Organsin

Organsin
Dieser Artikel behandelt die Textilfaser Seide, für weitere Bedeutungen des Begriffs siehe Seide (Begriffsklärung).

Seide ist eine feine Textilfaser, die aus den Kokons der Seidenraupe, der Larve des Seidenspinners, gewonnen wird. Sie ist die einzige in der Natur vorkommende textile Endlos-Faser. Sie kommt ursprünglich wohl aus China und war eine wichtige Handelsware, die über die Seidenstraße nach Europa transportiert wurde; auch heute wird der Hauptanteil in China produziert, Japan und Indien sind weitere wichtige Erzeugerländer.

Frauen „schlagen“ Seide (Huizong, China, 12. Jh.)

Das zugehörige Adjektiv ist seiden.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Seidenraupenkokons in Khotan
Kokons
Seidentuch/ Foulard im klassischen Équipagestil
Die einst vier wichtigsten Schmetterlinge für die Seidenerzeugung, aus Meyers Konversations-Lexikon (1885-1892)

Schon die alte Indus-Zivilisation[1] und das alte China kannte die Seide. Durch genaue Untersuchungen der Seidenstruktur von achäologischen Funden wurde festgestellt, dass man zur Seidenproduktion im Indus-Gebiet Seidenspinner der Gattung Antheraea benutzte, Chinesische Seide jedoch einzig von dem domestizierten Seidenspinner Bombyx mori stammt.[2] Der Ursprung letzterer liegt etwa im 3. Jahrtausend v. Chr. und ist eher von Legenden umrankt, als dass es genaue Jahreszahlen gäbe. Der Sage nach soll in China der legendäre Kaiser Fu Xi als erster auf den Gedanken gekommen sein, Seidenraupen zur Herstellung von Gewändern zu nutzen. Fu Xi gilt auch als Erfinder eines mit Seidenfäden bespannten Saiteninstruments. Die Sage nennt noch einen weiteren berühmten Kaiser: Shennong, den „Gott des Ackerbaus“, der das Volk gelehrt haben soll, Maulbeerbäume und Hanf anzubauen, um Seide und Hanfleinen zu gewinnen. Xiling, die Gattin des Gelben Kaisers Huáng Dì, hat angeblich im 3. Jahrtausend v. Chr. dem Volk die Nutzung von Kokons und Seide zur Herstellung von Kleidungsstücken beigebracht.

Es war bei Todesstrafe verboten, die Raupen oder ihre Eier außer Landes zu bringen. Um das Jahr 555 herum gelang es jedoch angeblich zwei persischen Mönchen, einige Eier zum Kaiser Justinian I. nach Konstantinopel zu schmuggeln. Mit diesen Eiern und dem Wissen, welches sie bei ihrem Aufenthalt in China über die Aufzucht von Seidenspinnern erworben hatten, war jetzt auch außerhalb Chinas eine Produktion von Seide möglich.

Laut Plinius, der auch die Seidenraupen beschreibt, verdankt der antike Mittelmeerraum die Herstellung der hauchdünnen Seidenstoffe (Koische Seide) einer gewissen Pamphilia von Kos.[3]

Im 17. bis 19. Jahrhundert hatte Krefeld eine bedeutende Seidenindustrie. Zu den berühmtesten Kunden gehörten der französische Kaiser Napoleon und der preußische König Friedrich II. 1828 kam es im Rahmen der wachsenden Unzufriedenheit der deutschen Weber auch in Krefeld zu Aufständen der Seidenweber. Sie protestierten gegen die Lohnkürzungen der Firma von der Leyen.

Herstellung

Da die meisten Seidenraupen sich von den Blättern des Maulbeerbaumes ernähren, wird von Maulbeerseide gesprochen. Es gibt aber auch Seidenraupen wie die des Japanischen Eichenseidenspinners (Antheraea yamamai), die sich von anderen Bäumen z.B. Eichenblättern ernähren. Um Qualitätsseide zu erhalten, müssen Seidenraupen unter besonderen Bedingungen aufgezogen werden.

