Robert Rössle

Robert Rössle
Büste Rössles vor der Robert-Rössle-Klinik

Robert Rössle (* 19. August 1876 in Augsburg; † 21. November 1956 in Berlin) war ein deutscher Pathologe.

Inhaltsverzeichnis

Familie

Robert Rössle war mit Ingegerd Kjelland verheiratet.

Ausbildung und Beruf

Nach der Reifeprüfung am humanistischen Gymnasium in Augsburg studierte Rössle in München, Kiel und Straßburg Medizin. In München wurde er im Jahr 1900 promoviert, legte das medizinische Staatsexamen ab und kehrte anschließend an das Pathologische Institut der Universität Kiel zurück. Es folgten dann Arbeitsaufenthalte bei Richard Hertwig am Zoologischen Institut und bei Max von Gruber am Hygiene-Institut der Universität München sowie eine Weltreise (1902–1903).

In Anschluss an die Habilitation für allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie 1904 in Kiel erfolgte eine Umhabilitation nach München, wo Rössle am Pathologischen Institut bei Otto von Bollinger bis zu dessen Tod blieb, im gleichen Jahr zum außerordentlichen Professor ernannt wurde und dort bis 1910 als Prosektor tätig war. 1911 bis 1921 übernahm er das Ordinariat für allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie an der Universität Jena. In dieser Zeit spielte er eine entscheidende Rolle im Disziplinarverfahren gegen den damaligen Leiter der Universitätsfrauenklinik Max Henkel.[1] Von 1922 bis 1929 hatte Rössle das entsprechende Ordinariat in Basel inne und wurde 1929 als Nachfolger von Otto Lubarsch auf den Lehrstuhl für Pathologie an der Charité in Berlin berufen, wo er bis 1948 blieb.

In der Zeit des Nationalsozialismus war Rössle Mitherausgeber der Zeitschrift für menschliche Vererbungs- und Konstitutionslehre. Am 18. August 1942 berief ihn Adolf Hitler in den wissenschaftlichen Senat des Heeressanitätswesens. Rössle beteiligte sich an der auf Menschenversuchen basierenden Luftwaffenforschung über Die pathologisch-anatomischen Veränderungen bei Druckfallkrankheit und Luftstoßschäden. 1944 wurde Rössle in den Wissenschaftlichen Beirat des Generalkommissars für das Sanitäts- und Gesundheitswesen Karl Brandt berufen.[2]

Da Rössle kein Mitglied der NSDAP gewesen war,[2] lehrte er nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs weiterhin an der Humboldt-Universität zu Berlin. Nach der Emeritierung arbeitete er bis zum Jahr 1953 als Prosektor am Städtischen Wenckebach-Krankenhaus in Berlin und widmete sich anschließend experimentellen Studien am Institut für Gewebeforschung.

Leistung

In seiner Habilitation befasste sich Rössle zunächst mit Pigmentierungsvorgängen im Melanom. Ausgehend von Fragen der zellulären Immunität im Blut wandte er sich der Erforschung der Ursachen der Leberzirrhose zu (Hepatitis, Hepatosen), wobei ein entzündungsbedingter Parenchymverlust der Leber als eine Hauptursache erkannt wurde. Auf Rössle gehen auch wichtige Erkenntnisse zur Unterscheidung primärer und sekundärer Leberzirrhosen zurück. Ein weiterer Schwerpunkt seiner Arbeit war die allgemeine Pathologie der Entzündung („Phylogenese der Entzündung“), die zur Prägung des wichtigen Begriffs „Empfindung für Gewebsfremdheit“ führte, der für Allergie, Anaphylaxie und Transplantatabstoßung gleichermaßen wichtig ist.

Kernpunkt von Rössles Entzündungslehre ist die Hypothese, dass Entzündung als pathologische Steigerung minimaler physiologischer Vorgänge (Exsudation, Proliferation, Phagozytose, Zelluntergang, Zellregeneration) auf zellulärer Ebene zu betrachten sei. Rössle trug wesentlich zur Klärung des Allergiebegriffes bei. Er setzte Allergie als erworbenes Reaktionsmuster mit der allergischen Reaktion gleich, wobei von einer „Normergie“ ausgehend Allergie als Hyperergie oder Anergie bzw. Hyperergie als Anaphylaxie oder Immunantwort vorkommen kann.

