- Ausländerintegration
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Der Begriff Integration ist vom lateinischen integratio abgeleitet und bedeutet in der Soziologie die Ausbildung
- einer Wertgemeinsamkeit mit einem Einbezug von Gruppierungen, die zunächst oder neuerdings andere Werthaltungen vertreten, oder
- einer Lebens- und Arbeitsgemeinschaft mit einem Einbezug von Menschen, die aus den verschiedensten Gründen von dieser ausgeschlossen (exkludiert) und teilweise in Sondergemeinschaften zusammengefasst waren.
Integration hebt den Zustand der Exklusion und der Separation auf. Integration beschreibt einen dynamischen, lange andauernden und sehr differenzierten Prozess des Zusammenfügens und Zusammenwachsens. Gegenbegriff hierzu ist Desintegration.
Inhaltsverzeichnis
Absolute und relationale Integration
Nach Juergen Friedrichs kann man zwischen relationaler und absoluter Integration unterscheiden. Relationale Integration bezieht sich somit auf ein einzelnes Element und darauf, wie es in eine größere Einheit integriert ist. Absolute Integration hingegen bezieht sich auf die übergeordnete Einheit und kann als Maß des gesamten Zusammenhalts aller Einheiten zueinander gelten.[1]
Sozialintegration und Systemintegration
Nach David Lockwood ist es wichtig, ob man von der Integration einzelner Menschen und Gruppen in die Gesellschaft spricht oder von der Integration einzelner gesellschaftlicher Subsysteme. Den Zusammenhalt gesellschaftlicher Subsysteme (z.B. das Wirtschaftssystem, Rechtssystem usw.) nennt Lockwood Systemintegration. Die Integration einzelner Menschen in die Gesellschaft wird von ihm als Sozialintegration beschrieben.[2]
klassische Ansätze zur Integration in der Soziologie
Zahlreiche soziologische Klassiker haben sich intensiv mit Fragen der sozialen Integration befasst. Gerade die frühen Theoretiker der Soziologie (Emile Durkheim, Herbert Spencer, Georg Simmel, Ferdinand Tönnies) beschreiben den Wandel der Gesellschaft immer auch als einen Wandel des jeweiligen Modus der sozialen Integration. In frühen Stammesgesellschaften wurde der soziale Zusammenhalt in räumlich begrenzten und kleinen Gemeinschaften durch Verwandtschaft und Ähnlichkeit (Homogenität) hergestellt. Durkheim nannte diese Form der sozialen Integration Mechanische Solidarität. Der Typus der Gesellschaft, der auf jener mechanischen Solidarität beruht, wurde von Spencer militante Gesellschaft genannt, die bei geringer interner Differenzierung vor allem auf den Schutz nach außen hin gerichtet ist. Bei Tönnies ist dies die Gemeinschaft, welche er in seinem Hauptwerk Gemeinschaft und Gesellschaft von der Gesellschaft abgrenzt. Durch einen Prozess der Differenzierung verändert sich die Gesellschaft, aus der homogenen Stammesgesellschaft wird im Laufe der Zeit eine heterogene, funktional differenzierte Gesellschaft. Während in kleinen homogenen Gruppen Ähnlichkeit und Verwandtschaft ausgereicht haben, für die soziale Integration zu sorgen, benötigen komplexe Massengesellschaften einen anderen Modus der Integration. Durkheim nennt diese Form organische Solidarität. Spencer wiederum spricht nun von der industriellen Gesellschaft und Tönnies von der Gesellschaft. Alle drei meinen damit – bei Unterschieden im Detail – grob eine Form der Integration, die anonym ist und auf wechselseitiger funktionaler Abhängigkeit beruht. Für Simmel ist diese Form der Integration versinnbildlicht in der modernen Großstadt im Gegensatz zum dörflich-ländlichen Leben.[3]
Integration von Menschen mit einem Migrationshintergrund
Der Prozess der Integration von Menschen mit einem Migrationshintergrund besteht aus Annäherung, gegenseitiger Auseinandersetzung, Kommunikation, Finden von Gemeinsamkeiten, Feststellen von Unterschieden und der Übernahme gemeinschaftlicher Verantwortung zwischen Zugewanderten und anwesender Mehrheitsbevölkerung. Im Gegensatz zur Assimilation (völlige Anpassung), verlangt Integration nicht die Aufgabe der eigenen kulturellen Identität.
