass die einzelnen Seemächte dem "Geiste der Abrüstung" mehr oder weniger fernstanden: In den kleineren Schiffsklassen, bei denen die Gesamttonnage nicht begrenzt war, setzte alsbald ein neues Wettrüsten ein - diesmal bei den Kreuzern. Der US-Präsident Calvin Coolidge berief daher im Februar 1927 eine neue Flottenrüstungskonferenz zu Genf ein, die jedoch ein ziemlicher Fehlschlag war: Frankreich und Italien nahmen gar nicht erst teil, da sie sich nicht weiter einschränken lassen wollten; und Großbritannien verlangte, bedingt durch die weit verzweigten überseeischen Aufgabengebiete der Royal Navy, eine Zahl an Kreuzern, die die US-Delegation nicht zu akzeptieren gewillt war. Die Konferenz löste sich ohne Ergebnis auf.

Die Londoner Konferenz von 1930

Um das Problem mit dem Rüstungswettlauf bei den Kreuzern in den Griff zu bekommen und um Klarheit darüber zu gewinnen, wie die Flottenrüstung nach Ablauf der in Washington vereinbarten zehnjährigen Baupause weitergehen sollte, traten Delegationen aus Großbritannien, den USA und Japan am 22. Januar 1930 in London zusammen. Frankreich und Italien nahmen nur beobachtend teil, beide fühlten sich schon 1922 ungerechterweise zurückgesetzt. Der Vertrag vom 22. April legte fest:

  • Verlängerung der Baupause bis 1936; Frankreich und Italien verpflichteten sich nur ihre jeweils zwei seit 1927 zustehenden Ersatzbauten zu beginnen;
  • Herstellung des grundlegenden Schlachtschiffverhältnisses von 15 : 15 : 9 Einheiten durch Verschrottung überzähliger Schiffe;
  • Modifizierung des Washington-Verhältnisses für Kreuzer zugunsten Japans auf 10 (US) : 10 (GB) : 7 (J);
  • Festlegung einer Obergrenze bei den Kreuzern, die nun in zwei Typen unterschieden wurden:
Typ Großbritannien USA Japan
Kaliber über 15,2 cm
"Schwerer Kreuzer"
höchstens 15 Schiffe
146.800 ts
höchstens 18 Schiffe
180.000 ts
höchstens 12 Schiffe
108.400 ts
Kaliber unter 15,2 cm
"Leichter Kreuzer"
192.200 ts 143.500 ts 100.450 ts
Insgesamt: 339.000 ts 323.500 ts 208.850 ts
  • Höchstgrenze für Zerstörerbestand auf 150.000 ts (US & GB) bzw. 105.000 ts (J);
  • Qualitative Höchstgrenze für Zerstörer auf 1.850 ts (Flottillenführer) bzw. 1.500 ts (normal) und 12,7 cm-Geschütze;
  • Begrenzung des U-Boot-Bestandes auf je 52.700 ts, pro Boot höchstens 2.000 ts;
  • Festlegung des U-Boot-Einsatzes im Rahmen der Prisenordnung für Überwasserschiffe.
US-Schlachtschiff USS Florida 1930 in Kiel, bevor es aufgrund des Londoner Vertrages abgewrackt werden musste.

Großbritannien, nach den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges darauf bedacht, die U-Boot-Waffe ganz abzuschaffen, konnte sich freuen, dass zumindest dieser letzte Punkt von allen fünf Seemächten akzeptiert wurde. Allerdings bröckelte die britische Seeherrschaft immer weiter ab, da es nicht gelang, Frankreich und Italien auf eine Höchstgrenze für Kreuzer und kleinere Einheiten festzulegen. Stattdessen gingen nun alle Seemächte zum verstärkten Bau von Leichten Kreuzern über. Immerhin sahen sich die drei großen Seemächte für weitere sechs Jahre von den finanziellen Belastungen des Großkampfschiffbaus befreit; Japan indes nur widerwillig, da es bereits seine expansionistische Politik in Ostasien vorbereitete. Nicht zuletzt aufgrund der Weigerung Frankreichs und Italiens zu weiteren Einschränkungen enthielt der Vertrag Klauseln, die es ermöglichten, die Washington-Grenzen im Falle der Aufrüstung anderer Staaten zu überschreiten.