Unter dem Aspekt der Konstitutionspathologie beschäftigte sich Rössle seit 1910 mit Wachstumsvorgängen und Alterung, durchaus schon im Sinne der modernen Gerontologie. Als Standardwerk für die Obduktion galt seine Monographie Maß und Zahl in der Pathologie, in der Normen definiert werden, die die systematische und kontrollierte Bewertung pathologischer Befunde erlauben. Die Monographie Pathologie der Familie stellt eine große Zahl pathologisch-anatomischer Sektionsbefunde bei Verwandten, Ehegatten, Zwillingen und Drillingen vor und führte zu der bemerkenswerten Feststellung, dass erworbene Krankheiten, Seuchen und Lebensstilfaktoren (Genussgifte, ungesunde Lebensgewohnheiten) stärker pathologisch wirksam sind als Vererbungsmechanismen.

Robert Rössle veröffentlichte mehr als 300 Originalarbeiten und zehn große Monographien. Er war zudem bis 1956 als Herausgeber für 39 Bände von Virchows Archiv verantwortlich.

Rössle wurde mit dem Nationalpreis der DDR ausgezeichnet,[2] erhielt mehrere Ehrendoktorwürden, war Ehrenmitglied von elf wissenschaftlichen Gesellschaften und ordentliches Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin. In Berlin-Buch sind eine Straße und ein Krankenhaus nach dem Mediziner benannt.

Ehrungen

Werke

  • Cystenhygrome des Halses, Diss. med., München 1900
  • Der Pigmentierungsvorgang im Melanosarkom, Habilitationsschr., Kiel 1904
  • Über das Altern. Naturwiss Wschr 32 (1917) 241–247
  • Über Entzündung. Verh dtsch Ges Pathol 19 (1923) 18–68
  • Innere Krankheitsursachen, Allgemeine Pathologie der Zelle und Gewebe, Schutzkörperbildung und Immunität, In: Aschoff (Hrsg.): Lehrbuch der pathologischen Anatomie, Bd. 1, 6. Aufl., Jena 1923, S. 1–52, S. 291–323, S. 485–513
  • Classification des cirrhoses hepatiques, Ann Anat. Pathol 6 (1929) 875–894
  • Entzündungen der Leber, In: Henke, Lubarsch (Hrsg.): Handbuch der speziellen pathologischen Anatomie, Bd. 2/1, Berlin, 1930, S. 243–505
  • Maß und Zahl in der Pathologie (mit F. Roulet), Berlin 1932
  • Über vereinfachte Handhabung der Kalorienwerte bei praktischen Ernährungsfragen. München 1919
  • Allergie und Pathergie, Klin Wschr 12 (1933) 574–581
  • Die pathologische Anatomie der Familie. Berlin 1940
  • Atlas der pathologischen Anatomie (mit K. Apitz). Stuttgart 1951

Literatur

  • Isidor Fischer (Hrsg.): Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte der letzten fünfzig Jahre, Berlin 1932, Bd. 2, S. 1312
  • Kürschners Dtsch. Gelehrtenkalender (1935) 1138, (1950) 1689, (1954) 1932
  • W. Fischer: Robert Rössle 70 Jahre alt. Dtsch Med Wschr 72 (1947) 40–41
  • Werner Hueck: Robert Rössle zum 80. Geburtstag. Münchn Med Wschr 98 (1956) 1098–1100
  • Herwig Hamperl: Robert Rössle zum 80. Geburtstag. Klin Wschr 34 (1956) 880
  • Wilhelm Doerr: Robert Rössle 80 Jahre alt. Dtsch Med J 7 (1956) 524–532
  • A. Werthemann: In memoriam Prof. Robert Rössle. Schweiz Med Wschr 87 (1957) 115–118
  • H. Klar: Robert Roessle and his influence on pathology. Medico (Int) 12 (1963) 17–22
  • Heinrich Bredt: Robert Rössle, in: Hugo Freund, Alexander Berg (Hrsg.): Geschichte der Mikroskopie. Bd. II. Frankfurt/Main 1964, S. 333–340
  • Dietmar Eckert: Personalbibliographien der Professoren und Dozenten der Pathologie an der Medizinischen Fakultät der Ludwig-Maximilian-Universität in München im ungefähren Zeitraum von 1870–1945. Erlangen-Nürnberg 1971, S. 100–119
  • Wilhelm Doerr: Zum 100. Geburtstag Robert Rössles. Virchows Arch 371 (1976) 1–4
  • Herwig Hamperl: Robert Rössle in seinem letzten Lebensjahrzehnt. Berlin 1976

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Katrin Ratz: Der Fall „Max Henkel“. Das Dienststrafverfahren gegen den Jenaer Ordinarius der Frauenheilkunde und Geburtshilfe (1915-1918) Dissertation, Friedrich-Schiller-Universität Jena, 2002 (PDF-Dokument; 500 kB)
  2. a b c Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Fischer Taschenbuch Verlag, Zweite aktualisierte Auflage, Frankfurt am Main 2005, ISBN 978-3-596-16048-8, S. 503.

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