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Der Massenanfall von Verletzten und Erkrankten (MANV) bezeichnet eine Situation, bei der eine große Zahl von Betroffenen versorgt werden muss, zum Beispiel bei Eisenbahnunglücken, Bombenattentaten, Lebensmittelvergiftungen oder Flugzeugabstürzen.
Dabei stößt der reguläre Rettungsdienst einer Region sehr schnell an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit. Typisch ist dabei die Überforderung der ersteintreffenden Rettungsmittel, die sich sowohl erheblichen medizinischen als auch organisatorischen Anforderungen gegenüber sehen.
Es wird dagegen nicht als MANV angesehen, wenn ein Spitzenbedarf auftritt, bei dem zufällig mehrere einzelne Notfälle zur gleichen Zeit versorgt werden müssen oder wenn für einzelne Notfälle Spezialmaterial (Schutzausrüstung, technische Hilfe) notwendig ist, das ggfs. auch aus weiterer Entfernung herangeführt werden muss.
Um nicht nur Verletzte sondern auch Erkrankte oder „nur“ betreuungsbedürftige Betroffene mit zu erfassen, wird manchmal das Kürzel MANV mit Massenanfall an Versorgungs- und Hilfebedürftigen assoziiert.
Inhaltsverzeichnis
Definitionen
Die deutsche Norm DIN 13050 (Begriffe im Rettungsdienst) unterscheidet den Massenanfall von Verletzten oder Erkrankten (MANV) (Nr. 3.21 ff.) als „einen Notfall mit einer größeren Anzahl von Verletzten oder Erkrankten sowie anderen Geschädigten oder Betroffenen, der mit der vorhandenen und einsetzbaren Vorhaltung des Rettungsdienstes aus dem Rettungsdienstbereich versorgt werden kann.“ von der Katastrophe als „ein Schadensereignis mit einer Zerstörung der örtlichen Infrastruktur, das mit den Mitteln und Einsatzstrukturen des Rettungsdienstes alleine nicht bewältigt werden kann.“ Das Ausrufen einer Katastrophe obliegt den Verwaltungsstrukturen des Landkreises oder der kreisfreien Stadt. Katastrophen können auch ausgerufen werden, wenn die Infrastruktur zerstört ist, ohne dass primär eine Vielzahl Verletzter oder Erkrankter vorliegt (z. B. Hochwasser)
MANV-Stufen
Zur abgestuften Planung des Einsatzmanagements bei einem MANV bietet sich eine Einteilung an, die sich an der Anzahl der Betroffenen, den vorhandenen Möglichkeiten bzw. der Notwendigkeit spezieller Ressourcen, des betroffenen Gebiets sowie den technischen und fachspezifischen Voraussetzungen der ortsansässigen Ersthelfer orientiert.
In Deutschland ist eine entsprechende MANV-Stufeneinteilung der „Planungsplattform des Deutschen Städtetages“ geläufig . Dabei ist zu beachten, dass die konkrete Maßnahmenplanung örtlich sehr unterschiedlich ausfällt. In Großstädten existieren z. B. ganz andere Versorgungsmöglichkeiten und tägliche Vorhaltungen als in einer eher ländlichen Gegend, in denen schon eine wesentlich geringere Anzahl von Verletzten die Einsatzkräfte vor erhebliche Kapazitätsprobleme stellen kann.
Die angegebenen Beispiele markieren ‚Meilensteine‘ im deutschen Katastrophenschutz, die immer wieder Anlass zu Neukonzeptionen gaben.
Stufe 1
Der MANV-Stufe 1 kann mit eigenen Verstärkungskräften (Schnelleinsatzgruppen) und Hilfe aus benachbarten Rettungsdienstbereichen abgearbeitet werden. Als Anzahl der Betroffenen wird dabei etwa bis zu 50 Personen angenommen.
Typische Beispiele sind Verkehrsunfälle mit Reisebussen oder Brände in Wohnanlagen.
Stufe 2
Bei der MANV-Stufe 2 sind überregionale Ressourcen notwendig, die weit über die übliche nachbarschaftliche Hilfe hinausgehen. Die Betroffenenanzahl wird hierbei auf ca. 50 bis 500 Personen geschätzt.
Klassische Beispiele dafür sind Eisenbahnunglücke, zum Beispiel das ICE-Unglück von Eschede 1998 oder das Zugunglück von Brühl 2000. Ein erster, für den Katastrophenschutz heutiger Prägung entscheidender Fall dieser Kategorie war das Oktoberfestattentat in München 1980, der auch sehr gut illustriert, dass eine Großstadt mit ihren Ressourcen eine erhebliche Anzahl von Patienten verkraften kann: Es musste trotz mehr als 200 Betroffenen nicht auf überörtliche Kräfte zurückgegriffen werden.
Stufe 3
Die MANV-Stufe 3 erfordert bereits länderübergreifende und internationale Hilfe. Das ist bei einer Betroffenenanzahl von mehr als 500 Personen der Fall.
