Elisabeth Noelle-Neumann

Elisabeth Noelle-Neumann
Elisabeth Noelle-Neumann mit Staatssekretär Otto Schlecht (1991)

Elisabeth Noelle-Neumann (* 19. Dezember 1916 in Berlin; † 25. März 2010 in Allensbach[1], amtlich Elisabeth Noelle) war Professorin für Kommunikationswissenschaft an der Universität Mainz und Gründerin des Instituts für Demoskopie (IfD) in Allensbach. Sie gilt als Pionierin der Demoskopie in Deutschland.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Elisabeth Noelle wurde in Berlin als zweites von vier Kindern des Ehepaares Eva und Ernst Noelle in einer großbürgerlichen Familie geboren. Ihr Vater war promovierter Jurist und gründete die Tobis-Filmgesellschaft. Ihre Großväter waren der Fabrikant Ernst Noelle und der Bildhauer Fritz Schaper.

Nachdem Elisabeth Noelle zunächst Schulen in Berlin besuchte, schickten ihre Eltern sie später auf das reformpädagogische Internat Schule Schloss Salem. Dieses verließ sie nach einem halben Jahr wieder und legte 1935 in Göttingen das Abitur ab. Anschließend studierte sie Philosophie, Geschichte, Zeitungswissenschaft und Amerikanistik an der Friedrich-Wilhelm-Universität in Berlin, der Albertina in Königsberg und der University of Missouri in den USA. Während ihrer Studentenzeit war sie Zellenleiterin in der Arbeitsgemeinschaft Nationalsozialistischer Studentinnen, einer Unterorganisation des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes. Bei einem Besuch auf dem Obersalzberg begegnete sie Adolf Hitler. Dies sei „eine der stärksten und merkwürdigsten Erfahrungen“ ihres Lebens gewesen, bemerkte sie später. Sie habe „keinerlei Warnung“ empfangen.[2]

1937/38 verbrachte sie als Stipendiatin des DAAD ein Austauschjahr in den USA und lernte dort neueste Demoskopie-Methoden kennen. 1940 wurde sie bei Emil Dovifat, dem Nestor der deutschen Zeitungswissenschaft, in Berlin über Meinungs- und Massenforschung in den USA promoviert. Anschließend absolvierte sie ein Volontariat bei der Deutschen Allgemeinen Zeitung. Ab 1940 schrieb sie für die von Joseph Goebbels herausgegebene NS-Propaganda-Zeitung Das Reich, eine Wochenzeitung, deren Leitartikel häufig von Goebbels verfasst wurden. Einige ihrer Artikel behandelten das Thema Juden und andere „Feinde“ des Hitler-Regimes.[2] Nach ihrer Entlassung bei Das Reich ging sie zur Frankfurter Zeitung.

In Noelle-Neumanns Dissertation mit dem Titel „Amerikanische Massenbefragungen über Politik und Presse“ von 1940 führte sie Deutschlands schlechtes Ansehen in der Welt vor allem auf die Propaganda der US-Medien zurück: „Seit 1933 konzentrieren die Juden, die einen großen Teil von Amerikas geistigem Leben monopolisiert haben, ihre demagogischen Fähigkeiten auf die Deutschlandhetze“.[3] Goebbels wollte sie auf Grund ihrer Arbeiten zur Meinungsforschung in den USA 1942 zu seiner Adjutantin machen. Eine längere Erkrankung hinderte sie jedoch daran, dieses Amt anzutreten.[4]

1946 heiratete sie den Journalisten und CDU-Politiker Erich Peter Neumann. Dieser hatte während ihrer Zeit bei Das Reich dort ebenfalls Artikel redigiert.[5] Noelle-Neumanns erster Ehemann starb 1973. 1979 heiratete sie den Kernphysiker Heinz Maier-Leibnitz und trug den Namen Noelle-Neumann-Maier-Leibnitz.[6] Nach dessen Tod im Jahre 2000 nahm sie ihren Geburtsnamen Elisabeth Noelle wieder an, publizierte aber weiter unter dem Namen Noelle-Neumann.

Karriere nach 1945

1947 gründete Noelle-Neumann gemeinsam mit ihrem Mann Erich Peter Neumann das Institut für Demoskopie Allensbach als erstes deutsches Meinungsforschungsinstitut. Unter ihrer Leitung entwickelte sich das Institut zu einem Begriff für Wirtschaft, Politik und Publizistik – vor allem durch die in Deutschland neue Methode der Repräsentativumfragen. Seit 1989 teilte Elisabeth Noelle-Neumann sich die Leitung des IfD mit der Diplom-Volkswirtin Renate Köcher.

