Polyzystisches Ovarialsyndrom

Polyzystisches Ovarialsyndrom
Klassifikation nach ICD-10
E28.2 Syndrom polyzystischer Ovarien
ICD-10 online (WHO-Version 2011)

Das Polyzystische Ovarialsyndrom (engl.: Polycystic ovary syndrome; kurz: PCO-Syndrom, PCOS) ist eine der häufigsten Stoffwechselstörungen geschlechtsreifer Frauen, ausgelöst durch unterschiedliche pathogenetische Mechanismen. Das PCOS ist die häufigste Ursache für erhöhte Androgenspiegel (Hyperandrogenismus), Zyklusstörungen und Unfruchtbarkeit bei der Frau. Die ältere Bezeichnung Stein-Leventhal-Syndrom ist auch heute noch in Gebrauch. Andere mögliche Bezeichnungen sind chronische hyperandrogenämische Anovulation (CHA) oder Polycystic Ovarian Disease (PCOD).

Inhaltsverzeichnis

Vorkommen

Geschätzte 4 bis 12 Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter sind in Europa vom PCO-Syndrom betroffen. Damit handelt es sich um die häufigste hormonelle Störung bei Frauen dieser Altersgruppe, zudem um die häufigste Ursache für eine Unfruchtbarkeit aufgrund von Zyklusstörungen. Übergewichtige Frauen scheinen deutlich häufiger betroffen zu sein.[1] Mit der ansteigenden Prävalenz der Adipositas wird deshalb auch mit einer weiteren Verbreitung des Krankheitsbilds gerechnet.[2]

Definition und klinische Symptome

Laut Definition der Konferenz der „European Society of Human Reproduction and Embryology“ (ESHRE) und der „American Society for Reproductive Medicine“ (ASRM), die 2003 in Rotterdam vorgestellt wurde, liegt ein PCO-Syndrom vor, wenn zwei der drei folgenden Kriterien erfüllt werden:

Polyzystisches Ovar im Sonogramm
  • Polyzystische Ovarien – Zysten in den Eierstöcken. Das polyzystische Ovar (PCO) ist durch acht und mehr subkapsuläre Zysten mit einem maximalen Querschnitt von 10 mm und durch eine relative Vermehrung des Stromagewebes definiert. Ein zusätzliches Kriterium ist die Ovarvergrößerung. Je nach Definition haben 80 bis 100 Prozent der PCOS-Patientinnen polyzystische Ovarien. Ob polyzystische Ovarien vorliegen, kann vom Gynäkologen mittels Ultraschalldiagnostik festgestellt werden. Im Ultraschallbild (Sonogramm) sind dann viele kleine schwarze „Löcher“ auf den Eierstöcken zu erkennen.
  • Oligo- und/oder Anovulation - chronische Zyklusstörungen in Form von Oligo-/Amenorrhoe. Zyklusstörungen sind ein frühes klinisches Symptom und bestehen häufig bereits direkt nach der zum normalen Zeitpunkt auftretenden Menarche. Bei unregelmäßigen Zyklen gilt es zwischen der sogenannten Oligomenorrhoe und der Amenorrhoe zu unterscheiden. Oligomenorrhoe liegt vor, wenn die Abstände der Blutungen 35 bis 45 Tage betragen, während eine Amenorrhoe dagegen das vollständige Ausbleiben einer Blutung bzw. Blutungen, die in einem Abstand von drei oder mehr Monaten einsetzen, bezeichnet.
  • Virilisierung als klinisches Zeichen des Hyperandrogenismus. Dieses Symptom erfordert den Ausschluss von anderen Erkrankungen der Hypophyse, der Nebenniere und des Ovars. Klinisch kann sich die Virilisierung als Hyperseborrhoe, Akne, Hirsutismus oder Alopezie manifestieren.

Der Nachweis der namengebenden polyzystischen Ovarien ist also für die Diagnosestellung „PCOS“ gar nicht zwingend. Andererseits liegt beim Nachweis von polyzystischen Ovarien nicht zwingend ein PCOS vor. Hintergrund ist, dass bei bis zu 23 Prozent aller normal zyklisierenden Frauen polyzystische Ovarien gefunden wurden, ohne dass ein PCOS vorliegen muss.

Labordiagnostik

Labordiagnostisch können sich ergeben:

Ursachen

Die Pathogenese des PCO-Syndroms ist noch nicht vollständig geklärt.

