Mädchen von Dröbnitz

Mädchen von Dröbnitz
Das Mädchen von Dröbnitz nach der Bergung 1939

Das Mädchen von Dröbnitz war eine hallstattzeitliche Moorleiche, die 1939 bei Dröbnitz (heute Drwęck), Landkreis Osterode in Ostpreußen, gefunden wurde. Sie war eine der wenigen dokumentierten Moorleichenfunde auf dem Gebiet Ostpreußens bzw. Osteuropas. Der Fund ging am Ende des Zweiten Weltkriegs verloren.[1]

Inhaltsverzeichnis

Fund

Das Mädchen von Dröbnitz wurde im Juli 1939 von Arbeitern des Reichsarbeitsdienstes bei Arbeiten im Dröbnitzer Moor[2] entdeckt. Zunächst stießen sie auf ein Stück Fell und versuchten, es aus der Erde zu ziehen, wobei sie der darin eingewickelten Leiche beide Beine in den Hüftgelenken ausrissen. Die Beine gingen bereits bei der Bergung größtenteils verloren. Schließlich wurde die Leiche ausgegraben und später in das Prussia-Museum in Königsberg gebracht, wo der Fund wissenschaftlich untersucht und konserviert wurde.

Befunde

Das Mädchen lag ausgestreckt auf dem Rücken und war in einen Pelzumhang gewickelt worden, sowohl die Leiche als auch der Pelzumhang waren in einem sehr guten Erhaltungszustand. Ihre Arme waren über der Brust verschränkt und der Kopf nach rechts gedreht. Die genaueren Umstände wie ihre geographische Ausrichtung, die Tiefe oder die Fundschicht ließen sich nicht mehr genau ermitteln, da der Fund undokumentiert von dem Liegeplatz entfernt wurde. Vergleiche der an der Leiche anhaftenden Torfreste mit Proben des Dröbnitzer Moores ergaben, dass die Leiche in einer Tiefe von 150 bis 200 Zentimetern unterhalb der Oberfläche gelegen haben muss. Als einzige Beigabe wurden Reste eines Kamms gefunden.

Anthropologische Befunde

Bei der Moorleiche von Dröbnitz handelte es sich um ein etwa 12- bis 14-jähriges Mädchen. Ihr Körper war bis auf die bei der Bergung verloren gegangenen Beine vollständig erhalten. Die Haut war bei der Auffindung noch schwammig und weich. Eine Obduktion durch die Königsberger Mediziner Krause und Zeiger ergab, dass alle inneren Organe deutlich erkennbar waren und die Struktur der Gewebe erhalten geblieben war. Ebenso waren Knochen, Zähne und Fingernägel erhalten. Die Todesursache ließ sich weder anhand der Obduktion noch durch die von Dr. Loepp angefertigten Röntgenaufnahmen ermitteln. An den Knochen wurden insgesamt elf Harris-Linien gefunden, die wie bei der Moorleiche von Windeby I ein Zeichen für regelmäßige Phasen der Mangelernährung im Leben des Mädchens waren.[3]

Der Magen- und Darminhalt wurde von Walter von Stokar und H. Gross untersucht. Hier konnten noch zahlreiche Speisereste identifiziert werden, die vor allem aus Blättern, Blüten und Blütenknospen von Ampfer, Huflattich und Lungenkraut bestanden. Weiter wurden Reste von Erbsen, Weizen und einige wenige Fleischfasern sowie tierische Fette gefunden. Außerdem konnten die Pollen von Lungenkraut sowie von verschiedenen Gräsern, Kreuzblüten- und Hahnenfußgewächsen nachgewiesen werden. Dies lässt vermuten, dass das Mädchen vor ihrem Tode einen Brei gegessen hatte. Das Vorhandensein von Pollen von Erle, Birke und Haselnuss führte zu der Annahme, das Mädchen sei im Frühjahr gestorben.[4]

Der Darm des Mädchens wurde von Lothar Szidat untersucht, der sehr gut erhaltene Eier von zwei Parasiten nachweisen konnte. Der Darm war stark mit Peitschenwürmern, schwächer mit Spulwürmern belastet. Nach Szidat entsprach die Schwere des Befalls den Ergebnissen von Untersuchungen solcher Infektionen bei der ostpreußischen Landbevölkerung seiner Zeit.[5] Szidat schätzte das Sterbealter des Mädchens aufgrund von Befallsstatistiken der damaligen ostpreußischen Landbevölkerung auf 15 bis 19 Jahre und damit etwas höher, als die anthropologische Untersuchung ergeben hatte.[6]

