Normalbrennweite

Normalbrennweite
Horizontaler Bildwinkel αh, vertikaler Bildwinkel αv und diagonaler Bildwinkel αd

Der Bildwinkel \textstyle \alpha eines kollinear abbildenden optischen Systemes ergibt sich aus dem Aufnahmeformat \textstyle d und der Brennweite \textstyle f eines abbildenden optischen Systems:
 \alpha = 2 \cdot \arctan \left( \frac{d}{2 \cdot f} \right)

Je nachdem, ob sich die Angabe des Bildwinkels auf die Breite, die Höhe oder die diagonale Ausdehnung des rechteckigen Aufnahmeformates bezieht, spricht man vom horizontalen, vertikalen oder diagonalen Bildwinkel. Ohne Spezifizierung bezieht sich Bildwinkel auf den diagonalen Bildwinkel.

Die Formel gilt uneingeschränkt für kollinear abbildende Objektive mit bildwinkelunabhängiger Brennweite. Ist dies nicht der Fall – zum Beispiel bei Objektiven mit ausgeprägten Verzeichnungen – muss die dem Aufnahmeformat entsprechende lokale Brennweite des Objektivs an den Rändern bzw. Ecken des Aufnahmeformates eingesetzt werden.

Gemäß der Formel kann der Bildwinkel maximal 180° betragen (die Arkustangensfunktion hat einen Wertebereich von -90° bis +90°). Mit speziellen Objektivkonstruktionen, wie zum Beispiel Fischaugenobjektiven können dennoch Bildwinkel von mehr als 180° abgebildet werden. Solche Objektive erzeugen aber keine kollineare Abbildung (d.h. gerade Linien werden gekrümmt abgebildet), so dass die Formel für den Bildwinkel hier nicht angewendet werden kann.

Inhaltsverzeichnis

Richtungsabhängigkeit

Außer bei einem kreisförmigen Aufnahmeformat hängt die Größe des Bildwinkels von der Richtung - in Bezug auf die Horizontale des Aufnahmemediums - ab, in der er ermittelt wird.

Die besondere Bedeutung des diagonalen Bildwinkels liegt darin, dass die Diagonale eines Rechtecks seiner größten Ausdehnung entspricht. Somit ist bei gegebener Brennweite und Aufnahmeformat der diagonale auch stets der größte Bildwinkel.

Die Richtung des jeweiligen Bildwinkels gegenüber der Horizontalen ist beim

  • horizontalen Bildwinkel: 0° bzw. 180°
  • vertikalen Bildwinkel: ±90°
  • diagonalen Bildwinkel: \textstyle \pm \arctan \left( \frac {\mathrm{H \ddot ohe}} {\mathrm{Breite}} \right)

Beim Vergleich von verschiedenen Aufnahmeformaten ist deshalb zu beachten, dass sich die diagonalen Bildwinkel der beiden Formate in ihrer Richtung unterscheiden können. Ein Vergleich anhand des diagonalen Bildwinkels ist nur aussagekräftig, wenn die zu vergleichenden Aufnahmeformate in etwa die gleichen Seitenverhältnisse aufweisen.

Durch Zuschneiden des ausbelichteten Bildes oder durch Beschränkung des Aufnahmeformates bei der Aufnahme durch Masken vor der Bildebene können beliebig geformte Aufnahmeformate realisiert werden. In diesem Fall bezieht man sich bei der Angabe des Bildwinkels auf ein gedachtes Rechteck, dass das tatsächliche Aufnahmeformat gerade noch umschreibt.

Ein Spezialfall ist das kreisförmige Aufnahmeformat, hier ist der Bildwinkel von der Richtung unabhängig und konstant. Das trifft auch auf den (kreisförmigen) Bildkreis zu.

Bildwinkel und Sichtfeld. Zur Veranschaulichung ist hier nur der vertikale Bildwinkel dargestellt

Sichtfeld (FOV)

Als Sichtfeld (englisch = Field of view) wird derjenige Bereich im Objektraum bezeichnet, der vom horizontalen und vertikalen Bildwinkel aufgespannt wird.