Erhöhte Serumkonzentrationen des LH bei gleichzeitig normalem FSH lassen sich in vielen, wenn auch nicht allen Fällen nachweisen. Vermutlich führt eine hyaline Verdickung der Basallamina zu einer FSH-Resistenz der Granulosazellen des Ovars. In Reaktion auf die FSH-bedingt verringerte Aromatasenaktivität kommt es zu einer Dauerstimulation der LH-Ausschüttung, was wiederum zu einer Entgleisung der Androgenproduktion führt. Als weitere Hintergründe werden Störungen des Neurotransmitter- und Opiatstoffwechsels sowie eine Hyperandrogenämie-assoziierte Störung der Freisetzung des hypothalamischen Gonadotropin-Releasing-Hormons (GnRH) diskutiert.

Seit der Erkenntnis, dass Insulin die ovarielle Androgenproduktion zu stimulieren vermag, misst man der Insulinresistenz mit nachfolgender Hyperinsulinämie (übermäßige Insulinproduktion) zunehmend Bedeutung in der Pathogenese des PCOS zu. Eine Hyperinsulinämie erhöht über die Verminderung der Synthese von Sexualhormon-bindendem Globulin (SHBG) in der Leber zudem den Anteil des freien Testosterons und vermehrt damit die Wirkung am Androgenrezeptor.

Hyperinsulinämie und erhöhtes LH gelten heute als dominierende Faktoren bei der Entstehung und Aufrechterhaltung des PCOS.

Eine Insulinresistenz findet sich fast immer bei stark übergewichtigen (adipösen) Frauen, so dass diese eine besondere PCOS-Disposition aufweisen. Es wird geschätzt, dass mehr als 50 Prozent der PCOS-Patientinnen übergewichtig sind. In der Pubertät ist die Adipositas die wohl häufigste Ursache für die Entwicklung des PCOS.

Bei erhöhtem Testosteron verändert sich im weiblichen Körper Muskelfasertyp I (ausgeprägte Kapillarisierung, hoher Insulinrezeptorbesatz) zu Muskelfasertyp II (verminderte Kapillarisierung, geringer Insulinrezeptorbesatz). Infolge wird weniger Glukose verbraucht, es kommt zur vermehrten Fettspeicherung im Abdominalbereich. Auf diese Weise entsteht eine Art „Teufelskreis“, in dem die Hyperinsulinämie die erhöhte Androgenproduktion der Ovarien unterhält und die erhöhten Androgene wiederum die Insulinresistenz unterhalten.

Daneben kann auch eine primär vorliegende Hyperandrogenämie die Erhöhung der Muskelfasertyp-II/-typ-I - Ratio induzieren. Der folgenden Insulinresistenz und Hyperinsulinämie folgt wiederum die Ausbildung des PCOS. Hierin erklärt sich das häufige Zusammentreffen eines 21-Hydroxylasemangels vom Typ des "Late-onset"-AGS mit polyzystischen Ovarien; es kommen jedoch auch exogene Hyperandrogenämien, etwa durch Anabolika, in Frage.

Aufgrund der Bedeutung von Insulinresistenz und Adipositas für die Ausbildung des PCOS geht man davon aus, dass sich ein beträchtlicher Teil der heutzutage auftretenden PCOS-Fälle lebensstilbedingt entwickelt. Selbst eine ggf. genetische Disposition zur Insulinresistenz sollte nicht als grundsätzlich krankheitswertig interpretiert werden. Vielmehr handelt es sich wahrscheinlich um eine evolutionäre Entwicklung für Zeiten mit begrenztem Nahrungsangebot, die erst in unserer Zeit unbegrenzten Angebots hochglykämischer, kalorienreicher Lebensmittel bei gleichzeitig oft nur noch geringer körperlicher Belastung mit entsprechend vermindertem Kalorienbedarf zum gesundheitlichen Risiko wird.

Mögliche Folgen und Komplikationen

Therapie

Therapeutisch am effektivsten ist, die Entwicklung PCOS-typischer Fehlregulationen zu vermeiden oder soweit wie möglich zu begrenzen. Die Verhinderung der Adipositas, insbesondere der pubertären mit folgender überschießender Insulinresistenz, ist der primäre Therapieansatz. Eine entsprechend angepasste Ernährungsweise und körperliche Betätigung können hierzu wertvolle Beiträge leisten.

Zur Behandlung eines bereits etablierten PCOS muss unterschieden werden, ob der Wunsch nach einer Schwangerschaft vorliegt oder nicht.

