Lujo Brentano

Lujo Brentano
Lujo Brentano, 1890

Lujo Brentano (* 18. Dezember 1844 in Aschaffenburg; † 9. September 1931 in München) war ein deutscher Wirtschaftswissenschaftler und Sozialreformer.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Wirken

Er wurde hineingeboren in die prominente, aus Italien stammende katholische Intellektuellenfamilie Brentano: die Geschwister seines Vaters Christian Brentano waren die Schriftsteller Clemens Brentano und Bettina von Arnim, sein älterer Bruder der Philosoph und Psychologe Franz Brentano.

Nach dem Besuch des Gymnasiums in Augsburg und Aschaffenburg studierte Brentano an den Universitäten in Dublin (Trinity College), Münster, München, Heidelberg (Dr. iur.), Würzburg, Göttingen (Dr. rer.pol.) und Berlin (Habilitation in Staatswissenschaften 1871). Er war Professor an den Universitäten Breslau, Straßburg, Wien, Leipzig und zuletzt München (1891–1916). 1874 heiratete er Valeska Erbreich (* 13. Januar 1851; † 28. Oktober 1918). Sie hatten eine gemeinsame Tochter Sophie, genannt Sissi (1874-1956).

Brentano, 1927

Brentano war ein „Kathedersozialist“ (also ein Reformist und Vertreter eines „Dritten Weges“), bedeutender Vertreter der Historischen Schule und Gründungsmitglied des Vereins für Socialpolitik Gleichwohl bediente er sich schon ansatzweise formaler Methoden.

In seinen Schriften begründete er, warum die Gewerkschaften und ihre Arbeitskampfmittel ein konstitutives Element der Marktwirtschaft seien: Erst sie würden den Angebotszwang, unter denen Lohnarbeiter stünden, elastischer machen. Brentano setzte also im Gegensatz zu anderen "Kathedersozialisten" weniger auf den Staat als Schutzinstanz der Arbeiterschaft, sondern vor allem auf das prinzipiell gleichberechtigte Gegenüber der Arbeitsmarktparteien beim Abschluss von Kollektivvereinbarungen; in diesem Sinne kann er als früher "Sozialliberaler" verstanden werden.

1914 gehörte Brentano zu den Unterzeichnern des Manifest der 93.

Sein Einfluss auf die Soziale Marktwirtschaft und auch persönlich auf die führenden Politiker der Gründungsphase der Bundesrepublik Deutschland (Theodor Heuss war sein Student und Doktorand) kann kaum überschätzt werden. Einer seiner Studierenden, der Japaner Fukuda Tokuzō (Familienname Fukuda, 1874-1930, ab 1898 dreijähriger Deutschlandaufenthalt, später Professor an der Handelshochschule Tōkyō, der heutigen renommierten Hitotsubashi Universität, sowie an der Keiō gijuku Universität) brachte Teile seiner Lehre nach Japan, wandte sich gegen den Einfluss des Marxismus in den entstehenden Sozialwissenschaften und leistete sich in diesem Zusammenhang eine berühmte Theoriedebatte mit Kawakami Hajime über das Wesen des Kapitalismus. Brentanos Einfluss liegt aber mehr in seiner Funktion als Lehrer und Sozialreformer denn als Wirtschaftswissenschaftler. Seine im hohen Alter geschriebene Autobiographie (1931, s.u.) ist vielleicht sein bedeutendstes Werk.

NB: Brentanos Name wird oft als "Ludwig Joseph" wiedergegeben; "Lujo" sei nur eine Zusammenziehung oder eine Art Spitzname. Das ist jedoch falsch; Lujo, der amtliche Vorname, ist eine Mischform der Vornamen seiner beiden Taufpaten Louis Brentano, ein Vetter, und Dr. Joseph Merkel (s. die Autobiographie, S. 18, Neuedition S. 55).

Werk (Auswahl)

  • Die Arbeitergilden der Gegenwart. 2 Bde. (Leipzig 1871 und 1872) Duncker und Humblot. Nachdruck 2003 Elibron Classics.
  • Die Arbeiterversicherung gemäss der heutigen Wirtschaftsordnung. (Leipzig 1879): Duncker und Humblot.
  • Meine Polemik mit Karl Marx. Zugleich ein Beitrag zur Frage des Fortschritts der Arbeiterklasse und seiner Ursachen. Verlag Walther & Apolant, Berlin 1890 (Reprint: Carl Slienger, London 1976) (History of Marxism Series Volume 5 )
  • Arbeitseinstellungen und Fortbildung des Arbeitsvertrags (Leipzig 1890): Duncker und Humblot.
  • Ethik und Volkswirtschaft in der Geschichte. November 1901. (München 1901): Wolf.
  • Wie studiert man Nationalökonomie. (München 1919): Reinhardt.
  • Der wirtschaftende Mensch in der Geschichte. (Leipzig 1923): Meiner.
  • Konkrete Bedingungen der Volkswirtschaft. (Leipzig 1924): Meiner. Neuauflage herausgegeben von Hans G. Nutzinger (Marburg 2003): Metropolis.
  • Das Wirtschaftsleben der antiken Welt. (Jena 1929): Fischer.
  • Mein Leben im Kampf um die soziale Entwicklung Deutschlands. (Jena 1931): Diederichs. Neuauflage herausgegeben von Richard Bräu und Hans G. Nutzinger (Marburg 2004): Metropolis.
  • Der tätige Mensch und die Wissenschaft von der Wirtschaft. Schriften zur Volkswirtschaftslehre und Sozialpolitik (1877-1924) Herausgegeben und eingeleitet von Richard Bräu und Hans G. Nutzinger (Marburg 2006): Metropolis.
  • Der wirtschaftende Mensch in der Geschichte. (1923) Herausgegeben und eingeleitet von Richard Bräu und Hans G. Nutzinger (Marburg 2008): Metropolis.

Literatur

  • Eleanor Marx-Aveling: Wie Lujo Brentano zitirt. In: Die Neue Zeit 13.Jg. 1894-95, 1. Bd.(1895), Heft 9, S. 260 - 266 online
  • Friedrich Engels: In Sachen Brentano contra Marx. Wegen angeblicher Citatsfälschung. Geschichtserzählung und Dokumente. Otto Meißner, Hamburg 1891
  • Michael Seewald: Lujo Brentano und die Ökonomien der Moderne. Wissenschaft als Erzählung, Empirie und Theorie in der deutschen ökonomischen Tradition (1871 - 1931) Metropolis-Verlag, Marburg, 2010 ISBN 978-3-89518-829-9
  • Otto Tiefelstorf: Die sozialpolitischen Vorstellungen Lujo Brentanos. Dissertation, Köln 1973 (enthält auf S. 194–235 ein ausführliches Werkverzeichnis sowie eine Bibliographie der Sekundärliteratur)

Weblinks

 Commons: Lujo Brentano – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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