Die Raupen verpuppen sich, wobei sie die Seide in speziellen Drüsen im Maul produzieren und in großen Schlaufen in bis zu 300.000 Windungen um sich herum legen. Sie werden in ihren Kokons mithilfe von Heißwasser oder Wasserdampf vor dem Schlüpfen abgetötet, um zu verhindern, dass diese zerrissen werden. Danach wird der Seidenfaden des Kokons in einem Stück abgewickelt. Weber nennen dies Abhaspeln. Der Faden ist sehr lang und lässt sich zu glatten Textiloberflächen verarbeiten. Um 250 g Seidenfaden zu erhalten, werden um die 3000 Kokons, das entspricht etwa 1 kg, benötigt. Um die Seide vom Seidenleim (Sericin) zu befreien, der auch Träger der gelben und anderen Färbungen ist, wird sie in Seifenwasser gekocht und erscheint rein weiß. Diesen Vorgang nennt man Entschälen oder Degummieren. Die Seidenfäden werden durch das Kochen dünner, geschmeidiger und glänzender. Anschließend wird die Seide häufig noch chemisch weiter veredelt. Durch das Entfernen des Seidenleims (auch Seidenbast genannt) wird der Faden leichter, das wird teilweise durch das Hinzufügen von Metallsalzen (meist Zinnverbindungen) ausgeglichen. Durch Schwefeldampf wird die Seide gebleicht. Mehrere Seidenfäden werden miteinander verzwirnt. Durch unterschiedliches Verzwirnen entstehen Schuss- und Kettfäden. Für die Weiterverarbeitung der Seide typische Gewebearten sind Chiffon, Satin und Taft.

Durch unterschiedliche Webverfahren entstehen verschiedene Seidenqualitäten. Die Habotai-Seide zeichnet sich durch eine feine, glatte Webstruktur aus. Sie eignet sich gut für die Seidenmalerei, da ihr Gewebe fließendweich ist. Crepe de Chine ist eine in der Mode oft verwendete Seidenstoffart, weil sie weich und glänzend fällt. Den Kreppcharakter erhält das Gewebe durch die unterschiedlich gedrehten Kett- und Schussfäden. Crepe-Georgette-Seide ist ein zartes, durchscheinendes Gewebe. Der elegante Stoff ist ein dünnes Kreppgewebe mit Taftbindung und hat eine raue Oberfläche.

Wildseide, wie z.B. die Tussahseide, wird aus den Kokons bereits geschlüpfter Schmetterlinge gewonnen. Bei Schlüpfung hinterlassen sie ein Loch, was den Faden zu mehreren Teilen zerreißt. Bei Verwebung werden die Fäden verdickt, wodurch die charakteristischen unregelmäßig-noppigen Textiloberflächen entstehen.

Verschiedene Seide-Qualitäten

Die Qualität der Seide hängt unter anderem von ihrem Gewicht ab. Eine Momme (altasiatische Maßeinheit) beträgt ca. 4,306 g pro m². Die Seide wird häufig mit der Bezeichnung Pongé angeboten. Einer Momme entspricht eine Pongé.

Unter Chappe versteht man alle bei der Zubereitung der Seide abfallenden, geringwertigen Seiden, die wieder unter sich verschiedenen Wert haben (Abfälle der Filanda vom Abhaspeln der Seide von den Kokons: Struse, Strusini, Abfälle der Zwirnerei). Die gereinigten Abfälle werden in der Chappespinnerei zu Chappegarn versponnen. Von den eigentlichen Seidengarnen unterscheidet sich dieses durch die etwas rauhe, faserige Oberfläche. Sie wird zuweilen auch Strazza genannt. [4]

Aufbau und Eigenschaften

Da Seide aus dem Eiweiß Fibroin besteht, kann sie als natürliche Polyamid-Faser bezeichnet werden. Die sich wiederholende Folge der Aminosäuren lautet Gly-Ser-Gly-Ala-Gly-Ala, so dass sich folgende Strukturformel ergibt:

Chemische Struktur der Seide

Aufgrund ihrer chemischen Zusammensetzung und des besonderen, nahezu dreieckigen Querschnitts der Faser unterscheiden sich ihre Eigenschaften etwas von denen synthetischer Polyamidfasern.

