- Manifest der 93
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Als Manifest der 93 wird die Schrift Aufruf an die Kulturwelt bezeichnet, die im September 1914 von Ludwig Fulda als Schriftführer verfasst und von 93 Wissenschaftlern, Künstlern und Schriftstellern Deutschlands unterzeichnet wurde. In diesem Manifest werden die Vorwürfe der Kriegsgegner des Ersten Weltkrieges bestritten und es wird zur Solidarisierung mit dem deutschen Volk aufgerufen, weil es den „höchsten Besitz der Menschheit“ hüte.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Der Aufruf war ein Ausdruck der bildungsbürgerlichen Ideen von 1914 und wurde von prominenten Intellektuellen verfasst. In diesem wurde die deutsche Politik und Kriegsführung verteidigt, während es bereits zu deutschen Übergriffen auf die belgische Zivilbevölkerung kam und der kulturhistorische Bestand der Bibliothek der Katholischen Universität Löwen vernichtet wurde. Hinsichtlich der Anzahl der Unterzeichner, aber auch der Radikalität der Aussagen wurde das Manifest von der Erklärung der Hochschullehrer mit mehr als 3000 Unterzeichnern vom 16. Oktober 1914 noch übertroffen.[1]
Der Text versuchte den deutschen Militarismus zu verteidigen und behauptete Kriegsgräuel in Belgien zu widerlegen. Er zielte insbesondere auf die Beeinflussung der öffentlichen Meinung in den neutralen Staaten.
Der Aufruf wurde vom Kaufmann Erich Buchwald angeregt, der über diese Angelegenheit schon mit dem Schriftsteller Hermann Sudermann geredet hatte. An der Vorbereitung waren neben verschiedenen Wissenschaftlern und Schriftstellern auch Vertreter des Außenministeriums und des Chefs des Nachrichtenbüros des Reichsmarineamtes und andere Persönlichkeiten beteiligt. Ludwig Fulda verfasste schließlich das Manifest in Anlehnung an die 95 Thesen von Martin Luther.
Die Initiatoren warben seit dem 19. September 1914 persönlich und telegraphisch um Unterstützer. Das Spektrum der Unterzeichner war breit gestreut. Ausgewiesene Pazifisten wie Albert Einstein, Friedrich Wilhelm Förster oder Hermann Hesse wurden indes erst gar nicht gefragt. Andere wie Lujo Brentano oder Max Planck haben sich bald distanziert, weil sie den Text nicht kannten.[2]
Die Veröffentlichung erfolgte in allen großen Zeitungen Deutschlands.[3]
Rezeption
Dem Manifest wurde als Mittel der Propaganda im Ersten Weltkrieg in In- und Ausland eine beachtliche Aufmerksamkeit zuteil. Es gilt als ein Beispiel für eine arrogante und naive Selbstüberschätzung der deutschen Intellektuellen.
Im Inland trug der Aufruf zur allgemeinen Kriegsbegeisterung in Deutschland bei (und war auch Folge derselben). Die Begründung des Krieges mit dem Begriff der Kultur wurde allgemein als Ausdruck eines nationalen „Sonderwegsbewusstseins“ wahrgenommen („Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“)[4].
Der erhoffte Erfolg im Ausland blieb aus. Bestenfalls kühl-distanziert reagierte man in den neutralen Niederlande, in Schweden oder in den USA. Kaum beeindruckt zeigte sich die Öffentlichkeit in Großbritannien. Den Hass auf Deutschland verstärkt hat der Aufruf in Frankreich.[2]
Georg Friedrich Nicolai verfasste wenige Tage nach der Veröffentlichung des „Manifests der 93“ seinen „Aufruf an die Europäer“, der auch von Albert Einstein, Otto Buek und Wilhelm Foerster unterzeichnet worden ist, in dem er diesen Krieg als Quelle künftiger Kriege ansah, wenn nicht Europa sofort als Einheit aufträte.
Wortlaut
„An die Kulturwelt! Ein Aufruf Wir als Vertreter deutscher Wissenschaft und Kultur erheben vor der gesamten Kulturwelt Protest gegen die Lügen und Verleumdungen, mit denen unsere Feinde Deutschlands reine Sache in dem ihm aufgezwungenen schweren Daseinskampfe zu beschmutzen trachten. Der eherne Mund der Ereignisse hat die Ausstreuung erdichteter deutscher Niederlagen widerlegt. Um so eifriger arbeitet man jetzt mit Entstellungen und Verdächtigungen. Gegen sie erheben wir laut unsere Stimme. Sie soll die Verkünderin der Wahrheit sein. Es ist nicht wahr, daß Deutschland diesen Krieg verschuldet hat. Weder das Volk hat ihn gewollt noch die Regierung noch der Kaiser. Von deutscher Seite ist das Äußerste geschehen, ihn abzuwenden. Dafür liegen der Welt die urkundlichen Beweise vor. Oft genug hat Wilhelm II. in den 26 Jahren seiner Regierung sich als Schirmherr des Weltfriedens erwiesen; oft genug haben selbst unsere Gegner dies anerkannt. Ja, dieser nämliche Kaiser, den sie jetzt einen Attila zu nennen wagen, ist jahrzehntelang wegen seiner unerschütterlichen Friedensliebe von ihnen verspottet worden. Erst als eine schon lange an den Grenzen lauernde Übermacht von drei Seiten über unser Volk herfiel, hat es sich erhoben wie ein Mann. Es ist nicht wahr, daß wir freventlich die Neutralität Belgiens verletzt haben. Nachweislich waren Frankreich und England zu ihrer Verletzung entschlossen. Nachweislich war Belgien damit einverstanden. Selbstvernichtung wäre es gewesen, ihnen nicht zuvorzukommen.