Die Londoner Konferenz von 1936

Die nächste Konferenz der großen Seemächte berief Großbritannien für Ende 1935 ein. Sie stand von Beginn an unter keinem guten Stern: Japan war 1933 aus dem Völkerbund ausgetreten und ließ seit 1931 mit der Invasion in der Mandschurei keinen Zweifel an seinen Ambitionen. Ende 1934 kündigte Japan die Verträge von Washington und London fristgerecht zum Jahresende 1936. Zwar schickte Japan noch eine Delegation zur Konferenz; diese reiste aber vorzeitig wieder ab, als ihre Forderung nach voller Parität mit den angelsächsischen Seemächten rundweg abgelehnt worden war. In Europa hingegen rüstete Deutschland immer hemmungsloser auf. Mussolini verweigerte eine Teilnahme Italiens aufgrund der Völkerbundsanktionen wegen seines Vorgehens in Abessinien (siehe auch Italienisch-Äthiopischer Krieg).

Während also mit der dritt- und der fünftgrößten Seemacht bei der Konferenz nicht mehr zu rechnen war, machte sich im Vorfeld der maritime "Habenichts" Deutschland daran, das internationale Flottensystem zu sprengen - aufgrund der deutschen Rüstungen konnte nicht davon ausgegangen werden, dass Frankreich sich zu irgendwelchen weiteren Vertragsbindungen bereitfinden würde. In dem Bemühen, zumindest auf irgendeine Art ein System der Rüstungsbegrenzung aufrechtzuerhalten, schloss die britische Regierung am 18. Juni 1935 mit Hitler das Deutsch-britische Flottenabkommen, das die deutsche Flotte auf 35% der britischen beschränkte. 35% aber waren wie 5/1,75 ein ebenso hoher Anteil wie der 1922 für Frankreich und Italien festgelegte. Dieses Abkommen sollte nur das Vorspiel zur Einbindung Deutschlands in das internationale System von Washington/London sein, diese scheiterte aber am Einspruch Frankreichs. Die einzigen drei Unterzeichner des Vertrages vereinbarten:

  • Reduzierung des Höchstkalibers für Schlachtschiffe auf 35,6 cm, falls Japan und Italien zustimmten;
  • Reduzierung der Grenzen für Flugzeugträger auf 23.000 ts / 15,2 cm;
  • Reduzierung der Höchsttonnage für Leichte Kreuzer auf 8.000 ts;
  • Baupause für Schwere Kreuzer und aller Schiffe, die zwischen 8.000 ts und 17.500 ts verdrängten und ein Kaliber über 20,3 cm besaßen, bis Ende 1942.

Es wurden ferner einige weniger wichtige Angleichungen bei den kleinen Schiffen vollzogen. Der letzte genannte Punkt war unmittelbar gegen die deutschen Panzerschiffe gerichtet - keine andere Marine besaß Schiffe mit den genannten Spezifikationen. Den Verantwortlichen der deutschen Kriegsmarine konnte dies zwar gleichgültig sein - sie hatten ohnehin nicht vor, weitere Panzerschiffe des Typs "Deutschland" zu bauen -, man fühlte sich aber in der Ablehnung der internationalen Konferenz bestätigt.

In einer Reihe von bilateralen Verträgen versuchte Großbritannien in der Folgezeit, auch kleinere Seemächte an das Vertragswerk zu binden, so am 17. Juli 1937 mit der Sowjetunion und am selben Tage auch mit Deutschland, das die qualitativen Bestimmungen anerkannte. Am 16. April 1938 trat dann auch Italien bei. Da unklar war, was für eine Baupolitik in Japan durchgeführt wurde, einigten sich die Unterzeichnerstaaten der Verträge am 30. Juni 1938 darauf, die Höchstgrenze für Schlachtschiffe auf 45.000 ts und 40,6 cm-Geschütze heraufzusetzen.

Der Zusammenbruch des Systems der Rüstungsbegrenzung

Als im Juni 1938 der letzte Flottenvertrag unterzeichnet wurde, befand sich das System von Washington bereits in völliger Auflösung. Frankreich und Italien, im Mittelmeer konkurrierend, begannen ein Wettrüsten, das durch den Aufbau der deutschen Flotte ab 1935 noch verstärkt wurde. Alarmiert durch das japanische Vorgehen und die Geheimhaltung der Größe der neu auf Kiel gelegten japanischen Schiffe begannen schließlich auch die USA und Großbritannien, neue Serien an Schlachtschiffen und anderen Kampfschiffen in Bau zu geben. Das Wettrüsten hatte begonnen und begrub ein System, das von Anfang an darunter litt, dass nirgends ein wirklicher Wille zur Abrüstung erkennbar war - kaum wurde für einen Schiffstyp eine Grenze festgelegt oder ein Baustop vereinbart, wurde reihenweise der nächstkleinere gebaut; die Überschreitung der Tonnagegrenzen bei den einzelnen Schiffen galt ohnehin als Kavaliersdelikt.

Literatur

  • Elmar B. Potter/Chester W. Nimitz/Jürgen Rohwer: Seemacht. Eine Seekriegsgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart, Herrsching 1982

Weblinks


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