Rassismus-Strafnorm

Rassismus-Strafnorm
Art. 261bis StGB

Die Rassismus-Strafnorm (ugs. Antirassismusgesetz) bezeichnet den Artikel 261bis des schweizerischen Strafgesetzbuches und den Artikel 171c des Militärstrafgesetzes, die Rassendiskriminierung und Volksverhetzung unter Strafe stellen.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Um den Beitritt der Schweiz zum Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung von 1965 zu ermöglichen, wurde das Strafgesetzbuch 1995 um den unten wiedergegebenen Art. 261bis ergänzt. Die Strafnorm ist vor allem im rechtskonservativen politischen Lager umstritten, wo sie wegen ihrer offenen Formulierung als zu einschneidende Beschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit gilt. Die Befürworter der Bestimmung machen dagegen geltend, die Meinungsäusserungsfreiheit werde zwar eingeschränkt, müsse aber hinter den Schutz der Betroffenen vor Rassendiskriminierung zurücktreten.

Gegen den Artikel formierten sich mehrere Gruppierungen:

  • «Aktion für freie Meinungsäusserung – gegen UNO-Bevormundung» (AfM): gegründet von Publizist Emil Rahm (SVP), vom antisemitischen Schriftsteller Walter Fischbacher, vom Holocaustleugner Ernst Indlekofer, vom Historiker Wolfgang von Wartburg und von Reto Kind (Identität Schweiz). Fischbacher übernahm das Präsidium, Indlekofer das Vizepräsidium, während Emil Rahm als Sekretär und Pressesprecher fungierte. Nachdem in den Medien die extremen politischen Positionen der Mitgründer Fischbacher und Indlekofer bekannt wurden, zogen sie sich auf Anraten Rahms aus der Gruppe zurück.
  • «Komitee für eine liberale Gesetzgebung»: gegründet von Gregor A. Rutz, Philipp Rhomberg und Dieter Nigg
  • «Komitee für Freiheit im Denken und Reden»: gegründet vom «Abendland»-Redaktor Herbert Meier

Die Schweizer Demokraten reichten mit Unterstützung von AfM, vom «Komitee für eine liberale Gesetzgebung», vom «Komitee für Freiheit im Denken und Reden» und der Ligue vaudoise ein Referendum gegen die Gesetzgebung ein.[1][2][3]

Bei der Volksabstimmung vom 25. September 1994 wurde das Gesetz schliesslich mit einem Stimmenanteil von 54,6 Prozent Ja-Stimmen angenommen.[4]

Nach dem Referendum reichte Emil Rahm 1997, 1999 und 2000 Petitionen zur Änderung des neuen Gesetzes ein.[5][6][7]

Die öffentliche Debatte um Art. 261bis StGB flammte im Oktober 2006 erneut auf. Der damalige Schweizer Justizminister Christoph Blocher bedauerte in Ankara die Strafverfolgung von Yusuf Halaçoğlu und Doğu Perinçek. Er kündigte an, eine Änderung der Strafbestimmung prüfen zu lassen.[8] Nachdem alle Regierungsparteien mit Ausnahme der Schweizerische Volkspartei diese Äusserungen kritisiert hatten, erklärte der Gesamtbundesrat, dass eine ersatzlose Streichung der Antirassismusstrafnorm nicht in Frage komme.[9]

Am 7. August 2007 lancierten die Schweizer Demokraten die Eidgenössische Volksinitiative «Für freie Meinungsäusserung – weg mit dem Maulkorb!», durch welche die Rassismus-Strafnorm ersatzlos aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden sollte. Die Initiative kam jedoch nicht zu Stande, da die benötigten 100'000 Unterschriften innerhalb der Frist bis am 7. Februar 2009 nicht erreicht wurden.[10]

Anwendung

Holocaust-Leugner

Bis anhin (2006) wurden vor allem Holocaust-Leugner und Neonazis nach dieser Bestimmung verurteilt. Das Bundesgericht hat in seinen Leitentscheiden zu Art. 261bis[11] u.a. entschieden, dass auch geschlossene Veranstaltungen mit geladenen Gästen (in casu: Skinheads) als «öffentlich» im Sinne der Bestimmung gelten.[12]

Leugnung des Völkermords an den Armeniern

2005 sorgte die Bestimmung für diplomatische Verstimmungen mit der Türkei, als Strafverfahren gegen den Historiker Yusuf Halacoglu (Leiter der Türkischen Historischen Gesellschaft) und den Politiker Doğu Perinçek eröffnet wurden. Diese hatten an Veranstaltungen in der Schweiz den Völkermord an den Armeniern geleugnet.[8] Doğu Perinçek wurde am 9. März 2007 zu 90 Straftagen auf Bewährung und 3000 Schweizer Franken verurteilt.[13] Das Urteil wurde vom Strafkassationshof bestätigt.[14]