Von 1961 bis 1964 war Noelle-Neumann wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Freien Universität Berlin. 1964 wurde sie mit Unterstützung von Helmut Kohl als Professorin an die Universität Mainz berufen, wo sie das Institut für Publizistik aufbaute, das sie bis zu ihrer Emeritierung 1983 als Direktorin leitete.[7]

Von 1968 bis 1970 war sie Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, von 1978 bis 1980 Präsidentin der World Association for Public Opinion Research (WAPOR), und von 1980 bis 1991 war sie Kuratoriumsmitglied der Studienstiftung des deutschen Volkes. 1978 bis 1991 las sie als Gastprofessorin an der Universität von Chicago, 1993/94 an der Universität München. Seit 1989 war sie Mitherausgeberin des International Journal of Public Opinion Research (IJPOR), das von der WAPOR herausgegeben wird.

Zu ihren Schülern gehörten die Professoren Wolfgang Donsbach, Hans Mathias Kepplinger, Klaus Schönbach, Winfried Schulz und Jürgen Wilke.

Wissenschaftliche Karriere

In der wissenschaftlichen Arbeit wurde Noelle-Neumann vor allem durch die „Theorie der Schweigespirale“ (1980) bekannt: Die Vertreter der jeweils vermeintlich herrschenden Meinung verträten diese offensiv; die Vertreter der vermeintlichen Minderheitsmeinung verstummten umso mehr, je mehr sie sich in der Minderheit glaubten. Verkürzt beschrieben, beobachtet der Mensch als „soziale Haut“ mit einem „quasi-statistischen Wahrnehmungsorgan“ die politische Meinungsverteilung, um sich dann auf die Seite der Sieger zu schlagen.[2]

Das Konzept der Schweigespirale reserviert die Möglichkeit, die gesellschaftlich vorherrschende Meinung zu ändern, dem, der Isolationsfurcht nicht kennt oder sie überwindet. Diese Theorie der öffentlichen Meinung ist eine auch international breit rezipierte Arbeit der deutschsprachigen Kommunikationsforschung. Bis heute ist das Buch über die Schweigespirale in über zwei Dutzend Sprachen übersetzt worden. Allerdings wurde – vor allem in Deutschland – Noelle-Neumanns Theorem kontrovers diskutiert. Einer der Hauptkritikpunkte ist die angeblich mangelnde empirische Fundierung der Theorie.

Kritisch vorgehalten wurden Noelle-Neumann einige antisemitische Passagen aus ihrer Doktorarbeit von 1940. In den 1970er, 1980er und 1990er Jahren entwickelten sich wiederholt Kontroversen über ihr Wirken in der NS-Zeit.

Wahlbeeinflussung gehörte ebenfalls zu den wiederholt lautwerdenden Vorwürfen an Noelle-Neumann. Sie wurde mehrfach als „Haus-Demoskopin“ der CDU bezeichnet. Sie stritt entsprechende Vorwürfe stets ab.

Sonstiges

Pythia vom Bodensee“ gilt als Spitzname Elisabeth Noelle-Neumanns; die Umfrage-Forscherin hat die Bedeutung der Intuition auch in der Wissenschaft nie gering geschätzt.

Die Gemeinde Allensbach und die Bezirkssparkasse Reichenau haben zum 90. Geburtstag von Elisabeth Noelle-Neumann 2006 den Prof.-Dr.-Elisabeth-Noelle-Preis gestiftet. Er ist mit 5000 Euro dotiert und wird alle drei Jahre an Nachwuchswissenschaftler der Universität Konstanz vergeben in Anerkennung herausragender Leistungen auf dem Gebiet der Sozialwissenschaften.

Noelle wollte alles überprüfen, messen, belegbar machen. Selbst dem Glück wollte sie auf die Spur kommen. „Glück muss ich messen können.“ Sie war Wissenschaftlerin, die zugleich an das Schicksal glaubte. Besuchern erzählte sie von ihren Begegnungen mit Engeln, sie schickte Briefe an Graphologen und war felsenfest überzeugt von der 19, ihrer Glückszahl.[8] Die Voraussagen Nostradamus faszinierten sie ihr ganzes Leben lang; 1940 will sie nach einer Recherche dessen Werke „gewusst“ haben, dass die Deutschen den 2. Weltkrieg verlieren werden.