Es ist nicht wahr, daß eines einzigen belgischen Bürgers Leben und Eigentum von unseren Soldaten angetastet worden ist, ohne daß die bitterste Notwehr es gebot. Denn wieder und immer wieder, allen Mahnungen zum Trotz, hat die Bevölkerung sie aus dem Hinterhalt beschossen, Verwundete verstümmelt, Ärzte bei der Ausübung ihres Samariterwerkes ermordet. Man kann nicht niederträchtiger fälschen, als wenn man die Verbrechen dieser Meuchelmörder verschweigt, um die gerechte Strafe, die sie erlitten haben, den Deutschen zum Verbrechen zu machen. Es ist nicht wahr, daß unsere Truppen brutal gegen Löwen gewütet haben. An einer rasenden Einwohnerschaft, die sie im Quartier heimtückisch überfiel, haben sie durch Beschießung eines Teils der Stadt schweren Herzens Vergeltung üben müssen. Der größte Teil von Löwen ist erhalten geblieben. Das berühmte Rathaus steht gänzlich unversehrt. Mit Selbstaufopferung haben unsere Soldaten es vor den Flammen bewahrt. – Sollten in diesem furchtbaren Kriege Kunstwerke zerstört worden sein oder noch zerstört werden, so würde jeder Deutsche es beklagen. Aber so wenig wir uns in der Liebe zur Kunst von irgend jemand übertreffen lassen, so entschieden lehnen wir es ab, die Erhaltung eines Kunstwerks mit einer deutschen Niederlage zu erkaufen. Es ist nicht wahr, daß unsere Kriegführung die Gesetze des Völkerrechts mißachtet. Sie kennt keine zuchtlose Grausamkeit. Im Osten aber tränkt das Blut der von russischen Horden hingeschlachteten Frauen und Kinder die Erde, und im Westen zerreißen Dumdumgeschosse unseren Kriegern die Brust. Sich als Verteidiger europäischer Zivilisation zu gebärden, haben die am wenigsten das Recht, die sich mit Russen und Serben verbünden und der Welt das schmachvolle Schauspiel bieten, Mongolen und Neger auf die weiße Rasse zu hetzen. Es ist nicht wahr, daß der Kampf gegen unseren sogenannten Militarismus kein Kampf gegen unsere Kultur ist, wie unsere Feinde heuchlerisch vorgeben. Ohne den deutschen Militarismus wäre die deutsche Kultur längst vom Erdboden getilgt. Zu ihrem Schutz ist er aus ihr hervorgegangen in einem Lande, das jahrhundertelang von Raubzügen heimgesucht wurde wie kein zweites. Deutsches Heer und deutsches Volk sind eins. Dieses Bewußtsein verbrüdert heute 70 Millionen Deutsche ohne Unterschied der Bildung, des Standes und der Partei. Wir können die vergifteten Waffen der Lüge unseren Feinden nicht entwinden. Wir können nur in alle Welt hinausrufen, daß sie falsches Zeugnis ablegen wider uns. Euch, die Ihr uns kennt, die Ihr bisher gemeinsam mit uns den höchsten Besitz der Menschheit gehütet habt, Euch rufen wir zu: Glaubt uns! Glaubt, daß wir diesen Kampf zu Ende kämpfen werden als ein Kulturvolk, dem das Vermächtnis eines Goethe, eines Beethoven, eines Kant ebenso heilig ist wie sein Herd und seine Scholle. Dafür stehen wir Euch ein mit unserem Namen und mit unserer Ehre! “– Manifest der 93: (93 Unterzeichner – Berlin, 4. Oktober 1914)
Unterzeichnende
Literatur
- Ulf Gerrit Meyer-Rewerts, Hagen Stöckmann: Das "Manifest der 93". Ausdruck oder Negation der Zivilgesellschaft?, in: Johanna Klatt/Robert Lorenz (Hrsg.): Manifeste. Geschichte und Gegenwart des politischen Appells, Bielefeld 2011, ISBN 978-3-8376-1679-8, S. 113-134.
- Jürgen von Ungern-Sternberg, Wolfgang von Ungern-Sternberg: Der Aufruf „An die Kulturwelt!“. Steiner, Stuttgart 1996, ISBN 3-515-06890-2.
Weblinks
- Sozialistische Positionen: Deutsche Kriegskultur 1914
- Text des Manifests
Einzelnachweise
- ↑ Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Band 4. Vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914–1949. München, 2003, S. 19.
- ↑ a b Rüdiger vom Bruch u.a.: Gelehrtenpolitik, Sozialwissenschaften und akademische Diskurse in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert. Stuttgart 2006, S. 164
- ↑ Die Spiegelserie über den 1. Weltkrieg und die Folgen (Spiegel special 1/2004).
- ↑ Jürgen von Ungern-Sternberg, Wolfgang von Ungern-Sternberg: Der Aufruf „An die Kulturwelt“. Das Manifest der 93 und die Anfänge der Kriegspropaganda im Ersten Weltkrieg. Mit einer Dokumentation. Stuttgart 1996.
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