- Maßnahmenvollzug
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Der Maßnahmenvollzug (offiziell Mit Freiheitsentziehung verbundene vorbeugende Maßnahmen) bezeichnet in Österreich und Liechtenstein mehrere vorbeugende, freiheitsentziehende Maßnahmen zur Unterbringung von gefährlichen, verurteilten Verbrechern. Der Maßnahmenvollzug ist in weiten Teilen vergleichbar mit dem Maßregelvollzug im deutschen Strafrecht. Die Möglichkeit der Unterbringung im Maßnahmenvollzug wurde in Österreich mit der Strafrechtsreform vom 1. Januar 1975 erstmals geschaffen und ist sowohl im Strafvollzugsgesetz als auch im Strafgesetzbuch und in der Strafprozessordnung geregelt. In Liechtenstein wurde die Möglichkeit der Unterbringung erst im Jahr 1996 eingeführt.
Zum Stichtag 1. Dezember 2006 wurden in ganz Österreich 725 Personen in einer Form des Maßnahmenvollzugs angehalten.
Inhaltsverzeichnis
Allgemeines
Das österreichische Strafgesetzbuch kennt drei Arten des Maßnahmenvollzugs. Es sind dies der Maßnahmenvollzug gegen gefährliche Rückfallstäter (§ 23 StGB), gegen entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher (§ 22 StGB) und gegen geistesabnorme Rechtsbrecher (§ 21 StGB). Da das liechtensteinische Strafgesetzbuch in weiten Teilen wortwörtlich mit der österreichischen Fassung übereinstimmt, existiert auch in diesem mit den §§ 21 bis 23 StGB die Möglichkeit der Unterbringung im „Massnahmenvollzug“.
Die Anordnung des Maßnahmenvollzugs erfolgt zugleich mit der Urteilsverkündung. Im Gegensatz zur Strafhaft wird der Maßnahmenvollzug nicht zeitlich begrenzt ausgesprochen und es besteht keine Aussicht auf eine Aussetzung zur Bewährung. Dennoch hat das Gericht zumindest einmal pro Jahr, bei entwöhnungsbedürftigen Rechtsbrechern sogar alle 6 Monate, zu prüfen, ob eine weitere Anhaltung des Häftlings im Maßnahmenvollzug erforderlich ist. Die Zeit im Maßnahmenvollzug wird dem Verurteilten bei Unterbringung im Maßnahmenvollzug gegen geistesabnorme Rechtsbrecher sowie gegen entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher auf seine normale Haftzeit angerechnet. Maßnahmen gegen gefährliche Rückfallstäter werden erst nach Verbüßung der normalen Freiheitsstrafe ausgeführt. Voraussetzung für die Unterbringung im Maßnahmenvollzug ist eine rechtskräftige Verurteilung zu mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe.
Arten des Maßnahmenvollzugs
Gefährliche Rückfallstäter
„Die Unterbringung in einer Anstalt für gefährliche Rückfallstäter soll die Untergebrachten davon abhalten, schädlichen Neigungen nachzugehen, und ihnen zu einer rechtschaffenen und den Erfordernissen des Gemeinschaftslebens angepaßten Lebenseinstellung verhelfen.“
– § 171 Strafvollzugsgesetz
Als gefährliche Rückfallstäter werden Gewohnheitsverbrecher und Täter mit erhöhtem Sicherheitsrisiko bezeichnet. Die Maßnahme der Unterbringung in einer Anstalt für gefährliche Rückfallstäter ist allein gegen die Gefährlichkeit des Verurteilten gerichtet und wird nach Verbüßung der eigentlichen Strafhaft vollzogen. Voraussetzung für eine Einweisung in den Maßnahmenvollzug ist in diesem Fall eine Verurteilung zu einer mindestens zweijährigen Haftstrafe sowie die Vollendung des 24. Lebensjahres. Die Häftlinge dürfen maximal 10 Jahre im Maßnahmenvollzug gegen gefährliche Rückfallstäter angehalten werden. Gefährliche Rückfallstäter werden meistens in der Justizanstalt Sonnberg untergebracht. Diese Form der Maßnahme kann am ehesten mit der Sicherungsverwahrung im deutschen Strafrecht verglichen werden.
Seit dem Erlass des Strafrechtsänderungsgesetzes aus dem Jahr 1987 kann diese Form der Maßnahmenunterbringung als Auslaufmodell bezeichnet werden. Am 1. Dezember 2006 wurden lediglich zwei Personen im Maßnahmenvollzug gegen gefährliche Rückfallstäter angehalten. Somit kann de facto von „totem Recht“ gesprochen werden. Im Zweifelsfall wird eine Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher, schlicht eine verlängerte Haftstrafe oder eine Strafschärfung bei Rückfall (§ 39 StGB) über den Täter verhängt.
Entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher
„Die Unterbringung in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher soll die Untergebrachten je nach ihrem Zustand vom Mißbrauch berauschender Mittel oder Suchtmittel entwöhnen, den Untergebrachten zu einer rechtschaffenen und den Erfordernissen des Gemeinschaftslebens angepaßten Lebenseinstellung verhelfen und sie davon abhalten, schädlichen Neigungen nachzugehen.“
– § 168 Abs. 1 Strafvollzugsgesetz
Im Gegensatz zu den anderen beiden Formen ist die Unterbringung in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher auf einen Zeitraum von 2 Jahren begrenzt. Eine Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug ist in diesem Fall auch möglich, wenn eine Fortsetzung der Behandlung aussichtslos erscheint. Normalerweise werden in Anstalten für den Maßnahmenvollzug an entwöhnungsbedürftigen Rechtsbrechern hauptsächlich Suchtgiftkranke eingewiesen, die größte solche Justizanstalt in Österreich ist die Justizanstalt Wien Favoriten, dort können gemäß § 159 Abs. 2 StVG auch entwöhnungsbedürftige Strafgefangene untergebracht werden. Prinzipiell kann die Maßnahme jedoch in nahezu jeder österreichischen Justizanstalt vollzogen werden.
In der Praxis hat sich gezeigt, dass eine Entwöhnungsbehandlung, die auf gerichtlichen Zwang fußt in den meisten Fällen kaum Aussicht auf Erfolg hat. Daher werden nahezu 90 % aller Häftlinge im Maßnahmenvollzug gegen entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher unbedingt wegen Aussichtslosigkeit aus diesem entlassen und in den gewöhnlichen Strafvollzug rücküberstellt. Normalerweise wird solchen Sträflingen nach § 68 StVG das Angebot einer freiwilligen Entwöhnungsbehandlung gemacht. Am 1. Dezember des Jahres 2006 wurden in den österreichischen Justizanstalten 14 Personen im Maßnahmenvollzug gegen entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher angehalten.
Geistig abnorme Rechtsbrecher
„Die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher soll die Untergebrachten davon abhalten, unter dem Einfluß ihrer geistigen oder seelischen Abartigkeit mit Strafe bedrohte Handlungen zu begehen. Die Unterbringung soll den Zustand der Untergebrachten soweit bessern, daß von ihnen die Begehung mit Strafe bedrohter Handlungen nicht mehr zu erwarten ist, und den Untergebrachten zu einer rechtschaffenen und den Erfordernissen des Gemeinschaftslebens angepaßten Lebenseinstellung verhelfen.“
– § 164 Abs. 1 Strafvollzugsgesetz
Grundsätzlich kann unterschieden werden zwischen dem Maßnahmenvollzug gegen zurechnungsunfähige geistig abnorme Rechtsbrecher (§ 21 Abs 1 StGB) und dem Maßnahmenvollzug gegen zurechnungsfähige geistig abnorme Rechtsbrecher (§ 21 Abs 2 StGB).
Derzeit befinden sich etwa 400 Personen in ganz Österreich im Maßnahmenvollzug gegen zurechnungsunfähige geistig abnorme Rechtsbrecher. Diese Maßnahme wird gegen Straftäter verhängt, wenn sie aufgrund einer geistigen Beeinträchtigung nicht schuldfähig, aber dennoch gefährlich sind. Sie hat den Charakter einer psychiatrischen Behandlung und ist zeitlich ungebunden. Eine Entlassung ist nur bei deutlicher Besserung der psychischen Zurechnungsfähigkeit möglich. Die Mehrzahl der Maßnahmenpatienten befinden sich in den eigens eingerichteten Justizanstalten Göllersdorf und Mittersteig. Daneben können die Häftlinge auch in geschlossenen Abteilungen verschiedener Krankenhäuser - wie etwa dem Pavillon 23 am Wiener Otto-Wagner-Spital - untergebracht werden. Zurechnungsfähige geistig abnorme Rechtsbrecher können zusätzlich auch in den gesonderten Maßnahmenabteilungen verschiedener Strafvollzugsanstalten im Bundesgebiet inhaftiert sein.
Im Jahr 2008 befanden sich 411 Personen im Maßnahmenvollzug gegen nicht zurechnungsfähige und 449 Personen gegen zurechnungsfähige geistig abnorme Rechtsbrecher.[1][2]
Anstalten des Maßnahmenvollzugs
Die Unterbringung der Maßnahmenhäftlinge in bestimmten Justizanstalten ist in der Sprengelverordnung für den Strafvollzug aus dem Jahr 1997 (mit Änderung 1998) gesetzlich geregelt. Diese Verordnung des Bundesministers für Justiz sieht für die verschiedenen Arten des Maßnahmenvollzugs eine Unterbringung in Sonderanstalten vor.