Ein bekanntes Beispiel für diese Größenordnung ist das Flugtagunglück von Ramstein 1988 und auch die Tanklastzugkatastrophe von Los Alfaques 1978, die auf Grund der zahlreichen betroffenen deutschen Urlauber zu wertvollen Impulsen im deutschen Katastrophenschutz führte (zum Beispiel zur Massen-Rückholung verletzter Deutscher aus dem Ausland, die Einrichtung von Bettennachweisen für Brandverletzte und der zentralen Vorhaltung von Brandverletzten-Versorgungsmaterial).
Stufe 4
Die höchste MANV-Stufe 4 ist gekennzeichnet durch zerstörte Infrastruktur, die trotz massiver externer Hilfe die Bewältigung erheblich erschwert.
Wegweisende Beispiele für den Katastrophenschutz waren in diesem Zusammenhang die Hamburger Sturmflut von 1962 und das Elbehochwasser 2002.
Nach den Anschlägen am 11. September 2001 und im Zuge der Planungen zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 wurde in Deutschland im Bereich der Stufen 3 und 4 die Versorgung einer Größenordnung von ca. 1000 Patienten zur Planungsgröße. Dies soll auch als Zielansatz für den deutschen Katastrophenschutz weiter beibehalten werden, dazu werden derzeit die Erfahrungen der Gefahrenabwehr-Konzepte zur Fußball-WM ausgewertet.
Höhere Zahlen als 1000 sind allerdings keinesfalls auszuschließen.
Überregionale Hilfeleistung beim MANV (ÜMANV)
Ein Kennzeichen der Hilfe beim Massenanfall von Verletzten ist die überregionale Hilfeleistung. Hierzu wurde der Begriff ÜMANV geprägt (Ü = „Überregionale Hilfe“).
Zur Standardisierung wurden ÜMANV-Untergruppen geschaffen, unter denen überregionale Hilfe angefordert werden kann. Folgende Einteilung hat sich in Fachkreisen durchgesetzt:[1]
- Ü-MANV - S (Sofort): hier werden eine bestimmte vorher festgelegte Zahl an Rettungsmitteln (NEF, RTW, KTW) entsandt
- Ü-MANV - T (Transport): hier wird eine größere Transportkapazität (zahlreiche RTW und KTW) entsandt (siehe Ü-MANV - S)
- Ü-MANV - B (Behandlungsplatz): hier wird ein eigenständig betriebsfähiger Behandlungsplatz geschickt
- Ü-MANV - U (Unfallhilfsstelle): mit diesem Stichwort wird eine Hilfsstelle mit stationärer Versorgung und mobilen Sanitätstrupps angefordert, vorrangig zur Verstärkung eines Sanitätswachdienstes oder zur Absicherung von Einsatzstellen mit Verletzungspotential (Sicherheitsbereitstellung)
Im Detail unterscheiden sich die Ausgestaltungen dieser Gruppen: Manche Einsatzpläne legen fixe Vorgaben der Anzahl an zu entsendenden Rettungsmitteln und Größe der Behandlungsplätze fest, andere listen lediglich die Möglichkeiten der entsendenden Stellen auf, die dann sehr voneinander abweichen können.
Solche Ü-MANV-Gruppen sind in Hessen und Nordrhein-Westfalen aufgrund behördlicher Vorgaben etabliert. In Bayern wurde das Konzept ab November 2005 im Rahmen der Planungen zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 von den bayerischen Hilfsorganisationen eingeführt. Andere deutsche Bundesländer haben abweichende, gar keine oder lediglich lokal gültige Definitionen für die überregionale Hilfeleistung.
Ablauforganisation
Erstes Ziel der Bewältigung eines MANV ist die möglichst rasche Wiederherstellung adäquater Versorgungsmöglichkeiten. Deshalb werden Einsatzmittel aus benachbarten Regionen herangeführt und ggf. vorgehaltene Verstärkungskräfte (z. B. Schnelleinsatzgruppen, Einheiten des Katastrophenschutzes) alarmiert. Zusätzlich wird eine erweiterte Führungsstruktur geschaffen, in der eine Einsatzleitung (Organisatorischer Leiter, Leitender Notarzt und Hilfskräfte) die Maßnahmen koordinieren.
Die Versorgung der Patienten kann wie folgt untergliedert werden:
Patientenablage
Die Patienten werden von Ersthelfern und Rettungskräften an einer Patientenablage möglichst außerhalb des unmittelbaren Gefahrengebietes abgelegt.
Der Rettungsdienst/Sanitätsdienst übernimmt dort die Patienten und führt lebensrettende Sofortmaßnahmen durch. Zur Übersicht wird hier ggf. eine erste Triage durchgeführt. Falls möglich, werden die Patienten hier auch bereits mit Name und Fundort erfasst (registriert), um sie später zuordnen zu können (z. B. zu Hausnummern oder Zugwaggons).