Integrationsstufen
Die Integration umfasst vier verschiedene Stufen:
- Strukturelle Integration (Akkommodation): Die Migranten und ihre Kinder werden als Mitglieder der Aufnahmegesellschaft anerkannt, erhalten Zugang zu gesellschaftlichen Positionen und erreichen gleichberechtigte Chancen in der Gesellschaft. Voraussetzung hierfür ist der Erwerb von sprachlichen Fähigkeiten und Kenntnisse über soziale Regeln des Zuwanderungslandes.
- Kulturelle Integration (Akkulturation): Durch das Lernen der Kultur und ihrer Verinnerlichung ist eine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben möglich. Es erfolgt zusätzlich eine Veränderung von Werten, Normen und Einstellungen der Migranten.
- Soziale Integration: Die Aufnahmegesellschaft akzeptiert die Einwanderer im privaten Bereich, die an sozialen Aktivitäten teilnehmen und billigen den freien Umgang ihrer Kinder mit denen der Migranten. Gleichzeitig akzeptieren die Migranten Mitglieder der Aufnahmegesellschaft in ihrem privaten Bereich und gestatten ihren eigenen Kindern einen freien Umgang mit Altersgenossen beiderlei Geschlechts aus der Aufnahmegesellschaft.
- Identifikatorische Integration: Die Migranten und ihre Kinder entwickeln ein neues persönliches Zugehörigkeitsgefühl zur Aufnahmegesellschaft.
Anforderungen an die Menschen mit Migrationshintergrund
Die Möglichkeit der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben der Aufnahmegesellschaft setzt den Erwerb von bestimmten Kenntnissen, Fähigkeiten, Einstellungen und v.a. den Willen, eine weitgehende Neu-Sozialisation und Neuorganisation der Persönlichkeit einzugehen, voraus. Zentral ist hier das Erlernen der neuen Sprache und eine gewisse Kommunikationsfähigkeit und -bereitschaft gegenüber der Aufnahmegesellschaft.
Menschen mit einem Migrantionshintergrund tendieren dazu, sich Verkehrskreise innerhalb der eigene Volksgruppe aufzubauen („Parallelgesellschaften“), als Schutz vor Überforderung und sozialer Isolation. Gefährdet wird die Integration nur, wenn dieser Verkehrskreis der ausschließliche Bezugspunkt des Migranten und der nächsten Generationen bleibt.
Da Sozialisationsprozesse gerade im jungen Alter besonders schnell und nachhaltig ablaufen, ist es für eine erfolgreiche Integration wichtig, dass die Migranten die eigenen Nachkommen auf die neue Gesellschaft und nicht auf das Herkunftsland einstellen, um u.a. Vorurteile, Diskriminierung und Rassismus gegenüber Mitgliedern der Aufnahmegesellschaft abzubauen und ein enges Zusammenleben mit Mitgliedern der Aufnahmegesellschaft zu ermöglichen. Des Weiteren müssen auch Eheschließungen zwischen Migranten bzw. deren Nachkommen und Mitgliedern der Aufnahmegesellschaft, ungeachtet religiöser Hintergründe, gebilligt und zunehmend als normal angesehen werden.