Andere Äusserungen

2009 bestätigte das Bundesgericht eine Verurteilung wegen Rassendiskriminierung zum Nachteil der ethnischen Gruppe der «Deutschschweizer». Der Verurteilte hatte Äusserungen der Art «Deutschschweizer werden nicht mit Fremdenhass und Übermenschlichkeit geboren, sie werden in den schweizerischen Fremdenhass-nationalistischen Schulen dazu erzogen ... die Schweiz ist ein krebsartiger Klumpen auf der Erdoberfläche und muss entfernt werden, koste es, was es wolle» auf einer Website publiziert.[15] Dieses Urteil zeigt, dass eine Rassendiskriminierung nicht nur Minderheiten, sondern auch die Bevölkerungsmehrheit betreffen kann.

Die Strafnorm wird verschiedentlich auch durch private Interessengruppen angerufen, um als rassendiskriminierend empfundene politische Äusserungen strafrechtlich beurteilen zu lassen. So musste etwa Jürg Scherrer, Berner Grossrat der Autopartei und Polizeidirektor von Biel, wegen seiner abschätzigen Äusserungen über Schwarzafrikaner bereits mehrfach vor Gericht erscheinen.[16] Soweit ersichtlich ist es in einem politischen Zusammenhang aber noch nicht zu Verurteilungen nach Art. 261bis StGB gekommen.

Wortlaut

Art. 261bis Rassendiskriminierung
Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion zu Hass oder Diskriminierung aufruft,
wer öffentlich Ideologien verbreitet, die auf die systematische Herabsetzung oder Verleumdung der Angehörigen einer Rasse, Ethnie oder Religion gerichtet sind,
wer mit dem gleichen Ziel Propagandaaktionen organisiert, fördert oder daran teilnimmt,
wer öffentlich durch Wort, Schrift, Bild, Gebärden, Tätlichkeiten oder in anderer Weise eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise herabsetzt oder diskriminiert oder aus einem dieser Gründe Völkermord oder andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, gröblich verharmlost oder zu rechtfertigen sucht,
wer eine von ihm angebotene Leistung, die für die Allgemeinheit bestimmt ist, einer Person oder einer Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion verweigert,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Die jungen Handlanger der alten Rassisten: Sie sind jung, rechts - und auf Abwegen. Sonntagsblick vom 3. Juli 1994.
  2. Vereint zuschlagen. Die Volksabstimmung über ein Antirassismus-Gesetz deckt Abgründe von Fremdenhaß auf. Der Spiegel Nr. 38/1994, 19. September 1994, abgerufen am 12. April 2011.
  3. Susan Boos: Was lange währt, muss gut enden. Die Schweiz verschlampte während über zwanzig Jahren den Beitritt zur Antirassismus-Konvention. WOZ - Die Wochenzeitung, abgerufen am 10. April 2011.
  4. Vorlage Nr. 414, Änderung vom 18. Juni 1993
  5. 97.2028 - Petition Rahm Emil, Hallau. Schutz der freien Meinungsbildung. Nationalrat - Frühjahrssession 1998 - Sechzehnte Sitzung. Amtliches Bulletin - Die Wortprotokolle von Nationalrat und Ständerat, 20. März 1998, abgerufen am 12. April 2011.
  6. 99.2007 - Petition Rahm Emil. Auslegung von Artikel 5 Absatz 4 der neuen Bundesverfassung. Ständerat - Frühjahrssession 2000 - Elfte Sitzung. Amtliches Bulletin - Die Wortprotokolle von Nationalrat und Ständerat, 23. März 2000, abgerufen am 12. April 2011.
  7. 00.2012 - Petition Rahm Emil. Artikel 261bis StGB. Rassismus-Strafartikel. Ständerat - Sommersession 2000 - Zwölfte Sitzung. Amtliches Bulletin - Die Wortprotokolle von Nationalrat und Ständerat, 22. Juni 2000, abgerufen am 12. April 2011.
  8. a b Blochers Aussagen in der Türkei provozieren die Schweiz, Swissinfo, 5. Oktober 2006
  9. Regierung rügt Christoph Blocher, Swissinfo, 18. Oktober 2006
  10. Eidgenössische Volksinitiative «Für freie Meinungsäusserung – weg mit dem Maulkorb!»
  11. Leitentscheide zu Art. 261bis
  12. BGE 130 IV 113
  13. Urteil des Tribunal des Bezirks Lausanne (pdf), besucht am 14. Februar 2009
  14. Beschluss des Strafkassationshof des Kantons Waadt (pdf), besucht am 14. Februar 2009
  15. Urteil vom 26. Dezember 2008, Nr. 6B_591/2008 u.a.
  16. Kritische Äusserung ist keine Rassendiskriminierung, NZZ, 12. November 2004
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