Demnach sollen männliche zurechnungsunfähige geistig abnorme Rechtsbrecher in der Justizanstalt Göllersdorf, männliche zurechnungsfähige geistig abnorme Rechtsbrecher dagegen in der Justizanstalt Wien Mittersteig oder in deren geschlossenen Abteilung des Wiener Otto-Wagner-Spitals untergebracht werden. Speziell eingerichtete Abteilungen für die Unterbringung von zurechungsfähigen geistig abnormen Rechtsbrechern existieren des Weiteren in den Justizanstalten Stein, Garsten und Graz-Karlau. Die Entscheidung, ob im Einzelfall die Unterbringung in einem öffentlichen psychiatrischen Krankenhaus zweckmäßiger erscheint, ist dem Bundesministerium für Justiz überlassen.
Im Jahr 2010 wurde zudem auf dem Gelände der Außenstelle Asten der Justizanstalt Linz eine forensische Psychiatrie eingerichtet, in der geistig abnorme Rechtsbrecher zur Langzeitrehabilitation untergebracht werden.[3][4][5]
Entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher werden allgemein in die Justizanstalt Wien Favoriten verbracht, können aber auch in den „Sonderabteilungen für entwöhungsbedürftige Rechtsbrecher“ verschiedener anderer Justizanstalten untergebracht werden.Gemäß dem Flexibilisierungsprogramm der Justizanstalt Sonnberg aus dem Jahr 2003 (letzte Änderung 2006) ist die Justizanstalt Sonnberg für den Maßnahmenvollzug an gefährlichen Rückfallstätern zuständig.
Weibliche zurechnungsfähige geistig abnorme Rechtsbrecherinnen werden generell in der speziell eingerichteten Abteilung der Justizanstalt Schwarzau verwahrt. Ebenso werden weibliche Häftlinge des Maßnahmenvollzugs gegen entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher in einer eigenen Abteilung der Justizanstalt Schwarzau untergebracht.
Bei jugendlichen Straftätern sind weibliche Jugendliche in beiden Fällen des Maßnahmenvollzugs (der Maßnahmenvollzug gegen gefährliche Rückfallstäter ist für Jugendliche ausgeschlossen) in der entsprechenden Jugendabteilung der Justizanstalt Schwarzau unterzubringen. Männliche jugendliche Straftäter dagegen sind im Fall des Maßnahmenvollzugs gegen zurechnungsfähige geistig abnorme Rechtsbrecher in der Justizanstalt Gerasdorf, im Fall der Maßnahmen gegen entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher in der Justizanstalt Wien-Favoriten zu behandeln.
Literatur
- DDr. Maria A. Eder-Rieder: Die freiheitsentziehenden vorbeugenden Maßnahmen. Manz Verlag, Wien 1985, ISBN 978-3-214-06025-1.
Weblinks
- Website des Bundesministeriums für Justiz, zuständig für den Maßnahmenvollzug in ganz Österreich.
- Behandlungs- und Nachsorgeeinrichtungen im österreichischen Strafvollzug, eine Information des Bundesministeriums für Justiz. (PDF-Datei; 1,76 MB)
- Artikel zum Maßnahmenvollzug gegen geistig abnorme Rechtsbrecher bei Medizin Medien Austria.
- Das Strafvollzugsgesetz im Rechtsinformationssystem der Republik Österreich.
Einzelnachweise
- ↑ Anfragebeantwortung von Bundesministerin Dr. Claudia Bandion-Ortner zum Thema „die Unterbringung zurechnungsunfähiger geistig abnormer Rechtsbrecher (§ 21 Abs. 1 StGB)“.
- ↑ Anfragebeantwortung von Bundesministerin Dr. Claudia Bandion-Ortner zum Thema „die Unterbringung zurechnungsfähiger geistig abnormer Rechtsbrecher (§ 21 Abs. 2 StGB)“.
- ↑ Arbeitsunterlagen des Bundesministeriums für Justiz zur Einrichtung einer Justizbetreuungsagentur.
- ↑ Anfragebeantwortung der Bundesministerin für Justiz zum Thema Errichtung einer forensischen Psychiatrie auf dem Gelände der Justizanstalt Asten.
- ↑ Herbert Schorn: Leben als geistig abnormer Straftäter in Asten: Von Lethargie bis Lebensmut. Artikel in den Oberösterreichischen Nachrichten vom 27. Mai 2010.
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