Maximal erreichbarer Bildwinkel

Bei einer einzelnen Sammellinse oder einer Lochblende kann der maximale Bildwinkel theoretisch bis zu 180° betragen. Bei Objektiven aber muss das Licht nacheinander mehrere Öffnungen durchtreten, die als Blenden wirken. Dazu zählen auch die Linsen bzw. ihre Fassungen. Somit ist der nutzbare Bildwinkel eingeschränkt. Abbildungsfehler können den tatsächlich sinnvoll nutzbaren Bildwinkel noch weiter einschränken. Spezielle Objektivkonstruktionen wie z. B. Fischaugenobjektive können dennoch Bildwinkel von 180° - oder sogar darüber hinaus - abbilden. Der maximal erreichbare Bildwinkel \textstyle \omegaeines Objektivs wird in den technischen Daten angegeben. Aus ihm ergibt sich die Diagonale des größten nutzbaren Aufnahmeformates: d_{max} = 2 \cdot f \cdot \tan \left( \frac \omega 2 \right)
Der Bildkreisdurchmesser entspricht der Diagonalen \textstyle d_{max} des größten nutzbaren Aufnahmeformates.

Normalbrennweite

Als Normalbrennweite bezeichnet man die Brennweite, die ungefähr der Länge der Diagonalen des jeweiligen Aufnahmeformates entspricht. Sie definiert sich nicht - wie oft fälschlich angenommen wird - über den Sehwinkel des Auges oder das Gesichtsfeld des menschlichen Sehsinnes.

Anmerkung
Das schließt nicht aus, dass sich der Begriff Normalbrennweite ursprünglich auf eine natürlich wirkende perspektivische Abbildung in der Portraitfotografie bezogen hat.
Früher wurden für Portrait-Aufnahmen mehr als heute große Filmformate verwendet, da sie ohne weitere Vergrößerungen und Projektionen - und deshalb auch mit vergleichbar kleinem Aufwand - ausbelichtet werden können. Wird nun ein Portrait in Originalgröße (im Maßstab 1:1) abgebildet und die ausbelichtete Fotografie dann aus derselben Entfernung wie bei der Aufnahme betrachtet, so ergibt sich tatsächlich exakt derselbe perspektivische Seheindruck wie bei der Betrachtung des Originals. Unter diesen speziellen Voraussetzungen (Sehwinkel bei der Aufnahme gleich dem Sehwinkel bei der Betrachtung des Abbildes) - und nur unter diesen Voraussetzungen - kann von einer "natürlichen" oder besser "realistischen Perspektive" der Normalbrennweite gesprochen werden.

Beim Kleinbildformat von 36 mm x 24 mm ergibt sich somit die Normalbrennweite zu:
f = d = \mathrm {\sqrt {{ Breite ^ 2 } + {{\mathrm{H \ddot ohe}} ^ 2}} = \sqrt {{(36\, mm) ^ 2 } + {(24\, mm) ^ 2}}= 43{,}3 \, mm }

Entsprechend der Formel für den Bildwinkel ergibt sich formatunabhängig der Bildwinkel für die Normalbrennweite zu:
 \alpha = 2 \cdot \arctan \left( \frac{1}{2} \right) = 53{,}13^\circ
Ein Objektiv, das an einem bestimmten Aufnahmeformat einen Bildwinkel um die 50° zeigt, wird deshalb als Normalobjektiv - bezogen auf das Aufnahmeformat - bezeichnet.

Beim Kleinbildformat von 36 mm × 24 mm und einem Normalobjektiv mit 50 mm Brennweite ergibt sich ein horizontaler Bildwinkel von 39,6°, ein vertikaler Bildwinkel von 27° und ein diagonaler Bildwinkel von etwa 46,8°.

Ein Weitwinkel-Objektiv hat einen deutlich größeren, ein typisches Teleobjektiv einen deutlich kleineren Bildwinkel.

Sehwinkel

Analog zum Bildwinkel definiert man objektseitig den Sehwinkel β als
 \beta = 2 \cdot \arctan \left( \frac{l}{2 \cdot g} \right)
wobei l für die horizontale, vertikale bzw. diagonale Ausdehnung des abzubildenden Objekts und g für die Entfernung des Objektes (genauer: für die Gegenstandsweite) steht.

Der Sehwinkel (auch scheinbare Größe) beschreibt, unter welchem Winkel ein Objekt bei gegebener Ausdehnung und Entfernung erscheint.

Anschaulich kann man sich den Sehwinkel durch Umkehrung des Strahlengangs vorstellen.