Anforderungen an die Aufnahmegesellschaft
Die Aufnahmegesellschaft muss gegenüber Einwanderern und ihren Kindern ein Mindestmaß an Offenheit aufbringen. Soll eine Integration von Menschen mit einem Migrationshintergrund gelingen, ist es erforderlich, sie an gemeinschaftlichen Gütern teilhaben zu lassen, insbesondere den Arbeitsmarkt und den Wohnungsmarkt zugänglich zu machen. Ein sicherer Arbeitsplatz verschafft ein festes Einkommen, Sozialprestige, Selbstverwirklichung und soziale Beziehungen. Zur Verhinderung von Parallelgesellschaften muss unbedingt von der Aufnahmegesellschaft die Bildung von Gettos ausgeschlossen werden, z. B. durch Zuwanderungsstopp ab einer bestimmten Migrantendichte pro Bezirk. Unabdingbar ist zudem ein chancengleicher Zugang zu Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen, der die Integration beschleunigt. Da Schulen oder Klassen mit einem hohen Anteil an Migrantenkindern zu einer sozialen Segregation führen und den Bildungsanschluss an die Mehrheitsgesellschaft verhindern, muss überlegt werden, wie derart hohe Quoten verhindert werden können (z. B. über eine Änderung der Einteilung von Schulbezirken). Eine weitere Aufgabe der Aufnahmegesellschaft besteht darin, Vorurteile, Diskriminierung und Rassismus abzubauen. Sie können durch Justizbehörden (Justiz, Polizei) oder Aufklärungskampagnen beispielsweise an Schulen verhindert werden.
Deutschland
Durch die im Grundgesetz verankerten Grundrechte hat jeder Mensch das Recht auf eine eigene Meinung, Religionsfreiheit und Gewissensfreiheit. Neben der Aneignung der deutschen Sprache, welche die Grundvoraussetzung für Teilhabe bildet, ist die Rücksichtnahme auf die Grundrechte anderer von hoher Bedeutung. Inwieweit besondere persönliche Überzeugungen (z. B. zur Demokratie, zum Geschlechterverhältnis), deren Freiheit ja gerade vom Grundgesetz garantiert wird, sich an Werte der Mehrheitsgesellschaft anzupassen haben, ist Gegenstand der Auseinandersetzung.
Einen hohen Stellenwert für die Integration von Menschen mit einem Migrationshintergrund nimmt die Einbürgerung ein. Der Gesetzgeber sieht in der Annahme der deutschen Staatsangehörigkeit nicht nur die Begründung der rechtlichen Mitgliedschaft im deutschen Staat verbunden mit staatbürgerlichen Teilhaberechten, sondern auch das Bekenntnis zur deutschen Rechts- und Kulturgemeinschaft. Der Gesetzgeber schützt bei der Beurteilung der Rechtsverhältnisse die kulturelle Identität von Ausländern dadurch, dass die Rechtsordnung desjenigen Staates, welchem sie "zum Zeitpunkt des Sachverhalts, angehören", auch von deutschen Behörden und Gerichten Berücksichtigung findet (→Internationales Privatrecht).
Integration von behinderten Menschen
(siehe auch: Teilhabe (Behinderte Menschen))
Georg Feuser[4] definiert Integration als „die gemeinsame Tätigkeit (Spielen/Lernen/Arbeit) am gemeinsamen Gegenstand/Produkt in Kooperation von behinderten und nichtbehinderten Menschen.“ Integriert sind demzufolge behinderte Menschen dann, wenn sie in Kommunikations- und Arbeitsgemeinschaften einbezogen sind.
Im Falle einer zieldifferenten Integration gelten für behinderte Menschen reduzierte Anforderungen oder Sonderbedingungen. Im Fall einer zielgleichen Integration erhalten behinderte Menschen Nachteilsausgleiche (z. B. in Form verlängerter Bearbeitungszeiten bei Prüfungen für sehbehinderte Menschen), damit sie das gemeinsame Ziel erfolgreich erreichen können. Im Fall einer zielgleichen Integration sind die Grenzen zu einer Förderung Schwächerer, mithin zur Inklusion, fließend.
Vorschriften über schwerbehinderte Menschen, vor allem im Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX), regeln die Integration behinderter Menschen im Arbeitsleben. Die Schwerbehindertenvertretung in Betrieben hat z. B. das Recht, den Abschluss einer Integrationsvereinbarung zu verlangen, den die Betriebsleitung mit der Schwerbehindertenvertretung und dem Betriebsrat bzw. dem Personalrat abschließen soll. Diese Regelungen beziehen sich unter anderem auf die Personalplanung, die Arbeitsplatzgestaltung, die Arbeitsorganisation und die Gestaltung des Arbeitsumfeldes. Weitere Regelungen zur angestrebten Beschäftigungsquote und Ausbildung behinderter Jugendlicher können getroffen werden.