Beifunde

Das Mädchen war vollständig in einen Umhang aus Schafsfell eingewickelt. Der Umhang war aus vier Teilstücken mit feinen Lederschnüren überwendlich zusammengenäht und hatte eine Höhe von 80 und eine Breite von etwa 150 Zentimetern. Im Halsbereich waren die Ränder umgeschlagen. An einer Ecke des Halsbereiches waren ein Lederband und an der gegenüberliegenden eine lederne Schlaufe als Verschluss angenäht. Auf der Innenseite waren zahlreiche Stopfstellen mit aufgesetzten Lederflicken ausgebessert, die mit einem feinen Steppstich aufgenäht waren. Alle diese Nähte waren sehr sorgfältig mit dünnen Lederbändern ausgeführt. [7] Dagegen war der quer durch den kompletten Umhang laufende Riss etwas nachlässiger mit gedrehten Sehnen vernäht. Zu diesem Umhang gibt es mehrere erhaltene Vergleichsfunde wie den des Jungen von Kayhausen, der Frau von Elling, der Frau von Haraldskær oder des Mannes aus Jürdenerfeld. Als einzige Grabbeigabe war dem Mädchen ein einreihiger Holzkamm mit breiter Griffplatte beigegeben worden. Der in zwei Teilen erhaltene Kamm hatte ursprünglich eine Länge von etwa zehn Zentimetern. Die Griffplatte war mit Kreisaugen verziert und wies an beiden Enden Ösen auf.[8] Durch die erhaltene Öse war eine verzwirnte Schnur aus Wolle gezogen, die deutliche Gebrauchsspuren zeigte und vermutlich zu einer Tragevorrichtung gehörte.

Datierung

Eine moorgeologische Datierung aufgrund der Torfschichten oder Tiefe war nicht möglich, da diese bei der Ausgrabung nicht beachtet wurden. Die Pollenanalyse der an der Leiche anhaftenden Torfreste ergab, dass die Leiche etwa um 500 v. Chr. in das Moor gelangt war. Typologische Vergleiche des Kamms vor allem mit Kammdarstellungen auf früheisenzeitliche Keramikgefäßen und Gesichtsurnen aus Mittel- und Osteuropa bestätigten diese Datierung in die frühe Eisenzeit, genauer in die Hallstattzeit Stufe Ha D nach Eggers.

Deutung

Die Todesursache des Mädchens von Dröbnitz ließ sich nicht ermitteln, ebenso ließen sich keine Hinweise für eine Tötung finden. Die Tatsache, dass das Mädchen in einen Pelzumhang eingeschlagen wurde und auf dem Rücken ruhte, sowie der beigegebene Kamm lassen eine Bestattung wahrscheinlich erscheinen. Möglicherweise wurde diese aus unbekannten Gründen außerhalb eines Bestattungsplatzes oder Gräberfeldes und als Körperbestattung ausgeführt. Die Deutung des Fundensembles lässt eine, vielfach bei Moorleichen beobachtete, Opferung eher unwahrscheinlich erscheinen.

Literatur

  • Marija Gimbutas: The Balts. Thames and Hudson, London 1963, S. 79-80 (englisch, PDF, 714 KB, abgerufen am 20. April 2011).
  • Wijnand A. B. van der Sanden: Mumien aus dem Moor. Die vor- und frühgeschichtlichen Moorleichen aus Nordwesteuropa. Batavian Lion International, Amsterdam 1996, ISBN 90-6707-416-0. 
  • Wolfgang La Baume: Die vorgeschichtliche Moorleiche aus Dröbnitz, Kr. Osterode Ostpr. In: Forschungen und Fortschritte. 16, Nr. 34, 1940, S. 387–389 (Erstpublikation).
  • Helmut Wurm: Konstitution und Ernährung III. Zur Konstitution und Ernährung der frühgeschichtlichen Germanen. In: Gegenbaurs morphologisches Jahrbuch. Nr. 132, Geest & Portig, Leipzig 1986, ISSN 0016-5840, S. 899–951.

Anmerkungen und Einzelnachweise

  1. van der Sanden, S. 89
  2. TK25 Blatt 2487 Hohenstein – Ausgabe 1933: Nördlich der Hauptstraße in Richtung Hohenstein beginnt dicht östlich der beiden Gehöfte ein versumpfter Uferstreifen entlang eines namenlosen Baches, in dem ein Dutzend Torfstiche eingetragen sind, etwa drei Kilometer nördlich fällt eine regelmäßige Torfstichgrube mit etwa 80 Torfabbaustellen auf, die allerdings nicht mehr zu Dröbnitz gehörten.
  3. Wurm, Abschnitt 4
  4. van der Sanden, S. 111
  5. Lothar Szidat: Über die Erhaltungsfähigkeit von Helmintheneiern in Vor- und Frühgeschichtlichen Moorleichen. In: Parasitology Research. 4, Nr. 13, Oktober 1944, ISSN 0932-0113, S. 265-274, doi:10.1007/BF03177148 (http://www.springerlink.com/content/717526650751v153/, abgerufen am 11. Juni 2010).
  6. van der Sanden, S. 144
  7. van der Sanden, S. 123
  8. van der Sanden, S. 96

Weblinks

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