Seide zeichnet sich durch ihren Glanz und ihre hohe Festigkeit aus und wirkt isolierend gegen Kälte und Wärme. Sie kann bis zu einem Drittel ihres Gewichtes an Wasser einlagern. Seide neigt wenig zum Knittern. Auf Seidenstoffen werden besonders brillante Farben erzielt. Empfindlich ist Seide gegenüber hohen Temperaturen, Abrieb und Wasserflecken.

Zusammensetzung von Seide

Bestandteil Anteil
Seidenfilamente (schwefelfreies, hochpolymerisches Eiweiß) 70 - 80%
Seidenbast 20 - 30%
Wachsbestandteile 0,4 - 0,8%
Kohlenhydrate 1,2 - 1,6 %
Naturfarbstoffe 0,2 %
weitere organische Bestandteile 0,7 %

[5]

Physikalische Daten entbasteter Seide

Eigenschaft
Dichte 1,25 g/cm³
Faserdicke 12-25 µm
Reißlänge 50 km
Zugfestigkeit 350 MPa
Dehnung 24 %
Elastizitätsmodul (Steifigkeit) die höchste aller Naturfaserstoffe
Feuchtigkeitsaufnahme <30 % des Eigengewichts
Naßfestigkeit ca 85 % der Trockenfestigkeit

Pflege

Aufgrund der Wasserempfindlichkeit müssen Seidenstoffe vorsichtig mit der Hand gewaschen werden (spezielles Seidenshampoo oder milde Seife verwenden); wohl können sie aber chemisch gereinigt werden. Wichtig ist es, alle Seifenrückstände zu entfernen. Dazu kann ein Teelöffel Weinessig dem Wasser zugefügt werden. Seide darf nicht ausgewrungen werden, da sie gerade im nassen Zustand formempfindlich ist. Gebügelt wird von links bei mittlerer Temperatur (Stufe 2). Die Seide sollte beim Bügeln noch leicht feucht sein. Eine Chlorbleiche und eine Tumblertrocknung ist nicht möglich. Seide ist sonnenempflindlich, die Farben verblassen und die Seide vergilbt. Daher ist direkte und starke Sonneneinwirkung bei Seide zu vermeiden.

Redensarten

  • Samt und Seide“ (von Menschen: soviel wie „sanftmütig und kostbar“)
    • (ironisch:) „Ein Kerl wie Samt und Seide, nur schade, dass er suff.

Sprachgebrauch

Da Seide ein teurer und nur in höheren Ständen gebräuchlicher Kleidungsstoff war, bezeichnete das Adjektiv halbseiden eine Frau, die sich, ohne dazu zu gehören, zum Beispiel als Kokotte in diesen Kreisen bewegte. Halbseidene Klöße oder Knödel sind Kartoffelklöße mit einem Gehalt an Kartoffelstärke von bis zu einem Drittel. Bei einem höheren Stärkegehalt sehen sie seidenglänzend aus und werden auch als Seidene Klöße bzw. Knödel bezeichnet.

Erwähnenswertes

Einer der Gründe für den militärischen Erfolg der Mongolen war das Tragen von Seidenkleidung als Schutz. Diese konnte im Zusammenspiel mit Leder und leichten Eisenelementen von Pfeilen nur schwer durchdrungen werden und bildete somit eine leichte und funktionelle Rüstung.

Nicht nur Seidenraupen produzieren Seide, sondern auch Muscheln. Die sogenannte Muschelseide wird ebenfalls zu Textilien verarbeitet und galt früher als ausgesprochenes Statussymbol.

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. http://www3.interscience.wiley.com/journal/121646748/abstract?CRETRY=1&SRETRY=0 I. L. Good et al.: New Evidence for early silk in the indus civilization, Archaeometry, published online: 21 Jan 2009
  2. http://www.nature.com/news/2009/090218/full/457945a.html Philip Ball: Rethinking silk's origins, Did the Indian subcontinent start spinning without Chinese know-how? Nature, published online, 17 Feb. 2009; DOI: 10.1038/457945a
  3. Plinius: Naturalis historia 11, 26, vgl. Silk in the Ancient Rome
  4. Rothenschild's Taschenbuch für Kaufleute, Verlag G.A. Gloeckner, Leipzig, 1902.
  5. Quelle: http://www.spinnhuette.de/spinnhuette/cp/redaktion_l.html


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