Ehrungen

Veröffentlichungen (Auswahl)

  • Öffentlichkeit als Bedrohung. Beiträge zur empirischen Kommunikationsforschung. Karl Alber, Freiburg/München 1977, ISBN 3-495-47352-1.
  • Die Schweigespirale. Öffentliche Meinung – unsere soziale Haut. 6. Auflage. Langen Müller, München 2001, ISBN 3-7844-2835-5.
  • Öffentliche Meinung. Die Entdeckung der Schweigespirale. Ullstein, Frankfurt/Berlin 1989, ISBN 3-550-06427-6.
  • Die Erinnerungen. Herbig, München 2006, ISBN 3-7766-2485-X.
  • Zusammen mit Burkhard Strümpel: Macht Arbeit krank? Macht Arbeit glücklich? Eine aktuelle Kontroverse. Piper, München/Zürich 1984, ISBN 3-492-02897-7.

Herausgeberschaft

  • mit Hans Mathias Kepplinger und Winfried Schulz: Alber-Broschur Kommunikation. 20 Bände, Karl Alber, Freiburg/München 1975–1995.
  • mit Winfried Schulz und Jürgen Wilke: Fischer Lexikon Publizistik Massenkommunikation. 5., aktualisierte, vollständig überarbeitete und ergänzte Auflage. Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 2009, ISBN 978-3-596-18192-6; darin Autorin der Artikel:
    • mit Thomas Petersen: Methoden der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. S. 291–328.
    • Öffentliche Meinung. S. 427–442.

Literatur

  • Richard Albrecht: Demoskopie als Demagogie: Kritisches aus den achtziger Jahren. Shaker, Aachen 2007, ISBN 978-3-8322-6324-9 (Broschüre mit CD-Rom).
  • Jörg Becker: „Wir fühlten uns wie Widerstandskämpfer“. Gedanken zu den Memoiren von Elisabeth Noelle-Neumann. In: Vorgänge. Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik. Nr. 180, 2007, S. 124–133.
  • Manfred Güllner: Elisabeth Noelle-Neumanns Erinnerungen. In: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte. 4/2007, S. 77–79.
  • Hans Mathias Kepplinger: Nachruf auf Elisabeth Noelle (19. Dezember 1916 - 25. März 2010) In: KZfSS, 62, 2010. S. 583-587.
  • Otto Köhler: Unheimliche Publizisten. Die verdrängte Vergangenheit der Medienmacher. Droemer Knaur, München 1995, ISBN 3-426-80071-3.
  • Richard Albrecht: Hinweise zu einer Karriere. In: medium. 18, 1988, Nr. 2, S. 49–50.
  • Richard Albrecht: Demoskopie als Demagogie. SDR 2 Hörfunk, 7. Januar 1987, Gedruckt in: Medien Journal. 12, 1988, Nr. 1, S. 41–48.
  • Richard Albrecht: Rezension zu Die Schweigespirale. In: Publizistik. 29, 1984, Nr. 3–4, S. 617–621.

Weblinks

 Commons: Elisabeth Noelle-Neumann – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Allensbach-Gründerin Noelle-Neumann ist tot. In: Zeit Online. 26. März 2010.
  2. a b c Markus Clauer: Zwischen Prognose und Macht. Zum Tode von Elisabeth Noelle-Neumann. In: Die Rheinpfalz. 26. März 2010.
  3. Elisabeth Noelle: Amerikanische Massenbefragungen über Politik und Presse. Dissertation. Limburg 1940, S. 63.
  4. Otto Köhler: Volksbeschauerin vom Bodensee - Die Wunschadjudantin des Propagandaministers: Elisabeth Noelle-Neumann. In: Ders.: Unheimliche Publizisten. Knaur, München 1995, ISBN 3-426-80071-3.
  5. Otto Köhler: Hinein ins wahre Wesen der Geführten – Der unsterblichen Elisabeth Noelle zum 90. Geburtstag. In: Der Freitag vom 5. Januar 2007.
  6. Georg Paul Hefty: Ihr Einfallsreichtum kannte keine Grenzen. In: FAZ.net, 25. März 2010.
  7. Franziska Augstein: Frau Professor Allensbach. In: sueddeutsche.de, 25. März 2010.
  8. Nachruf:Elisabeth Noelle-Neumann: Die Glückssucherin. In: Badische Zeitung. 26. März 2010
  9. Staatsministerium Baden-Württemberg: Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg. Liste der Ordensträger 1975–2009. S. 33 – abgerufen am 14. September 2009

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