Sie werden so zügig wie möglich einer zentralen Versorgung (Behandlungsplatz) oder wenn notwendig vorher einer Dekontamination zugeführt.
Die DIN 13050 definiert die „Patientenablage“ folgendermaßen: Eine Stelle an der Grenze des Gefahrenbereiches, an der Verletzte oder Erkrankte gesammelt und soweit möglich erstversorgt werden. Dort werden sie dem Rettungs-/Sanitätsdienst zum Transport an einen Behandlungsplatz oder weiterführende medizinische Versorgungseinrichtungen übergeben.
Dekontamination
Sind die Patienten mit giftigen Stoffen kontaminiert, müssen sie vor der weiteren Behandlung davon befreit werden, um die Stoffe nicht weiter zu tragen. Dies geschieht je nach Situation noch in der Nähe der Patientenablage, spätestens aber unmittelbar vor dem Behandlungsplatz (siehe dort).
Behandlungsplatz
Wenn nicht ausreichend Rettungsmittel bereit stehen oder noch weitere Maßnahmen durchgeführt werden müssen, um einen Patienten transportierten zu können, werden ein oder mehrere Behandlungsplätze eingerichtet.
Transport
Nach der notfallmedizinischen Versorgung und der Herstellung der Transportstabilität werden die Patienten in geeignete Krankenhäuser transportiert.
Die Patienten werden spätestens vor dem Abtransport namentlich registriert und an Auskunftsstellen weitergemeldet, um Angehörigen zeitnah über den Verbleib informieren zu können.
(Hilfs-)Krankenhaus
Die Patienten werden möglichst sinnvoll auf Krankenhäuser verteilt. Das bedeutet, dass geeignete Versorgungsmöglichkeiten ausgewählt werden (z. B. Schwerverletzte in Schwerpunktkliniken und Traumazentren) und einzelne Krankenhäuser nicht überlastet werden.
Dazu dient der Bettennachweis der Rettungsleitstelle, für Großeinsätze sind mancherorts auch Wellenpläne für das Transportmanagement vorbereitet (z. B. München). Auch der Begriff Patientenatlas wird dazu verwendet.
Es ist üblich, dass sich Krankenhäuser mit einem internen Ablaufschema auf die erhöhte Anzahl an Patienten einstellen und möglichst schnell Kapazitäten frei machen (z. B. durch die Absage nicht unbedingt notwendiger Operationen und Alarmierung von dienstfreiem Personal).
Falls es notwendig ist, müssen sogar Hilfskrankenhäuser errichtet werden, zum Beispiel wenn Fahrtwege nicht benutzbar sind oder reguläre Krankenhäuser keine Patienten mehr aufnehmen können.
Rettungsmittelhalteplatz
Der Rettungsmittelhalteplatz (früher auch Krankenkraftwagen-Halteplatz) wird nahe am Behandlungsplatz eingerichtet, um dort unter Führung des Transportkoordinators die zu transportierenden Patienten an die Fahrzeuge zu übergeben. Ein besonderer Rettungsmittelhalteplatz ist der Hubschrauberlandeplatz.
An solchen Halteplätzen ist wegen der Nähe zum Schadensgebiet meist nur wenig Bewegungsfreiheit, deshalb werden die anderen bereitstehenden Rettungsfahrzeuge üblicherweise aus einem weiter entfernten Bereitstellungsraum gezielt abgerufen.
Bereitstellungsraum
Im Bereitstellungsraum stehen noch nicht vor Ort eingesetzte Einheiten (z. B. Schnelleinsatzgruppen) und weitere Rettungsmittel (RTW, KTW, NAW usw., auch Mannschaftswagen und Busse) von der Einsatzstelle entfernt, um dort nicht die Wege zu blockieren.
Verfügungsraum
Im Verfügungsraum halten sich Einheiten bereit, die bei großen Schadenslagen überörtlich angefahren sind und deren Einsatzort noch nicht bestimmt ist.
Sammelraum
Der Sammelraum bezeichnet die Stelle, an der sich Einheiten, die überörtlich eingesetzt werden sollen, sammeln und zu einer größeren Einheit zusammengestellt werden. Die Anfahrt erfolgt dann gemeinsam.
Betreuung und Versorgung Unverletzter
Neben dem Massenanfall an Verletzten und Erkrankten ist auch mit einem hohen Aufkommen an Unverletzten zu rechnen. Diese werden vom Betreuungsdienst gesammelt und in Notunterkünften untergebracht bzw. zu anderen Unterkünften oder Angehörigen weitergeleitet.
Literatur
- H.Peter: Notarzt und Rettungsassistent beim MANV – Aufgaben des zuerst eintreffenden Rettungsteams, 3. Auflage 2001, Stumpf und Kossendey-Verlag, Edewecht, ISBN 3-932750-61-6
- J.Bittger: Großunfälle und Katastrophen – Einsatztaktik und -organisation, 1996, Schattauer-Verlag, Stuttgart, ISBN 3-7945-1712-1
Quellen
Weblinks
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