Kein Kinderwunsch

  • Antiandrogene Antibabypille

Liegt kein Kinderwunsch vor, kann mit einer antiandrogenen Antibabypille (Wirkstoff z.B. Cyproteronacetat) therapiert werden. Die Pille führt dabei zu einer regelmäßigen Blutung und reguliert den Hormonhaushalt der Betroffenen. Androgenisierungserscheinungen gehen zurück.

Kinderwunsch

Ist hingegen der Wunsch nach einer Schwangerschaft vorrangig, kann die Krankheit mittels folgender Medikamente bzw. Therapien behandelt werden.

  • Ernährungsumstellung
  • vermehrte körperliche Aktivität
  • Clomifen
  • Gonadotropine (hMG, FSH) nach vorheriger Ovarialsuppression durch GnRH-Analoga
  • Glucocorticoide
  • pulsatile Gabe von GnRH
  • Metformin (bei Vorliegen eines metabolischen Syndroms mit Insulinresistenz, z.Z. noch Off-Label-Use, d.h noch nicht offiziell zugelassen für diesen Zweck)
  • Operative Behandlung (z. B. sog. Laserdrilling der Ovarien im Rahmen einer Laparoskopie: mit fokussiertem CO2-Laser werden ca. 15–20 etwa 1 mm breite Stanzen in die Tunica albuginea gesetzt. Für eine begrenzte Zeit stellen sich wieder Ovulationen ein, der Mechanismus ist unklar. [3])

Aufgrund des chronischen / progredienten Charakters vieler Androgenhaushaltstörungen muss man sich auf eine Langzeitbehandlung einstellen; daher sollte spätestens nach 9–12 Monaten der Therapieerfolg objektiviert und evtl. eine Umstellung der Medikamente eingeleitet werden.

Akupunktur

Die Wirksamkeit der Akupunktur bezüglich PCOS ist umstritten. Schwedische Autoren kamen 2007 zu dem Ergebnis, dass sich Akupunktur über die Modulation des neuroendokrinen Systems (insbesondere des sympathischen Nervensystems) positiv auf PCOS auswirken und einen lang anhaltenden positiven Effekt auf Stoffwechsel und Hormonsystem sowie auf die Ovulation haben kann.[4] Chinesische Autoren stellten 2008 klar, dass die aktuelle Studienlage für eine Bestätigung des ovulationsfördernden Effektes der Akupunktur bezüglich PCOS nicht ausreicht.[5]

Einzelnachweise

  1. Francisco Álvarez-Blasco, MD; José I. Botella-Carretero, MD, PhD; José L. San Millán, PhD; Héctor F. Escobar-Morreale, MD, PhD: Prevalence and Characteristics of the Polycystic Ovary Syndrome in Overweight and Obese Women. In: Arch Intern Med. 2006 Oct 23;166(19):2081-6. PMID 17060537 Volltext
  2. Robert J Norman, Didier Dewailly, Richard S Legro, Theresa E Hickey: Seminar: Polycystic ovary syndrome In: The Lancet 2007; 370:685-697 Zusammenfassung
  3. Michael Kirschbaum: Checkliste Gynäkologie und Geburtshilfe. TB Thieme, Stuttgart 2005, ISBN 3-13-126292-3.
  4. Stener-Victorin E, Jedel E, Mannerås L.: Acupuncture in polycystic ovary syndrome: current experimental and clinical evidence. In: J Neuroendocrinol, 28. Nov. 2007. PMID 18047551
  5. Ng EH, So WS, Gao J, Wong YY, Ho PC: The role of acupuncture in the management of subfertility. In: Fertil Steril. 2008 Jul;90(1):1-13. Epub 2008 Apr 28. PMID 18440533

Literatur

  • Schöfl, Schill, Geisthövel, Brabant: Polyzystisches Ovarialsyndrom und Insulinresistenz. In: Dtsch Arztebl 2004; 101: A 346–351 (Heft 6). Volltext
  • Urdl: Die Behandlung metabolischer Anomalien bei Frauen mit Polyzystischem Ovar-Syndrom. In: Journal für Fertilität und Reproduktion 2002; 12 (1) (Ausgabe für Österreich): 17-22. Volltext
  • Groll, Jeremy, MD and Lorie: Fertility Foods - Optimize Ovulation and Conception Through Food Choices, 2006, Simon & Schusters New York.
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