Siehe auch
- Basler Integrationsmodell
- Multikulturelle Gesellschaft
- Interkulturelle Kompetenz
- Pluralismus
- Rehabilitation
- Soziale Inklusion
- Desintegration
Einzelnachweise
- ↑ Friedrichs, Jürgen und Jagodzinski, Wolfgang: Theorien der Sozialen Integration. In: Dies.: Soziale Integration. Sonderband der KZfSS, 1999, S. 9 -43.
- ↑ Lockwood, David 1969: Soziale Integration und Systemintegration. In: Zapf, Wolfgang: Theorien des sozialen Wandels, S. 124-137
- ↑ Münch, Richard (1995): Elemente einer Theorie der Integration moderner Gesellschaften. Eine Bestandsaufnahme. In: Berliner Journal für Soziologie, H1, 1995. S. 5-24
- ↑ http://www.feuser.uni-bremen.de/publik/integration.html
Literatur
- Thomas Baumer: Handbuch Interkulturelle Kompetenz (2 Bände); Verlag Orell Füssli, Zürich. ISBN 3-280-02691-1 und ISBN 3-280-05081-2
- Mathias Beer (Hg.): Zur Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen im deutschen Südwesten nach 1945. Ergebnisse der Tagung vom 11. und 12. November 1993 in Tübingen. Sigmaringen 1994 (Schriftenreihe des Instituts für Donauschwäbische Geschichte und Landeskunde, Bd. 3)
- Nikita Dhawan: Can the Subaltern Speak German? And Other Risky Questions. Migrant Hybridism versus Subalternity
- Hans Eberwein, Sabine Knauer (Hrsg.): Integrationspädagogik 6. Auflage, Weinheim/Basel 2002
- Bassam Tibi: Islamische Zuwanderung. Die gescheiterte Integration. Stuttgart 2002, ISBN 3421056331
- Kien Nghi Ha: Ethnizität und Migration Reloaded. Kulturelle Identität, Differenz und Hybridität im postkolonialen Diskurs. Berlin, überarb. und erw. Neuauflage (1999/2004), ISBN 3-86573-009-4
- H. Häußermann, W. Siebel: Stadtsoziologie: Eine Einführung 2006
- Gerda Heck: ›Illegale Einwanderung‹. Eine umkämpfte Konstruktion in Deutschland und den USA. Edition DISS Band 17. Münster 2008. ISBN 978-3-89771-746-6 (Interview heiseonline 10. November 2008)
- K.-H. Hillmann: Wörterbuch der Soziologie. 4. Auflage, Stuttgart 1994
- Ulrike Hormel, Albert Scherr: Bildung für die Einwanderungsgesellschaft, 2004, ISBN 3-531-14399-9
- Sabine Knauer: Integration. Inklusive Konzepte für Schule und Unterricht. Weinheim 2008. ISBN 9-783407-25419-1
- Leibold, J.: Immigranten zwischen Einbürgerung und Abwanderung – Eine empirische Studie zur bindenden Wirkung von Sozialintegration, Göttingen 2006
- Otto Speck: System Heilpädagogik. Eine ökologisch reflexive Grundlegung. 2. Auflage, München 1991
- Britta Kanacher: Christliche und muslimische Identität. Anstöße für eine neue Verständigung, LIT-Verlag Münster 2003, ISBN 3-8258-7094-4
- Funda Eberle-Güceli / Britta Kanacher: Integration und Qualität. Integrationsförderung durch Qualitätsmanagement, Avlos-Verlag 2004, ISBN 3-929634-97-X
- Imbusch, Peter / Heitmeyer, Wilhelm: Integration - Desintegration Ein Reader zur Ordnungsproblematik moderner Gesellschaften. Aus der Reihe: Analysen zu gesellschaftlicher Integration und Desintegration VS Verlag für Sozialwissenschaften 2009[1]
- Heitmeyer, Wilhelm / Imbusch, Peter:Integrationspotenziale einer modernen Gesellschaft. Aus der Reihe: Analysen zu gesellschaftlicher Integration und Desintegration VS Verlag für Sozialwissenschaften 2005. [2]
Weblink
- Qantara.de: Migration-Dossier
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