Um ein Objekt auf dem Aufnahmemedium vollständig abbilden zu können, darf der horizontale und vertikale Bildwinkel nicht kleiner sein als der entsprechende Sehwinkel, es muss also gelten:
\frac {d_\text{v;h}}{f} \geq \frac {l_\text{v;h}}{g}

Soll ein Motiv im Nahbereich und mit einer Optik mit großer Öffnung hinreichend scharf abgebildet werden, so muss die Gegenstandsweite auch beim Bildwinkel mit einbezogen werden (siehe Abschnitt Makrofotografie). Der effektive Bildwinkel darf nicht kleiner als der entsprechende Sehwinkel werden:
\frac {d_\text{v;h}}{f} - \frac{d_\text{v;h}}{g}\geq \frac {l_\text{v;h}}{g}

Bildwinkel und Sehwinkel in der Fotografie

Ändert man das Aufnahmeformat d und die Brennweite f um denselben Faktor, so ändert sich der Bildwinkel \displaystyle\alpha (hier 69°) nicht.

Bildwinkel und Sehwinkel zählen zu den wichtigsten fotografischen Gestaltungsmitteln.

  • Der Bildwinkel hängt ausschließlich von der Brennweite und dem Aufnahmeformat ab, daher hat der Fotograf die Möglichkeit ihn sowohl durch Verändern der Brennweite
- z.B. mit Wechselobjektiven, Konvertern oder durch die Verwendung eines Zoomobjektivs
als auch durch die Wahl des Aufnahmeformates
- durch die Verwendung eines bestimmten Filmformates, durch nachträgliches Zuschneiden der Aufnahme oder das Zusammenfügen mehrerer Einzelaufnahmen (Stitching)
gezielt zu beeinflussen.
Es gilt:
  • Ändert man das Aufnahmeformat \textstyle d und die Brennweite \textstyle f um denselben Faktor \textstyle x, so ändert sich der Bildwinkel \textstyle \alpha nicht.
Dieser Zusammenhang ergibt sich direkt aus der Definition des Bildwinkels:
\textstyle \alpha = 2 \cdot \arctan \left( \frac{d}{2 \cdot f} \right) = 2 \cdot \arctan \left( \frac{d \cdot x}{2 \cdot f \cdot x} \right)
  • Der Sehwinkel hängt ausschließlich von der Entfernung und der Größe des Objektes ab. In der Tricktechnik und in der Architektur-Fotografie kann der Sehwinkel durch die Größe des abzubildenden Objektes beeinflusst werden, indem ein verkleinertes (oder vergrößertes) Modell eines Objektes - z.B. eines Gebäudes - fotografiert oder gefilmt wird. Die Größe von "realen" Objekten lässt sich aber normalerweise nicht beeinflussen, daher hat der Fotograf meist nur Einfluss auf den Sehwinkel, indem er die Entfernung zum Objekt verändert - scherzhaft auch "Fuß-Zoom" genannt.

Makrofotografie

Die Definition des Bildwinkels bezieht sich auf die Brennebene. Diese fällt aber nicht notwendigerweise mit der Bildebene zusammen. Soll ein Gegenstand in kurzer Entfernung noch scharf auf einem Film oder einer Mattscheibe abgebildet werden, muss entweder abgeblendet oder die Bildebene nach hinten verschoben werden. Ist die Gegenstandsweite nicht größer als die doppelte Brennweite, so spricht man von Makrofotografie.
Um den effektiven Bildwinkel - bezogen auf die Bildebene - im Nahbereich zu erhalten muss man anstelle der Brennweite die Bildweite b in die Definition einsetzen, also
 \alpha_\text{eff} = 2 \cdot \arctan \left( \frac{d}{2 \cdot b} \right). Durch die Brennweite f und Gegenstandsweite g ausgedrückt ergibt sich gemäß der Linsengleichung:  \alpha_\text{eff} = 2 \cdot \arctan \left( \frac{d}{2 \cdot f} - \frac{d}{2 \cdot g}\right).

  • Anmerkung:
Ähnliches gilt auch für andere grundlegende Definitionen in der Fotografie. Im Makrobereich spricht man daher auch analog von effektiver Blende bzw. effektiver Lichtstärke, effektiver Vergrößerung oder auch effektiver Belichtungszeit, die sich jeweils durch Ersetzen der Brennweite durch die Bildweite ergeben.

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