Proportion (Architektur)

Proportion (Architektur)

In der Architektur ist die Proportion das Verhältnis der Längen-, Breiten- und Höhenmaße eines Bauwerks, einer Fassade oder eines Bauteils. Architekten aller Epochen nutzten unterschiedliche Proportionssysteme. Die Theoretische Auseinandersetzung mit Proportionen in der Architektur wird auch als Proportionslehre bezeichnet.

Eine den Möglichkeiten moderner, fach- und sachübergreifender Wissenschaft genügende Theorie und Praxis der Proportionslehre und -forschung wird im deutschen Sprachraum noch für lange Zeit ein Desiderat bleiben. Traditionelle, d.h. vor 1830 errichtete Architektur fast aller Kategorien war grundsätzlich von durch Proportion geprägte Gestaltqualitäten charakterisiert; auch die ländlicher Architektur von Bauernhäusern und agrarräumlicher Funktionsbauten.

Im Zusammenhang mit der Ästhetik spielen Proportion und etliche andere, oft mathematischen Algorithmen verwandte Gestaltrelationen insofern eine wichtige Rolle, als sie der Wahrnehmung eine Reduktion der Informationsfülle auf Informationsordnung (Informationsreduktion) sowie anschließende Informationsanreicherung erleichtern und somit mehr oder minder versteckte Gestaltqualitäten leichter erfassbar machen. So vermitteln Proportion und andere Quasialgorithmen der Gestalt zwischen Ordnung (Einheit) und Vielfalt (Komplexität), und dieses ist eine wichtige Voraussetzung für Ästhetik. Ordnung degeniert so nicht zu starrer Monotonie, Vielfalt nicht zu (nichtfraktalem) Chaos. Die fraktale Mathematik erschließt seit wenigen Jahrzehnten viele neue Möglichkeiten, ästhetische Relationen neben Proportion, Symmetrie, Rhythmus und vielen anderen Gestaltgesetzen objektiv erfassbar zu machen.

Inhaltsverzeichnis

Zahlenverhältnisse

Die Pythagoreer entdeckten, dass musikalische Harmonien einfachen Zahlenverhältnissen entsprachen, gemessen aus der Länge einer Tonsaite wird eine Oktave bei Verdoppelung (bzw. 1 : 2 ) einer Saite erzeugt, die Quinte entspricht dem Verhältnis 2 : 3 und die Quart 3 : 4. Die auf diese Weise produzierte Musik betrachtete man als "Sphärenmusik" der kosmischen Ordnung. Die Griechen und Römer übertrugen diese Ideen auf ihre Baukunst. Nach Vitruv setzt Harmonie die Wiederholung eines Moduls voraus, so dass alle Teile eines Gebäudes auf einfache Weise darauf reduziert werden konnten.

Säulenordnungen

Grundlegend für die Proportionslehre sind die klassischen Säulenordnungen. Je nachdem, ob es sich um dorische, ionische oder korinthische Säulen handelt, wird ein bestimmtes Verhältnis von Höhe zu Breite der Säule gefordert und eine entsprechende Form von Basis, Kapitell und Gebälk. Architekturtraktate wie die Sieben Bücher des Sebastiano Serlio verbreiteten die Lehre der Säulenordnungen in der Renaissance. Die Bauten des Andrea Palladio zeichnen sich durch festgelegte Proportionen der Räume (Breite zu Länge) und Fassaden aus.

Mittelalter

Entgegen romantischer Behauptungen, welche im frühen 19. Jahrhundert in der erwachenden Mittelalterbegeisterung aufkamen, gab es in der Romanik und Gotik zumindest bis etwa 1480 keinerlei geometrische oder arithmetische Proportionierung. Die zu Hunderten nachträglich mittelalterlichen Gebäuden unterlegten Proportionsschemata entbehren jeder Grundlage, wie Konrad Hecht überzeugend nachgewiesen hat (Maß und Zahl in der mittelalterlichen Baukunst). Eine einfache geometrische Proportion in Bauten der Romanik ist der Quadratische Schematismus. Geometrische Entwurfsverfahren wie die Triangulatur und Quadratur, wie sie in spätmittelalterlichen Werkmeisterbüchern vorgestellt werden, sind in ihrer Bedeutung für die gotische Baupraxis umstritten.

Goldener Schnitt

Die Fassade der Torhalle Lorsch hat die Proportionen des Goldenen Schnittes

Hauptartikel: Goldener Schnitt

Viele Werke der griechischen Antike werden als Beispiele für die Verwendung des Goldenen Schnittes angesehen wie beispielsweise die Vorderfront des 447–432 v. Chr. unter Perikles erbauten Parthenon-Tempels auf der Athener Akropolis. Da zu diesen Werken keine Pläne überliefert sind, ist nicht bekannt, ob diese Proportionen bewusst oder intuitiv gewählt wurden.

Auch in späteren Epochen finden sich zahlreiche Beispiele für die goldene Proportion, wie etwa die Fassade der Torhalle in Lorsch (770 n. Chr.).

Die Ansicht, dass der Goldene Schnitt mit Proportion identisch sei, ist aus kategorieller Perspektive falsch. Gleichwohl hat der Goldene Schnitt eine kaum zu unterschätzende Bedeutung für die ästhetische Wirkung (Gestaltprägnanz) von Objekten der Architektur, Kultur, Kunst, Natur und aller anderen Bereiche.

Menschliche Proportion

Proportionsschema der menschlichen Gestalt nach Vitruv – Skizze von Leonardo da Vinci, 1485/90, Venedig, Galleria dell' Accademia

Vitruv, Leonardo da Vinci und Le Corbusier fanden die Grundlagen ihrer Proportionssysteme in der menschlichen Gestalt. Hier wurden alle Größen (und Teilgrößen) aufeinander bezogen. Le Corbusier entwickelte ab 1940 ein einheitliches Maßsystem basierend auf den menschlichen Maßen und dem Goldenen Schnitt. Er veröffentlichte es 1949 in seiner Schrift Der Modulor, die zu den bedeutendsten Schriften der Architekturgeschichte beziehungsweise -theorie gezählt wird.

Literatur

  • Andreas Gormans: Geometria et ars memorativa: Studien zur Bedeutung von Kreis und Quadrat als Bestandteile mittelalterlicher Mnemonik und ihrer Wirkungsgeschichte an ausgewählten Beispielen, Diss.phil., Aachen 1999.
  • Paul Frankl, Gothic Architecture, Harmondsworth/Baltimore, 1962
  • Konrad Hecht: Zahl und Mass in der gotischen Baukunst, Hildesheim 1979.
  • Paul von Naredi-Rainer, Architektur und Harmonie. Zahl, Maß und Proportion in der abendländischen Baukunst. 6.Auflage, Köln 1999.
  • Joachim Langhein, Traditional Architecture and Proportion, http://www.intbau.org/archive/essay10.htm, 2005/2009
  • Stefan Gerlach: Proportionen in der Gotik? Zum Stand der Dinge, in: Architectura 2/2006 (2007), S. 131-150.
  • Rudolf Wittkower: Grundlagen der Architektur im Zeitalter des Humanismus. München 2. Auflage 1990 (erstmals englisch, London 1949).

Weblinks


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